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- AZ 26/2005
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Kommentar
Länder-Listen-Sicherheit?
Soll man es Chuzpe nennen? Auf jeden Fall ist es eine schallende Ohrfeige, die das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung dem Kammergericht Berlin verpasst. Ein halbes Jahr, nachdem die Berliner Richter in einem ausführlichen und sorgfältig abwägenden Urteil nachgewiesen hatten, dass das niederländische Versandhandelsrecht im Hinblick auf das deutsche Schutzniveau in § 11a des Apothekengesetzes "erhebliche Lücken" aufweist und das "deutsche Schutzniveau nicht hinreichend gewährleistet", stellt das BMSG in einer Bekanntmachung fest, dass in den Niederlanden und in Großbritannien beim Versandhandel mit Arzneimitteln "dem deutschen Recht vergleichbare Sicherheitsstandards" bestehen. Die Niederlande und Großbritannien sind neben Deutschland die einzigen EU-Staaten, in denen ein grenzüberschreitender Versand apotheken- bzw. verschreibungspflichtiger Arzneimittel erlaubt ist. Alle anderen EU-Staaten verbieten ihn aus Gründen der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes.
DocMorris darf sich freuen. Das Antichambrieren (und das ihrer mächtigen Verbündeten) hat sich gelohnt. Es ist schon erstaunlich, wie freihändig und großzügig das BMSG die von Rot-Grün und CDU/CSU gleichermaßen beschlossenen apothekenrechtlichen Vorgaben interpretiert und gleichzeitig die fragmentarischen Regelungen der niederländischen "Postorder-Pharmazie" verharmlost. Im niederländischen Recht findet man weder Versandvorschriften zur Beratung noch zum Versendungszeitraum, weder zur kostenfreien Zweitzustellung noch zur Sendungsverfolgung – alles Vorgaben, die der deutsche Gesetzgeber in § 11a ApoG aus guten Gründen bei der Versendung von Arzneimitteln für unabdingbar hält. Nicht einmal eine – horribile dictu - "Präsenz-Apotheke" muss in unserem Nachbarland führen, wer dort risikoträchtige Medikamente versenden möchte (das geht auch dem BMSG zu weit).
Man darf gespannt sein, ob das BMSG seine "europaweite Erhebung" veröffentlichen wird. Gespannt sein darf man auch auf die Reaktion der deutschen Gerichte, die in Berlin und Frankfurt zurzeit in Sachen DocMorris verhandeln. Ob sich das Kammergericht par ordre du mufti unwidersprochen so abstrafen lässt? Und welche Entscheidung wird das Landgericht Frankfurt in Sachen DocMorris Ende August fällen? Hoffentlich rächt sich jetzt nicht, dass der Deutsche Apothekerverband dort sein Verfahren fortgesetzt hat und nicht ausschließlich auf die Entscheidungen des Kammergerichts Berlin setzt.
Fest steht: Bei der "Länder-Liste" handelt es sich nach Auffassung aller Juristen, die sich dazu geäußert haben, um ein rechtstechnisch ominöses Unikum. Manche halten es aus Gründen der Gewaltenteilung schon per se für verfassungswidrig. Aber auch für diejenigen, die so weit nicht gehen möchte, entfaltet die Liste gegenüber der rechtsprechenden Gewalt keine Bindungswirkung. Deshalb können und müssen die deutschen Gerichte auch in Zukunft eigenständig, unabhängig und frei Sicherheitsstandards (und Sicherheitslücken) beim grenzüberschreitenden Versandhandel mit Arzneimitteln prüfen. Bloße Bekanntmachungen und die "Sicherheits-Länder-Liste" eines Ministeriums ändern daran nichts.
Christian Rotta
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