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Rechtsprechung aktuell
Stange kein Betreiber einer Apothekenkette (Urteil des BGH im Wortlaut)
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Aus den Urteilsgründen
"Nach § 1 Abs. 2 des Apothekengesetzes erlaubnispflichtiger selbständiger Betreiber der Apotheke ist regelmäßig derjenige, der sie im eigenen Namen führt, so dass er nach außen das rechtliche und wirtschaftliche Risiko aus den für die Apotheke abgeschlossenen Rechtsgeschäften trägt."
Aus den Urteilsgründen
Im Gewerberecht ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein Strohmannverhältnis gegeben, wenn eine genaue Analyse der Innenbeziehungen erweist, dass eine natürliche oder juristische Person nur vorgeschoben wird, die ohne eigene unternehmerische Tätigkeit als Marionette am Wirtschaftsleben teilnimmt (...). Nur bei einer solchen Sachlage, bei der der vorgeschobenen Person kein autonom bestimmter Handlungsspielraum im gewerblichen Bereich verbleibt, kann ein Strohmannverhältnis mit den sich daraus für den Hintermann ergebenden Durchgriffskonsequenzen angenommen werden (...). Allein der Umstand, dass ein Dritter das Geschehen in einem Gewerbebetrieb bestimmend beeinflussen kann, reicht für die Annahme eines Strohmannverhältnisses nicht aus (...). Insbesondere kann nicht auch derjenige als Hintermann und damit als Gewerbetreibender angesehen werden, der einen Gewerbebetrieb aufgrund wirtschaftlicher Beherrschung maßgeblich leitet.
§ 23 Apothekengesetz
Wer vorsätzlich oder fahrlässig ohne die erforderliche Erlaubnis oder Genehmigung eine Apotheke, Krankenhausapotheke oder Zweigapotheke betreibt oder verwaltet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bestraft.
§ 1 Abs. 2 Apothekengesetz
Wer eine Apotheke betreiben will, bedarf der Erlaubnis der zuständigen Behörde.
§ 8 Apothekengesetz
Mehrere Personen zusammen können eine Apotheke nur in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder einer offenen Handelsgesellschaft betreiben; in diesen Fällen bedürfen alle Gesellschafter der Erlaubnis. Beteiligungen an einer Apotheke in Form einer Stillen Gesellschaft und Vereinbarungen, bei denen die Vergütung für dem Erlaubnisinhaber gewährte Darlehen oder sonst überlassene Vermögenswerte am Umsatz oder am Gewinn der Apotheke ausgerichtet ist, insbesondere auch am Umsatz oder Gewinn ausgerichtete Mietverträge sind unzulässig. Pachtverträge über Apotheken nach § 9, bei denen der Pachtzins vom Umsatz oder Gewinn abhängig ist, gelten nicht als Vereinbarung im Sinne des Satzes 2.
Kommentar Karlsruher Sticheleien
Mehrere Monate hat es gedauert, bis der Bundesgerichtshof nach seiner Urteilsverkündung im April die Entscheidungsgründe des Stange-Urteils veröffentlicht hat. Entgegen ersten – offensichtlich interessengeleiteten – Stellungnahmen enthält das Urteil rechtlich wenig Spektakuläres. Insbesondere hat das Gericht weder das Fremdbesitzverbot noch das Mehrbesitzverbot bei Apotheken verfassungs- oder europarechtlich angegriffen.
Auf dem rechtlichen Prüfstand der Karlsruher Richter stand ausschließlich, ob das erstinstanzliche Landgericht Bielefeld den Begriff des "Betreibens einer Apotheke" im Sinne von § 23 des Apothekengesetzes zutreffend ausgelegt hatte, d. h., ob dem Mindener Apotheker die tatsächlichen Voraussetzungen der Etablierung einer verbotenen Apothekenkette nachgewiesen werden konnten.
Diese Frage verneinte der Bundesgerichtshof. Seine zentrale These: Wer, wie Stange, mithilfe von Vereinbarungen auf den Apothekenbetrieb Dritter Einfluss nimmt, schafft damit noch nicht zwangsläufig strafrechtlich relevante Strohmannverhältnisse, solange beim formellen Betriebsinhaber und Apothekenleiter ein Rest an eigenständiger wirtschaftlicher oder pharmazeutischer Entscheidungsbefugnis verbleibt.
Seine Auslegung begründet das Gericht (durchaus angreifbar, da reichlich undifferenziert) mit den "Rechtsgrundsätzen des allgemeinen Gewerberechts" und (schon überzeugender) mit der Systematik des Apothekengesetzes, das zwischen dem Verbot des Betreibens einer Apotheke ohne erforderliche Erlaubnis (Straftat!) und einer "bloß" unzulässigen wirtschaftlichen Einflussnahme auf die Apotheken (Ordnungswidrigkeit!) unterscheidet.
Dass damit § 23 ApoG zu einem stumpfen Schwert wird, nimmt das Gericht unter Hinweis auf andere abgestufte Sanktionsmöglichkeiten gegen Ketten-Apotheker bewusst in Kauf. Immerhin kann ja die Betriebserlaubnis eines Apothekers, der seine Apotheke nicht ordnungsgemäß in eigener Verantwortung leitet, zurückgenommen oder widerrufen werden. Und außerdem sind auch Rechtsgeschäfte, die "nur" zu einer unzulässigen wirtschaftlichen Einflussnahme auf den Statthalterapotheker führen, zivilrechtlich nichtig.
So gesehen sind die Ausführungen des Bundesgerichtshofs durchaus schlüssig und vertretbar, zumal es sich bei § 23 ApoG um einen Straftatbestand handelt, der eine Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten androht und deshalb unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten eng auszulegen ist. Mit überzeugenden Gründen lässt das Gericht auch keinen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des apothekenrechtlichen Verbots gewinn- und umsatzorientierter Verträge in § 8 ApoG.
Ärgerlich ist freilich, dass sich die Karlsruher Richter dazu hinreißen ließen, ihre Urteilsgründe mit Passagen ("obiter dicta") anzureichern, die für die konkrete Entscheidung im Fall Stange zwar rechtlich unerheblich sind (und deshalb – eine juristische Todsünde – in dem Urteil eigentlich nichts zu suchen haben), gleichwohl jedoch den (Zeit-)Geist einer tiefen Skepsis gegen das bestehende Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken atmen.
Von "ernst zu nehmenden Bedenken, die aus heutiger Sicht gegen das Mehrbetriebsverbot sprechen" sollen, ist da z. B. unter Hinweis auf das Stangesche Taupitz-Gutachten und (falsch zitiert) die Starcksche ABDA-Expertise zum Fremd- und Mehrbesitzverbot die Rede. An anderer Stelle schwadronieren die Karlsruher Richter ohne sachliche Notwendigkeit über das "möglicherweise heute nicht mehr zeitgemäße Leitbild des ,Apothekers in seiner Apotheke'" und meinen, dass die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Apothekenurteil von 1964 proklamierte wirtschaftliche Zielsetzung einer Mittelstandsförderung im Apothekenwesen "aus heutiger Sicht angreifbar" sei. Warum dies so sein soll, lässt das Gericht freilich offen.
So hinterlässt die Karlsruher Entscheidung insgesamt einen schalen Nachgeschmack. Das Urteil des Bundesgerichtshofs zeigt einmal mehr, dass das dezentrale, wohnortnahe und flächendeckende Apothekensystem in Deutschland nicht nur durch offene Angriffe sturmreif geschossen werden kann, sondern Gefahren auch durch subtilere Sticheleien drohen. Wir sollten uns darauf einstellen.
Christian Rotta
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