DAZ aktuell

Schluss mit lustig?

Oder: Warum Apotheker Fehldokumentationen vornehmen …
Foto: DAZ/Reimo Schaaf
Uwe Hüsgen

Man mag es nicht glauben. Da wird der Wirkstoff Metoprololsuccinat ärztlich verordnet, und seitens der Apotheken wird im Juni des Jahres auf den Rezepten mehr als 30.000 Mal dokumentiert, dass ein Präparat eines bestimmten Herstellers, das bis heute noch gar nicht auf dem deutschen Markt verfügbar ist, zulasten der AOK abgegeben worden sein soll.

Der finanzielle Schaden, sicher nicht unbeträchtlich, wird zu beheben sein. Wichtiger aber ist, welche Konsequenzen der Berufsstand aus diesem Imageschaden, GAAU (größter anzunehmender Apotheken-Unfall) ziehen wird. Lassen sich die Apotheker weiter als "akademische Schubladenzieher" darstellen und versuchen, den jetzt entstandenen Schaden (auch finanziell) zu begrenzen? Lassen sie sich weiter als tapsiger Bär, mit dem Ring durch die Nase, öffentlich vorführen? Oder werten sie diese "Fehldokumentationen" als Signal zum Aufbruch, zum Aufbruch zwecks Übernahme von mehr Verantwortung im System? (Wobei zur Verantwortung auf der anderen Seite der Medaille die Haftung gehört!)

Mit diesen "Fehldokumentationen" jedenfalls wird dargestellt, dass (einzelne?) Apotheker es mit der Arzneimittelsicherheit und Versorgungsqualität in Deutschland, für die sie (ein-) zu stehen haben, offensichtlich nicht so genau nehmen. Denn die Dokumentation dient ja nicht nur der korrekten Ab-rechnung (zwischen Krankenkasse und Apotheke, sondern auch zwischen Krankenkasse und pharmazeutischem Unternehmen [vgl. § 130a SGB V]). Mit der Auftragung der Pharmazentralnummer (PZN) auf das Verordnungsblatt wird mehr noch sichergestellt, dass bei dem (hoffentlich nie eintretenden) Fall eines dringend notwendigen Rückrufs eines Arzneimittels beim Versicherten (z. B. wegen Lebensgefahr) der Patient unverzüglich ausfindig gemacht werden kann. Deshalb dürfte allein schon aufgrund der aus gesundheitspolitischer Sicht schützenswerten Güter Arzneimittelsicherheit und Versorgungsqualität kein Apotheker statt der PZN des abgegebenen Arzneimittels eine andere PZN auf das Rezeptblatt aufdrucken!

Warum tun Apotheker aber so etwas?

  • Damit der Patient sein bewährtes Präparat weiter erhält,
    • aus Marketing-Gründen, um sich gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil zu verschaffen?
    • aus Gründen der Versorgungsqualität des Versicherten, ohne dass der Apotheker zu seinem Verhalten (seinem Patienten!) steht?
    • aus Bequemlichkeit (oder Dummheit)?

  • Aus wirtschaftlichen Gründen,
    • z. B. aus Angst vor dem Kassenregress?
    • Aus Gründen der (augenscheinlichen) Rentabilitätsoptimierung?

Bis auf das unredliche Marketingverhalten einzelner, das im Zusammenspiel von Krankenkassen und Apothekerverbänden zeitnah und konsequent sanktioniert werden sollte, muss man den so agierenden Apothekern mangelndes Selbstvertrauen attestieren! Und dieses mangelnde Selbstvertrauen führt zu einem großen Vertrauensverlust der Politik, der Ärzte, der Krankenkassen, und letztlich der Bevölke-rung, in die verantwortliche Arbeit der Apotheken (Es stellt sich an dieser Stelle die sicher provokante Frage, ob etwa der Vertrag über einen Arzneimittel-Check zwischen der AOK Rheinland/Hamburg und den Hamburger Hausärzten bereits Ergebnis dieses mangelnden Vertrauens in die öffentlichen Apotheken sein könnte). Deshalb müssen die Apotheker (lernen,) sich ihrer Verantwortung (zu) stellen und Fehlentwicklungen, wie sie die Gesetzgebung zu den Rabattverträgen (nach § 130a SGB V) mit allen ihren gesetzgeberischen und auch vertraglichen (!) Verpflichtungen für die öffentlichen Apotheken darstellen, konsequent und ungeschönt (zu) dokumentieren. Verbunden mit der Aufforderung an den Gesetzgeber nach praxistauglichen Änderungen! (Der Beitrag in AZ Nr. 30/31 vom 25. 7. 2011 "Der alltägliche Wahnsinn" mag als Beispiel dienen!) Warum z. B. erhalten die Krankenkassen für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel den Herstellerabschlag (zunächst) von den Apotheken, und warum muss dieser über die Rechenzentren mit den Herstellern verrechnet werden (vgl. § 130a Abs. 1 und 2 SGB V), während die Rabatte für rabattbegünstigte Arzneimittel (nach § 130a Abs. 8 SGB V) direkt zwischen den Krankenkassen und den pharmazeutischen Unternehmen verrechnet werden? Und warum z. B. lassen sich Apotheken in Verträge pressen, in denen die Rangfolge "Arzneimittelsicher-heit geht vor Versorgungsqualität, und Versorgungsqualität geht vor Wirtschaftlichkeit" nicht eingehalten wird?

Wenn sich die Apotheken allerdings weiter zwingen lassen, gesetzgeberische und vertragliche Vorgaben "per Dokumentation" zu erfüllen, indem sie gerade in der Praxis gegen diese Vorschriften verstoßen (müssen), werden sie aufgrund der damit zwangsläufig verbundenen (auch) wirtschaftlichen Talfahrt in einen Teufelskreis geraten, aus dem es kaum ein Entrinnen geben wird. Denn welcher verantwortliche Gesundheitspolitiker sollte angesichts der dargestellten Fehldokumentationen noch den Apotheken (ver)trauen (z. B. das Patienten-orientierte ABDA-KBV-Modell umsetzen zu wollen)? Mit ihrem Verhalten spielen diese fehldokumentierenden Apotheker vielmehr den Gegnern des bis heute bewährten Arzneimittelversorgungssystems in die Karten:

  • Die Rezeptauswertung belegt, dass es bei der Umsetzung der Rabattverträge (nach § 130a Abs. 8 SGB V) so gut wie zu keinen Problemen (weder in den Apotheken, mit Blick auf die Verfügbarkeit; noch mit Blick auf die Akzeptanz bei den Versicherten) kommt!

  • Der Arbeitsaufwand in den Apotheken zwecks Umsetzung der Rabattverträge ist andererseits, das beweisen die Fehldokumentationen, ökonomisch zu vernachlässigen!

  • Kommt es zu nachweisbaren Fehldokumentationen (nach § 130a, sowohl Abs. 1 und 2, als auch Abs. 8 SGB V), haftet der Verursacher, die Apotheke!

  • Und im Prinzip könn(t)en dies auch andere (z. B. Pick-up-Stellen) zumindest ebenso gut! Insbesondere, weil bei den großen ausländischen Arzneimittelversendern solche "Fehldokumentationen" (vermutlich) nicht zu registrieren sind.

Wenn die Basis (einschließlich der Apothekerverbände) jetzt nicht nachhaltig aktiv wird, um diesem unsäglichen Verfahren ein Ende zu bereiten, wird die öffentliche Apotheke ihre ihr (noch) zugestandene Stelle in unserem Gesundheitswesen als letzte, kompetente Kontrollinstanz vor der Einnahme des Arzneimittels durch den Patienten kaum halten können.

Schluss mit lustig!


Uwe Hüsgen


Dipl.-Math. Uwe Hüsgen, Unternehmensberater, langjähriger Geschäftsführer des Apothekerverbandes Nordrhein e. V., E-Mail: uwe.huesgen@web.de



DAZ 2011, Nr. 31, S. 22

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