Seite 3

Es wird eng

Peter Ditzel

Arzneimittelmangel, Lieferengpässe, Lieferverzögerungen – noch bis vor nicht allzu langer Zeit waren dies Fremdwörter in Zusammenhang mit dem Arzneimittelmarkt hochentwickelter Länder und erst recht mit dem deutschen Arzneimittelmarkt. Mangel und Engpässe bei der Beschaffung von Arzneimitteln kannte man allenfalls in Ländern der Dritten Welt. Doch seit zwei, drei Jahren wird das Lieferproblem bei einigen Arzneimitteln auch in westlichen Industrienationen evident, Beispiel USA. Das Gesundheitssystem der USA kämpft bereits seit einigen Jahren mit dem Phänomen von drug shortages (Arzneimittelmangel, -engpass). Ein Beitrag von Professor Schweim (DAZ 2012, Nr. 13) zeigte auf, wo die Ursachen dafür liegen: Herstellungsprobleme, Qualitätsmängel, Produktionsverzögerungen, Lieferverzögerungen für Rohstoffe und Ausgangsmaterialien, Produktionseinstellung oder Marktrücknahme älterer und wirtschaftlich nicht mehr profitabler Arzneimittel – das ist die eine Seite. Und die andere dürfte nach meiner Meinung der Globalisierung geschuldet sein. Pharmaunternehmen verlegen ihre Produktionsstandorte in Billiglohnländer wie Indien, China, Vietnam. Heute werden beispielsweise in den USA so gut wie keine Antibiotika mehr hergestellt.

Drug shortages – das Problem hat mittlerweile auch Europa erreicht. Erst vor Kurzem berichteten Schweizer Medien über Lieferengpässe in der Schweiz, einem Land, in dem renommierte Firmen wie Novartis oder Roche sitzen. Dort warten Krankenhäuser auf Arzneimittellieferungen, selbst bei Impfstoffen zeigen sich Engpässe. Besonders prekär wird es, wenn Lieferprobleme bei Zytostatika auftreten.

Weitere Schwierigkeiten bei der Verfügbarkeit von Arzneimitteln entstehen durch das Geschäft mit Re- und Parallelimporten. Wenn Arzneimittel in Deutschland in großem Maßstab von Exporteuren aufgekauft werden, um sie beispielsweise nach England zu verkaufen, oder wenn Importeure Arzneimittel in großen Mengen und günstig in Portugal oder Griechenland einkaufen, um sie in Deutschland zu verkaufen, dann kann dies zu Lieferengpässen in den Ländern führen. Nachrichtenmeldungen zufolge wollen Länder, die massiv von der Eurokrise betroffen sind, bereits nicht mehr für Reimporte zur Verfügung stehen. Pharmahersteller appellierten bereits an EU-Politiker, die EU solle vorübergehend untersagen, dass Krisenländer für Reimporte zur Verfügung stehen. In Griechenland werden Arzneimittel bereits knapp, vor den Apotheken bilden sich lange Schlangen.

Mittlerweile gehören Lieferengpässe immer häufiger auch zum Alltag deutscher Kliniken. Mehrere Berliner Krankenhäuser haben Engpässe bestätigt. Betroffen sind Antibiotika, Zytostatika, aber auch Herz-Kreislaufmittel. Besonders oft werden generische Präparate als nicht lieferbar gemeldet. Eine baden-württembergische Klinik beispielsweise musste im vergangenen Jahr mit rund 100 Lieferengpässen oder Lieferausfällen fertig werden (siehe unser Interview auf Seite 18). Praktisch alle Anwendungsgebiete sind davon betroffen, besonders aber auch lebensnotwendige Parenteralia. In zeitaufwendigen Aktionen, verbunden mit Mehrkosten, müssen Ersatzlieferanten gesucht werden. Die Gründe sind auch hier vielfältig: Qualitätsprobleme, mangelnde Verfügbarkeit von Rohstoffen, geringere Lagerkapazität der Hersteller und regulatorische Anforderungen gehören dazu. Es drängt sich zudem die Vermutung auf, dass hier die Arzneimittelpreispolitik auf der Seite der Gesundheitspolitik, aber auch die Hersteller selbst dazu beitragen, dass Arzneimittel verknappt werden. Eine gefährliche Entwicklung: Als Folge des Preisdrucks, der auf Arzneimitteln lastet (Rabattverträge), verlagern Pharmahersteller die Produktion von Rohstoffen, aber auch von Arzneimitteln in Billiglohnländer: Nahezu alle Antibiotika, aber auch Analgetika wie Paracetamol und viele andere Substanzen werden ausschließlich in asiatischen Ländern für den deutschen Markt produziert. Sollte es hier einmal zu politischen Problemen oder auch zu Problemen der Arzneimittelsicherheit kommen, wird es richtig eng.

Langfristig können auf Deutschland, der einstigen Apotheke der Welt, jedoch shortages ganz anderer Art zukommen, Stichwort Nutzenbewertung. Die von der Politik mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) eingeführte Nutzenbewertung neuer und bereits zugelassener Arzneimittel zeigt erste negative Folgen. Firmen, deren Innovationen kein echter Zusatznutzen bescheinigt wurde, nehmen diese Präparate vom deutschen Markt oder bringen sie hierzulande nicht in den Verkehr, weil sie dafür nicht den gewünschten Preis verlangen dürfen. Beispiele dafür sind Linagliptin (Trajenta) und Mikrobielle Kollagenase (Xiapex). Hersteller drohen trotzig bereits mit Boykott: Ohne auskömmliche Preise kommen die Innovationen nicht auf den deutschen Markt.

Shortages und Marktrücknahmen – ist das der Preis für Kostendruck und ein bezahlbares Gesundheitswesen? Können wir uns Innovationen nicht mehr leisten? Der Arzneimittelmarkt wird enger.


Peter Ditzel



DAZ 2012, Nr. 26, S. 3

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.