Gesundheitspolitik

Ausschlussfrist in Arzneiliefervertrag rechtswidrig

LSG Celle: Retaxation wegen verspäteter Zahlung unzulässig

Berlin (ks). Auch bei einer verspäteten Rechnungslegung gegenüber einer Krankenkasse muss ein Apotheker nicht zwingend leer ausgehen. Dies gilt selbst dann, wenn der einschlägige Arzneiliefervertrag eine Bestimmung enthält, derzufolge bei Versäumung der Frist ausdrücklich der Anspruch auf Bezahlung entfällt. Denn nach einem aktuellen Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ist eine solche Vereinbarung nämlich verfassungswidrig, wenn sie keine Ausnahmetatbestände vorsieht. Das letzte Wort wird jedoch das Bundessozialgericht haben. (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 31. August 2011, Az.: L 1 KR 432/09)

Im zu entscheidenden Fall hatte ein Apotheker über sein Rechenzentrum im August 2007 unter anderem Rezepte bei einer Krankenkasse eingereicht, die den 2. Mai 2007 als Datum der Leistungsabgabe verzeichneten. Etwa 7 Monate später beanstandete die Kasse die Verordnungen unter Berufung auf § 8 Abs. 1 des zwischen dem Landesapothekerverband Niedersachsen und den Primärkassen abgeschlossenen Arzneiliefervertrages (ALV). Darin heißt es: "Die Rechnungslegung sowie die Weiterleitung der Original-Verordnungsblätter erfolgt jeweils für einen abgeschlossenen Kalendermonat … bis spätestens 2 Monate nach Ablauf des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgte. … Andernfalls entfällt der Anspruch auf Bezahlung.". Der Apotheker legte Einspruch gegen die Beanstandung ein, die Kasse wies diesen zurück und rechnete den Betrag mit späteren Forderungen des Apothekers auf. Daraufhin erhob der Apotheker Klage vor dem Sozialgericht Hannover. Dabei stützte er sich unter anderem auf ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2006 (BSG – Az.: B 3 KR 7/06 R), demzufolge ein Apotheker, der ärztliche Arzneimittelverordnungen nach Ablauf der vereinbarten Frist bei der Krankenkasse einreicht, nicht seinen Vergütungsanspruch verliert. Das Sozialgericht wies die Klage dennoch mit Gerichtsbescheid ab. Es argumentierte, die im ALV geregelte Zwei-Monatsfrist sei abgelaufen. Aufgrund des eindeutigen Wortlautes der Bestimmung sei der Vergütungsanspruch entfallen. Die vom Kläger genannte BSG-Entscheidung sei nicht einschlägig, da dort zwar der Verlust des Vergütungsanspruchs aufgrund der Regelung des dortigen ALV für rechtswidrig gehalten worden sei, es sich jedoch um den ALV eines anderen Landesapothekerverbandes gehandelt habe, in dem der Wegfall des Vergütungsanspruchs gerade nicht ausdrücklich geregelt gewesen sei. Gerade aufgrund dieser Entscheidung hatten einige Apothekerverbände ausdrückliche Regelungen zur Rechtsfolge des Anspruchsfortfalls aufgenommen.

In der zweiten Instanz vor dem LSG bekam der klagende Apotheker nun jedoch recht. Der erkennende Senat ist der Überzeugung, dass § 8 Abs. 1 ALV rechtswidrig ist und gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) verstößt. Dies folge daraus, dass die von den Vertragspartnern vereinbarte Bestimmung keine Ausnahmetatbestände enthält. Grundsätzlich handele es sich bei Abrechnungsvorschriften wie dieser um Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit des Apothekers. Diese sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur zulässig, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Schon Ersteres bezweifeln die Celler Richter angesichts der rein fiskalischen Zielrichtung der Bestimmung. Allerdings sahen sie sich nicht veranlasst hierüber zu entscheiden – denn auf jeden Fall sei die Vereinbarung der Ausschlussfrist ohne Ausnahmetatbestände unverhältnismäßig.

Dabei schloss sich der erkennende Senat der Rechtsprechung des BSG an. Danach greift eine Ausschlussfrist für Abrechnungen jeweils dann unverhältnismäßig in die Berufsausübungsfreiheit ein, wenn sie zum vollständigen Ausschluss des jeweiligen Abrechnungsvolumens führt und keinerlei Ausnahmefälle zulässt. Als solche Ausnahmefälle müssen dem BSG zufolge etwa geringfügige oder nicht vermeidbare Fehler des Apothekers, seiner Mitarbeiter oder eines eingeschalteten Rechnungszentrums sowie etwaige EDV-Software-Fehler, die nicht erkannt werden, in Rechnung gestellt werden. Dies gelte vor allem vor dem Hintergrund, dass die Abrechnungsvorschriften der Apotheker Sammelabrechnungen in einem jeweils hohen Wert vorsehen. Bei Fehlen von Ausnahmetatbeständen stehe damit viel auf dem Spiel und es könnte eine Existenzgefährdung ausgelöst werden. Die damit verbundene vollständige Vernichtung wirtschaftlicher Existenz von Apothekern oder Vertragsärzten auch bei nur geringfügigen Fehlern der Abrechnung sei unverhältnismäßig. Aus Sicht des LSG hätten der Kasse vorliegend mildere Mittel zur Verfügung gestanden, etwa eine Verwarnung, eine Vertragsstrafe oder prozentuale Abschläge. Ausdrücklich betonen die Landessozialrichter, dass es unerheblich sei, ob die Rechtsfolge nun ausdrücklich geregelt ist – wie vorliegend – oder aus dem Wortlaut hergeleitet werden muss – wie in älteren ALV-Fassungen und im angeführten BSG-Urteil. Egal ob niedergeschrieben oder nicht: ohne Ausnahmetatbestände sei die Ausschlussfrist des Vergütungsanspruch generell verfassungswidrig.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat das LSG die Revision zum BSG zugelassen. Dort ist der Rechtsstreit bereits anhängig (Az.: B 1 KR 16/11 R).



AZ 2011, Nr. 43, S. 2

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