Zwischenbericht

Im November der Zytostatika-Ausschreibungen

23.11.2016, 15:15 Uhr - Ein Blog-Beitrag von DAZ.online-Mitglied Dr. Franz Stadler

(Foto: benicoma / Fotolia)

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Obwohl der Gesetzgeber Zyto-Ausschreibungen auf Apothekenebene im AMVSG verbieten will, laufen diese Ausschreibungen weiterhin. Dennoch machen die Beteiligten weiter, als wäre nichts geschehen. Zudem werden jede Menge Falschinformationen in die Welt gesetzt, die einer Klarstellung bedürfen.

Bundesweit laufen inzwischen drei Ausschreibungen zur ambulanten Versorgung von Krebspatienten mit Zytostatikainfusionen. Davon sind oder werden rund 40 Millionen gesetzliche Versicherte betroffen sein. Und dies, obwohl der Gesetzgeber zwischenzeitlich klar seinen Willen geäußert hat: Er will mit dem AMVSG sowohl die Versorgungsausschreibungen (Selektivverträge) verbieten als auch das freie Apothekenwahlrecht der Patienten wieder einführen. Das Gesetzesvorhaben hat sogar einige Hürden im Gesetzgebungsverfahren bereits erfolgreich hinter sich gebracht. Trotzdem machen fast alle weiter als wäre nichts geschehen. Zudem werden jede Menge Falschinformationen in die Welt gesetzt. Im Einzelnen:

SpektrumK

(vertritt rund 9 Millionen Versicherte)

Trotz diverser Erfolgsmeldungen der beteiligten Krankenkassen muss man feststellen, dass nur 294 von 788 Losen besetzt wurden (ca. 37%). Zudem wurden einige Lose vergeben obwohl die Losgewinner niemals innerhalb der vorgegebenen 60 Minuten liefern können. Eine Überprüfung der Einhaltung ihrer eigenen Vertragsbedingungen durch die beteiligten Krankenkassen fand offensichtlich nicht statt. In den vergebenen Losgebieten haben sich inzwischen einige Apotheken entschlossen, dem Vertrag nachträglich beizutreten, so dass sich die Zahl der beteiligten Apotheken von 94 auf, nach Angaben von SpektrumK, etwa 170 erhöht hat. Trotz der wirtschaftlich für die Apotheken kaum darstellbaren Bedingungen dürfte dies überwiegend darauf zurückzuführen sein, dass so im Interesse der betroffenen Patienten gewachsene Lieferbeziehungen zu den onkologischen Praxen fortbestehen können. Oder anders ausgedrückt: Weil einige „Kollegen“ unklugerweise vor einer Teilnahme nicht zurückgeschreckt sind, mussten nun andere ins kalte Wasser springen, um ein größeres Chaos zu vermeiden. Allerdings müssen voraussichtlich alle beigetretenen Apotheken auch nach Inkrafttreten des geplanten Gesetzes zu den bekannten Bedingungen bis Laufzeitende weiterliefern. Die Berichte über Versorgungsmängel reißen trotzdem nicht ab.

DAK/GWQ

(vertreten rund 15 Millionen Versicherte)

Am 25. Oktober 2016 wurden die Zuschläge der Ausschreibung verbindlich vergeben. 276 von den geplanten 322 Losen konnten vergeben werden (knapp 86%). Damit werden nach Angaben der DAK/GWQ aber 93% des Beschaffungsbedarfes abgedeckt, was zeigt, dass überwiegend unattraktive Lose (Randlage, besonnener bisheriger Versorger) nicht bezuschlagt werden konnten. Nicht nur beim geplanten Vertragsstart lief einiges schief, sodass manche Praxen ab 1. Dezember 2016, andere erst ab 1. Januar 2017 von den „Gewinnern“ beliefert werden. Für Bayern heißt das, dass nur in elf von 48 Losen ab 1. Dezember 2016 nach Ausschreibungskonditionen geliefert wird (ca. 23%). Aber nicht nur in diesem Punkt fielen die Erfolgsmeldungen der Verantwortlichen ein wenig zu euphorisch aus.

Während die DAK/GWQ von einer drastischen Reduzierung von Lieferzeiten (nur noch 1 % der Apotheken sollen weiter als 50 km Luftlinie von der Praxis entfernt sein) durch ihre Ausschreibung spricht, zeigen die Daten (Tab. 1) ein anderes Bild: In über 10 % der Fälle wurden Entfernungen von mehr als 50 km Luftlinie zwischen Losgewinner und Praxis zugelassen. Bei logistischer Betrachtungsweise (reale Fahrstrecke) müssten diese Entfernungen zirka mit dem Faktor 1,3 multipliziert werden (vorsichtige Schätzung), sodass die Durchschnittsfahrstrecke in Gruppe 8 bei mehr als 80 km liegt und in Gruppe 7 bei fast 56 km. Beide Gruppen (über 20 %) sind also in den zugesagten 60 Minuten Fahrzeit (+ 30 Minuten Herstellung und Bestellung) kaum bzw. nicht zu schaffen. Verschärfend kommt hier hinzu, dass die DAK/GWQ keine Angaben über Nachunternehmer macht, die in jedem Fall zu einer deutlichen Verlängerung der Lieferstrecke führen würden. Und Nachunternehmer (Herstellbetriebe und größere herstellende Apotheken) dürfte es viele geben. 

E-Gruppe Praxen Ø Entfernung max. Entfernung min. Entfernung
Gr 1: Im Haus 30 0,00 0,00 0,000
Gr 2: bis 500m 64 0,25 0,48 0,011
Gr 3: 0,5-5km 340 2,48 4,96 0,508
Gr 4: 5-10 km 147 7,25 9,95 5,026
Gr 5: 10-20 km 246 14,61 19,96 10,009
Gr 6: 20-38 km 312 28,79 37,73 20,016
Gr 7: 38-50 km 140 42,75 49,92 38,262
Gr 8: Ü 50 km 156 62,38 95,75 50,168
Gesamtergebnis 1435 21,06 95,75 0,000

Trotz anderslautender Bekundungen wurden also auch hier die Eigenerklärungen nur unzureichend überprüft oder zumindest nicht die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Möglicherweise rollt in diesem Zusammenhang eine Welle von Schadensersatzklagen auf die DAK/GWQ zu.

Da sich die DAK/GWQ zu ihrem Vorgehen nach Inkrafttreten des geplanten AMVSG noch nicht geäußert hat, ist davon auszugehen, dass sich die Losgewinner voraussichtlich auch danach an die unterschriebenen Bedingungen halten müssen, sofern sie denn auch künftig bei der Ausübung des freien Patientenwahlrechtes weiter berücksichtigt werden. Aus „Gewinnern“ werden dann so möglicherweise schnell Verlierer.

Barmer-GEK / TK / KKH / Deutsche BKK

(vertreten rund 16 Millionen Versicherte)

Hier wurden schon bei der Ausschreibung einige Besonderheiten eingeführt. Obwohl es sich um Exklusivverträge handelt, wurden drei kurzhaltbare Wirkstoffe aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen, um eine Ad-hoc-Lieferzeit von zwei Stunden einführen zu können. Mit diesem juristischen Trick ist es gelungen, die Loszuschnitte deutlich zu vergrößern. Selbst deren Beschränkung auf vier Lose je Gewinner schließt so einige kleinere wohnortnahe Versorger allein aufgrund der schieren Losgröße aus – unabhängig von der Tatsache, dass niemand schlüssig die Frage beantworten kann, wer die verbliebenen drei Wirkstoffe im Falle eines Falles denn liefern sollte. Ferner gilt jede Bietergemeinschaft als eigene juristische Person und kann so jeweils auf vier Lose bieten. Dadurch ist es für größere Apotheken ein Leichtes, über den Umweg der Bietergemeinschaften auf sehr viele Lose zu bieten, was im Resultat die wohnortnahe Versorgung beendet. Außerdem hat die Barmer/TK den künftigen Losgewinnern zugesagt, dass im Falle der Wiedereinführung des freien Patientenwahlrechtes alle abgeschlossenen Verträge automatisch nichtig würden. Sehr wahrscheinlich bedeutet dies, dass möglicherweise ab Vertragsstart 1. Februar 2017 in den Praxen erneut erhebliche Versorgungs- und Umstellungsprobleme auf die Patienten zukommen, diese aber voraussichtlich ab 1. April 2017 mit dem Inkrafttreten des AMVSG wieder entfallen. Der ganze Aufwand einer bundesweiten Ausschreibung wird also für voraussichtlich eine zweimonatige Laufzeit betrieben.

Fazit

Was haben also diese diversen Ausschreibungen gebracht? Selbst wenn wir die grundlegenden pharmazeutischen Fehler (Verwürfe, Haltbarkeiten u.a.) hier außer Acht lassen, bleibt folgendes Bild: Die wohnortnahe Versorgung und damit das Patienteninteresse spielen bei Versorgungsausschreibungen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Herstellbetriebe, aber auch Apothekenverbünde wie Omnicare, die ursprünglich unter genau diesem Ziel, dem Erhalt der wohnortnahen Versorgung, angetreten waren, bieten einzig mit dem Ziel der Ausweitung ihrer Marktanteile. Kleinere, wirklich wohnortnahe herstellende Apotheken werden verdrängt oder gekauft. Dabei überschwemmt immer mehr Investmentkapital den Markt, was zu immer unwirtschaftlicheren Angeboten führt. Den Kassen kommt dieses Vorgehen aus rein finanziellen Erwägungen heraus sehr gelegen, was dazu führt, dass sie bei den Vergaben beide Augen zudrücken, Hintergründe ausblenden und sogar mit Scheinargumenten die Ergebnisse verteidigen. In den Praxen, aber auch in beliefernden Apotheken mussten deshalb viele Prozesse geändert werden, was zum Teil sehr chaotisch ablief und abläuft. Die Patienten müssen sich gezwungenermaßen an zum Teil deutlich verlängerte Wartezeiten und Terminverschiebungen gewöhnen. Neben den Einsparungen, die nach Ansicht des Autors auch auf andere Art und Weise erzielt hätten werden können, verbleibt deshalb nur eine weitere positive Tatsache: Die Marktteilnehmer mussten sich unter den rigorosen Bedingungen dieser Ausschreibungen richtiggehend outen und so manches rhetorische Feigenblatt wurde und wird entlarvt werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion von DAZ.online.


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