Arzneimittel und Therapie

Krebs und Armutsrisiken

"Krankheit macht arm". Diese Aussage trifft in mancherlei Hinsicht auf Krebspatienten zu, die neben den psychischen und physischen Folgen einer Tumorerkrankung auch zusätzliche finanzielle Aufwendungen tragen müssen, die zeitweise stärker belastend sind als das Tumorleiden.

Tumorerkrankungen beeinträchtigen nicht nur das physische und psychische Wohlergehen eines Krebspatienten, sondern wirken sich auch auf die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen und seiner Angehörigen aus. Wie Jürgen Walther, Heidelberg, beim 10. NZW-Süd (Norddeutscher Zytostatika Workshop; onkologisch-pharmazeutischer Fachkongress) am 9. September 2011 in Ravensburg erläuterte, verursachten die Gesundheitsreformen von 2004 und 2007 einen kontinuierlichen Anstieg der finanziellen Belastungen, die im Zusammenhang mit einer Krebserkrankung entstehen können. So führte die Änderung der sozialpolitischen Rahmenbedingungen unter anderem zu einem sinkenden Rentenniveau (bis 2030 um 20%), zu Zuständigkeitskonflikten zwischen den einzelnen Leistungsträgern und einer stärkeren Inanspruchnahme der Patienten (Praxisgebühr, Zuzahlungen bei Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Verlängerung der Zuzahlungsdauer bei Krankenhausaufenthalten, keine Übernahme ambulanter Fahrtkosten, Streichung der Kostenübernahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, Streichung der Sozialklausel, generelle Einführung von Belastungsobergrenzen).


Armut und Gesundheit


  • Armut führt zu einem deutlich erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko, Krankheit erhöht das Verarmungsrisiko.

  • Bei Erwachsenen führt Krankheit verstärkt zu Armut; bei Kindern führt Armut in ihrem späteren Leben gehäuft zu Krankheiten.

  • 22% der von Armut betroffenen Menschen gehen wegen der finanzielle Belastung durch Praxisgebühren oder wegen zu hoher Zuzahlungen für Medikamente nicht zum Arzt.

  • Die Angst vor einem sozialen Abstieg betrifft nicht nur Menschen der unteren Einkommensschichten, sondern auch Angehörige der Mittelschicht.

Geänderte Rahmenbedingungen

Parallel dazu traten in der Onkologie Entwicklungen auf, die sich ebenfalls auf die wirtschaftliche Situation des Patienten auswirken. So führten Fortschritte in der Medizin zu längeren Überlebenszeiten und zu einer Chronifizierung der Krebserkrankung, was wiederum mit längerfristigen finanziellen Belastungen verbunden ist. Dasselbe gilt für neue Therapien und die Behandlung in onkologischen Zentren (Fahrtkosten). Die zunehmende Verlagerung der Behandlung in ambulante Bereiche und eine kürzere Verweildauer im stationären Bereich kann zu Problem in der häusliche Betreuung führen (Aufwendungen für die pflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung), zumal ambulante Versorgungsstrukturen derzeit noch im Aufbau sind. Dies führte in den vergangenen Jahren zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation von Tumorpatienten, die sich auch in einer veränderten Belastung niederschlägt. Standen vor der Gesundheitsreform psychische Belastungen im Vordergrund, so treten nun vermehrt Ängste vor dem wirtschaftlichen und sozialen Abstieg auf. Diese Ängste schlagen sich auch in den Beratungswünschen der Betroffenen nieder, bei denen eine Beratung über wirtschaftliche Hilfen an zweiter Stelle steht.


Finanzielle Einbußen durch die Krebserkrankung


Eine Patientenbefragung am nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg zur wirtschaftlichen Auswirkung einer Krebserkrankung führte zu folgenden Ergebnissen:


  • 75% der Patienten erfahren durch die Tumorerkrankung finanzielle Einbußen.

  • 64,7% befürchten eine weiter finanzielle Verschlechterung.


Durchschnittliche monatliche Verluste:

100 - 200 Euro 36,5%

200 - 500 Euro 29,5%

500 - 800 Euro 12,2%

800 - 1200 Euro 6,4%

über 1200 Euro 12,2%


Einkommensarten:

Lohn/Gehalt 10,9%

Krankengeld 19,9%

ALG I 1,3%

Erwerbsminderungsrente 5,8%

Grundsicherung 1,9%

Altersrente 55,1%


Die Einbußen im finanziellen Bereich aufgrund von Einkommensverlusten (indirekte Kosten) treffen Erwerbstätige und Selbständige, die unter Umständen schnell aus der Mittelschicht in eine soziale Unterschicht abgleiten können. Belastungen durch Eigenbeteiligungen (direkte Kosten) belasten vor allem Risikogruppen wie kinderreiche Familien, Alleinerziehende, Erwerbslose und alte Menschen. Daraus ergibt sich die Forderung nach einem niederschwelligen Zugang zu einer angemessenen Beratung und Versorgung im ambulanten Bereich, der auch außerhalb eines Tumorzentrums möglich sein sollte.


Zum Weiterlesen


Soziale Ungleichheit und Gesundheit – ein Thema für Apotheker?

DAZ 2010, Nr. 7, S. 46

Überschuldet und krank – die Gesundheitspolitik ist gefragt.

DAZ 2010, Nr. 7, S. 52


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2011, Nr. 40, S. 51

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