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Medizin
Unterkühlung und Erfrierung
Akzidentelle Unterkühlung
Als akzidentelle Unterkühlung wird ein nicht intendiertes Absinken der Körperkerntemperatur unter 35 °C bezeichnet. Der Wärmeverlust kann durch Konduktion entstehen (direkter Kontakt mit kalter Oberfläche, z. B. Schnee, durchnässte Kleidung), durch Konvektion (kalte Umgebung, Luftzug, Wind) oder durch Evaporisation (Verdunstungskälte bei nasser Haut).
Die Auskühlung ist daher nicht nur ein Resultat der physikalisch messbaren Kältegrade, sondern auch aus oft gleichzeitig wirksamen Faktoren wie Luftfeuchtigkeit und Wind, die den Temperaturverlust extrem beschleunigen können, dem sogenannten Wind-Kälte-Faktor. Dabei verliert der Körper beispielsweise bei -10 °C und Windstille weniger Wärme als bei +10 °C und einer Windgeschwindigkeit von 30 km/h.
Von der akzidentellen Unterkühlung abzugrenzen ist die Durchführung einer kontrollierten therapeutischen Hypothermie, etwa bei bewusstlosen erwachsenen Patienten mit Rückkehr der Spontanzirkulation nach überlebtem Herzstillstand bei Kammerflimmern (für 12 bis 24 Stunden auf 32 bis 34 °C).
Symptome, Diagnostik
Die Symptome bei Unterkühlung äußern sich variabel und lassen im Einzelfall keine sicheren Rückschlüsse auf die tatsächliche Körpertemperatur zu. Am stärksten betroffen sind das zentrale Nervensystem und das Herz-Kreislauf-System. Anhaltende Hypothermie resultiert in einer verlangsamten Depolarisation der kardialen Schrittmacherzellen mit nachfolgender Bradykardie oder Bradyarrhythmie und einer zunehmenden Flimmerbereitschaft des Myokards.
Fällt die Kerntemperatur unter 30 °C, kann mit dem Sistieren des Kältezitterns gerechnet werden, gleichzeitig droht die zunehmende Rhythmusinstabilität bzw. ein Herz-Kreislauf-Stillstand. Die Bewusstlosigkeit tritt zumeist zwischen 33 °C und 27 °C ein, die elektrische Aktivität des Gehirns wird abnormal. Die Einteilung der Unterkühlung in drei Schweregrade mit entsprechender Symptomatik zeigt Tabelle 1. Die klinische Untersuchung in Bezug auf Bewusstsein, Kreislauf, Atmung leitet sich primär aus den in Tabelle 1 genannten Symptomen ab.
Inspektorisch und palpatorisch achtet man auf eine kalte, zyanotische, marmorierte Haut (Achselhöhle!), gegebenenfalls auch auf lokale Erfrierungen. In Bezug auf die Diurese ist mit einer Oligurie oder sogar Anurie zu rechnen. Die (kontinuierliche!) Messung der Körperkerntemperatur sollte mit einer Messsonde rektal oder ösophageal erfolgen, bei liegendem Katheter auch in der Blase.
Im EKG lassen sich je nach Schweregrad folgende Störungen ableiten:
Sinusbradykardie mit zunehmender Verlängerung des PR-Intervalls, QRS-Komplexes und QT-Intervalls; Vorhofflimmern, Bradyarrhythmie; Kammerflimmern, Asystolie.
Oft kommt es zu einer hypothermiespezifischen Anhebung des J-Punktes (am Übergang des QRS-Komplexes zur ST-Strecke), die an die Form eines Kamelhöckers erinnert. Diese sog. "Osborn-Wave" vergrößert sich mit zunehmender Hypothermie signifikant, kann jedoch in Einzelfällen auch bei Sepsis oder Myokardischämie gesehen werden (Abb. 1).
Vorsicht bei NotfallmaßnahmenGefahr des Kammerflimmerns durch:
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Laborchemisch sollten vor allem folgende Parameter untersucht werden:
Blutbild (Hämatokrit, Hämoglobin), Blutzucker, Kreatinin, Elektrolyte (Natrium, Kalium); differenzialdiagnostisch sollte auch der Blutalkoholgehalt gemessen und ein Drogen-Screening im Urin durchgeführt werden.
Prognostisch von Bedeutung kann eine Hyperkaliämie sein: bei einem Serumkalium ≥ 10 mmol/l muss mit einer infausten Prognose gerechnet werden.
In der arteriellen Blutgasanalyse zeigt sich eine metabolische Laktazidose als Folge der verminderten Gewebeperfusion bzw. eine respiratorische Azidose aufgrund der Bradypnoe.
Differenzialdiagnostisch muss der unterkühlte Patient sowohl auf Begleitverletzungen (Schädel-Hirn- bzw. Polytrauma) als auch auf Begleiterkrankungen untersucht werden (Vergiftung, Schlaganfall, Herz-Kreislauf-Notfall, Hyperglykämie bzw. hypoglykämischer Schock).
Notfallmanagement bei Unterkühlung
Bereits vor stationärer Aufnahme sollte dafür gesorgt werden, dass der unterkühlte Körper sich langsam spontan erwärmt. Zu den Maßnahmen der passiven Erwärmung gehören:
Schutz vor weiterer Auskühlung durch das Entfernen nasser/kalter Kleidung,
Lagerung in einem geheizten Raum,
trockenes Zudecken.
Beim Schutz vor weiterem Wärmeverlust darf keinesfalls der Kopf des Patienten vergessen werden, da ein gewisser Prozentsatz der körpereigenen Wärmeproduktion auch über die "Kopfoberfläche" verloren geht (bei Kindern bis zu 70%).
Bei Bedarf sollte zusätzlich eine aktive äußere Aufwärmung durchgeführt werden:
Zudecken mit angewärmten Tüchern (bewirkt eine Temperaturerhöhung von ca. 0,8 bis 1 °C pro Stunde),
Bestrahlung mit einer Wärmelampe (cave Hautverbrennungen!),
direkter Hautkontakt zwischen Helfer und Betroffenem.
Besteht eine schwere Hypothermie unter 30 °C, sind Maßnahmen der aktiven internen Aufwärmung indiziert:
intravenöse Infusion über Infusionswärmer (Kristalloidlösung [43 bis 65 °C, ohne Laktatzusatz], bewirkt eine Temperaturerhöhung von ca. 0,4 bis 2,9 °C pro Stunde),
O2-Applikation (angewärmt [42– 46 °C] und angefeuchtet),
Magen-Darm-Spülung mit angewärmter physiologischer Kochsalzlösung,
warme Peritoneallavage (cave: kein Zusatz von KCl).
Bei hypothermen Patienten mit Kreislaufstillstand kann ein extrakorporaler Kreislauf angelegt werden: Die Gabe von 2 bis 3 Liter oxygeniertem und 38 bis 40 °C warmem Blut bewirkt eine Erhöhung der Körperkerntemperatur von ca. 15 °C pro Stunde.
Zum Ablauf der Maßnahmen bei Unterkühlung in Abhängigkeit von der Körperkerntemperatur bzw. der Vitalfunktionen siehe Algorithmus in Abb. 2.
Lokale Erfrierungen
Exogene Kälteeinwirkungen senken die Körpertemperatur und veranlassen über die Thermoregulation durch Vasokonstriktion eine Absenkung der Durchblutung der Haut und der Extremitäten.
Nachfolgend kommt es in den minderversorgten Bereichen vor allem der Körperperipherie zu unterschiedlich schweren Gewebeschädigungen. Determinierend für den Schweregrad der Läsion sind Faktoren wie absolute Kälte, Expositionszeit, (Luft-) Feuchtigkeit, Windeinwirkung, Immobilisation, Erschöpfungsgrad und Hypoxie; den pathophysiologischen Ablauf zeigt Tabelle 2. Betroffen sind meist die Finger bzw. Hände, die Zehen bzw. Füße, die Nase und/oder Ohren.
Symptome, Diagnostik
Bei leichten Erfrierungen ist die Haut weiß und unempfindlich. Durch Wärmezufuhr lässt sich eine Normalisierung der Durchblutung innerhalb von Minuten erreichen, einhergehend mit Parästhesien, Rötung und Schmerz.
Eine schwere oberflächliche Erfrierung geht mit weißer gefrorener Haut mit wachsartigem Aspekt einher, wobei das darunterliegende Gewebe noch elastisch ist. Nach Wiedererwärmung kommt es zu Zyanose, Schwellung, Schmerzen, Blasenbildung und den sogenannten Frostbeulen. Bei Einriss der Blasen droht eine Infektion, da Bakterien über die offene Wundfläche in das geschädigte Gewebe eindringen können.
Bei schwerer tiefer Erfrierung zeigt sich bis zum Knochen durchgefrorenes Gewebe, die Konsistenz des betroffenen Körperteils ist hart – das eigentliche Ausmaß lässt sich erst nach Tagen oder Wochen feststellen. Nach Auftauen kommt es zur Blasenbildung mit Ödem, die Haut bleibt zunächst kalt. Die Ausbildung einer Nekrose mit schwarzer eingetrockneter Haut und hartem Unterhautgewebe ist häufig, die Übergangszone zum gesunden Gewebe kann äußerst schmerzhaft sein, hier bildet sich nach Wochen bis Monaten eine sogenannte Demarkationsfurche aus.
Zum WeiterlesenNotfälle: Wiederbelebung bei Herz-Kreislauf-Stillstand. DAZ 2010, Nr. 49, S. 76 – 79. www.deutsche-apotheker-zeitung.de |
Klinisch erhebt man den Lokalbefund (Palpation bzw. Doppler-Untersuchung der Pulse, Umfangsmessung und Sensibilitätsprüfung an der betroffenen Extremität, Temperaturstufe im Übergangsbereich zwischen kältegeschädigter und normal perfundierter Region). Eine generalisierte Hypothermie ist unbedingt auszuschließen (Messung der Körperkerntemperatur).
Notfallmanagement bei lokalen Erfrierungen
Prästationär können leichte Erfrierungen durch aktive Bewegung, externe Wärmezufuhr (Wärmflasche, "Kameradenwärme") behandelt werden, hingegen sollten schwere Erfrierungen erst unter klinischen Bedingungen aufgetaut werden:
Erwärmen mit warmen Tüchern oder im Wasserbad (37 bis 41 °C, mindestens 30 Minuten oder bis aufgetaut).
Eine Analgesie ist notwendig, da das Auftauen schwerer Erfrierungen extrem schmerzhaft ist (z. B. Morphin 2 mg i. v. fraktioniert bis ca. 10 mg).
Lokale Therapie (Desinfektion, steriler Verband, Vermeiden jeglicher Druckschädigung).
Rheologische Maßnahmen, wenn trotz Erwärmen die Durchblutung marginal bleibt (z. B. isovolämische Hämodilution, Sympathikusblockaden, Verbesserung der Mikrozirkulation durch Prostaglandingabe, Heparinzufuhr).
Ödemprophylaxe durch Hochlagerung der Extremität.
Zu den weiteren medikamentösen Maßnahmen gehören die Tetanusprophylaxe sowie die Blockade von Entzündungsmediatoren (z. B. durch Ibuprofen).
Zeichen erfolgreicher therapeutischer Maßnahmen sind eine stufenweise Rötung der Haut, zumeist verbunden mit einer sukzessiven Rückkehr der Sensibilität (und zunehmender Schmerzempfindung).
Cave:
Die Therapie der akzidentellen generalisierten Hypothermie hat absolute Priorität vor der Behandlung lokaler Gewebeschäden!
- Bei erneuter Kälteexposition droht jederzeit das erneute Wiedergefrieren des betroffenen Gewebes!
Quelle
Ummenhofer, W: Kälteschäden. In: Schoenenberger RA, Haefeli WE, Schifferli J (Hrsg): Internistische Notfälle. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York (2009).
Nowak, D: Erkrankungen und Beeinträchtigungen durch physikalische Einwirkungen. In: TIM Thiemes Innere Medizin. Stuttgart, New York: Georg Thieme Verlag (1999).
Edelstein JA, et al.: Hypothermia – eMedicine Emergency Medicine (200). http://emedicine.medscape.com/article/770542-print.
Krantz MJ, Lowery CM: Giant Osborn Waves in Hypothermia. N Engl J Med 352: 184 (2005).
Biedermann H: Klinische Therapie der örtlichen Erfrierung. www.alpinmedizin.org.
Autor
Clemens Bilharz, Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin, Stuttgart
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