Kommentar

Leitlinien sozialdemokratischer Gesundheitspolitik

Pharmaverbände lehnen Institut zur Arzneimittelbewertung ab

Am 11. April 2002 stellte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin die "Leitlinien sozialdemokratischer Gesundheitspolitik" vor. Zwar sei der Erhalt des solidarischen Systems und der paritätischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung das oberste Ziel sozialdemokratischer Gesundheitspolitik, in der Arzneimittelversorgung wolle sie jedoch "starr und überholte Strukturen aus dem vorletzten Jahrhundert" überwinden. Außerdem befürworte sie die vierte Hürde in der Arzneimittelzulassung, bei der der Arzneimittelpreis im Verhältnis Nutzen des Arzneimittels durch ein unabhängiges Institut bewertet werde.

Aus internen Stellungnahmen und Pressemitteilungen von Pharmaverbänden geht hervor, dass die Einführung einer vierten Hürde, also die Prüfung der therapeutischen Notwendigkeit von Arzneimitteln in Ergänzung zu bereits vorliegenden positiven Entscheidungen der nationalen und europäischen Zulassungsbehörden abgelehnt werde. Nach Ansicht des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) seien alle nationalen oder europäisch zugelassenen Arzneimittel therapeutisch sinnvoll und damit auch grundsätzlich erstattungsfähig. Auch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller wandte sich gegen die Einführung einer vierten Hürde. Patienten müssten länger auf dringend benötigte Therapie warten oder würden sie im Zweifelsfall gar nicht erhalten, so der VFA. "Wir warnen hier vor der deutlichen Gefahr, dass potenziell gute neue Arzneimittel von der Erstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen werden", erklärte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Denn viele Medikamente könnten ihren Wert erst nach längerer Zeit auf dem Markt unter Beweis stellen. Es gebe außerdem keinerlei Bewertungskriterien, auf die sich ein solches Institut bei seiner Arbeit stützen könnte.

Schmidt sprach sich auch für die Festlegung eines einheitlichen und gemeinsamen Leistungskatalogs aus, der das medizinisch Notwendige für Alle sicherstelle. Leitlinien seien zur Erarbeitung dieses Leistungskatalogs unersetzlich, Diese sollten durch ein unabhängiges Expertengremium in einem "Zentrum für Qualität in der Medizin" erstellt werden. Die Stärkung der Wahlrechte der Versicherte bei der Vertragsgestaltung mit den Krankenkassen lehnt die Ministerin ab, was der BAH bedauert. Nach Auffassung dieses Verbands könne nur durch Stärkung des Wahlrechts mit Elementen wie Beitragsrückerstattung, Einschränkungen des Leistungskatalogs u. a. ein sparsamer Umgang des Versicherten mit den Ressourcen im Gesundheitssystem erzielt werden.

Auch Änderungen in der gesamten Arzneimittelversorgung hat sich die Bundesgesundheitsministerin auf ihre Fahnen geschrieben. Beispielhaft nannte sie hier die Arzneimittelpreisbindung, die Vertriebswege, Rabattvorteile und die Preisspannenverordnung als wesentliche Punkte, wobei sie allerdings keine konkreten Änderungsvorschläge dazu nannte. Nach Ansicht des BAH seien diese Äußerungen noch nebulös, hier müssten die Ergebnisse des "Runden Tisches" abgewartet werden. Doch eine Umschichtung im niedrigpreisigen Segment zu Lasten der Verbraucher lehnt der BAH entschieden ab, während der VFA die von der Ministerin geplante Änderung in der Arzneimittelpreisverordnung, wodurch die Handelsspannen bei teuren Medikamenten gesenkt werden könnten, befürwortet. Der VFA geht sogar noch einen Schritt weiter und befürwortet die Freigabe der Preise von verschreibungsfreien Medikamenten als richtiges marktwirtschaftliches Element. Der BAH vermisst, dass sich die Ministerin nicht zu einer Umgestaltung der packungsgrößenabhängigen Zuzahlung auf eine prozentuale Zuzahlungsregelung äußert. Erneut warnte der VFA davor, im ohnehin bereits hoch regulierten Arzneimittelbereich zusätzliche bürokratische Reglementierungen - wie die Schaffung einer weiteren Aufsichtsbehörde in Form eines Arzneimittelinspektors einzuführen. Mit dem Heilmittelwerbegesetz, dem Arzneimittelgesetz, dem Standesrecht der Ärzte und Apotheker und den Kodices der Industrie stünden bereits umfangreiche Instrumente zur Verfügung. Auch nach Ansicht des BPI wäre dies ein weiterer staatlicher Eingriff in den Arzneimittelmarkt und würde die Gängelung der Pharmaindustrie erneut verstärken.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.