Fortbildung

Rheuma im Spiegel von Kultur und Geschichte

Ein pharmazeutisches Thema hat meist auch interessante kulturelle Aspekte. Diese ebenfalls zu betrachten, gehört zum bewährten Konzept der Scheele-Tagung. So wurde das Rheuma zunächst im Zusammenhang mit der Kunst und aus pharmaziehistorischer Sicht präsentiert. Der Rheumatologe Prof. Dr. Henning Zeidler, Hannover, stellte die Folgen von Rheuma für das Werk bedeutender Künstler vor, und Prof. Dr. Christoph Friedrich, Marburg, berichtete über die Geschichte der Schmerzmittel.
Foto: DAZ/tmb
Prof. Dr. Henning Zeidler

Zeidler ging von der brisanten Ausgangsthese aus, dass die rheumatoide Arthritis erst nach der Entdeckung Amerikas in Europa auftrat. Demnach sei dies nicht nur eine Autoimmunerkrankung, sondern es müsse noch einen bisher unbekannten Auslöser geben. Dafür sprächen paläontologische Funde, die Rheumafolgen an Skeletten in Ostasien und Amerika, aber nicht in Europa nachweisen konnten. Auch in künstlerischen Darstellungen aus Europa seien Personen mit typischen rheumatisch bedingten Veränderungen erst ab dem 16. Jahrhundert zu erkennen.

Malen mit Rheuma

Bei Künstlern, die selbst Rheumapatienten waren, hatte die Krankheit unterschiedliche Auswirkungen auf ihr Werk. So brach die Krankheit bei Pierre-Auguste Renoir (1841 – 1919) im Alter von 51 Jahren aus und er lebte damit noch über 25 Jahre. Dennoch zeigte der "Maler des Glücks" in seinen Bildern Lebendigkeit und Fröhlichkeit. Von Renoir stammt das Zitat "Der Schmerz vergeht, aber die Schönheit bleibt", das Zeidler als Vortragstitel wählte. Renoir konnte die Beweglichkeit seiner Hände lange Zeit durch eine von ihm selbst erfundene Ergotherapie mit Jonglieren, Pianospielen und dem französischen Bilboquet-Spiel erhalten. Es sei ein Gerücht, dass man Renoir den Pinsel in die Hand gebunden habe. Vielmehr habe er sich die Hände bandagiert, damit das Halten des Pinsels im warmen Klima die Hände nicht schädigt.

Anders als bei Renoir zeigte Zeidler an den Bildern von Alexej von Jawlensky (1865 – 1941) deutliche Veränderungen in den dargestellten Formen und der Bildsprache als Ergebnis der Erkrankung. Von Jawlensky erkrankte mit 65 Jahren an einer schnell fortschreitenden Form der rheumatoiden Arthritis und war bereits neun Jahre später vollständig gelähmt. Raoul Dufy (1877 – 1953) erkrankte 1935 im Alter von 58 Jahren. Er wurde ab 1949 als einer der ersten Patienten mit Cortison behandelt, konnte daraufhin wieder malen, litt später aber unter den Nebenwirkungen und starb 1953 an einer Darmblutung, die Folge der Therapie gewesen sein dürfte. Aus den Lebenswegen der Künstler leitete Zeidler die Aufgabe für jeden Kranken ab, die verbleibenden Fähigkeiten bestmöglich einzusetzen. Gesundheit solle nicht als Abwesenheit von Krankheit betrachtet werden, sondern als Kunst damit umzugehen.


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Prof. Dr. Christoph Friedrich

Von Hexensalben zum Diclofenac

Mittel gegen die verschiedenen Schmerzen gehören zu den ältesten Heilmitteln überhaupt und lassen sich bis zu den Anfängen der schriftlich überlieferten Geschichte nachweisen, wie Friedrich an zahlreichen Beispielen erläuterte. Opium und Solanaceen-Drogen wurden in verschiedenen Zubereitungen eingesetzt, wobei die Grenze zwischen Schmerz- und Schlafmitteln oft verschwamm. Solanaceen-Drogen gehörten auch zu den wirksamen Bestandteilen von "Hexensalben" und Zubereitungen, die neben der Schmerzlinderung zu sexuell-orgastischen Flugträumen führen konnten und damit zur missbräuchlichen Anwendung einluden. Da Ärzte und Apotheker nicht mit Hexerei in Verbindung gebracht werden wollten, ver schwanden Solanaceen-Drogen aus den gängigen Rezepturen. Umso bedeutsamer wurde das Opium als Vorgänger der modernen zentralen Analgetika. Die Entwicklung peripher wirksamer Analgetika begann 1828 mit der Isolierung von Salicin aus Weidenrinde durch Johann Andreas Buchner. Friedrich spannte einen weiten Bogen von diesen Anfängen über die auch durch Zufälle und Irrtümer geprägte folgende Entwicklung bis zum Diclofenac. Um 1900 standen bereits mehrere periphere Analgetika zur Verfügung, aber erst ab 1950 wurde Phenylbutazon gezielt als Antirheumatikum eingesetzt. Diclofenac wurde 1965 als erstes Antirheumatikum aufgrund von Struk tur-Wirkungs-Beziehungen konzipiert und weist so den Weg zu modernen Arzneistoffentwicklungen.


tmb



DAZ 2011, Nr. 46, S. 83

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