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Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Keine Änderung in Arzneiversorgung
Beim Bundesgesundheitsminister und Ärzten stieß das Urteil, das die Kostenerstattung von Brille und Zahnersatz beinhaltet, überwiegend auf Skepsis, sie befürchten Qualitätsverluste im Gesundheitswesen. Der Präsident der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA) stellte fest, daß sich für die Patienten in Deutschland in der Arzneiversorgung nichts ändert. Vertreter der Krankenkassen sprachen zwar von einem verbraucherfreundlichen Urteil, verwiesen jedoch auch auf das Qualitätsargument.
Am Beispiel zweier Luxemburger, denen ihre Krankenkasse die Erstattung der Kosten für eine in Belgien gekaufte Brille sowie für den Zahnersatz der Tochter in Trier verweigerte, entschieden die Richter des EuGH, daß die Kasse zumindest den Teil der Aufwendungen zahlen muß, den sie für die entsprechende Behandlung im Inland gezahlt hätte. Die Richter begründeten dies mit dem freien Waren- und Dienstleistungsverkehr in der EU. Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer nannte das Urteil "äußerst problematisch", da es die nationale Verantwortung für die Finanzierung des jeweiligen Gesundheitssystems aushöhle. Es unterstütze die in der Europäischen Kommission erkennbare Tendenz, die Krankenkassen als Wirtschaftsunternehmen zu betrachten, um sie so der Kompetenz der Landesregierungen zu entziehen. Es dürfe, so Seehofer, nicht zu einer faktischen Harmonisierung der Sozialsysteme kommen, obwohl letzteres nicht politisch gewollt sei. Nach Befürchtungen des Ministers wird das deutsche System nun teurer - weil mit Behandlungen im Ausland Geld aus unserem Solidarsystem abfließt - oder das Versorgungsniveau sinkt, weil die Kassen für Leistungen im Ausland zahlen, deren Qualität und Wirtschaftlichkeit nicht nachgeprüft werden kann. Das Abfließen von Mitteln durch die Erstattung von Behandlungen im Ausland gefährde die flächendeckende Gesundheitsversorgung im Land. Zugleich müßten zur Kompensation zusätzliche Mittel aufgebracht werden. In der Folge subventioniere die solidarische Krankenversicherung andere Gesundheitssysteme, werde aber selbst finanziell ausgezehrt, warnte Seehofer. Seiner Ansicht nach droht ein Absinken des Versorgungsniveaus, weil Instrumente wie Qualitätssicherung oder Wirtschaftlichkeitsprüfungen, die eine wirtschaftliche und hochwertige Versorgung garantierten, dann ins Leere liefen. Zudem werde das in Deutschland bestehende Problem der Überkapazitäten im Gesundheitswesen "drastisch verschärft".
ABDA-Präsident Hans-Günter Friese hob hervor, daß sich für die Arzneiversorgung der Versicherten in Deutschland nichts ändert. Es bleibe auch bei im Ausland gekauften Medikamenten grundsätzlich bei der Zuzahlung von 9,11 und 13 Mark. Allerdings stünden Apotheken in grenznahen Bereichen in einem gewissen Wettbewerb mit ausländischen Apotheken, dem sich das deutsche Apothekenwesen aber selbstbewußt stelle. Die ABDA werde es nicht hinnehmen, wenn interessierte Kreise die Versicherten zum Besuch ausländischer Offizinen aufforderten. Nach wie vor habe der Patient das Recht auf freie Apothekenwahl. Ergänzend wies ABDA-Geschäftsführer Dr. Johannes Pieck im Gespräch mit der DAZ-Apotheker Zeitung darauf hin, daß die ABDA wegen der Arzneimittelsicherheit nach wie vor das Versandhandelsverbot für wichtig hält, was der Gesetzgeber nun auch in der kommenden Novelle des Arzneimittelgesetzes verankere.
Ärzte: Risiko und Chance
Massive Auswirkungen für das deutsche Gesundheitswesen befürchtete der Präsident der Bundesärztekammer. "Auch wenn wir ja zu Europa sagen, darf dies nicht zu Nivellierungen der sozialen Sicherungssysteme führen", sagte Dr. Karsten Vilmar in Köln. Die Gefahr bestehe darin, daß die Qualität der medizinischen Versorgung der Patienten in eine Abwärtsspirale zu geraten drohe. Der BÄK-Präsident regte eine "Europäische Gesundheitscharta" an, um eine Nivellierung der Systeme zu verhindern. Daß die Politiker im Amsterdamer Vertrag die Eigenständigkeit der gewachsenen Gesundheitssysteme bejahten, hätten die Richter des EuGH offensichtlich nicht berücksichtigt. Nicht ganz so skeptisch wie Vilmar äußerte sich dagegen die Vertretung der niedergelassenen Ärzte. Die Auswirkungen des EuGH-Urteils, das sich auf das luxemburgische System beziehe und nicht automatisch auf das deutsche System übertragbar sei, müßten zunächst geprüft werden, so die Kassenärztliche Bundesvereinigung in Köln. Schließlich lasse der EuGH ausdrücklich einschränkende Regelungen zu, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Gesundheit oder zur Vermeidung einer Gefährdung der Finanzen erforderlich sei. Für die Kassenärzte berge das Urteil auch Chancen, da sich durch die hochwertige ambulante Versorgung in Deutschland auch Patienten aus anderen EU-Staaten Behandlungsmöglichkeiten böten. Die KBV weist darüber hinaus auf die Kostenerstattung als notwendige Voraussetzung anstelle des - hier überwiegend geltenden - Sachleistungsprinzips hin. Wähle ein Versicherter Leistungen im EU-Ausland, müsse dies als Wahl zur Kostenerstattung gesehen werden. Auch Seehofer hatte dies erwähnt. Ein Patient müsse dann die Kosten wie ein Privatversicherter tragen, erhalte aber von seiner Kasse nur den nationalen Erstattungssatz.
Zustimmung bei Kassen
Orts- und Betriebskrankenkassen begrüßten die Liberalisierung im Interesse des Patienten, die sich vermutlich auf Hilfsmittel und Zahnersatz begrenze. Vorteile bringe sie vor allem in grenznahen Bereichen. Allerdings warnten sie wie Ersatzkassen die Versicherten auch, auf die Qualität der Behandlungen im Ausland zu achten und nicht "auf Schnäppchenjagd" zu gehen. Die Ersatzkassenverbände erwarten nach eigenen Angaben keine gravierenden Auswirkungen. Es sei schon wegen der Sprachbarrieren kaum zu erwarten, daß Versicherte in großem Umfang Leistungen im Ausland beanspruchten. Das Gericht habe auch deutlich gemacht, daß der Anspruch nur gilt, so lange keine "erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit" bestehe. Erstattet werden, so die Ersatzkassen, ohnehin nur die im Inland geltenden Sätze.
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