DAZ aktuell

Zunehmend Lieferengpässe

Lebensnotwendige Parenteralia besonders betroffen

VILLINGEN-SCHWENNINGEN (du). Klinikapotheker schlagen Alarm. Immer häufiger treten Lieferengpässe und Lieferausfälle bei wichtigen Arzneimitteln auf. Eines von vielen Beispielen sind Carboplatin-haltige Infusionslösungen, die in großem Umfang wegen Auskristallisierungen zurückgerufen werden mussten (s. DAZ 2012; Nr. 21, S. 66 ff). Wir haben mit Dr. Matthias Fellhauer, Direktor der Apotheke des Schwarzwald-Baar Klinikums, Villingen-Schwenningen, über die Situation gesprochen. Er sieht zumindest kurzfristig keine Entspannung und appelliert an die Politik, das Problem ernst zu nehmen.
Dr. Matthias Fellhauer Foto: Privat

DAZ: Immer häufiger stehen wichtige, zum Teil lebensnotwendige Medikamente nicht zur Verfügung, das verunsichert vor allem die Patienten. Wie groß ist das Problem?

Fellhauer: In unserer Apotheke gab es im letzten Jahr rund 100 Lieferengpässe oder Lieferausfälle. Das Problem ist also bedeutsam und hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, das uns in den Klinikapotheken fast täglich zu schaffen macht. Während früher Lieferengpässe nur sporadisch auftraten, gehören sie heute zum Tagesgeschäft.


DAZ: Welche Arzneimittel sind besonders betroffen?

Fellhauer: Es sind praktisch alle Anwendungsgebiete betroffen. Besonders problematisch sind jedoch Lieferengpässe bei Antibiotika und Zytostatika, weil hier ein Wechsel auf gleichwertige Ersatzpräparate in vielen Fällen nicht möglich ist. Ebenfalls problematisch sind Lieferengpässe bei Blutprodukten wie Humanalbumin. In anderen Apotheken fehlen auch Augentropfen. Weil Lieferengpässe häufig bei Parenteralia auftreten, sind Krankenhausapotheken besonders betroffen.


DAZ: Was bedeutet das für die Patienten? Müssen sie nur mit einer schlechteren Versorgung rechnen oder auch mit gesundheitlichen Konsequenzen bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen?

Fellhauer: Natürlich tun wir in der Apotheke unser Bestes und suchen zunächst nach Ersatzlieferanten. So konnten wir in unserer Apotheke bisher Nachteile für Patienten vermeiden. Wenn das Problem allerdings weiter eskaliert, kann ich das nicht ausschließen.


DAZ: Wie wird mit den Lieferengpässen umgegangen? Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?

Fellhauer: Gefordert ist zunächst die Suche nach einem Ersatzlieferanten in Deutschland. Dann muss das Ersatzpräparat auf seine Eignung bezüglich bestimmter pharmazeutischer Eigenschaften bewertet werden. Das ist vor allem bei Zytostatika essentiell, um unerwünschte Ereignisse im Rahmen der Herstellung (z. B. Verwechselungen) und eine Gefährdung des Personals (z. B. durch Außenkontaminationen) zu vermeiden. Nicht immer stehen dafür ausreichende Informationen zur Verfügung, und häufig müssen die Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden. Interne Checklisten und Verfahrensanleitungen im Rahmen des QMS sind dabei hilfreich.

Wenn deutsche Ersatzlieferanten nicht zur Verfügung stehen, prüfen wir Importe oder die Aut-simile-Substitution. In einem Fall mussten wir beispielsweise ein Antibiotikum zunächst aus Japan, dann aus Spanien importieren, um bei einem Patienten die begonnene Therapie zu Ende führen zu können.

In bestimmten Fällen besteht auch die Möglichkeit der Eigenherstellung, z. B. bei Augentropfen. In jedem Fall ist das Management von Lieferengpässen zeitaufwendig und es führt zu Mehrkosten.


DAZ: Wie erklären Sie sich die Lieferengpässe? Welche Rolle spielen Konzentrationsprozesse im Produktionsbereich, welche die Arzneimittelpreispolitik?

Fellhauer: Für die zunehmende Zahl an Lieferengpässen gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Ein ganz wesentlicher Grund ist sicher die zunehmende globale Konzentration der Produktionsstätten. Dazu kommen steigende Nachfrage, mangelnde Verfügbarkeit von Rohstoffen, geringere Lagerkapazitäten der Hersteller ("lean production"), Qualitätsprobleme bei der Produktion und zunehmende regulatorische Anforderungen. Ob die Arzneimittelpreispolitik ebenfalls eine Rolle spielt, kann ich nicht beurteilen. Wenn einzelne Hersteller für sie unwirtschaftliche Präparate vom Markt nehmen und damit das Angebot verknappen, trägt das jedenfalls auch zur Verschärfung der Situation bei.


DAZ: Welche Möglichkeiten gibt es, das Problem der Lieferengpässe generell in den Griff zu bekommen, welche Forderungen stellen Sie an Hersteller und Politik?

Fellhauer: Wenn ein pharmazeutischer Unternehmer ein Präparat auf den Markt bringt, übernimmt er damit eine Verantwortung für die Versorgung der Patienten. Er muss dafür Sorge tragen, dass ausreichende Mengen in einer akzeptablen Qualität produziert werden und dass auch temporär erhöhte Nachfragemengen bedient werden können. Wir appellieren an die Unternehmen, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Aufgabe der Politik ist es, das Problem nicht weiter zu ignorieren und ebenfalls darauf hinzuwirken, dass Arzneimittel bedarfsgerecht verfügbar sind. Ein Blick in die USA könnte dabei hilfreich sein. Dort ist das Problem bei der Politik zumindest angekommen.


DAZ: Welche Maßnahmen sollen hier das Problem lösen?

Fellhauer: Zumindest wurden in den USA Gesetze erlassen, die eine frühzeitigere Erkennung der Probleme und eine bessere Informationspolitik gewährleisten sollen.


DAZ: Wie sieht die Zukunft aus? Wird sich das Problem der Lieferengpässe weiter verschärfen oder rechnen Sie mit einer Entspannung?

Fellhauer: Ich rechne kurzfristig nicht mit einer Entspannung, jedenfalls gibt es dafür keine Anzeichen. Bei Zytostatika scheint sich die Situation eher noch zu verschärfen. Erkennbar ist, dass einzelne pharmazeutische Unternehmen an Konzepten arbeiten, um die Kommunikation zu verbessern oder den Kunden nun schon vor dem ersten Auftrag klar sagen, ob bezüglich der Lieferfähigkeit Probleme zu erwarten sind.

Die Lieferfähigkeit ist jedenfalls ein ganz wichtiges Kriterium im Rahmen der Lieferantenbewertung. Das beste und innovativste Arzneimittel nützt dem Patienten nichts, wenn es nicht verfügbar ist.


DAZ: Herr Dr. Fellhauer, vielen Dank für das Gespräch!


Zum Weiterlesen


"Drug Shortage"

Ist Arzneimittelmangel à la USA bald auch ein deutsches Problem?

Von Janna K. Schweim und Harald G. Schweim

DAZ 2012; Nr. 13, S. 56



DAZ 2012, Nr. 26, S. 19

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