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Fortbildung
Gesundheitsökonomie: Versorgungsqualität statt Rationierung
Ethik und Ökonomie – kein Gegensatz
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Universität Bremen, stellte die Frage "Ökonomie in der Medizin als ethisches Problem?" und skizzierte die Akteure im deutschen Gesundheitssystem:
- Patienten als Konsumenten, die nicht bzw. nur anteilig für erhaltene Leistungen zahlen,
- Ärzte als Nachfrager der Leistung, die diese aber nicht konsumieren, und
- Krankenkassen, die zahlen, aber weder nachfragen noch konsumieren.
Hier findet kein normales Marktgeschehen statt, in dem die Nachfrager die Konsumenten sind und die jeweiligen Leistungen direkt bezahlen. Nicht der Patient bestimmt über die Leistungsmenge und -art, sondern die Experten, die damit über die Ausgaben entscheiden. Falsch gesetzte Vergütungsanreize bei den Leistungserbringern können zu Über- und Fehlversorgung der Patienten führen, Angst vor Regressen hingegen zur Unterversorgung. Man solle nicht bestimmte Leistungen generell vorenthalten, sondern im Einzelfall nach Qualität, Wirtschaftlichkeit und Humanität entscheiden. Wenn man die Ressourcen optimal für die Versorgung der Patienten einsetze, seien Ökonomie und Ethik in der Medizin vereinbar.
Konsequenzen des demographischen Wandels
Zum Thema "Wie gehen wir mit der so genannten Alterslast in der gesundheitlichen Versorgung um?" äußerte sich Prof. Dr. Gisela Charlotte Fischer, Medizinische Hochschule Hannover. Der demographische Wandel bringt allgemeine gesellschaftliche Veränderungen mit sich, z. B. längere Berufszeiten, flexiblere Arbeitszeiten, verpflichtende Tätigkeiten in gesellschaftlichen Bereichen. Es ist notwendig, die mittlere Lebensphase durch veränderte Arbeitsmodelle zu entzerren und neue Modelle des Zusammenlebens bei Hilfs- und Pflegebedarf zu finden.
Derzeit wird das Leben als Sequenzmodell praktiziert, in dem die Lebensphasen klar getrennt sind: Zur Kindheit gehört Spielen, zur Jugend Lernen, zum Erwachsensein Arbeit und zum Alter Ausruhen. Die Zukunft gehöre dem Simultanmodell: Hier sind Spielen, Lernen, Arbeiten und Ausruhen Bestandteil aller Lebensphasen und wechseln einander ab.
"Im Alter wird Krankheit einerseits als Gefahr und Belastung, andererseits als psychosoziale 'Stütze' gesehen." Prof. Dr. Gisela Charlotte Fischer
Verhaltensänderung durch DMP
Prof. Dr. Bertram Häussler, Leiter des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung GmbH (IGES), berichtete über die patientenzentrierte Umsetzung von Disease Management Programmen (DMP) bei Typ-2-Diabetikern. Die Mehrheit der ca. 3 Mio. Typ-2-Diabetiker gehört einer unteren sozialen Schicht an und weist ein hohes Alter auf. Das Risiko für Folgeerkrankungen, wie Übergewicht und Bluthochdruck, ist individuell sehr verschieden. Da die Risikofaktoren großenteils verhaltensbedingt sind, sollten die DMP auf deren Beseitigung großes Gewicht. Die Patienten sollten hier ihre individuellen Zielwerte erreichen.
Die Erfahrungen aus dem Ausland belegen zwar, dass man durch DMP physiologische Parameter wie den HbA1c-Wert verbessern kann, doch liegen noch keine Erkenntnisse über die Änderung des Lebensstils, die Beeinflussung der Lebensqualität oder die Senkung der Mortalität durch DMP vor.
Die Anliegen der Patienten
Dr. Marcus Oehlrich, selbstständiger Unternehmensberater, referierte über die Rahmenbedingungen der Forschung in pharmazeutischen Unternehmen. Für die Forschungsplanung werden nach seiner Meinung Patientenbedürfnisse noch immer zu wenig bzw. zu spät berücksichtigt. Dies liegt auch daran, dass der Gesundheitsmarkt kein freier Markt ist, wo der Konsument eine Leistung nachfragt und dafür selbst bezahlt. Dies trifft nur für den OTC-Bereich zu.
Dr. Hermann Kortland vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) informierte über die Auswirkungen des GMG auf den OTC-Markt. Durch die weit gehende Ausgrenzung rezeptfreier Arzneimittel aus der ärztlichen Verordnung ging der Verkauf der OTC-Präparate insgesamt um 13,3% zurück. Im Jahr 2000 wurden noch 44% der OTC-Arzneimittel auf Rezept verordnet, im 1. Halbjahr 2004 nur noch 28%. Da der Rückgang der Rezepte nicht durch die Selbstmedikation kompensiert wurde, ging er davon aus, dass nicht wenige Patienten aus finanziellen Gründen auf ihre bisherigen Medikamente verzichten.
Masterstudiengang Consumer Health Care
Der Masterstudiengang Consumer Health Care an der Charité-Universitätsmedizin Berlin ist am 15. Juli 2004 akkreditiert worden. Die Gutachterkommission würdigt die Verbindung von Wissenschaft und wirtschaftlichen Erfordernissen im Studiengang als innovativen, nützlichen Ansatz. Die Interdisziplinarität der Referenten und Studenten trägt dazu bei, die Kommunikation und Kooperation der Partner im Gesundheitswesen zu verbessern. Zielgruppe: Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind oder dort arbeiten möchten Studienform: Berufsbegleitendes Teilzeitstudium mit fünf Modulen in jeweils 14-tägigen Präsenzveranstaltungen, dazu zwei Projektarbeiten, eine Masterarbeit Studiendauer: 3 Semester plus 1 Semester für die Masterarbeit Bewerbung: Für den nächsten Kurs bis 15. Januar 2005 Informationen: www.consumer-health-care.de
Wie sich Qualität und Rationalisierung aus Sicht der Patienten darstellen, erläuterte Dr. Susanne Angerhausen vom PatientInnennetzwerk Nordrhein-Westfalen. Bei Patienten mit niedrigem Einkommen und insbesondere bei Frauen sei die gesundheitliche Behandlung teilweise rationiert worden. Sie kritisierte die systematischen Lücken in der integrierten Versorgung und die schlechte Information der Patienten. Wünschenswert seien eine stärkere Präsenz der Patienten in politischen Gremien und mehr Transparenz durch eine unabhängige Patienteninformation.
Auch Marion Rink, ständige Patientenvertreterin im Gemeinsamen Bundesausschuss, forderte, dass Patienten und ihre Vertreter eine eigene Kompetenz entwickeln, um sich wirkungsvoller in die Diskussion einbringen zu können.
Als Vertreter der Patienten mit seltenen Krankheiten stellte Dr. Andreas Reimann, Geschäftsführer des Mukoviszidose e.V., die European Organization for Rare Disorders (EURODIS) vor. Sie wurde 1997 in Paris gegründet, um ein europäisches Netzwerk aufzubauen, das die Lebensqualität von Menschen mit seltenen Krankheiten und ihren Zugang zu Informationen verbessert. Derzeit ermittelt sie den Status quo in der Diagnose und Therapie seltener Krankheiten.
Dr. Editha Räuscher und Dr. Ulrike Birnbaum, Berlin
Quelle
4. Jahrestagung „Consumer Health Care“, veranstaltet von der Charité-Universitätsmedizin Berlin und dem Verein Consumer Health Care e. V. am 8. Oktober 2004 in Berlin.
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