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Arzneimittel und Therapie
Apotheker melden verstärkt Dextromethorphan-Missbrauch
Dextromethorphan (DXM) ist zur symptomatischen Behandlung von Reizhusten zugelassen und nach wie vor in Deutschland lediglich apothekenpflichtig. Bei bestimmungsgemäßer Anwendung gilt das Morphinderivat als sicher und unbedenklich.
Lebensbedrohliche Nebenwirkungen bei Missbrauch
Bei Überdosierungen, insbesondere bei massiver Überdosierung im Rahmen einer missbräuchlichen Anwendung, muss jedoch mit schwerwiegenden und zum Teil lebensbedrohlichen Nebenwirkungen wie ausgeprägten Tachykardien, massivem Blutdruckanstieg, Atemnot und komatösen Zuständen gerechnet werden.
Im Gegensatz zu anderen Drogen ist das Abhängigkeitspotenzial von Dextromethorphan gering. Befürchtet wird jedoch, dass die durch Dextromethorphan induzierten Halluzinationen zu einem unkritischen Gebrauch weiterer Drogen führen [1].
Beliebter Hustenstiller ...
Dextromethorphan-haltige Monopräparate sind in Deutschland als Hustenstiller sowohl in Form von Saft, Kapseln oder Pastillen im Handel (s. Tab.). Darüber hinaus findet sich Dextromethorphan in vielen Erkältungsmitteln beispielsweise in Kombination mit Paracetamol.
Tab.: Dextromethorphan-haltige Monopräparate (Beispiele) | ||
Handelsname |
Wirkstoffe |
Darreichungsform |
NeoTussan®
Hustensaft (D) |
Dextromethorphan, Dextromethorphan Poly(styrol,- divinylbenzol)sulfonat |
Saft |
Dextro Bolder®
Lutschpastillen |
Dextromethorphan, Dextromethorphan hydrobromid-1-Wasser |
Pastillen |
Hustenstiller-ratiopharm®
Dextromethorphan |
Dextromethorphan, Dextromethorphan hydrobromid-1-Wasser |
Kapseln |
Silomat®
DMP Lutschpastillen gegen Reizhusten |
Dextromethorphan, Dextromethorphan hydrobromid-1-Wasser |
Pastillen |
Wick®
Husten-Sirup gegen Reizhusten mit Honig (D) |
Dextromethorphan, Dextromethorphan hydrobromid |
Saft |
Wick®
Husten-Pastillen gegen Reizhusten mit Honig |
Dextromethorphan |
Lutschtabletten |
... mit Interaktionspotenzial
Dextromethorphan hat ein großes Interaktionspotenzial. Alkohol oder die gleichzeitige Einnahme von Antihistaminika verstärken die Dextromethorphan-Wirkung. Da Dextromethorphan ein Serotonin-Reuptake-Hemmer ist, können Arzneistoffe, die seinen Abbau hemmen, zu einem Serotonin-Syndrom mit schweren Atem- und Kreislaufstörungen führen. Darüber hinaus ist mit pharmakodynamischen Wechselwirkungen mit anderen Drogen wie Kokain, Amphetamin (Ecstasy) und Lysergsäurediethylamid (LSD) zu rechnen [1]. Dextromethorphan wird in der Leber über CYP2D6 zum aktiven Metaboliten Dextrorphan metabolisiert. CYP2D6 unterliegt einem ausgeprägten genetischen Polymorphismus, so dass auch mit Interaktionen durch Stoffe zu rechnen ist, die wie Kokain CYP2D6 hemmen.
Millionenfacher Missbrauch in den USA
2007 hatten die Düsseldorfer Pharmakologin Prof. Dr. Stephanie Läer und ihre Mitarbeiter Berichte über millionenfachen Missbrauch in den USA und entsprechende FDA-Warnungen zum Anlass genommen, sich die Situation in Deutschland näher anzuschauen. In der Deutschen Apotheker Zeitung berichteten sie über Recherchen im Internet [1]. Diese hatten einen Einblick in eine erschreckend große Gemeinschaft von jungen Menschen ergeben, die dort ihre Rauscherfahrungen über "DEX" austauschen. Eine Umfrage bei Giftnotrufzentralen ergab jedoch keine Hinweise auf einen Missbrauch in großem Stil.
Kaum Verdachtsmeldungen bis 2007
Auch dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) lagen bis dahin nur wenige Meldungen vor.
Wie Dr. Ulrich Hagemann, Abteilung Pharmakovigilanz des BfArM, auf Anfrage der DAZ mitteilte, hat das BfArM seit 1995 jährlich zwischen einem und vier Berichte über eine missbräuchliche Anwendung von Dextromethorphan-Monopräparaten erhalten (Ausnahme: 1996 und 1999: keine Meldungen). Im Jahre 2008 stieg die Zahl auf zehn Berichte an, im Jahr 2009 auf 19 Berichte. Im Jahr 2010 sind dem BfArM bisher vier Berichte über einen Missbrauch zugegangen. Von den im Jahr 2009 zugegangenen Berichten kamen 15 (der 19) Meldungen von Apothekern. Etliche der Berichte waren sogenannte "Sammelmeldungen", in denen über mehrere Jugendliche/junge Erwachsene (ohne genauere Zahlenangaben) berichtet und der Verdacht einer missbräuchlichen Anwendung geäußert wurde.
Keine Aussage zur Bedeutung des Versandhandels
In den berichteten Fällen seien keine Informationen darüber enthalten, ob Dextromethorphan-haltige Arzneimittel über den Versandhandel bezogen wurden, so Hagemann. Das BfArM könne keine Aussage zur Rolle und zur Bedeutung des Versandhandels machen.
Aktualisierte Zahlen aus Giftnotrufzentralen liegen dem BfArM nicht vor. In der Datenbank des Gemeinsamen Giftinformationszentrums der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Erfurt, finden sich nach Auskunft von Dr. Dagmar Prasa für das Jahr 2008 vier Missbrauchsfälle mit Dextromethorphan-haltigen Arzneimitteln (Alter 14 bis 45 Jahre), im Jahr 2009 wurden nur zwei Fälle (Alter 16 Jahre, im 2. Fall ist das Alter unbekannt) beraten. Über die tatsächliche Anzahl von Missbrauchsfällen geben diese Fallzahlen allerdings keine Auskunft, da die Giftnotrufzentralen nur im Vergiftungsfall konsultiert werden.
BfArM bittet Apotheker um erhöhte Aufmerksamkeit
Der Anstieg der beim BfArM eingegangenen Meldungen nährt den Verdacht, das Dextromethorphan verstärkt von Jugendlichen missbräuchlich verwendet wird. Das BfArM bittet daher um eine erhöhte Aufmerksamkeit, wenn Dextromethorphan wiederholt oder in ungewöhnlich großen Mengen in Apotheken verlangt wird. Es empfiehlt, Dextromethorphan-haltige Arzneimittel nach Möglichkeit nicht an Jugendliche abzugeben und rezeptfreie Alternativpräparate zur Hustenstillung anzubieten. Das BfArM kündigt an, die weitere Entwicklung der Berichtszahlen sowie weitere Informationen zum Missbrauch von Dextromethorphan intensiv zu beobachten und lässt durchblicken, dass es gegebenenfalls weitere Schritte einleiten werde.
Quelle [1] Läer S; et al: Dextromethorphan – ein harmloses Hustenmittel? Dtsch Apoth Ztg 2007 148(31) 42 – 47.[2] Dextromethorphan: Mehr Berichte über Missbrauch im Jahr 2009. Zurückhaltende Abgabe in Apotheken empfohlen. Mitteilung des BfArM vom 16. April 2010.
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Nachgefragt: "Die Spitze eines Eisberges"
DAZ: Frau Professor Läer, Sie sind 2007 der Frage nachgegangen, ob Dextromethorphan-Missbrauch auch in Deutschland ein Problem ist. Damals sind Sie von einer großen Dunkelziffer ausgegangen. Wie interpretieren Sie die Zunahme der Verdachtsmeldungen durch Apotheker? Sind die Apotheker nur für die Problematik sensibilisiert worden oder hat der Missbrauch zugenommen?
Läer: Man kann nicht ausschließen, dass eine Sensibilisierung eingetreten ist. Im Gegenteil, das ist nach so einem Bericht sogar zu erwarten. Allerdings handelt es sich in diesem Fall um eine andere Berufsgruppe, nämlich die Apotheker, die jetzt überhaupt erstmal hingeschaut hat. Die Notfallmediziner, die bislang hauptsächlich über die Giftnotrufzentralen gemeldet haben, kommen ja erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Wenn die Apotheker einen Missbrauchsverdacht von Dextromethorphan melden, dann erfüllen sie ihre Aufgabe, schon am Ort der "Problementstehung" tätig zu werden. Das ist sehr gut – sozusagen eine Missbrauchsprävention. Es ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass die Apotheker ihre Aufgabe anpacken, die Arzneimittelsicherheit in der Bevölkerung zu erhöhen. Und es zeigt auch, wie wichtig die Apotheken sind, wenn sie ihre Aufgabe ernst nehmen. Und mit den etwa 4.000.000 Patientenkontakten pro Tag bundesweit sind die Apotheken eine schlagkräftige Truppe, schlagkräftiger als manch andere Berufsgruppe.
DAZ: Das BfArM hat 2008 zehn und 2009 19 Verdachtsmeldungen erhalten. Nun sind ja 19 Meldungen im Jahr nicht wirklich viel ...
Läer: Das ist sicher auf den ersten Blick richtig. Doch verglichen mit den Meldungen in den Vorjahren ist eine deutliche Zunahme zu erkennen. Zudem muss man bedenken, dass solche Meldungen nur die Spitze eines Eisberges zeigen: Wie viele Packungen Dextromethorphan muss ein Jugendlicher kaufen, um meldeverdächtig zu sein? Prinzipiell kann der Missbrauch auch mit einer einzigen Packung erfolgen. Doch der Kauf einer einzigen Packung lässt ihn vielleicht noch unverdächtig erscheinen. Dazu kommt, dass die Meldungen des BfArMs nur von öffentlichen Apotheken stammen. Sie sagen nichts über die Rolle der Internet- bzw. Versandapotheken aus, über die solche Präparate sicher noch einfacher zu beziehen sind als in der Apotheke vor Ort. Insgesamt muss man nach meiner Meinung nach wie vor von einer hohen Dunkelziffer bei der missbräuchlichen Verwendung von Dextromethorphan ausgehen.
DAZ: Frau Professor Läer, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Univ.-Prof. Dr. med. Stephanie Läer Institut für Klinische Pharmazie und Pharmakotherapie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Universitätsstr. 1, 40221 DüsseldorfInterview: Dr. Doris Uhl
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