Arzneimittel und Therapie

Für "2000" erwartet: Basalinsulin mit langer Wirkungsdauer

Ziel der intensivierten Insulintherapie ist es, die endogene Insulinsekretion optimal zu simulieren. Mit herkömmlichen Basalinsulinen läßt sich dies jedoch nicht erreichen, da deren Wirkungsdauer zu kurz ist. Abhilfe schaffen könnte ein neues Insulinanalogon, das über 24 Stunden wirken soll. Es ist allerdings erst für das Jahr 2000 zu erwarten.

Die Insulinsekretion ist genau geregelt: Über 24 Stunden kommt es zu einer konstanten basalen Sekretion mit zirkadianer Rhythmik sowie einem postprandialen Anstieg. Bei Diabetikern, die eine intensivierte Therapie benötigen, wird versucht, diese endogene Insulinfreisetzung möglichst genau nachzuahmen. Sie erhalten deshalb ein Basalinsulin, das sie je nach Bedarf ein- bis zweimal täglich injizieren sowie ein Normalinsulin, das die erhöhten Blutzuckerspiegel nach den Mahlzeiten "abfängt".
Das Problem: Herkömmliche Basalinsuline, wie die gängigen NPH-Insulin (Insuline, die an neutrales Protamin gebunden sind), wirken zu kurz, um nach Einmalgabe die notwendigen basalen Insulinspiegel zu erhalten. Morgendliche Erhöhungen des Nüchternblutzucker sind die unliebsame Folge. Wird von der Einmalgabe auf die Zweimalgabe umgestellt, kommt es zu Überlappungen in der Wirkung mit dem Risiko erhöhter Hypoglykämien.

Insulinanalogon mit verlängerter Wirkungsdauer
Ein neues Humaninsulinanalogon könnte diese Problematik in den Griff bekommen. HOE 901, das sich derzeit in klinischen Studien befindet, zeichnet sich durch eine äußerst lange Wirkungsdauer sowie eine flache Wirkungskurve aus. In einer Phase-I-Studie an gesunden Probanden lag das Wirkungsmaximum bei 12,5 Stunden (NPH-Insulin: 6,5 Stunden) und war deutlich weniger stark ausgeprägt. Die Wirkungsdauer, die bei NPH-Insulin bei 16 Stunden lag, ging über den Beobachtungszeitraum von 24 Stunden hinaus. Dieses Profil läßt es als wahrscheinlich erscheinen, daß HOE 901 nach Einmalgabe ausreichend wirksam ist und nur eine geringe Hypoglykämiegefahr besteht.

Chemische Modifikationen
Erreicht wurde die lange Wirkungsdauer durch chemische Modifikationen direkt am Insulinmolekül. Die B-Kette wurde am Carboxylende um zwei Argininmoleküle verlängert, in der A-Kette wurde das Asparaginmolekül in Position A21 durch Glycin ersetzt. Diese Veränderungen machen das Dipeptid schwer löslich. Erhöht wird die Schwerlöslichkeit noch dadurch, daß die die neu eingeführten chemischen Reste zusätzliche Wechselwirkungen mit benachbarten Insulinhexameren im Kristallverband eingehen. Das nach Injektion subkutan präzipitierte Insulin wird deshalb nur sehr langsam freigegeben, die Wirkungsdauer dadurch gesteigert.

Typ-I-Diabetes: Verbesserung der Stoffwechselsituation
Der Effekt von HOE 901 bei Typ-I-Diabetikern wurde bislang in zwei Parallelgruppen-Untersuchungen in Europa und den USA mit NPH-Insulin (neutrales Protamin Hagedorn, Verzögerungsinsulin mit dem der basischen Eiweißkörper Protamin, NPH-Insuline sind mit Altinsulin mischbar) verglichen. Eingeschlossen wurden knapp 600 Probanden, die über mindestens zwei Monate entsprechend dem Basal-Bolus-Konzept mit ein- oder zweimal täglich NPH-Insulin plus Normalinsulin behandelt worden waren. Die Hälfte stellte für vier Wochen von NPH-Insulin auf die Einmalgabe von HOE 901 um.
Bereits innerhalb des Beobachtungszeitraums ließ sich eine Verbesserung der Stoffwechselsituation unter HOE 901 feststellen. So ging in beiden Studien der Nüchtern-Blutzucker um 2 bis 3 mmol/l zurück. In der Europäischen Studie konnte beispielsweise der Nüchtern-Blutzucker von 12,7 auf 10,3 mmol/l gesenkt werden. Wenig Einfluß hat die Änderung des Therapieregimes auf die Gesamtzahl der Hypoglykämien. Lediglich in der Europäischen Studie war nächtlicher Unterzucker seltener.

Typ-II-Diabetes: Reduktion nächtlicher Hypoglykämien
Bei Typ-II-Diabetikern wird Insulin erst eingesetzt, wenn Diät plus orale Antidiabetika den Blutzucker nicht mehr ausreichend senken. Die Wirkung von HOE 901 wurde deshalb in drei verschiedenen Studien untersucht: als Monotherapie, als Kombinationstherapie mit oralen Antidiabetika sowie als intensivierte Therapie zusammen mit Normalinsulin. In allen Untersuchungen konnte die Stoffwechsellage innerhalb des vierwöchigen Beobachtungszeitraums im Vergleich zu NPH-Insulin nicht verbessert werden. Allerdings lag die Rate nächtlicher Hypoglykämien bei der intensivierten Insulintherapie sowie in der Kombinationstherapie in der HOE-901-Gruppe niedriger. So traten beispielsweise in Kombination mit oralen Antidiabetika bei 19,1 Prozent der Probanden wenigstens eine Hypoglykämie auf, während es unter HOE 901 lediglich 6,3 Prozent waren.

Bis das neue Insulinanalogon im Jahr 2000 - wenn alles klappt - auf den Markt kommt, werden sicher noch zahlreiche Studien, auch über einen längeren Zeitraum, durchgeführt werden. Dann wird sich auch zeigen, welche Diabetiker von diesem langwirksamen Basalinsulin besonders profitieren.






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