Seite 3

Krieg und Frieden

Peter Ditzel

Zurzeit herrscht Frieden. Wirklich? Die AOK hat sich bereit erklärt, bei der sechsten Rabattrunde die vereinbarte Friedenspflicht mit dem Deutschen Apothekerverband bis zum 31. August zu verlängern. Wie schon so oft bei den Rabattverträgen gibt es Anlaufschwierigkeiten, die Generikahersteller können die Rabattarzneimittel nicht liefern. Ursprünglich war die Friedenspflicht nur bis zum 31. Juli vereinbart worden, doch für die Hersteller war diese Zeit zu kurz: Mit einigen Generikaherstellern wurde der Rabattvertrag erst im Mai abgeschlossen. Sie konnten ihre Produktion nicht so kurzfristig hochfahren.

Friedenspflicht. Für die Apotheken bedeutet dies, sie dürfen ohne umfangreiche Dokumentation ein anderes preisgünstiges vergleichbares Präparat als das verordnete abgeben, ohne eine Retaxation befürchten zu müssen. So weit die gute Nachricht.

Friedenspflicht – aber Friedenspflicht bedeutet nicht, dass die Apotheke ein Präparat als abgegeben dokumentiert und aufs Rezept druckt, das noch gar nicht lieferbar ist. Aktuell: Allein im Juni sollen Apotheken rund 30.000 Rezepte, mit denen Metoprololsuccinat von Betapharm verordnet wurde, als geliefert bedruckt haben – nur: das Präparat war zu dieser Zeit gar nicht verfügbar. Für den Hersteller Betapharm hatte dies Konsequenzen. Er soll den Herstellerrabatt bezahlen, obwohl sein Präparat gar nicht abgegeben werden konnte.

Warum Apotheken dies so handhabten, darüber kann nur spekuliert werden (siehe auch den Gastkommentar von Uwe Hüsgen in unserer letzten Ausgabe, DAZ 31, S. 22, und die Leserbriefe dazu in dieser Ausgabe auf Seite 66 und Seite 69). Wohlwollend kann man davon ausgehen, dass es in den meisten Apotheken wohl kein böser Vorsatz war, sondern der Alltagsroutine beim Beliefern von Rabattarzneimitteln geschuldet ist: Das Rezept wird bedruckt, der Großhandel meldet das Präparat als "defekt" und ein anderes Präparat wird abgegeben, ohne dass das Rezept neu bedruckt wird. Keine Frage, das Vorgehen ist nicht korrekt (manche sprechen auch von Betrug), aber manchmal lässt man in der Apotheke angesichts der überbordenden Bürokratieflut eben auch zu, dass der Pragmatismus die Bürokratie besiegt (siehe hierzu auch unseren Kommentar auf Seite 24). Und das im Interesse des Patienten, der sein Arzneimittel rasch benötigt und der nicht mehrmals die Apotheke aufsuchen kann, um Nachlieferungen abzuholen.

Doch so einfach wird sich das Problem nicht lösen lassen. Eine anfangs der Woche verbreitete Meldung, Apothekerverband und AOK hätten sich darauf verständigt, dass die Rechenzentren die im Juli falsch bedruckten Metoprolol-Succinat-Rezepte an die Apotheken zur Korrektur zurückschicken, ist laut Mitteilung der AOK falsch. Falsch bedruckte Rezepte sind nun mal kein Kavaliersdelikt. Falsch bedruckte Rezepte bedeutet, dass Firmen Herstellerrabatte bezahlen müssen, obwohl ihr Präparat nicht abgegeben wurde. Was nun mit den falsch bedruckten Rezepten geschieht, ist noch unklar. Möglicherweise kommen hier Nachforderungen auf die Apotheken zu oder Retaxationen.

Friedenspflicht – denkt man diesen Begriff weiter, könnte das auch bedeuten, dass man sich außerhalb dieser Zeit im Krieg befindet (Sprache kann entlarvend sein): Apotheken gegen Krankenkassen und Rabattverträge? Und dazwischen der Patient? Schade, dass es in unserem Gesundheitswesen so weit gekommen ist. Warum lernen die Krankenkassen nichts aus den bisherigen Schwierigkeiten mit den Rabattverträgen? Aus den Lieferschwierigkeiten der Hersteller bei kurzfristigen eingegangenen Rabattverträgen? Erstaunlich, was die Krankenkassen, hier die AOK, den Apotheken und den Patienten zumuten: Es ist ein Kampf der Apotheken gegen das Versorgungschaos, ein enormer Arbeitsaufwand für die Apothekenmitarbeiter. Auseinandersetzungen mit Patienten, die ständig ein anderes Präparat erhalten und dadurch verunsichert werden, sind an der Tagesordnung. Fachliche Gespräche und Beratung bleiben auf der Strecke. Keine Kasse kommt für den enormen Arbeitsaufwand in den Apotheken auf, der mit erheblichen Kosten verbunden ist.

Apotheken sollten immer dokumentieren, wenn Rabattvertragspräparate nicht lieferbar sind, wenn es zu Problemen beim Bezug von Reimporten kommt, die neben allen Schwierigkeiten bei der Abgabe ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Apotheker sollten zudem öfters die Möglichkeit wahrnehmen, pharmazeutische Bedenken bei der Belieferung von Rabattarzneimitteln anzumelden und dies zu dokumentieren (siehe hierzu unseren Beitrag "Das Kreuz mit dem Kreuz" in dieser Ausgabe auf Seite 45).

Manchmal fragt man sich, warum Apotheken dieses Tohuwabohu so geduldig mitmachen Wird es nicht höchste Zeit, dass die Apotheker jetzt endlich praxistaugliche Lösungen einfordern? Ist es nicht ein Unding, dass sich die Rabattarzneibelieferung zwischen Krieg und Frieden, zwischen Kampf gegen Bürokratie und für den Patienten abspielt? So kann es doch wirklich nicht mehr weitergehen!


Peter Ditzel



DAZ 2011, Nr. 32, S. 3

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.