Apothekenrecht

Die EuGH-Urteile zum apothekenrechtlichen Fremdbesitzverbot

Von Elmar Mand und Enno Burk, Marburg/Düsseldorf

Am 19. Mai 2009 erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) als höchstes europäisches Gericht die Fremdbesitzverbote für Apotheken in Deutschland und Italien für EU-rechtskonform [1]. Die Begründung des Gerichtshofs entspricht sehr weitgehend den vorherigen Stellungnahmen der Verfasser [2]. Die Protagonisten der besonders in Deutschland vehement vorgetragenen Gegenauffassung haben die Entscheidungen des Gerichtshofs dagegen heftig angegriffen und die eigene, abweichende Bewertung nochmals verteidigt [3]. Weithin übersehen wird so der wegweisende Charakter des Urteils: Der EuGH wiederholt nicht nur die bekannte Floskel, wonach die Mitgliedstaaten frei sind, das Niveau des Gesundheitsschutzes sowie die Art und Weise seiner Erreichung selbst festzulegen. Der Gerichtshof respektiert diese im EG-Vertrag normierte Kompetenz [4] auch realiter, indem er dem nationalen Gesetzgeber einen Wertungsspielraum hinsichtlich der Geeignetheit und Wirksamkeit gesundheitspolitischer Organisationsentscheidungen zubilligt.

Der EuGH erkennt: Nur die Unabhängigkeit der Apotheken kann die Balance zwischen Wettbewerb und Solidarität gewährleisten.
Foto: DAZ/diz

Am 19. Mai 2009 hatte der EuGH über das Schicksal der durch Fremdbesitzverbote geschützten, inhabergeführten Apotheke in Deutschland und Italien zu entscheiden. Die Bedeutung der Urteile reichte aber weit über die nationalen Grenzen hinaus, weil die meisten anderen EU-Staaten ähnliche Regelungen getroffen haben.

Der EuGH erkannte in den einschlägigen Fremdbesitzverboten zwar eine Beschränkung der im EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV, nunmehr Art. 49 AEUV, Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Denn die Verbote behielten den Betrieb von Apotheken approbierten Apothekern vor und schlössen die übrigen Wirtschaftsteilnehmer von der Aufnahme dieser selbstständigen Tätigkeit aus. Der Gerichtshof sah die Beschränkungen aber als gerechtfertigt an, weil sie dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung dienten und nicht über das Maß des hierfür Erforderlichen hinausgingen.

Damit wies der EuGH die besonders in Deutschland mit Nachdruck postulierte Gegenauffassung zurück. Diese hatte das Innenministerium des Saarlandes bewogen, der als Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts verfassten Versandapotheke DocMorris N.V. mit der Begründung eine Apothekenkonzession zu erteilen, das deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken verstoße gegen EU-Recht und müsse deshalb unangewendet bleiben. Auch das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes meinte in dem sich anschließenden einstweiligen Rechtschutzverfahren gegen die Konzession die "offensichtliche Gemeinschaftsrechtswidrigkeit" des Fremdbesitzverbotes zu erkennen, bevor schließlich das Verwaltungsgericht des Saarlandes dem EuGH die Frage im Hauptsacheverfahren zur Vorabentscheidung vorlegte. Parallel hierzu beanstandete die EU-Kommission vor dem EuGH Regelungen des italienischen Apothekenrechts, die u. a. eine Beteiligung von Arzneimittelgroßhändlern an Apotheken untersagen.

Ein erstes Indiz für einen anderen Ausgang beider Verfahren lieferte dann die mündliche Verhandlung vor dem Gerichtshof, die für die Verfechter einer weitgehenden Liberalisierung des Apothekenmarktes ernüchternd verlief. Im Anschluss votierte Generalanwalt Yves Bot in seinen Schlussanträgen nachdrücklich für die Vereinbarkeit der Fremdbesitzverbote mit dem Gemeinschaftsrecht [5].

Die Schlussanträge der Generalanwälte arbeiten die Sach- und Rechtslage des Falles auf und geben dem Gericht eine Entscheidungsempfehlung. Sie binden den Gerichtshof aber nicht. Hierauf vertrauten auch die von der gegenteiligen Ansicht überzeugten Kreise. Sie vertraten ihre Position in der Öffentlichkeit daher weiterhin sehr aggressiv und bezichtigten den Generalanwalt wegen seiner Ehe mit einer Pharmazeutin der Befangenheit.

So ist zu erklären, dass die abschließenden Urteile des EuGH für einen erheblichen Teil der Fachöffentlichkeit – ungeachtet der Schlussanträge des Generalanwalts Bot – überraschend kamen.

Seither haben die Verfechter eines deregulierten Apothekenniederlassungsrechts auch den Gerichtshof heftig kritisiert [6]. Man hält dem Gericht vor, die eigenen Argumente nicht oder unvollständig berücksichtigt zu haben. Die Kritik kulminierte zuletzt in der bemerkenswerten Forderung, dem EuGH die Frage wegen der angeblichen Befangenheit des Generalanwalts einfach noch einmal vorzulegen. Vor diesem Hintergrund wird der wegweisende Charakter der Fremdbesitz-Urteile weithin verkannt.

Ruhe nach dem Sturm? Die Freunde des Fremdbesitzes lassen nicht locker und nehmen die Europarichter ins Visier.
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Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Organisation des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung

Bevor der EuGH in seinem Urteil auf die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die Fremdbesitzverbote und deren Rechtfertigung zu sprechen kommt, stellt er die Weichen für die Prüfung durch seine grundlegenden Ausführungen zu Art. 152 Abs. 5 Satz 1 EGV neu. Nach dieser Vorschrift im EG-Vertrag wird die Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Organisation des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung in vollem Umfang gewahrt.

Der Kompetenzvorbehalt in der bisherigen EuGH-Rechtsprechung

Bisher entsprach es ständiger Rechtsprechung des EuGH, diese im Wortlaut sehr weitreichende Kompetenz der Mitgliedstaaten wieder erheblich zu beschneiden, indem er Organisationsentscheidungen im Einzelfall doch im Lichte der Grundfreiheiten des EG-Vertrags umfassend und detailliert auf ihre "Verhältnismäßigkeit" hin untersuchte. So verkam der stete Hinweis des Gerichts auf den Spielraum der Mitgliedstaaten, das Niveau des Gesundheitsschutzes und die Art und Weise seiner Umsetzung selbst festzulegen, vielfach zu einer bloßen Worthülse ohne praktische Relevanz. Nicht selten erzwang die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit einer bestimmten Regulierungsmaßnahme sogar sehr weit reichende Kurskorrekturen in der Gesundheitspolitik. Denn der selektive Wegfall einzelner "unverhältnismäßiger" Normen erforderte aufgrund vielfältiger und komplexer Wechselwirkungen mit anderen Regulierungsinstrumenten häufig weitere Anpassungen.

Besonders augenfällig wäre die Beschränkung der nationalen Organisationsfreiheit geworden, hätte der EuGH auch das Fremdbesitzverbot für Apotheken für unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit erklärt: Der deutsche Gesetzgeber hat im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherungen und speziell in der Arzneimittelversorgung in den letzten Jahren sukzessive eine eigentümliche Mischung aus Wettbewerb und Solidarität eingeführt. Zahlreiche Reformgesetze zielten darauf, einen Preiswettbewerb auf Herstellerebene zu entfachen und die in Deutschland bestehende Preisgestaltungsfreiheit der Hersteller mit einem möglichst großen Konsumentennutzen zu verbinden. Ein wesentlicher Bestandteil des so etablierten atypischen Wettbewerbs ist die Möglichkeit von individuellen Rabattverträgen zwischen Herstellern und Gesetzlichen Krankenversicherungen, die von den Apotheken im Rahmen erweiterter Substitutionspflichten und -befugnisse umzusetzen sind.

Wie der Gesetzgeber erkannt hat, kann dieses System seine volle Wirkung nur dann entfalten, wenn die Apotheken in der Arzneimittelvertriebskette eine völlig unabhängige Stellung einnehmen und nicht durch verschiedene Einflussnahmeversuche zur Abgabe bestimmter, für sie wirtschaftlich lohnender Arzneimittel veranlasst werden. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber sukzessive eine Fülle von Vorschriften erlassen, um die Neutralität und wirtschaftliche Unabhängigkeit der Apotheken zu stärken. Dazu zählen

  • die Umstellung von § 3 Abs. 1 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) auf Festzuschläge, die die Honorierung der Apotheke vom Preis des Arzneimittels weitgehend entkoppelt,
  • die Verpflichtung der pharmazeutischen Unternehmer durch § 78 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (AMG), einheitliche Abgabepreise zu gewährleisten,
  • das Verbot von Naturalrabatten und die massive Einschränkung von Barrabatten innerhalb der Handelskette für Arzneimittel gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Heilmittelwerbegesetz (HWG) und
  • die Einschränkung sonstiger Marketingstrategien der Hersteller außerhalb des Preiswettbewerbs gegenüber den Kostenträgern.

All diese Vorschriften wären Makulatur gewesen, wenn Apotheken Bestandteil eines vertikal integrierten Konzerns aus pharmazeutischen Herstellern, Großhändlern und Apotheken geworden wären. Denn in einem solchen Fall hätte es keiner Rabatte oder sonstigen Marketinganstrengungen bedurft, um die Apotheken zur bevorzugten Abgabe konzerneigener Präparate zu veranlassen [7]. Unklar erscheint auch, welche Auswirkungen eine solche vertikale Integration in der Arzneimitteldistribution auf die Bereitschaft der Hersteller gehabt hätte, Rabattverträge mit den Kostenträgern abzuschließen [8]. Eine Aufhebung des Fremdbesitzverbots hätte die geltende Organisation der Arzneimittelversorgung in Deutschland daher über die Apothekenstruktur hinaus massiv und grundlegend verändert und die Kompetenzzuweisung des Art. 152 Abs. 5 EGV in einem wichtigen Teilbereich der Gesundheitsversorgung sehr weitgehend ausgehöhlt.

"Wertungsspielraum" der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich von Art. 152 Abs. 5 Satz 1 EGV

Diese Konsequenzen vermeidet der EuGH in seinen Fremdbesitz-Urteilen, indem er die gerichtliche Kontrolldichte im Gesundheitssektor explizit zurücknimmt. Dazu erkennt er den Mitgliedstaaten einen "Wertungsspielraum" im Bereich des Gesundheitsschutzes zu, den er in der anschließenden Verhältnismäßigkeitsprüfung konkretisiert: Die Mitgliedstaaten seien befugt, präventiv Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit als den höchsten Rechtsgütern des EG-Vertrags zu treffen und das zu erreichende Schutzniveau selbst festzulegen. Um ihnen die Möglichkeit zu geben, Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung tatsächlich "weitestmöglich" zu verringern, dürfe ihnen nicht abverlangt werden, hinsichtlich des "Vorliegens und der Bedeutung" dieser Gefahren und hinsichtlich der Eignung und Erforderlichkeit der zur Abwehr dieser Gefahren ergriffenen Maßnahmen vollständigen Beweis zu erbringen. Aufgrund der besonderen Natur von Arzneimitteln gelte dies in besonderer Weise auch für etwaige Gefahren für die sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Kurz gesagt: Das Prinzip "in dubio pro libertate" gilt für sensible Sektoren im Gesundheitswesen nicht (mehr).

Vor einem Jahr: Die Große Kammer des EuGH hat gesprochen – das Fremdbesitzverbot bei Apotheken ist europafest.
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Das Fremdbesitzverbot als gerechtfertigte Niederlassungsbeschränkung

Ausgehend von dieser Neujustierung der gerichtlichen Kontrolldichte im Bereich der Organisation des Gesundheitswesens überrascht das Ergebnis der überprüften apothekenrechtlichen Fremdbesitzverbote kaum: Der EuGH hielt die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit für gerechtfertigt, weil sie den Spielraum nicht überschreite, der den Mitgliedstaaten zuzubilligen sei, um eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Im Rahmen der Begründung diskutiert und verwirft der EuGH dabei in knapper, aber präziser Argumentation die einzelnen gegen die Eignung und Erforderlichkeit des Fremdbesitzverbotes erhobenen Einwände.

Begründung des Gerichtshofs

a) Eignung institutionell unabhängiger Apotheken zur Minimierung von Arzneimittelrisiken

Zunächst verweist der EuGH auf die besonderen Gefahren der nicht sachgemäßen Abgabe und Verwendung von Arzneimitteln, aber auch auf die erhebliche Bedeutung einer geordneten, flächendeckenden Arzneimittelversorgung für die Versorgungssicherheit und die finanzielle Stabilität der GKV. Die Mitgliedstaaten könnten deshalb verlangen, dass Arzneimittel von Apothekern vertrieben werden, die tatsächlich unabhängig seien, und Maßnahmen treffen, die mögliche Beeinträchtigungen dieser Unabhängigkeit beseitigten oder verringerten. Dabei bestreitet der EuGH den immer wieder erhobenen Einwand nicht, dass auch approbierte Apotheker als Inhaber einer Apotheke wirtschaftliche Interessen verfolgen. Allerdings sei die Annahme plausibel, dass Apotheker als Betriebsinhaber eine größere Gewähr für eine unabhängige und an pharmazeutischen Belangen ausgerichtete Betriebsführung bieten als Fachfremde. Insbesondere könnten die Mitgliedstaaten der Auffassung sein, dass im Falle des Apothekenbetriebs durch Hersteller eine absatzorientierte Manipulation des Verkaufs- oder Bevorratungsverhaltens zugunsten unternehmenseigener Produkte drohe.

b) Abschluss einer Haftpflichtversicherung kein milderes, aber ebenso geeignetes Mittel gegenüber dem Fremdbesitzverbot

Der EuGH folgt auch nicht dem Vorbringen, etwaigen Arzneimittelrisiken ließe sich durch den Abschluss einer zivilen Haftpflichtversicherung ebenso wirksam begegnen wie durch die persönliche Haftung des freiberuflichen, approbierten Apothekeninhabers. Die Haftpflichtversicherung decke zwar durch angestellte Apotheker verursachte Schäden ab. Als Mittel der Prävention sei sie aber weniger geeignet.

c) Keine Systemwidrigkeit durch zulässige Verpachtungsmöglichkeiten nach § 13 ApoG und durch die begrenzte Einführung des Filialbesitzes

Bei den Ausnahmen der Vermietung und Verpachtung von Apotheken nach § 13 Apothekengesetz (ApoG) im Falle des Todes des Erlaubnisinhabers handelt es sich nach Auffassung des EuGH um eng begrenzte Ausnahmefälle, die nicht geeignet seien, die Konsistenz der Wertentscheidung des deutschen Gesetzgebers für die Erforderlichkeit des Fremdbesitzverbotes infrage zu stellen.

Gleiches gelte für das Mehrbesitzverbot in Gestalt der Filialbesitzregelung: Das Fremdbesitzverbot sei durch die Ergänzung des Mehrbesitzverbotes um die Filialbesitzregelung nicht systemwidrig eingeschränkt und damit insgesamt inkohärent geworden. So werde der Grundsatz der persönlichen und fachlich verantwortlichen Leitung der Filialapotheken gewährleistet. Die persönliche Verantwortung des Leiters der Stammapotheke werde durch das Gebot der räumlichen Nähe gewahrt und Leiter einer Filialapotheke könne nur ein approbierter Apotheker sein.

d) Keine Übertragbarkeit des EuGH-Urteils zum Fremdbesitzverbot an Augenoptikerbetrieben in Griechenland

Zuletzt verneint der EuGH die Vergleichbarkeit des Fremdbesitzverbotes an Apotheken mit dem Fremdbesitzverbot an Augenoptikerbetrieben, das er im Verfahren C-140/03 [9] als gemeinschaftsrechtswidrig beanstandet hatte: In Anbetracht des besonderen Charakters von Arzneimitteln und der Eigenheiten des regulierten Arzneimittelmarktes ließen sich die Feststellungen im Urteil C-140/03 nicht auf den Bereich des Einzelhandelsvertriebs von Arzneimitteln übertragen. Die aus einer unsachgemäßen Anwendung von Arzneimitteln resultierenden Risiken seien mit denen beim Gebrauch von Optikerprodukten nicht vergleichbar. Zudem führe ein medizinisch nicht gerechtfertigter Verkauf von Arzneimitteln zu einer ungleich größeren Verschwendung öffentlicher Finanzmittel als der nicht gerechtfertigte Verkauf von Optikerprodukten.

Bewertung der Argumentation

Im Rahmen der Prüfung, ob Deutschland und Italien bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen für den Apothekenbetrieb ihren Wertungsspielraum überschritten haben, greift der EuGH alle wesentlichen Gesichtspunkte der Diskussion um die Gemeinschaftsrechtskonformität des Fremdbesitzverbotes auf. Dass der Gerichtshof von der Plausibilität der Gegenargumente nicht überzeugt war, macht die Prüfung – entgegen der insoweit erhobenen Kritik – nicht "unvollständig".

a) Strukturelles Marktversagen im Arzneimittelsektor

Von den Kritikern der Fremdbesitzverbote wurde insbesondere der gesundheitsökonomische Mehrwert eines deregulierten Apothekenmarktes bemüht, der den gesetzlichen Krankenkassen auf Grund niedrigerer Vertriebskosten angeblich Einsparungen von bis zu 2 Mrd. Euro jährlich einbringen sollte. Die prognostizierten Einsparungen waren angesichts der Preisentwicklung in Staaten, die ihr Apothekenwesen liberalisiert haben – auch bereinigt um strukturelle Unterschiede im Vertriebs- und Preisrecht – letztlich aber nicht empirisch nachweisbar [10]. Wettbewerbstheoretisch ist zu beachten, dass sich der Einzelhandel mit Arzneimitteln substanziell von Märkten für andere Konsumgüter unterscheidet. Generelle Annahmen über die Vorteilhaftigkeit des freien Wettbewerbs für eine effiziente Güterallokation und den technisch-organisatorischen Fortschritt gelten für die Versorgung mit Arzneimitteln aufgrund augenscheinlicher Marktfehler allenfalls eingeschränkt: Weder verfügt der Verbraucher/ Patient über die notwendigen Informationen, seinen Bedarf an Arzneimitteln einzuschätzen, noch kann er selbst aus dem verfügbaren Angebot das unter dem Blickwinkel des Preis/Leistungsverhältnisses optimale Produkt identifizieren. Schließlich drohen Mitnahmeeffekte, weil die Kosten für Arzneimittel nicht vom Patienten, sondern im Wesentlichen von den Krankenversicherungen getragen werden.

b) Pharmazeutisch kompetenter Apothekenleiter als Garant für größtmögliche Arzneimittelsicherheit

Nicht überzeugend angreifbar ist weiterhin die Annahme des Gesetzgebers, ein approbierter Apotheker werde als Apothekeninhaber den Apothekenbetrieb in der Regel eher an den Belangen einer qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung ausrichten als ein pharmazeutisch nicht vorgebildeter Dritter. Ohne das Fremdbesitzverbot müsste überdies ein angestellter Apotheker verpflichtet werden, gegenüber seinem pharmazeutisch nicht kompetenten Arbeitgeber die Einhaltung der notwendigen pharmazeutischen Belange zu kontrollieren und gegebenenfalls einzufordern. In der Realität des wirtschaftlich von seinem Arbeitgeber abhängigen Apothekers droht diese Forderung zu einem idealistischen Wunschbild zu verkommen. Auch die insbesondere von der EU-Kommission in Anlehnung an das Augenoptikerbetriebe-Urteil in der Rechtssache C-140/03 vorgeschlagene Aufspaltung der Apotheke in einen "internen" und "externen" Bereich ist in der Praxis keine ebenso wirksame Maßnahme zur Minimierung von Arzneimittelrisiken, weil sie die verzahnten apothekeninternen Betriebsabläufe künstlich aufspaltet. Beispielsweise erfordern die sachgerechte Lagerung sowie die Aktualisierung der Bestände gerade auch im Bereich der Rezepturen pharmazeutische Kompetenz, nicht nur die "externe" Abgabe der Arzneimittel an die Kunden.

c) Ungleichbehandlung der Apotheker gegenüber anderen freien Berufen im Falle der Aufhebung des Fremdbesitzverbotes

Auch der mit Verve erhobene Vorwurf, das Fremdbesitzverbot im Apothekenwesen sei anachronistisch, muss überraschen. Tatsächlich bestehen Fremdbesitzverbote in vielen anderen freien Berufen fort. So existieren für Ärzte, Rechtsanwälte oder Wirtschaftsprüfer Beteiligungsverbote für Fachfremde, deren sachliche Berechtigung zwar bisweilen ebenfalls angezweifelt, letztlich aber auch von der EU-Kommission mit überzeugenden ökonomischen Argumenten bejaht wurde. Das Fremdbesitzverbot für Apotheken entspricht also nicht der Ausnahme, sondern eher der Regel in der Regulierung der freien Berufe. Im Unterschied zu den genannten freien Berufen ist der Apotheker allerdings Kaufmann, bei dem die Dienstleistung anlässlich der Warenabgabe mit vergütet wird. Dies mag besondere Begehrlichkeiten wecken, rechtfertigt die weitgehende Abschaffung des Apothekerberufsbildes jedoch nicht. Im Gegenteil: Gerade wegen der teils kaufmännischen, teils heilberuflichen Tätigkeit sind Schutzvorkehrungen zur Sicherung der unabhängigen Berufausübung besonders dringlich, um den Gefahren entgegenzuwirken, die eine schrankenlose Kommerzialisierung für die Gesundheit und die Effizienz der Arzneimittelversorgung haben kann. Zweifelhaft kann allenfalls sein, ob die professionelle Unabhängigkeit des Apothekers zwingend ein generelles Verbot von Kapitalgesellschaften erfordert, selbst wenn ausschließlich Apotheker Gesellschafter sind und persönlich die Geschäfte leiten.

d) Innere Stimmigkeit des deutschen Regelungsgefüges

Weiterhin zieht auch die Möglichkeit der Verpachtung der Apotheke die ordnungssystematische Kohärenz des Fremdbesitzverbotes nicht in Zweifel. Die Verpachtung und Verwaltung nach §§ 9, 13 ApoG sind auf eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt. Sie folgen gerade aus dem Prinzip der inhabergeführten Apotheke, welche regelmäßig die wirtschaftliche Existenzgrundlage des Apothekers und seiner Angehörigen bildet.

e) Keine Übertragbarkeit des Optikerbetriebe-Urteils in der Rechtssache C-140/03

Schließlich ist mit dem EuGH auch die Übertragbarkeit des EuGH-Urteils zum Fremdbesitzverbot an Augenoptikerbetrieben in Griechenland abzulehnen. Das OVG Saarland, Teile der Literatur sowie die EU-Kommission hatten sich besonders auf die Vergleichbarkeit der Fälle gestützt und die vom EuGH in jenem Urteil festgestellte Unverhältnismäßigkeit des Fremdbesitzverbots für Augenoptiker ohne Weiteres auf Apotheken übertragen.

Der Unterschied zu Augenoptikern besteht jedoch zunächst darin, dass der Apotheker im deutschen, aber auch im italienischen Gesundheitswesen zahlreiche gemeinwohlbezogene Aufgaben zu erfüllen hat, die über die direkte gesundheitsbezogene Fürsorgepflicht gegenüber dem einzelnen Patienten hinausreichen und eine völlige Unabhängigkeit von anderen Akteuren im Gesundheitswesen voraussetzen. Neben den Kontroll- und Meldepflichten im Rahmen der Pharmakovigilanz zählt hierzu vor allem die Umsetzung von Kostensenkungsstrategien im Rahmen des eigentümlichen "sozialen Wettbewerbs" im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung. Ein Beispiel bilden die weitreichenden Substitutionsbefugnisse der Apotheken für verschreibungspflichtige Arzneimittel gemäß § 129 Abs. 1 SGB V bei der Umsetzung von Rabattverträgen, dem Einsatz von Reimporten etc. All diese Pflichten hätten durch die zentral gesteuerte Einflussnahme einer Unternehmensleitung auf das Abgabeverhalten in den Filialen der Apothekenkette erheblich beeinträchtigt werden können.

Mit Recht weist der EuGH darauf hin, dass der Einzelhandel mit optischen Produkten nicht mit dem Arzneimittelmarkt vergleichbar ist: Zum einen kann der Patient relativ zuverlässig die Qualität von Sehhilfen bewerten. Zum anderen sind Sehhilfen aus dem Leistungsprogramm der GKV für Erwachsene weitgehend ausgenommen. Der nachfragende Konsument muss für die Kosten seiner Sehhilfen also selbst aufkommen und verfügt damit über ein Preisbewusstsein, das ihm bei Arzneimitteln weitgehend fehlt.

Kein Apothekeneinheitssystem in Europa:

Der EuGH stärkt die Rechte der Mitgliedstaaten.

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Resümee

Durch die Anerkennung eines nur eingeschränkt kontrollierbaren Wertungsspielraums der Mitgliedstaaten im Bereich der Gesundheitspolitik gewinnen die EuGH-Urteile zum Fremdbesitzverbot Bedeutung weit über die konkreten Fälle hinaus. Der Gerichtshof hat sich von Bestrebungen distanziert, auch die sozial- und gesundheitspolitischen Entscheidungen der Mitgliedstaaten detailliert anhand der EU-Grundfreiheiten zu überprüfen und im Wege der "negativen Integration" anzugleichen. Beschränkungen der Grundfreiheiten, die dem Gesundheitsschutz dienen, sind nur noch unverhältnismäßig, wenn sie die Grenzen des den Mitgliedstaaten zustehenden Wertungsspielraums hinsichtlich der drohenden Gefahren und der Wirksamkeit der getroffenen Gegenmaßnahmen überschreiten.

Für die konkrete Fragestellung bedeutet dies, dass der Versuch gescheitert ist, die gesundheitspolitische Entscheidung gegen einen unbegrenzten Fremd- und Mehrbesitz von Apotheken zu überwinden und den Weg für die Bildung von Apothekenketten und vertikal integrierten Arzneimittelvertriebsunternehmen auf juristischem Wege frei zu machen. Das tradierte, durch das Fremdbesitzverbot und das gelockerte Mehrbesitzverbot geprägte Berufsbild des Apothekers in seiner Apotheke ist damit auf lange Sicht "europarechtsfest", sofern nicht der nationale Gesetzgeber die Konsistenz des apotheken- und arzneimittelrechtlichen Regelungsgefüges durch selektive Eingriffe infrage stellt.

Quellen [1] Zum deutschen Fremdbesitzverbot: EuGH, Urt. v. 19.5. 2009, verb. Rs. C-171/07 und C-172/07 – Apothekerverband des Saarlandes u.a., abgedruckt u.a. in A&R 2009, 124 ff.; NJW 2009, 2112 ff.; zum italienischen Fremdbesitzverbot: EuGH, Urt. v. 19.5.2009, Rs. C-531/06 – Kommission/Italien. [2] Mand, WRP 2008, 906 ff.; Burk, Die Funktionen der unabhängigen Apotheke für die Arzneimittelversorgung der GKV und das Fremd- und Mehrbesitzverbot, Baden-Baden 2008, 237 ff.; Dettling/Mand, Fremdbesitzverbote und präventiver Verbraucherschutz, Stuttgart 2006, passim; Mand, APR 2008, 45 ff. und 61 ff.; ebenso Dettling, A&R 2006, 99 ff.; Schwarze, Rechtsgutachtliche Stellungnahme im Auftrag der ABDA zu den Rückwirkungen des EuGH-Urteils C‑140/03 auf das deutsche Apothekenrecht, 2005; Saalfrank/Wesser, A&R 2008, 60 ff. [3] Herrmann, EuZW 413 (414 f.); Streinz, JuS 2009, 1034 f.; Hönighaus, Urteil mit Beigeschmack und Nebenwirkungen, Financial Times Deutschland, ftd.de, 19.5.2009; s.a. Martini, NJW 2009, 2116. [4] Art. 152 Abs. 5 EGV und – nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags – Art. 167 Abs. 7 AEUV. [5] GA Bot, Schlussanträge v. 16.12.2008, verb. Rs. C-171/07, C-172/07, Rn. 4 – Apothekerkammer des Saarlandes u.a., und v. 16.12.2008, Rs. C-531/06 – Kommission/Italien. Zu den Schlussanträgen vgl. die Anmerkung von Burk, A&R 2009, 10 ff. [6] Herrmann, EuZW, 413 ff.; Kamann/Gey/Kreuzer, PharmR 2009, 320 ff.; Kaeding, APR 2009, 89 ff.; Martini, NJW 2009, 2116; Streinz, JuS 2009, 1034 ff.; Sonder, APR 2009, 143 ff. [7] Mand, WRP 2008, 906 (916 ff.); Burk, a.a.O., 284 f. [8] Mand, WRP 2008, 906 (914 f.); ders., APR 2008, 61 (70); Mand/Burk, A&R 2008, 107 (109 ff.); Burk, a.a.O., 52 ff. [9] EuGH, Rs. C-140/03, Slg. 2005, I-3177 – Kommission/Griechenland. [10] Österreichisches Bundesinstitut für Arzneimittel, Community Pharmacy in Europe, 2006, S. 51; Burk, a.a.O., 125 ff. m.w.N.; a.A. Glaeske, zit. in Schultz, Verbot von Pillen-Discountern empört Ökonomen, spiegel-online.de, 19.5.2009; Martini, NJW 2009, 2116.

 


Autoren

 

Prof. Dr. Elmar Mand LL.M. (Yale)

 

Philipps-Universität Marburg

 

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