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- DAZ 22/2002
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Die Seite 3
Die SPD ist zurzeit in keiner komfortablen Situation. Sämtliche Umfragen signalisieren ein düsteres Bild. Die Hoffnung, dass die Partei zusammen mit den Grünen weiter regieren kann, zerrinnt mit jeder Woche mehr. Selbst wenn die SPD – entgegen klaren Aussagen – die PDS noch mit ins Boot nähme, würde es derzeit nicht reichen. Den Trend noch umzukehren wird schwer. Die Zeit wird knapp – und nicht zuletzt in der Gesundheitspolitik haben sich die Sozialdemokraten so verrannt und festgefahren, dass kurz- und mittelfristig eine Kurskorrektur kaum noch möglich erscheint.
An freiberuflich tätigen Ärzten und Apothekern, an den freien Heilberufen insgesamt, scheinen die Sozialdemokraten kaum noch interessiert zu sein. Ihnen soll das Leben schwer gemacht werden. Das gilt nicht zuletzt für die sozialdemokratische Apothekenpolitik. Hier steuert die Partei, trotz nachdrücklicher Warnungen von Seiten sozialdemokratischer Apotheker, verbissen auf einen Bruch mit den wichtigsten der bisherigen ordnungspolitischen Grundsätze zu.
Das derzeit wichtigste Beispiel: Versandapotheken sollen her; und man hat den Eindruck: notfalls auch mit der Brechstange, jedenfalls wenn der Europäische Gerichtshof nicht oder nicht schnell genug so wie erwünscht reagiert. Obwohl Krankenkassen neben dem Bruch von Lieferverträgen auch offen zum Rechtsbruch auffordern, indem sie ihre Versicherten motivieren, Arzneimittel per Versand zu ordern, drückt sich die politische Führung des Gesundheitsministeriums um jedes klare Wort der Kritik. Die Krankenkassen als Rammbock zur Durchsetzung einer grundlegenden Systemänderung – so unerwünscht kommt dies der Bundesgesundheitsministerin offensichtlich nicht. Die normative Kraft des Faktischen soll vorbereiten, wohin die Reise politisch und rechtlich in Zukunft nach Meinung führender Sozialdemokraten gehen soll.
Das ganze Spiel ist hochriskant – für uns Apotheker, aber auch für die SPD. Für die Apotheker muss es – unabhängig vom Wahlausgang – Grund zur Sorge sein, wenn sich eine der beiden großen Volksparteien aus dem ordnungspolitischen Grundkonsens über die Struktur unseres Apothekenwesens verabschiedet. Aber auch die SPD riskiert einiges. Die Feststellung, dass man auf die Apothekerinnen und Apotheker als Wähler verzichten könne, mag stimmen. Die Sozialdemokraten haben aber völlig falsch eingeschätzt, wie positiv die Arbeit der Apothekerinnen und Apotheker von der Bevölkerung eingeschätzt wird, wie groß die Zufriedenheit, wie ausgeprägt das Vertrauen ist.
Ein Blick ins jährliche Kundenbarometer und in die große Befragung von Reader's Digest hätte da weiter geholfen (DAZ Nr. 12 vom 21. März 2002, S. 19). Ein weiterer Grund zu Vorsicht hätten die aktuellen Antworten sein müssen, die Emnid bei einer Umfrage auf die platte Suggestivfrage erhielt, ob die Befragten bereit seien, zukünftig per Internet ihre Arzneimittel zu besorgen, wenn dadurch die Kassenbeiträge sinken würden. Fast zwei Drittel der Befragten antworteten mit einem klaren Nein.
Es kann sein, dass die Sozialdemokraten für derartigen Leichtsinn bei der nächsten Wahl die Quittung bekommen – vergleichbar der Quittung, die Horst Seehofer 1998 erhielt, weil er kurz vor der Wahl die Zuzahlungen für Arzneimittel drastisch angehoben hatte. Ein wichtiger Indikator wird sein, wie das Ergebnis der Unterschriftensammlung "Pro Apotheke" sein wird. Werden es zwei, drei, fünf Millionen oder noch viel mehr Unterschriften? Nach meinen eigenen Erfahrungen bin ich sehr optimistisch. Das Ergebnis wird mehr als respektabel, wenn alle bis Mitte Juni die Unterschriftenlisten auslegen. Die Menschen erfassen meist schon nach wenigen Bemerkungen, worum es geht. "Jetzt drehen die in Berlin wohl voll durch" – dies oder Ähnliches habe ich immer wieder gehört. Viele unterschreiben spontan. Mit einer überwältigenden Mehrheit wollen die Menschen ihre Apotheken, ihr Apothekensystem, das sich bewährt hat, behalten.
Ahnt die Regierung, welche Lawine sie da losgetreten hat? Die z. T. hilflosen und widersprüchlichen Antworten, mit denen sie kürzlich auf eine detaillierte "Kleine Anfrage" der FDP-Fraktion zum Thema Versandapotheken reagiert hat (siehe S. 24), könnten ein Hinweis darauf sein. Präzise befragt, muss die Bundesregierung explizit zugeben, dass nach geltendem Recht der Versandhandel mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, auch wenn er grenzüberschreitend erfolgt, gemäß § 43 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes verboten ist. Auf die Frage, was man gegen die Verstöße zu tun gedenke, weicht die Regierung aus: das sei Aufgabe der Aufsichtsbehörden, die Bundesregierung dürfe sich in die Ermessensentscheidungen nicht einmischen. Das ist die Diktion der Bürokratie. Wie wäre es mit einer politischen Aussage, die dem Eindruck entgegenwirkt, dass wir den Weg in eine gesundheitspolitische Bananenrepublik angetreten haben?
Besonders erstaunt, wie sehr sich die Bundesregierung zum Komplizen des niederländischen Arzneimittelversenders DocMorris macht. Das Unternehmen habe die Bundesregierung autorisiert, in Verbindung mit der vorliegenden Kleinen Anfrage mitzuteilen, dass es für umsatzsteuerliche Zwecke in Deutschland beim zuständigen Finanzamt erfasst sei "und die Versendungslieferungen nach Deutschland der deutschen Umsatzsteuer unterwirft". Wie bitte? Gibt es solche Versendungslieferungen noch? Hatte DocMorris nicht auf seine Verurteilung vor dem OLG Frankfurt und das dabei bestätigte Versendeverbot mit der Aussage reagiert, dann spiele man eben die "Doof-Karte": DocMorris versende nicht mehr, weil zukünftig ein Logistikunternehmen – formal vom Patienten beauftragt, bezahlt aber von DocMorris – die Arzneimittel in den Niederlanden abhole. Dann wäre nur noch die niedrige niederländische Mehrwertsteuer (6 %) fällig. Was denn nun?
Klaus G. Brauer
Verrannt und festgefahren
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