- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 4/2012
- Vernetzung bietet neue ...
DAZ aktuell
Vernetzung bietet neue Perspektiven
Zu den Inhalten des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes gehören insbesondere Maßnahmen zur Unterstützung der ärztlichen Niederlassung wie die flexiblere Bedarfsplanung, erweiterte Möglichkeiten für Zweigpraxen, mobile Versorgungskonzepte, die Möglichkeit zum Betrieb von Arztpraxen durch Gemeinden in Eigenregie und die Aufhebung der Residenzpflicht, d. h. Ärzte müssen nicht mehr am Praxisort wohnen. Außerdem wurden Regresse gegenüber Ärzten erschwert sowie eine neue sektorenübergreifende spezialfachärztliche Versorgung für sehr schwer erkrankte Patienten und neue Mitwirkungsrechte der Bundesländer in der Gesundheitspolitik eingeführt.
Neben der Bewertung des Gesetzes ging es bei der Tagung z. B. um den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, praktische Erfahrungen mit der intersektoralen Zusammenarbeit, die Versorgung in der Fläche und künftige Konzepte für die Rehabilitation. Dabei wurde überwiegend die Perspektive der Mediziner eingenommen, obwohl die Tagung keineswegs als reine Ärzteveranstaltung konzipiert war. Mehrfach klang die Kooperation oder Konfrontation an der Sektorengrenze zwischen ambulantem und stationärem Sektor an. Unter den mehr als 50 Referenten dominierten Ärzte und Berater für das Gesundheitswesen. Apotheker, Vertreter von Apothekerorganisationen oder der Pharmaindustrie gehörten nicht zu den Referenten. So wurden denn auch in der Eröffnungsveranstaltung zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz Apotheker oder Arzneimittel nicht erwähnt, obwohl das Gesetz auch die Grundlage für das ABDA/KBV-Modell enthält und dies ein hervorragendes Beispiel für eine neue Zusammenarbeit unter Heilberuflern gewesen wäre. Dagegen benannte Bundesgesundheitsminister Bahr bei seiner Rede immerhin die Apotheker als mögliche Kooperationspartner.
Garg für dezentrale Lösungen
In seiner Eröffnungsansprache lobte Dr. Heiner Garg (FDP), Schleswig-Holsteinischer Gesundheitsminister und Gastgeber der Tagung, die Vernetzung als geeignete "Philosophie für die Ausrichtung der Versorgungswirtschaft". Sie sei ein Schlüssel für die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit. Es gehe ihm auf die Nerven, dass das Gesundheitswesen stets als Kostenfaktor betrachtet werde, so Garg. Die Kosten müssten ehrlich mit der Bevölkerung diskutiert werden, aber das Gesundheitswesen biete auch wirtschaftliche Chancen. Besonders im Norden Deutschlands sei die Branche ein Jobmotor. Die Politik müsse Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit und für Vor-Ort-Lösungen schaffen. "Dezentral statt zentral" sei die Erfolgsformel, so Garg. Schleswig-Holstein habe sich daher für das neue Gesetz eingesetzt. Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz sei nicht die "Lösung aller Fragen", aber "es ist ein erster Schritt", so Garg.
Unterschätztes Gesetz
Dies war auch der Tenor der anschließenden Diskussionsrunde. Es bestand Einigkeit, dass das neue Gesetz gerade wegen seiner Vielzahl eher kleinerer Maßnahmen viele Chancen bietet, die nun genutzt werden müssen. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, erklärte: "Das Gesetz wird weit unterschätzt." Es sei "eine Riesenaufgabe für die Selbstverwaltung" und werde viel mehr Folgen haben, als es einzelne kleinteilige Betrachtungen zeigten. Endlich sei es einmal nicht primär um die Finanzierung gegangen, sondern um die Versorgung. Das Gesetz ändere aber nicht das System. Daher werde es eine nächste Reform geben.
Zentrale Aufgabe des Gesetzes war nach Ansicht von Garg, den Zugang zu guten Leistungen bei begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen zu sichern. Er hob die Anreize für die ärztliche Niederlassung und die Mitwirkungsrechte der Länder hervor. Als Beispiel für die Arbeit auf Landesebene verwies Garg auf eine Studie, die Versorgungsdefizite in Schleswig-Holstein ermitteln soll. An der Untersuchung, die in Zusammenarbeit mit dem Kieler Fritz-Beske-Institut durchgeführt wird, seien 19 Interessengruppen beteiligt. Nach der Analyse sollten daraus politische Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
Kritik an Einzelheiten
Dagegen bezweifelte Dr. Stefan Etgeton, Bertelsmann-Stiftung, ob das Heil in der Regionalisierung liegt, denn diese würde die Transparenz und das Durchsetzen von Standards erschweren. Für Etgeton führt das Gesetz zu einer "Hypothek von Erwartungen". Er forderte: "Die Akteure müssen jetzt liefern." Wichtig sei die verbesserte Arbeitsteilung zwischen den Heilberuflern, doch hätte er sich dabei mutigere Veränderungen gewünscht.
Nach Einschätzung von Prof. Dr. Norbert Klusen, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, wurden im Gesetz insbesondere Dinge geregelt, die ohnehin geregelt werden mussten. Die neuen Rechte der Länder betrachtet er als zusätzliche Bürokratie und Erschwernis für bundesweit tätige Krankenkassen bei der Genehmigung von Verträgen. Statt der Einführung von Satzungsleistungen hätte er sich verschiedene Tarife und Verträge mit ausgewählten Leistungserbringern gewünscht. Spätestens 2014 erwartet Klusen eine neue Gesundheitsreform. Er forderte mehr Mut zu Veränderungen.
Für Dr. Rudolf Kösters, Ehrenpräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, greifen einige Maßnahmen gegen den Ärztemangel zu kurz. "Der Ärztemangel beginnt im Krankenhaus", so Kösters. Daher müsse die Weiterbildung im Krankenhaus gefördert und effektiver gestaltet werden. Kösters lobte ausdrücklich die Neuregelungen zur Arbeitsweise des Gemeinsamen Bundesausschusses. Es sei gut, diese Institution anzugehen, die immer mehr Eigenmächtigkeit entwickle. Außerdem sei es gut, dass dieser untergesetzliche Normgeber nun Leistungausschlüsse nicht mehr mit einfacher Mehrheit beschließen könne.
Fachkräftemangel
Ein weiteres Schwerpunktthema der Tagung war der Fachkräftemangel. Dabei stand der drohende Ärztemangel im Vordergrund. Garg beklagte, dass rund 35 Prozent der fertig ausgebildeten Mediziner nicht im Arztberuf arbeiten, sondern insbesondere in die Organisation und Verwaltung des Gesundheitswesens abwandern. Darum sollten eher die Rahmenbedingungen des Arztberufs als Anreiz für die jungen Ärzte verbessert, als die Zahl der Medizinstudienplätze vergrößert werden. Bei der Ansiedlung im ländlichen Raum seien auch die Kommunen gefragt, z. B. hinsichtlich Arbeitsmöglichkeiten für Ehepartner der Ärzte, Schulen und kulturellen Angeboten. Bahr wandte sich klar gegen das Bachelor-Master-System für das Medizinstudium. Die hohe Qualität des Approbationsstudienganges solle erhalten bleiben. Für Aufgaben im Zusammenhang mit Organisation, Recht und Wirtschaft des Gesundheitswesens gäbe es inzwischen reichlich andere kreative Studienangebote. Doch das Thema Fachkräftemangel hat noch mehr Facetten. Garg betonte, Pflegekräfte würden bereits heute mehr als alle anderen fehlen.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.