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Umsetzung der Gesundheitsreform
Was kommt auf die Apotheken zu?
ROSTOCK (tmb). Am 1. April wird das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) in Kraft treten. Was bedeutet das für den Apothekenalltag? Wie ist mit Rabattverträgen umzugehen? Was ändert sich bei Hilfsmitteln und Zytostatika? Welche Einbußen sind zu erwarten? Soweit bisher Antworten möglich sind, wurden diese bei einer Informationsveranstaltung des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern am 9. März in Rostock-Warnemünde präsentiert. Sie betreffen die Apotheken in allen Bundesländern gleichermaßen.
Den Überblick über die künftige Situation der Apotheken vermittelten Ralf Denda, Geschäftsbereich Wirtschaft und Soziales der ABDA, Dr. Heinz Weiß, Geschäftsführer des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern, Lutz Boden, Redaktionsleiter der ABDATA, und Christian Meyer, Treuhand Hannover.
Nach Einschätzung von Denda wird das GKV-WSG in Kraft treten, bevor das AVWG seine vollständige Wirkung zeigt. Von April bis Dezember habe das AVWG für die GKV zu Einsparungen von 1,1 Milliarden Euro geführt, von denen nach Abzug des gegenläufigen Struktureffektes der ärztlichen Verordnungen eine Entlastung um 256 Millionen Euro verblieben sei. Die Patienten dürften durch Zuzahlungsbefreiungen um etwa 2 Milliarden Euro entlastet worden sein. Durch das AVWG sank der durchschnittliche Rohgewinn der Apotheken im Westen von 28,1 Prozent von Januar bis April 2006 auf 27,6 Prozent im Rest des Jahres, im Osten von 26,7 Prozent auf 26,0 Prozent, wie Meyer erläuterte. Das Betriebsergebnis einer durchschnittlichen Apotheke im Osten sei 2006 gegenüber dem Vorjahr um 8 Prozent gesunken. Voraussichtlich werde sich der Trend zu sinkenden Packungszahlen und damit sinkenden Rohgewinnen fortsetzen.
GKV-WSG: erhöhter Kassenabschlag
Das Einsparziel des GKV-WSG von jährlich 1,5 Milliarden Euro beträgt nur etwa ein Prozent der GKV-Ausgaben und rechtfertigt nach Einschätzung von Denda nicht den enormen Aufwand. Die Erhöhung des Kassenabschlages auf 2,30 Euro wird die Apotheken netto mit etwa 135 Millionen Euro jährlich belasten. Der Nettoabschlag nach Abzug der veränderten Mehrwertsteuer steigt von 1,72 Euro (im Jahr 2006) auf 1,93 Euro. Denda kalkuliert die Belastung des Rohgewinns auf etwa 6400 Euro pro Jahr für eine durchschnittliche Apotheke. Meyer erwartet auf der Grundlage der Zahl der abgegebenen Packungen eine Belastung von etwa 5200 Euro pro Jahr für durchschnittliche und 4200 Euro für typische Apotheken. Im Jahr 2007 betrifft die Regelung jedoch nur neun Monate. Gemäß einer Modellrechnung würde das Betriebsergebnis einer typischen Apotheke 2007 vor Steuern um 4,1 Prozent sinken. Um dies allein im GKV-Bereich zu kompensieren, müsste der GKV-Umsatz um 16.000 Euro steigen.
Rabattverträge: Für welche Produkte ...?
Die größten praktischen Probleme dürften sich aus den Rabattverträgen zwischen Krankenkassen und Herstellern gemäß § 130a Absatz 8 SGB V ergeben, wie sie bisher für die AOK-Versicherten abgeschlossen wurden. Diese Verträge haben künftig "Vorfahrt" vor der bisherigen Aut-idem-Regel. Die Apotheken sind zur Abgabe des rabattierten Produktes verpflichtet, sofern der Arzt die Substitution nicht ausgeschlossen hat. Dabei ist unerheblich, wie preisgünstig die Produkte anderer Hersteller sind. Als Alternative sind Zielpreisvereinbarungen mit den Apotheken auf Landesebene möglich, bei denen der Anbieter in der Apotheke ausgewählt wird. Solche Verträge hätten wiederum Vorrang vor Rabattverträgen. Nur wenn für das verordnete Arzneimittel bei der betreffenden Krankenversicherung weder ein Rabattvertrag noch eine Zielpreisvereinbarung besteht, ist die bisherige Aut-idem-Regel anzuwenden. In den Apotheken wird damit künftig zunächst zu fragen sein, bei welcher Krankenkasse der Patient versichert ist und welche Regelung bei dieser Kasse für diesen Wirkstoff gilt. So kann für gleichlautende Verordnungen zu Lasten verschiedener Kassen die Abgabe unterschiedlicher Produkte verpflichtend werden. Je stärker sich die Verträge zwischen den Krankenkassen unterscheiden werden, umso mehr Generika verschiedener Hersteller werden die Apotheken vorrätig halten müssen.
Nach dem Wortlaut des GKV-WSG gelten Rabattverträge nur für namentliche Verordnungen, bei denen die Substitution nicht ausgeschlossen wurde, erläuterte Weiß. Bei Wirkstoffverordnungen ohne namentliche Nennung eines Produktes müsste daher die bisherige Aut-idem-Regelung angewendet werden. Bei namentlichen Verordnungen stellt sich dagegen die Frage, welche Produkte überhaupt in die Auswahl einzubeziehen sind. Hierzu verwies Boden auf die Rechtsgrundlage der Aut-idem-Regel. Sie beruht auf Tabellen über austauschbare Arzneimittel, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss und seiner Vorgängerorganisation erstellt wurden. Nur für die dort erfassten Wirkstoffe könne derzeit eine rechtssichere Zuordnung in der EDV programmiert werden. Wenn eine privatwirtschaftliche Institution wie die ABDATA solche Zuordnungen für andere Wirkstoffe vornehmen würde, wäre mit rechtlichen Maßnahmen der betroffenen Arzneimittelhersteller zu rechnen. So sei beispielsweise unklar, ob verschiedene Salze, wie sie bei Amlodipin relevant sind, in eine Gruppe einzuordnen sind. In einem primär auf Wirkstoffe ausgerichteten System seien auch technologische Innovationen wie Alna® Ocas® oder Doxazosin mit Push-pull-Technolgie schwer einzuordnen. Ohne rechtssichere Zuordnungen könne die ABDATA die Auswahlmöglichkeiten nicht im Artikelstamm kennzeichnen. Angesichts weiterer zu erwartender Rabattverträge sei die EDV-Unterstützung aber unverzichtbar für die Umsetzung in der Apotheke. Vergleichsweise rechtssicher sei hingegen die individuelle Recherche in der Apotheke.
... und nach welchen Regeln?
Doch bleibt offen, wie bei unterschiedlichen Auffassungen vorzugehen ist und inwieweit dies zu Retaxationen führen kann. Weitere offene Fragen sind für Weiß, wer wen informiert, wer für Fehler in den Daten haftet, was bei Kollisionen zwischen mehreren Rabattverträgen gilt, wie weit die Produkte in Rabattverträgen differenziert werden dürfen und ganz besonders was zu tun ist, wenn die rabattierten Arzneimittel nicht verfügbar sind. In Warnemünde äußerten Verbandsmitglieder Befürchtungen, die Patienten dann nicht mehr versorgen zu können. Wenn die Ärzte andere Produkte verschrieben, würden sie sich wieder der Wirtschaftlichkeitsprüfung aussetzen, die ihnen bei Verordnung rabattierter Produkte erspart bleibt. Außerdem seien sie an dem Bonus aus der Verordnung rabattierter Produkte interessiert, der allerdings auf alle Ärzte umgelegt werde. Die Anreizwirkung für den einzelnen Arzt sollte daher nicht überschätzt werden. Ein weiteres praktisches Problem in der Apotheke dürfte die Information der Versicherten werden, denen die Auswahlentscheidung erläutert werden soll.
Über die Frage, ob die rabattierten Produkte in ausreichender Zahl verfügbar sein werden, bestehen unterschiedliche Auffassungen. Einige Hersteller gelten als kaum bekannt und haben bisher minimale Marktanteile, während andere Vertragspartner zu großen internationalen Generikakonzernen wie Teva, Actavis oder Ranbaxy gehören, die offenbar ihre Marktanteile in Deutschland ausweiten wollen. Der Großhandelsverband Phagro habe ein Frühwarnsystem vorgeschlagen, mit dem Engpässe in der Verfügbarkeit bereits auf der Großhandelsebene frühzeitig gemeldet werden sollen.
Neben den Rabattverträgen bleiben die bisherigen Regelungen zur Importquote bestehen. Wenn die Apotheker aber bei immer mehr Verordnungen zur Abgabe rabattierter deutscher Produkte verpflichtet sind, ist die Importquote umso schwieriger zu erfüllen. Eine weitere Frage betreffe kassenspezifische Rabattverträge, mit denen Arzneimittel, die auf Vorschlag des IQWiG nicht mehr erstattungsfähig sind, kassenbezogen doch erstattet werden, beispielsweise Insulinanaloga. Dabei bleibe offen, ob nur die deutschen Originale oder auch Importe erstattet werden, im ersteren Fall würde das Erreichen der Importquote weiter erschwert.
Die Vielzahl der Fragen ist nach Einschätzung von Weiß nur in einem Rahmenvertrag zu lösen. Bis dahin sollte eine Friedenspflicht gelten. Der Apothekerverband wolle die Verträge wohlwollend begleiten, doch könnten sie bis zur Klärung der offenen Fragen nur ohne rechtliche Verpflichtung angewendet werden.
Auseinzeln
Auch andere Neuregelungen des GKV-WSG sollten vertraglich näher gestaltet werden. So sei das Auseinzeln in Form der erneuten Verblisterung möglicherweise künftig als Teil der Regelversorgung zu betrachten. Dafür sei die Arzneimittelpreisverordnung nicht vorgeschrieben, doch äußerte Weiß die Hoffnung, dies auf Verbandsebene in Arzneilieferverträgen zu regeln. Denda betonte, dass das Auseinzeln nicht mit Bulkware, sondern nur aus zugelassenen Packungen erfolgen dürfe.
Wiedereinsatz von Btm
Gemäß GKV-WSG können nicht mehr benötigte Betäubungsmittel, die in Heimen unter Verantwortung eines Arztes zentral gelagert werden, von dem Arzt erneut verschrieben oder an eine versorgende Apotheke zur Weiterverwendung in einem Heim zurückgegeben werden. Der praktische Ablauf geht nach Einschätzung von Weiß nicht klar aus dem Gesetz hervor und sollte daher präzisiert werden. Im Gesetz werde aber bestimmt, dass die Nachweispflichten des Betäubungsmittelrechts auch in diesem Fall gelten. Als Vergütung für die Apotheke sind hierfür 5,80 Euro vorgesehen.
Hilfsmittel
Nach Inkrafttreten des GKV-WSG dürfen nur Vertragspartner der Krankenkassen Hilfsmittel abgeben. Leistungserbringer, die am 31. März 2007 zugelassen sind, gelten aufgrund einer Übergangsregel bis zum 31. Dezember 2008 als zugelassen. Bei Inhaberwechseln ist die Zulassung erneut zu beantragen. Nach den neuen Regeln werden Ausschreibungen durchgeführt, sofern sie zweckmäßig sind, wobei diese Zweckmäßigkeit noch zu konkretisieren wäre. Sofern Ausschreibungen stattfinden, werde das Vergaberecht angewendet, es erhalte also nur ein Leistungsanbieter die Lieferberechtigung für eine bestimmte Region. In Mecklenburg-Vorpommern sind nach Information von Weiß für die apothekenrelevanten Hilfsmittelgruppen Bandagen, Inkontinenzhilfen, Kompressionsartikel und Stomaartikel vorerst keine Ausschreibungen geplant. Denda erwartet Ausschreibungen nur für Massenware, aber nicht für Individualanfertigungen oder die regionale Versorgung.
Zytostatikazubereitungen
Für die Herstellung von Zytostatikarezepturen können demnächst Einzelverträge abgeschlossen werden. Denda betonte, dass dies eine Kann-Regelung ist. Auch hier werde eine Regelung auf Verbandsebene angestrebt.
Fehlende Kompensationsmöglichkeiten
Trotz dieser Belastungen und Unklarheiten betonte Meyer, dass die Apotheken deutlich weniger belastet werden, als in der ersten Fassung des GKV-WSG geplant war. Dann hätten Apotheken durchschnittlich etwa 25.000 Euro Rohertrag verloren. Dennoch ist zu fragen, wie die zu erwartenden Einbußen kompensiert werden können. Aufgrund von Erfahrungen aus Apotheken mit Preisbrecherstrategie warnte Meyer vor den langfristigen Folgen dieser Vorgehensweise. Die Apotheken würden dabei durch Margenverluste, erhöhte Marketingausgaben und die vergleichsweise personalintensive Abgabe der OTC-Arzneimittel dreifach belastet. Die Erfahrung zeige, dass im ersten Monat Erfolge zu erreichen seien, Umsatzanstiege von 15 Prozent seien realistisch. In den Folgemonaten sinke das Umsatzplus aber auf 8 bis 9 Prozent, was die sinkenden Margen und erhöhten Kosten nicht kompensiere. So würden die meisten Apotheken mit Niedrigpreisstrategien letztlich Einbußen erleiden.
Ausblick
Während die neuen Regelungen für Arzneimittel zum 1. April 2007 in Kraft treten, folgen weitere Neuerungen erst später. Am 1. Januar 2008 soll die veränderte Ein-Prozent-Regel für die Zuzahlungen von Chronikern eingeführt werden. Zum 1. Juli 2008 soll der neue Spitzenverband des Bundes der Krankenkassen die bisherigen Verbände ablösen. Außerdem soll dann der Gemeinsame Bundesausschuss öffentlich tagen, er zieht dafür nach Berlin um. Zum 1. November 2008 werden die neuen einheitlichen Beitragssätze festgelegt, am 1. Januar 2009 soll der Gesundheitsfonds starten. Für 2008 erwartet Denda die Planungen für die nächste Gesundheitsreform, die nach der Bundestagswahl zu erwarten sei und bei der die integrierte Versorgung voraussichtlich einen Schwerpunkt bilden werde. Der Apothekenabschlag werde 2009 erneut geändert. Die diesbezüglichen Verhandlungen würden 2008 geführt und müssten sich daher auf die Daten von 2007 stützen.
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