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DAZ aktuell
Barmer Vertrag ist keine Integrierte Versorgung
Die Barmer Ersatzkasse, die Hausärztliche Vertragsgemeinschaft eG und die MGDA-Marketinggesellschaft Deutscher Apotheker mbH hatten im Dezember 2004 mit Unterstützung des Deutschen Hausärzteverbandes und des Deutschen Apothekerverbandes den "Vertrag zur Integrierten Versorgung durch Hausärzte und Hausapotheken" geschlossen. An dem Vertrag beteiligen sich mittlerweile rund 38.000 Hausärzte, 18.500 Apotheken und 2,3 Millionen Versicherte der Barmer Ersatzkasse.
Der Vertrag bietet den freiwillig beitretenden Versicherten mit der Wahl eines Hausarztes und einer Hausapotheke eine spezielle hausärztliche Versorgung. Die teilnehmenden Ärzte erhalten für jeden Versicherten eine zusätzliche Vergütung und verpflichten sich gegenüber der Barmer Ersatzkasse zur Einhaltung bestimmter Behandlungs- und Dokumentationsstandards. Die Apotheken erhalten ebenfalls eine zusätzliche Vergütung; im Gegenzug müssen sie für die eingeschriebenen Versicherten eine Medikationsliste führen und dem Hausarzt alle von dem Versicherten bezogenen Arzneimittel, auch solche der Selbstmedikation, mitteilen.
Kläger: KV Thüringen
Seit 2005 hatte die Barmer Ersatzkasse zur Finanzierung der Vergütungen aus diesem Vertrag Mittel aus der Anschubfinanzierung der Integrierten Versorgung verwandt und diese von der Gesamtvergütung an die Kassenärztlichen Vereinigungen einbehalten. Hiergegen hatte die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen geklagt und bestritten, dass die Barmer Ersatzkasse berechtigt war, zur Finanzierung des Hausärzte- und Hausapothekenvertrages ca. 408.000 Euro von der der KV Thüringen für das Jahr 2004 zustehenden Gesamtvergütung einzubehalten. Die Vorinstanzen hatten der Klage der Kassenärztlichen Vereinigung stattgegeben, weil der Vertrag, so das Thüringische Landessozialgericht, nicht die Voraussetzungen der Integrierten Versorgung erfülle.
Keine sektorenübergreifende Versorgung
Bereits im Vorfeld zu der Entscheidung hatte das Bundessozialgericht deutlich gemacht, dass für die Zulässigkeit dieser Art der Finanzierung maßgeblich sei, ob der Barmer Hausarztvertrag ein Vertrag über die Integrierte Versorgung gemäß §§ 140a ff SGB V in der bis zum 31. März 2007 geltenden Fassung sei oder nicht. Die KV Thüringen vertrat die Auffassung, der Barmer Hausarztvertrag sei kein Integrationsvertrag, weil er nur die hausärztliche Versorgung betreffe; deshalb sei das Merkmal der "Leistungssektoren übergreifenden Versorgung" des § 140a Abs. 1 SGB V nicht erfüllt. Sie verklagte deshalb die Barmer Ersatzkasse auf Auszahlung der aus ihrer Sicht zu Unrecht einbehaltenen Anteile der ärztlichen Gesamtvergütung. Die am Vertrag Beteiligten, insbesondere die Barmer Ersatzkasse, sahen demgegenüber das Merkmal "sektorenübergreifend" als erfüllt an, weil der Vertrag die Apotheken mit einbeziehe. Die Versorgungssektoren "hausärztliche Versorgung" und "Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln" seien betroffen.
In seiner mündlichen Urteilsbegründung führte das Gericht aus, der zwischen Barmer Ersatzkasse, Hausärzten und Apothekern geschlossene Hausarzt- und Hausapothekenvertrag enthalte keine neue Form einer versorgungsbereichsübergreifenden oder interdisziplinären Integrierten Versorgung der Versicherten. Die Krankenkasse sei deshalb nicht befugt, ihre aufgrund des Vertrags entstehenden Aufwendungen, insbesondere zusätzliche Honorare für Hausärzte und Apotheken, durch Abzüge von den Gesamtvergütungen der Vertragsärzte zu finanzieren, die sie an die Kassenärztlichen Vereinigungen für die herkömmliche Regelversorgung im ambulanten Bereich zu entrichten habe. Die Wirksamkeit des Barmer Hausarztvertrages selbst, der mehr als zwei Millionen eingeschriebenen Patienten eine teilweise Befreiung von der Praxisgebühr ermögliche, werde durch diese Entscheidung nicht in Frage gestellt.
Schnittstellenprobleme nicht beseitigt
In der mündlichen Entscheidungsbegründung verwies das Gericht auf die Intention der Integrierten Versorgung: In den zurückliegenden Gesundheitsreformen habe der Gesetzgeber den Krankenkassen gestattet, parallel zur derzeit bestehenden Regelversorgung alternative Versorgungsformen durch Vereinbarungen mit den entsprechenden Leistungserbringern zu entwickeln. Hierdurch sollten die Probleme an den Schnittstellen der bisher voneinander getrennten Versorgungssektoren (insbesondere der ambulanten und der stationären Versorgung mit unterschiedlichen Finanzierungsregelungen) entschärft und eine Versorgung etabliert werden, die auf die qualitativ verbesserte Behandlung der Patienten ausgerichtet sei. Zur Finanzierung der damit verbundenen Kosten konnten bzw. können die Krankenkassen in den Jahren 2004 bis 2008 bis zu ein Prozent der Vergütungen einbehalten, die sie für die Regelversorgung an die Kassenärztlichen Vereinigungen und an die Krankenhäuser zu zahlen hatten, und diese Beträge für Verträge der Integrierten Versorgung verwenden.
Der Gesetzgeber habe den Inhalt der Integrierten Versorgung selbst nicht genauer beschrieben, stellte das Gericht fest. Die deshalb umstrittene Frage, ob der Barmer Hausarztvertrag durch die Beteiligung der Apotheken eine solche Versorgung etabliere, sei nach Auffassung des 6. Senat des Bundessozialgerichts zu verneinen. Eine Integrierte Versorgung müsse nicht nur verschiedene Leistungssektoren oder unterschiedliche Fachgebiete umfassen, sondern darauf ausgerichtet sein, Leistungen der bisherigen Regelversorgung zu ersetzen. Zumindest an dieser Voraussetzung fehle es bei dem Barmer Hausarztvertrag. Die in seinem Rahmen erbrachten Behandlungsleistungen der Hausärzte würden ganz überwiegend innerhalb des bisherigen Regelversorgungssystems der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung abgewickelt und lediglich durch einzelne zusätzliche Elemente ergänzt. Auch ein gemeinsames Budget für die beteiligten Ärzte und Apotheken mit einer die Leistungssektoren überschreitenden Budgetverantwortung sei nicht vorgesehen. Deshalb liege keine Integrierte Versorgung vor, zu deren Finanzierung ein Rückgriff auf die bislang in der Regelversorgung zu zahlenden Vergütungen gerechtfertigt wäre, begründete der Senat seine Entscheidung.
Weitere Einzelheiten der Entscheidungsgründe des obersten Sozialgerichts, insbesondere zur Einordnung der Arzneimittelversorgung in die Leistungserbringerseite, sind derzeit noch nicht bekannt, da die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliegt.
Vertrag soll fortgeführt werden
Zwar erklärte die Barmer Ersatzkasse im Vorfeld, dass der Vertrag fortgeführt werden soll, jedoch sind nach Einschätzung von Beobachtern die Voraussetzungen dafür deutlich schwieriger geworden. Der Vertrag mit den zusätzlichen Vergütungen an Hausärzte und Apotheken sei längerfristig wohl nur zu rechtfertigen und aufrecht zu erhalten, wenn den zusätzlichen Aufwendungen anderweitig nachweisbare Einsparungen gegenüber stünden. Die Entscheidung bedeutet, dass die Barmer die einbehaltenen Beträge für die Jahre 2005 bis 2007 an alle KVen zurückzahlen und die im Rahmen des Hausarzt- und Hausapothekenvertrages anfallenden Kosten anderweitig finanzieren muss. Nach Angaben der Barmer belaufen sich diese Beträge auf insgesamt 40 bis 60 Mio. Euro. Die Barmer habe hierfür entsprechende Rückstellungen gebildet.
DAV bedauert Entscheidung
Der Deutsche Apothekerverband (DAV) bedauerte die Entscheidung des Gerichts und begrüßte die Bereitschaft der Barmer Ersatzkasse, trotz der veränderten Vorgaben an dem gemeinsamen Konzept festzuhalten. "Unser gemeinsames Ziel, die Grundlagen für eine bessere Versorgung der Versicherten zu schaffen, ist damit nicht in Frage gestellt", so DAV-Vorsitzender Hermann Stefan Keller. "Eine weitere Optimierung der pharmazeutischen Versorgung und Betreuung der Versicherten ist elementarer Bestandteil des gemeinsamen Vertrages. Es ist deshalb gut, dass die Zusammenarbeit nicht grundsätzlich zur Debatte steht", sagte Keller weiter. Der DAV-Vorsitzende verwies darauf, dass die teilnehmenden Apotheken sich gemeinsam mit Ärzten und Kasse beispielsweise um eine Verminderung von Wechselwirkungen bemühen und damit möglichen Krankenhauseinweisungen als Folge von Interaktionen vorbeugen. "Der Vertrag ist aus unserer Sicht wegweisend für die Zusammenarbeit verschiedener Leistungserbringer und stiftet damit einen echten Nutzen für die Patienten" so Keller.
Barmer: Intention des Vertrags steht nicht in Frage
Die Barmer erklärte, das Urteil stelle die Intention des Hausarzt- und Hausapothekenvertrages nicht in Frage, ziehe aber die Grenzen für Formen der Integrierten Versorgung enger. Das BSG stelle ausdrücklich den Nutzen des Hausarzt- und Hausapothekenvertrages für die Versicherten heraus, sehe aber in dem Vertrag keine Grundlage für einen Rückgriff auf die Anschubfinanzierung, weil der Hausarzt- und Hausapothekenvertrag im wesentlichen innerhalb der Regelversorgung bleibe und sie nicht ersetze, stellte Birgit Fischer, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer, fest. Nach diesem BSG-Urteil müsse sich ein IV-Vertrag erheblich von der Regelversorgung unterscheiden. Der Barmer sei es mit dem Hausarzt- und Hausapothekenvertrag vorrangig um Qualitätssteigerungen durch Zusatzleistungen gegangen, so Fischer.
Weitere Verfahren
In zwei anderen Verfahren der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg gegen die DAK und eine Betriebskrankenkasse sah das BSG die Voraussetzungen für das Vorliegen einer gesetzeskonformen Integrierten Versorgung als gegeben an. In den Verfahren ging es um Vereinbarungen der betroffenen Krankenkassen mit Krankenhäusern, ob die stationäre chirurgische Versorgung im Krankenhaus sowie die anschließende stationäre Rehabilitation als Versorgung in zwei unterschiedlichen Sektoren zu betrachten sind und Kosten damit aus der Anschubfinanzierung bezahlt werden können.
Die BSG-Entscheidung betrifft originär Finanzierungsmaßnahmen der Barmer und nicht den Vertrag selbst. Für die Barmer entstehen jedoch durch die Entscheidung Zusatzkosten, die nicht anderweitig refinanziert werden können. Für die an dem Vertrag teilnehmenden Hausärzte, Apotheken und Barmer-Versicherten bleibt es bis auf Weiteres bei dem bestehenden Vertrag und dessen Leistungen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe und angesichts des intensiven Finanzwettbewerbs der Krankenkassen untereinander doch Änderungsbedarf ergibt. Auch wird vereinzelt die Frage aufgeworfen, ob dem Vertrag infolge der Feststellung des Bundessozialgerichts, dass es sich nicht um Integrierte Versorgung handelt, die Rechtsgrundlage fehle und der Vertrag damit möglicherweise unwirksam sei. Für die Apotheken dürften – eine unveränderte Gesetzeslage vorausgesetzt – mit der Entscheidung die Hürden sehr hoch gelegt worden sein, künftig überhaupt an Integrationsvorhaben teilnehmen zu können.
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