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Pharmazeutische Beratung
G. Haag et al.Selbstmedikation bei Migräne und Kopf
Mit den vorliegenden "Evidenz-basierten Empfehlungen zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp" legt die DMKG erstmals eine medizinische Empfehlung vor, die auf der Basis eines systematischen und transparenten Literaturreviews erarbeitet wurde und den Qualitätsmerkmalen einer Evidenz-basierten Experten-Leitlinie entspricht [35].
Die besondere Bedeutung eines wissenschaftlich korrekten und jederzeit nachvollziehbaren Vorgehens wird schon dadurch deutlich, dass gerade zur Selbstbehandlung von Kopfschmerzen vor allem in der Publikums-, aber auch in der Fachpresse eine Vielzahl von Ratschlägen gegeben wird, die lediglich auf individuellen Erfahrungen, auf Fehlinterpretationen klinischer Studien, auf Ergebnissen von methodisch heute inakzeptablen Studien oder auf der ungeprüften Weitergabe von subjektiven Behauptungen beruhen.
Integraler Bestandteil einer Evidenz-basierten Experten-Leitlinie ist es, Fragestellung, Methodik, Ergebnisse und die sich daraus ableitenden Empfehlungen so darzustellen, dass für den interessierten Leser die Vorgehensweise und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen jederzeit nachvollziehbar sind. Diese ausführliche Darstellung sprengt allerdings den Rahmen einer üblichen Veröffentlichung in Zeitschriften. Wir nützen daher die modernen informationstechnologischen Möglichkeiten, indem wir die ausführliche Darstellung der Methodik usw. unter dem Titel "Evidenz-basierte Empfehlungen der DMKG zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannnungstyp – Langfassung" ins Internet (www.dmkg.de) stellen.
Um darüber hinaus Patienten, der Publikums- und Fachpresse, aber auch dem Apothekenfachpersonal oder anderen interessierten Institutionen die Lektüre der für sie wichtigen, eigentlichen Empfehlungen der DMKG zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp zu erleichtern, sind diese Empfehlungen kurzgefasst als "DMKG-Empfehlungen zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp für betroffene Patienten" bzw. als "DMKG-Empfehlungen zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp für Apothekenfachpersonal" als eigene Rubriken am Ende des Artikels dargestellt, die in dieser Form zum Nachdruck von der DMKG empfohlen werden. Sie enthalten die gesamte, insbesondere für die betroffenen Patienten relevante Information.
Kopfschmerzarten
Etwa 90 Prozent der Menschen mit Kopfschmerzen leiden an sog. primären Kopfschmerzen: Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp, verkürzend meist Spannungskopfschmerz genannt, oder einem Kombinationskopfschmerz aus Migräne und Spannungskopfschmerz. Sie sind keine Folge anderer Erkrankungen, sondern die Kopfschmerzen sind selbst die Erkrankung und aus medizinischer Sicht nicht gefährlich, auch wenn sie die Lebensqualität der Betroffenen teilweise ganz erheblich beeinträchtigen.
Selbstbehandlung von Kopfschmerzen
Grundsätzlich können Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp vom Patienten selbst behandelt werden. Ein Arztbesuch ist jedoch unbedingt angezeigt, wenn
- Kopfschmerzen täglich oder fast täglich auftreten
- Kopfschmerzen mit weiteren Symptomen wie Lähmungen, Gefühls-, Seh-, Gleichgewichtsstörungen, Augentränen oder starkem Schwindel einhergehen. Auch solche Kopfschmerzen sind im Allgemeinen durchaus harmlos, doch sollte hier eine genaue ärztliche Abklärung erfolgen.
- Kopfschmerzen mit psychischen Veränderungen wie Störungen des Kurzzeitgedächtnisses oder Störungen der Orientierung zu Zeit, Ort und Person einhergehen
- Kopfschmerzen erstmals im Alter von über 40 Jahren auftreten
- Kopfschmerzen in ihrer Intensität, Dauer und/oder Lokalisation unüblich sind
- Kopfschmerzen erstmals während oder nach körperlicher Anstrengung auftreten, sehr stark sind und in den Nacken ausstrahlen
- Kopfschmerzen von hohem Fieber begleitet sind
- Kopfschmerzen nach einer Kopfverletzung, z. B. einem Sturz auftreten
- Kopfschmerzen trotz Behandlung an Häufigkeit, Stärke und Dauer zunehmen
- Kopfschmerzen zusammen mit einem epileptischen Anfall und Bewusstlosigkeit auftreten
- Kopfschmerzen nicht mehr auf die bisher wirksamen Medikamente ansprechen.
Im Zweifelsfall ist immer zu einem Arztbesuch zu raten, wobei üblicherweise der Hausarzt, der den Patienten kennt, der beste Ansprechpartner ist. Kopfschmerzformen wie Cluster-Kopfschmerzen, Trigeminusneuralgie, Gesichtsschmerzen etc. sollten immer ärztlich diagnostiziert und behandelt werden.
Auswahl der beurteilten Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen
Die Empfehlungen der DMKG zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp sollen den betroffenen Patienten und Apothekern eine Hilfestellung bei der Auswahl geeigneter Medikamente zur Selbstmedikation geben und beurteilen deshalb nur arzneiliche Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen nach Art und Dosierung, die in Deutschland nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegen.
Aufgrund der Vielzahl der in Deutschland auf dem Markt befindlichen Arzneimittel wurden diejenigen Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen in die Beurteilung einbezogen, die im Jahr 2001 nach Zähleinheiten (Tabletten, Suppositorien usw.) zusammen ca. 80% des Selbstmedikationsmarktes in Deutschland ausmachten. Zusätzlich wurden für die Akutbehandlung Naproxen-Natrium (als neuerdings rezeptfreies Analgetikum), Phenazon und Propyphenazon, Pfefferminzöl sowie als Prophylaktika Cyclandelat, Pestwurz und Magnesium (in Deutschland kein Arzneimittel) beurteilt.
Mit Stichtag 1. Juni 2002 handelt es sich im Wesentlichen um folgende analgetische Wirkstoffe (Tab. 1) bzw. Wirkstoffkombinationen (Tab. 2) mit Angabe der Einzel- und maximalen Tagesdosis. Für einen Überblick zur Pharmakologie der erwähnten Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen wird auf die einschlägige Fachliteratur, z. B. [34] und [66], verwiesen.
Homöopathische Arzneimittel werden in diesen Empfehlungen nicht berücksichtigt, da Homöopathika, auch wenn sie nicht verschreibungspflichtig sind, im Rahmen eines therapeutischen Konzeptes verordnet werden sollten. Die bisher durchgeführten prospektiven plazebokontrollierten Studien zur homöopathischen Behandlung von Kopfschmerzen ergeben allerdings keinen Hinweis auf deren Wirksamkeit [91, 92].
Zur Bedeutung nichtmedikamentöser Therapieverfahren wie Ausdauersport, Entspannung, Biofeedback usw. wird auf die entsprechenden Empfehlungen der DMKG zur Migräne [16], zum Kopfschmerz vom Spannungstyp [71] und zu idiopathischen Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen [19a] verwiesen. In den Empfehlungen zur Migräne [16] sind auch Hinweise für die Behandlung von Kopfschmerzen in der Schwangerschaft enthalten.
Methodik
Gegenüber den bisherigen DMKG-Therapieempfehlungen, die im Wesentlichen "Experten-Leitlinien" darstellten, zeichnen sich Evidenz-basierte Leitlinien dadurch aus, dass sie für die ansonsten zwangsläufig auftretende, mehr oder weniger ausgeprägte Verzerrung und Subjektivität (Selektionsbias) bei der Auswahl der zu bewertenden Literatur deutlich weniger anfällig sind [5, 75]. Die Evidenz-basierte Strategie der Leitlinienentwicklung ist gekennzeichnet durch [30, 35, 36, 73, 74]:
- die systematische Recherche, Bewertung und Synthese der besten verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz,
- die Herleitung des in der Leitlinie empfohlenen Vorgehens aus der wissenschaftlichen Evidenz,
- die exakte Dokumentation des Zusammenhangs zwischen der jeweiligen Empfehlung und der zugehörigen Evidenz-Stufe und
- die Sicherung der Qualität beispielsweise durch einen zu publizierenden "technischen Report", in dem die verwendeten Methoden, die zugrunde liegenden Ziele, Werte, Prämissen und wissenschaftlichen Belege (Evidenz) nachvollziehbar und vollständig dokumentiert sind.
Diese Merkmale lagen der Entwicklung der vorliegenden Empfehlungen der DMKG zugrunde. Es sei ausdrücklich angemerkt, dass Empfehlungen im Gegensatz zu Richtlinien nur Orientierungshilfen im Sinne von "Handlungs- und Entscheidungskorridoren" sind, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss [35].
Literatursuche
Ziel der Literatursuche war, für die interessierenden Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen alle klinischen Therapiestudien zu identifizieren, die die Behandlung von Kopfschmerzerkrankungen zum Studienziel hatten. Die systematische Literatursuche erfolgte durch computergestützte Recherchen in medizinischen Datenbanken. Die primäre Recherche erfolgte in MEDLINE, der National Library of Medicine (USA), für den Zeitraum 1966 bis Juni 2002 unter Verwendung folgender Suchbegriffe: ([Wirkstoff] and (headache# or migraine) and (clinical trial)) und verkürzt: ([Wirkstoff] and (headache# or migraine)) Mit diesen sehr einfachen Suchstrukturen sollte der "retrievel bias", d. h. das Nicht-Auffinden publizierter Literatur, minimiert werden [75].
Da in MEDLINE europäische Zeitschriften unterrepräsentiert sind [15, 75], wurde als zweite Literaturdatenbank die Cochrane Library gewählt, die für die Erarbeitung von Therapieleitlinien bzw. -empfehlungen als besonders relevant gilt [76]. Für die Suchbegriffe wurde für alle Wirkstoffe die gleiche Struktur wie bei den MEDLINE-Recherchen verwandt. Die computergestützten Recherchen in den medizinischen Datenbanken wurden durch eine manuelle Literatursuche in Reviews und Monographien ergänzt.
Literaturauswahl (Recherchekriterien)
Um in die Bewertung der Studienqualität und wissenschaftlichen Evidenz eingeschlossen zu werden, mussten die Publikationen folgende Kriterien erfüllen:
- Vollpublikationen doppelblinder, kontrollierter, klinischer Studien zur Behandlung von Kopfschmerzerkrankungen mit in Deutschland rezeptfrei erhältlichen Arzneimitteln (s. o.), die auch in der geprüften Einzel- und gegebenenfalls Tagesdosis die rezeptfreien Maximaldosierungen nicht überstiegen.
- Kontrollierte Studien ohne Plazebogruppe wurden nur dann in die Bewertung eingeschlossen, wenn es sich bei der aktiven Kontrolle um einen Wirkstoff oder um eine Wirkstoffkombination handelt, für die die Wirksamkeit im Sinne dieser Empfehlung nachgewiesen ist.
Publikationen, die eines oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllten, wurden von der Bewertung der Studienqualität und wissenschaftlichen Evidenz ausgeschlossen:
- Review Artikel
- Abstracts
- Kongressinformationen
- Kasuistiken
- nicht-publizierte Studienberichte
- klinische Studien, in denen die klinische Symptomatik von Kopfschmerzerkrankungen nur ein Begleitkriterium darstellt
- klinische Studien an Kindern
- Pharmakokinetik- oder Bioverfügbarkeitsstudien
- Kohortenstudien
Um einen "multiple-publication bias", d. h. die Verzerrung der Bewertung durch eine Mehrfachpublikation von Ergebnissen derselben Studie(n) zu vermeiden [27], wurde jeweils nur die qualitativ beste Publikation bewertet.
Literaturbewertung
Bewertungskriterien für die einzelnen klinischen Studien Die als "klinisch relevant" identifizierten Therapiestudien für die Bewertung der Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen wurden zum einen hinsichtlich der "Studienqualität" (diese umfasst u. a. die Methodik, das Design sowie die interne und externe Validität), zum andern hinsichtlich der "wissenschaftlichen Evidenz", d. h. dem Ausmaß der nachgewiesenen Wirkung (Wirksamkeit) beurteilt. Bei der Erarbeitung dieser DMKG-Empfehlungen haben wir uns zur Beurteilung der Qualität der einzelnen Studien für eine Kombination der Methode von Evans und Pollock [18] mit einem von uns speziell entwickelten Studienqualitäts-Score entschieden.
Der von uns speziell entwickelte Studienqualitäts-Score weist in seinen 12 Items zwar Ähnlichkeiten mit der Methode von Evans und Pollock auf, betont aber Qualitätsmerkmale, die für die Entwicklung dieser Empfehlungen von besonderer Bedeutung sind (Tab. 3). Diesen Qualitätsmerkmalen wird heute bei der Erarbeitung systematischer Reviews und Evidenz-basierter Leitlinien besonders hohe Bedeutung zugemessen [37, 44, 45, 54].
Studienqualität Durch die Kombination der Methode von Evans und Pollock und des speziell entwickelten Studienqualitäts-Score wurde die Studienqualität jeder einzelnen, als "klinisch relevant" identifizierten Therapiestudie auf einer 4-stufigen Skala bewertet, die a priori definiert worden war.
Wissenschaftliche Evidenz Die wissenschaftliche Evidenz, die das Ergebnis der betreffenden Studie für die jeweilige Fragestellung bewertet, wurde in Übereinstimmung mit den Leitlinien des US-Headache Consortiums [53, 84] a priori kategorisiert.
Bewertungskriterien für die Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen
Auf ein Poolen der Daten aus den als "klinisch relevant" identifizierten Therapiestudien wurde verzichtet, da die wenigen Studien pro Wirkstoff bzw. Wirkstoffkombination sich methodisch in vielen Fällen zu sehr unterscheiden. Dies erklärt sich u. a. aus der Tatsache, dass sich die Studien über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren erstrecken und die Methodik von Migräne-Studien und Studien zum Kopfschmerz vom Spannungstyp erst nach der Veröffentlichung der Kopfschmerz-Klassifikation der International Headache Society [64], der Guidelines for Controlled Trials of Drugs in Migraine [42], der Guidelines for Trials of Drug Treatments in Tension-Type Headache [43] in einem größeren Umfang standardisiert worden sind. Nur für diese Studien erscheint eine statistische Meta-Analyse adäquat.
Qualität der wissenschaftlichen Evidenz Die Qualität der wissenschaftlichen Evidenz wurde auf einer 4-stufigen Skala, die a priori definiert worden war, von A (höchste Evidenz) bis D (geringste Evidenz) bewertet.
Wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit Die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit wurde auf einer 5-stufigen Skala, die ebenfalls a priori definiert worden war, von +++ bis 0 bewertet.
Klinischer Eindruck der Wirksamkeit Der klinische Eindruck der Wirksamkeit wurde durch die Autoren auf einer 5-stufigen Skala (von +++ bis 0) in Übereinstimmung mit den Leitlinien des US-Headache Consortiums [53, 84] bewertet.
Klinischer Eindruck der Verträglichkeit Der klinische Eindruck der Verträglichkeit wurde durch die Autoren auf einer 5-stufigen Skala (von +++ bis 0) und unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Leitlinien des US-Headache Consortiums [53, 84] sowie weiterer Literatur bewertet.
Empfehlungen zur medikamentösen Therapie Auf Basis der Bewertungen der Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen hinsichtlich der Qualität der wissenschaftlichen Evidenz und der wissenschaftlichen Evidenz der Wirksamkeit wurden unter Berücksichtigung des klinischen Eindrucks der Wirksamkeit die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie der Migräne und der Kopfschmerzen vom Spannungstyp erarbeitet.
Es werden drei Empfehlungskategorien vergeben:
- "Mittel der 1. Wahl": Diese Empfehlung wurde nur vergeben, wenn a) die Qualität der wissenschaftlichen Evidenz mit "A", b) die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit mindestens mit "++", c) der klinische Eindruck der Wirksamkeit mindestens mit "++" d) und die Verträglichkeit mindestens mit "++" bewertet wurden.
- "Mittel der 2. Wahl": Diese Empfehlung wurde nur vergeben, wenn a) die Qualität der wissenschaftlichen Evidenz mit "B", b) die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit mindestens mit "(+)" c) der klinische Eindruck der Wirksamkeit mindestens mit "++" d) und die Verträglichkeit mindestens mit "+" bewertet wurden.
- "Nur in Einzelfällen": Dieser Hinweis erfolgte, wenn a) die Qualität der wissenschaftlichen Evidenz mit "C oder D", b) die wissenschaftliche Evidenz der Wirksamkeit schlechter als "(+)", c) der klinische Eindruck der Wirksamkeit mindestens mit "+" d) und die Verträglichkeit mindestens mit "+" bewertet wurden.
Bei der Kategorie "nur in Einzelfällen" handelt es sich im eigentlichen Sinne nicht um eine Empfehlung, sondern es soll damit dem Umstand Rechnung getragen werden, dass verschiedene Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen nach dem klinischen Eindruck wirksam und verträglich sind, derzeit aber keine oder eine nur mangelhafte wissenschaftliche Evidenz für ihre Wirksamkeit bei der Behandlung der Migräne und der Kopfschmerzen vom Spannungstyp bei Patienten vorliegt. Damit soll einzelnen Patienten, die mit diesen Medikamenten ihre Kopfschmerzen bisher erfolgreich behandelten, diese Möglichkeit weiterhin offen stehen.
Ergebnis der systematischen Literatursuche
Insgesamt ergab die systematische Literatursuche ca. 500 Literaturreferenzen unter Berücksichtigung der Mehrfachnennungen. Durch die systematische Literaturrecherche und Literaturauswahl gemäß den Recherche-Ein- und -Ausschlusskriterien wurden für jeden Wirkstoff bzw. jede Wirkstoffkombination Publikationen als "klinisch relevante Therapiestudien" identifiziert, die in die Bewertung der Studienqualität und wissenschaftlichen Evidenz eingingen (Tab. 4).
Zu folgenden Wirkstoffen oder Wirkstoffkombinationen liegen keine klinisch relevanten Therapiestudien vor:
- Ibuprofen Lysinat
- Naproxen oder Naproxen-Natrium (in Dosierungen bis 220 mg)
- Phenazon
- Propyphenazon
- Acetylsalicylsäure + Paracetamol + Vitamin C
- Acetylsalicylsäure + Coffein
- Acetylsalicylsäure + Vitamin C
- Paracetamol + Propyphenazon + Coffein
- Phenazon + Paracetamol + Coffein
In Anbetracht des weltweit häufigen Gebrauchs antipyretischer Analgetika ist die geringe Zahl adäquater, gut kontrollierter klinischer Studien auffallend. Wären in den letzten Jahren nicht einige, dem "state of the art" entsprechende Studien publiziert worden, wäre es kaum möglich gewesen, die vorliegenden Empfehlungen in Form einer "Evidenz-basierten Experten-Leitlinie" zu erarbeiten.
Empfehlungen zur medikamentösen Therapie
Die geringe Anzahl der als "klinisch relevant" identifizierten Therapiestudien zur Beurteilung des Stellenwertes der Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen zur Selbstmedikation bei Migräne und bei Kopfschmerz vom Spannungstyp steht in deutlichem Gegensatz zur großen Zahl an publizierten Übersichtsarbeiten und Empfehlungen zu diesem Themengebiet. Die detaillierte Bewertung der einzelnen Studien wird im einem separaten Report zu diesen Empfehlungen publiziert, der auf der Internetseite der DMKG veröffentlicht wird. Trotzdem sollen an dieser Stelle einige besonders wichtige Punkte genannt werden:
1. Die Studienqualität von lediglich 8 Studien konnte mit "A" bewertet werden. Diese Studien wurden alle im Zeitraum zwischen 1996 und 2001 publiziert. Da nur bewertet werden kann, was publiziert ist, trägt neben den substanziellen Fortschritten in der Studienmethodik auch ihre adäquatere Publikation zu diesem Ergebnis bei. Besondere Bemühungen zur Verbesserung der Publikationsqualität klinischer Studien, wie beispielsweise das CONSORT Statement, fallen ebenfalls in diesen Zeitraum [87, 1, 81, 29, 59, 38]. Die in diesen Empfehlungen angewandten Bewertungskriterien sind aber in ihren Kernpunkten seit mehreren Jahrzehnten "state of the art" [2, 21, 72, 85, 86] und sollten somit auch Studien gerecht werden, die schon vor längerer Zeit durchgeführt und publiziert wurden.
2. Auffallende methodische Schwachpunkte einer ganzen Reihe von Studien waren unter anderem:
- Fehlen der A-priori-Definition des primären (konfirmativ zu testenden) Endpunktes und fehlende Abgrenzung sekundärer (explorativ zu analysierender) Endpunkte
- in der Konsequenz: statistisches Testen multipler Endpunkte mit inadäquaten statistischen Methoden ohne oder mit nur unzureichender Adjustierung des gewählten Signifikanzniveaus
- in der Folge: Fehlinterpretation der statistischen Ergebnisse. Sehr häufig war in diesem Zusammenhang das Heranziehen von nach explorativer Analyse statistisch signifikanten Ergebnissen sekundärer Endpunkte zum Beleg der Wirksamkeit einer Behandlung
- Fehlen einer A-priori-Fallzahlberechnung mit der Folge zu geringer Fallzahlen (Power) [57]
- inadäquates Studiendesign – z. B. Wahl eines Superiority-Designs zur Beantwortung einer Fragestellung der Äquivalenz zweier Behandlungen, die ein Äquivalenz- oder Non-Inferiority Design erfordert –, allerdings um den Preis einer wesentlich höheren Patientenzahl (ca. 4fach gegenüber einem plazebokontrollierten Superiority Design) [23, 41]
- Unzureichende Darstellung der Fragestellung, Studienmethodik, Durchführung und statistischen Analyse der Studie (z. B. fehlende oder unzureichende Angaben zur Verblindung, zum Procedere und zur Sicherstellung der Randomisierung, zu Studienabbrechern, zu Konfidenzintervallen) [22, 82]
- Fehlen einer Plazebo-Kontrollgruppe und Beschränkung auf eine aktive Vergleichsbehandlung, für die unzutreffenderweise angenommen wird, dass ihre Wirksamkeit (in der verwandten Dosierung) nachgewiesen sei (unkritische Übertragung der Ergebnisse aus anderen Schmerzmodellen)
- Fehlen der Ergebnisse der ITT(Intent-to-treat-) Analyse bzw. ausschließliche Betrachtung der PP-(Per-Protokoll)Population [40]
3. Der therapeutische Effekt war in den älteren Studien fast immer größer als in den neueren "A"-Studien. Dieses in der Literatur oft beschriebene Phänomen wird auf verschiedene systematische Verzerrungen zurückgeführt. So kann durch ein inadäquates "allocation concealment" der Behandlungseffekt um ca. 40% und durch ein inadäquates Randomisierungsprocedere bzw. unzureichende Verblindung um ca. 10% bzw. 17% überschätzt werden [58, 80].
4. Die Definition des primären Endpunktes war in den verschiedenen Studien uneinheitlich. Dies erschwerte die vergleichende Beurteilung der wissenschaftlichen Evidenz für die Wirksamkeit der einzelnen Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen. Die Studienergebnisse wurden bewertet wie von den Studienautoren beschrieben. Eine sehr ambitionierte Formulierung des primären Endpunktes, welcher statistisch nicht zu sichern war, ging folglich "negativ" in die Bewertung ein.
5. Der Plazeboeffekt variierte in den verschiedenen Studien stark. In den älteren war er im Allgemeinen deutlich geringer als in jenen aus den letzten Jahren.
Anmerkungen zur Verträglichkeit der Wirkstoffe
Aussagekräftige Vergleichsstudien zur Verträglichkeit von rezeptfreien Analgetika bei bestimmungsgemäßer Anwendung liegen nur wenige vor. In einer neueren Studie wurde die Verträglichkeit von Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Paracetamol bei kurzfristiger Anwendung (bis zu 7 Tagen) verglichen [60]. Paracetamol und Ibuprofen zeigten eine vergleichbare Verträglichkeit, die der von Acetylsalicylsäure signifikant überlegen war. Auf einen interessanten Ansatz für eine vergleichende Evaluation der Sicherheit nichtnarkotischer Analgetika sei an dieser Stelle verwiesen [4].
Anmerkungen zu Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen
Zu einigen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen sind folgende Anmerkungen zu machen:
Acetylsalicylsäure Die Wirksamkeit von 2 Brausetabletten à 500 mg Acetylsalicylsäure (= 1000 mg Acetylsalicylsäure) zur Behandlung von Migräneattacken wurde gezeigt [48]. Auch wenn sich diese Ergebnisse, z. B. wegen einer zu vermutenden anderen Kinetik der Anflutung der Salicylsäure, nicht vorbehaltlos auf eine andere galenische Formulierung wie beispielsweise eine Harttablette übertragen lassen, kann bei der Einnahme von 1000 mg Acetylsalicylsäure, auch als Kau- oder Harttablette, von einer vergleichbaren Wirkung ausgegangen werden.
Auch wenn klinisch der Eindruck einer wirksamen Behandlung mit 1000 mg Acetylsalicylsäure bei Kopfschmerz vom Spannungstyp besteht, ist aus den vorliegenden Therapiestudien, in denen Dosierungen von 250 bis 1000 mg Acetylsalicylsäure geprüft wurden, keine überzeugende wissenschaftliche Evidenz abzuleiten.
Ibuprofen Die Wirksamkeit von 200 und 400 mg Ibuprofen als Einzeldosis zur Behandlung von Migräneattacken im Rahmen der Selbstmedikation wurde in einer adäquaten Studie gezeigt [46]. In dieser Studie wurde eine besondere galenische Formulierung (Liquigelkapsel) geprüft, die, nach Angaben der Autoren, im Vergleich zu Harttabletten höhere Plasmaspitzenkonzentrationen in kürzerer Zeit erreichen. Inwieweit dies für die erzielte Wirkung relevant war, ist aufgrund der vorliegenden Daten nicht zu beurteilen, ebenso wenig die direkte Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere galenische Formulierungen oder andere Ibuprofen-Salze.
Die erwartete Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen 200 mg, 400 mg und 600 mg Ibuprofen ließ sich überraschenderweise nicht zeigen [46]. In einer weiteren Studie [9] waren 200 und 400 mg Ibuprofen (Harttabletten) jeweils einer Plazebo-Behandlung überlegen, allerdings zeigte sich auch in dieser Studie keine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Zur Wirksamkeit einer Einzeldosis von 200 bzw. 400 mg Ibuprofen zur Behandlung von Kopfschmerzen vom Spannungstyp liegen widersprüchliche Studienergebnisse vor, wobei die Evidenz für 400 mg eher gegeben ist als für 200 mg. Dies entspricht auch dem klinischen Eindruck.
Paracetamol Die Wirksamkeit von 1000 mg Paracetamol als Einzeldosis zur Behandlung von Migräneattacken wurde nachgewiesen [51]. Aufgrund der vorliegenden Studien ist es unwahrscheinlich, dass eine Einzeldosis von 500 mg Paracetamol zur Behandlung von Migräneattacken ausreicht. Die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit einer Einzeldosis von 500 oder 1000 mg zur Behandlung von Kopfschmerzen vom Spannungstyp ist unzureichend; es liegen widersprüchliche Studienergebnisse vor. Klinisch besteht der Eindruck, dass 1000 mg Paracetamol bei einzelnen Patienten wirksam sind.
Fixe Kombination: Acetylsalicylsäure + Paracetamol + Coffein Die Wirksamkeit der fixen Kombination aus Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Coffein ist in einer Dosierung von 2 Tabletten (pro Tablette 250 mg Acetylsalicylsäure, 250 mg Paracetamol und 65 mg Coffein) pro Einzeldosis sowohl zur Behandlung von Migräneattacken als auch zur Behandlung von Kopfschmerzen vom Spannungstyp in entsprechenden klinischen Studien gezeigt worden [50, 55].
In den in Deutschland zur Verfügung stehenden Kombinationspräparaten ist die Dosierung von Paracetamol (200 mg) und Coffein (50 mg) zwar etwas geringer, doch ist dieser Unterschied wahrscheinlich pharmakologisch irrelevant und der klinische Eindruck bestätigt für diese Präparate eine den Studien vergleichbare Wirksamkeit. In Post-hoc-Analysen der vorliegenden Studien zeigte sich, dass auch schwere Migräneattacken [28] und menstruationsgekoppelte Migräneanfälle mit dieser Wirkstoffkombination erfolgreich zu behandeln sind.
Naproxen und Naproxen-Natrium Obwohl für den Wirkstoff Naproxen in Dosierungen ab 500 mg Einzeldosis (verschreibungspflichtig) von einer Wirksamkeit zur Behandlung verschiedener Kopfschmerzformen auszugehen ist, gibt es derzeit keinerlei wissenschaftliche Evidenz, dass die rezeptfrei erhältliche Dosierung von 200 bis 250 mg Naproxen oder Naproxen-Natrium bei der Behandlung von Migräneattacken oder von Kopfschmerzen vom Spannungstyp wirksam ist. Dies entspricht auch dem klinischen Eindruck.
Phenazon oder Propyphenazon Obwohl der klinische Eindruck besteht, dass bei ausreichender Dosierung phenazon- oder propyphenazonhaltige Mono- oder Kombinationspräparate bei Kopfschmerzen wirksam sein können, gibt es hierfür derzeit ebenfalls keinerlei wissenschaftliche Evidenz.
Andere fixe Wirkstoffkombinationen Obwohl der klinische Eindruck besteht, dass bei ausreichender Dosierung auch die anderen fixen Kombinationspräparate (Acetylsalicylsäure + Vitamin C, Acetylsalicylsäure + Paracetamol + Vitamin C oder Acetylsalicylsäure + Paracetamol + Coffein) bei Kopfschmerzen wirksam sein können, gibt es derzeit hierfür ebenfalls keinerlei wissenschaftliche Evidenz.
Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen
Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen stellen in der Migräne- und Kopfschmerztherapie ein ernstes Problem dar. Es handelt sich dabei um einen diffusen, dumpf-drückenden Dauerkopfschmerz ohne Attackencharakter und ohne die typischen Begleitsymptome einer Migräne, der sich durch die tägliche oder fast tägliche Einnahme von Migränemitteln oder Analgetika entwickeln kann [64]. In der "Klassifikation für Kopfschmerzerkrankungen, Kopfneuralgien und Gesichtsschmerz" der International Headache Society sind verschiedene Unterformen wie z. B. der Ergotamin-Kopfschmerz, der Ergotamin-Entzugs-Kopfschmerz, der Analgetika-Kopfschmerz usw. aufgelistet [64].
Die Befürchtung, dass bei der Anwendung von Kombinationspräparaten häufiger mit der Entwicklung von medikamenteninduzierten Kopfschmerzen zu rechnen ist, als bei der Verwendung anderer Kopfschmerz- und Migränemedikamente, trifft nach heutigen Erkenntnissen nicht zu [32, 20]. Auf der Basis der vorliegenden Untersuchungen vertreten wir die Auffassung, dass für Patienten, die über einen längeren Zeitraum überhöhte Dosierungen von Kopfschmerz- und Migränemedikamenten einnehmen, ein höheres Risiko für die Entwicklung von medikamenteninduzierten Kopfschmerzen besteht – unabhängig davon, ob es sich um Mono- oder Kombinationspräparate handelt.
Wichtiger als die Zusammensetzung der Präparate sind die Häufigkeit ihrer Einnahme und ihre Dosierung. Diese Auffassung befindet sich in Übereinstimmung mit der "Klassifikation für Kopfschmerzerkrankungen, Kopfneuralgien und Gesichtsschmerz" der International Headache Society [64], in der kein Hinweis zu finden ist, dass Kombinationsanalgetika im Vergleich zu anderen Kopfschmerz- oder Migränemedikamenten eine hervorgehobene Rolle bei der Entwicklung medikamenteninduzierter Kopfschmerzen zukommt (siehe auch [19]).
Deshalb empfiehlt die DMKG, alle Kopfschmerz- und Migränepräparate zur Vermeidung der Entwicklung medikamenteninduzierter Kopfschmerzen nicht länger als drei Tage hintereinander und nicht häufiger als an 10 Tagen pro Monat anzuwenden.
Zusammenfassung
Unter Berücksichtigung der Kriterien für die Entwicklung Evidenz-basierter Leitlinien sind von den in Deutschland zur Selbstmedikation von Kopfschmerzen verfügbaren Wirkstoffen bzw. Wirkstoffkombinationen nur wenige zu empfehlen:
Bei Migräne: Acetylsalicylsäure, Ibuprofen, Paracetamol und die fixe Kombination aus Acetylsalicylsäure + Paracetamol + Coffein sind Mittel der 1. Wahl.
Beim Kopfschmerz vom Spannungstyp: Die fixe Kombination aus Acetylsalicylsäure + Paracetamol + Coffein ist Mittel der 1. Wahl. Mittel der 2. Wahl sind Acetylsalicylsäure sowie Ibuprofen.
Besonders bedeutsam für die Selbstmedikation ist die Einhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs der angewandten Arzneimittel und die Beachtung der Grenzen der Selbstbehandlung von Kopfschmerzen (nicht länger als drei Tage hintereinander und nicht häufiger als an 10 Tagen pro Monat). <
Informationen im Internet
Kopfschmerzliteratur für Betroffene
Diener H C: Wirksame Hilfe bei Migräne. Trias 1999. Gendolla A, Pross J: Kopfschmerzen – so bekommen Sie Ihre Krankheit in den Griff. Falken Verlag 2000. Gerber W-D: Kopfschmerz und Migräne. Goldmann Verlag 2000. Göbel H: Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne. Springer-Verlag 2002. Jansen J-P: Endlich schmerzfrei – wie sich jeder gegen Kopfschmerzen und Migräne selbst helfen kann. Herbig Gesundheitsratgeber 2000. Peikert A: Migräne und Kopfschmerzen: verstehen – behandeln – bewältigen. Trias – Das Apothekenbuch 2001. Pfaffenrath V: Migräne und Kopfschmerzen – Ärztlicher Ratgeber. Wort und Bild Verlag 2000. Wilkinson M, MacGregor A: Migräne & Kopfschmerzen – Erkennen – Vorbeugen – Heilen. Doring Kindersley Praxis 2000.
Literatur
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Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Dipl. Psych. Gunther Haag Michael-Balint-Klinik 78126 Königsfeld
Fassung für Apothekenfachpersonal: Evidenz-basierte Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft(DMKG) zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp
Die Selbstmedikation von Kopfschmerzen durch die betroffenen Patienten ist weit verbreitet. Dadurch kommt hier der Beratung in der Apotheke eine besondere Bedeutung zu. Um das Apothekenfachpersonal bei dieser wichtigen Aufgabe zu unterstützen, sind die aktuellen Empfehlungen der DMKG nachfolgend kurz zusammengefasst.
Kopfschmerzarten
Etwa 90 Prozent der Menschen mit Kopfschmerzen leiden entweder unter einem Kopfschmerz vom Spannungstyp, verkürzend meist Spannungskopfschmerz genannt, an Migräne oder einem Kombinationskopfschmerz aus diesen beiden Formen. Diese Kopfschmerzen werden auch primäre Kopfschmerzen genannt, d. h. sie sind keine Folge anderer Erkrankungen, sondern die Kopfschmerzen sind selbst die Erkrankung und aus medizinischer Sicht nicht gefährlich, auch wenn sie die Lebensqualität der Betroffenen teilweise ganz erheblich beeinträchtigen.
Kopfschmerz vom Spannungstyp
Beim Kopfschmerz vom Spannungstyp wird die episodische von der chronischen Form unterschieden. Vom chronischen Spannungskopfschmerz spricht man, wenn wenigstens an 15 Tagen/Monat Kopfschmerzen auftreten. Dieser Kopfschmerz ist üblicherweise drückend bis ziehend, in der Intensität leicht bis mäßig, beidseitig und verstärkt sich nicht bei körperlicher Aktivität. Übelkeit, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit können vorkommen.
Migräne
Bei der Migräne handelt es sich um Kopfschmerzattacken mit einer Dauer von 4 bis 72 Stunden. Der Schmerz ist bei etwa 70% der Betroffenen einseitig, sein Charakter eher klopfend, pochend, pulsierend und seine Intensität mäßig bis stark, sodass übliche Alltagsaktivitäten erschwert oder unmöglich gemacht werden. Beim Treppensteigen oder bei üblicher körperlicher Aktivität wird der Schmerz meist verstärkt. Während des Kopfschmerzes treten Begleiterscheinungen wie Übelkeit und/oder Erbrechen sowie Geräusch-, Licht- und Geruchsempfindlichkeit auf.
Bei der Migräne mit Aura, an der etwa 15% der Migränebetroffenen leiden, treten vor der Kopfschmerzattacke zusätzlich neurologische Symptome auf, die sich allmählich über 5 bis 20 Minuten hin entwickeln und weniger als 60 Minuten anhalten. Kopfschmerz, Übelkeit und/oder Lichtempfindlichkeit schließen sich üblicherweise direkt an die neurologische Aurasymptomatik an oder folgen ihr nach einem freien Intervall von weniger als einer Stunde. Die Kopfschmerzphase kann in Einzelfällen auch vollständig fehlen. Die typische Aura besteht in Sehstörungen, halbseitigen Sensibilitätsstörungen, Hemiparese, Sprachstörungen oder einer Kombination solcher Symptome.
Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen
Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen stellen in der Migräne- und Kopfschmerztherapie ein ernstes Problem dar. Es handelt sich dabei um einen diffusen, dumpf-drückenden Dauerkopfschmerz ohne Attackencharakter und ohne die typischen Begleitsymptome einer Migräne, der sich durch die tägliche oder fast tägliche Einnahme von Migränemitteln oder Analgetika entwickeln kann. Besteht der Verdacht auf einen medikamenteninduzierten Kopfschmerz, sollte den betroffenen Personen dringend ein Arztbesuch angeraten werden, um gegebenenfalls einen ambulanten oder stationären Entzug einzuleiten. Eine Umstellung auf andere Medikamente ist bei Vorliegen eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes erfahrungsgemäß erfolglos. In der Beratung dieser Patientengruppe sehen wir eine besonders wichtige Aufgabe des Apothekers.
Selbstbehandlung von Kopfschmerzen
Grundsätzlich können die primären Kopfschmerzen, Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp vom Patienten selbst behandelt werden. Die seltenen Kopfschmerzformen wie Cluster-Kopfschmerz, Trigeminusneuralgie, atypische Gesichtsschmerzen usw. bedürfen ärztlicher Diagnose und Therapie. Darüber hinaus ist ein Arztbesuch unbedingt angezeigt, wenn
- Kopfschmerzen täglich oder fast täglich auftreten
- Kopfschmerzen mit weiteren Symptomen wie Lähmungen, Gefühls-, Seh-, Gleichgewichtsstörungen, Augentränen oder starkem Schwindel einhergehen (auch solche Kopfschmerzen sind im Allgemeinen durchaus harmlos, doch sollte hier eine genaue ärztliche Abklärung erfolgen)
- Kopfschmerzen mit psychischen Veränderungen wie Störungen des Kurzzeitgedächtnisses oder Störungen der Orientierung zu Zeit, Ort und Person einhergehen
- Kopfschmerzen erstmals im Alter von über 40 Jahren auftreten
- Kopfschmerzen in ihrer Intensität, Dauer und/oder Lokalisation unüblich sind
- Kopfschmerzen erstmals während oder nach körperlicher Anstrengung auftreten, sehr stark sind und in den Nacken ausstrahlen
- Kopfschmerzen von hohem Fieber begleitet sind
- Kopfschmerzen nach einer Kopfverletzung auftreten
- Kopfschmerzen trotz Behandlung an Häufigkeit, Stärke und Dauer zunehmen
- Kopfschmerzen zusammen mit einem epileptischen Anfall und Bewusstlosigkeit auftreten
- Kopfschmerzen nicht mehr auf die bisher wirksamen Medikamente ansprechen.
Im Zweifelsfall ist immer zu einem Arztbesuch zu raten, wobei üblicherweise der Hausarzt, der den Patienten kennt, der beste Ansprechpartner ist. Kopfschmerzformen wie Cluster-Kopfschmerzen, Trigeminusneuralgie, Gesichtsschmerzen usw. sollten immer ärztlich diagnostiziert und behandelt werden.
Beurteilte Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen
Die Empfehlungen der DMKG zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp berücksichtigen nur arzneiliche Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen nach Art und Dosierung, die in Deutschland nicht der ärztlichen Verschreibungspflicht unterliegen. Zu deren Beurteilung wurde nach den Kriterien für die Entwicklung Evidenz-basierter Leitlinien eine systematische Literaturrecherche durchgeführt und eine Bewertung der klinisch relevanten Studien nach einer einheitlichen Methodik vorgenommen.
Selbstmedikation bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp:
Mittel der 1. Wahl ist: Einzeldosis der fixen Kombination aus 500 mg Acetylsalicylsäure + 400 mg Paracetamol + 100 mg Coffein (z. B.: Thomapyrin, HA-Tabletten)
Mittel der 2. Wahl sind: Einzeldosis mit 1000 mg Acetylsalicylsäure (z. B.: Aspirin, ASS Hexal) Einzeldosis mit 400 mg Ibuprofen (z. B.: Aktren, Ibuprofen Stada)
Bei allen anderen Wirkstoffen bzw. Wirkstoffkombinationen gibt es keine oder nur mangelhafte Hinweise für ihre Wirksamkeit. Einzelnen Patienten, die mit diesen Medikamenten bisher ihre Kopfschmerzen vom Spannungstyp erfolgreich behandelten, sollte diese Möglichkeit offen stehen.
Selbstmedikation akuter Migräneattacken mit und ohne Aura:
Mittel der 1. Wahl sind: Einzeldosis mit 1000 mg Acetylsalicylsäure (z. B.: Aspirin, ASS Hexal) Einzeldosis der fixen Kombination aus 500 mg Acetylsalicylsäure + 400 mg Paracetamol + 100 mg Coffein (z. B.: Thomapyrin, HA-Tabletten) Einzeldosis mit 400 mg Ibuprofen (z. B.: Aktren, Ibuprofen Stada) Einzeldosis mit 1000 mg Paracetamol (z. B.: Benuron, Paracetamol-ratiopharm)
Bei allen anderen Wirkstoffen bzw. Wirkstoffkombinationen gibt es keine oder nur mangelhafte Hinweise für ihre Wirksamkeit. Einzelnen Patienten, die mit diesen Medikamenten bisher ihre Migräneattacken erfolgreich behandelten, sollte diese Möglichkeit offen stehen.
Selbstmedikation zur Prophylaxe von Migräneattacken:
Obwohl die wissenschaftliche Evidenz für eine Empfehlung der Migräneprophylaktika Cyclandelat, Magnesium und Pestwurz nicht ausreicht, sollte einzelnen Patienten, die eine Migräneprophylaxe hiermit anstreben, diese Möglichkeit offen stehen.
Kinder, Schwangere und stillende Mütter
Bei diesen Personengruppen sollte vor einer möglichen Selbstmedikation eine ärztliche Diagnose und Therapieempfehlung erfolgen.
Vermeidung von medikamenteninduzierten Kopfschmerzen
Nach derzeitigem Stand des Wissens ist davon auszugehen, dass für Patienten mit primären Kopfschmerzen, die über einen längeren Zeitraum überhöhte Dosierungen von Kopfschmerz- und Migränemedikamenten einnehmen, ein höheres Risiko für die Entwicklung von medikamenteninduzierten Kopfschmerzen besteht – unabhängig davon, ob es sich um Mono- oder Kombinationspräparate, um Analgetika, ergotaminhaltige Präparate oder Triptane handelt. Wichtiger als die Zusammensetzung der Präparate ist die Häufigkeit ihrer Einnahme und ihre Dosierung, also ihr bestimmungsgemäßer Gebrauch.
Deshalb empfiehlt die DMKG, alle Kopfschmerz- und Migränepräparate zur Vermeidung der Entwicklung medikamenteninduzierter Kopfschmerzen nicht länger als 3 Tage hintereinander und nicht häufiger als an 10 Tagen pro Monat anzuwenden.
Nichtmedikamentöse Behandlung
Allen häufiger von Kopfschmerzen betroffenen Patienten sollte zu regelmäßigem Ausdauersport (z. B. Jogging, Radfahren) sowie dem Erlernen der progressiver Muskelentspannung nach Jacobson geraten werden. Bei psychologischen Schmerztherapeuten können darüber hinaus Methoden zur Stress- und Schmerzbewältigung, kognitive Techniken sowie eventuell Biofeedback-Methoden erlernt werden.
Die Deutsche Migräne und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) veröffentlicht ihre "Evidenz-basierten Empfehlungen zur Selbstmedikation bei Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp". Aufgrund nachvollziehbarer Kriterien bei der Bewertung der verfügbaren Präparate empfiehlt die DMKG bei beiden Indikationen jeweils Mittel der 1. Wahl und der 2. Wahl. Eine Fassung der Richtlinien für das Apothekenfachpersonal soll die Umsetzung der Empfehlungen in der öffentlichen Apotheke erleichtern und damit die Beratung in der Selbstmedikation verbessern. Sehen Sie hierzu auch unser Patienteninfo auf Seite 149.
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