Deutscher Apothekertag 2012

Arbeitskreis 2: Apotheker als Patientenberater

Neue Medien versus Patientengespräch

Dass es lohnt, sich über die Nutzung von Gesundheitsinformationen aus dem Internet Gedanken zu machen, zeigte Dr. Constanze Rossmann vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München in ihrem Impulsreferat. In der Podiumsdiskussion wurde deutlich, dass die Fülle an Informationen für viele von Vorteil ist, dieses Angebot aber die direkte Kommunikation mit dem Patienten nicht ersetzen kann.

Arbeitskreis 2 Über den Apotheker als Patientenberater in der Kommunikationsgesellschaft diskutierten Gregor Bornes, Dr. Christiane Eckert-Lill, Moderator Dr. Peter Stuckhard, Jutta Doebel, Friedemann Schmidt und Dr. Constanze Rossmann (von links). Einig waren sich die Diskutanten, dass die Fülle an gesundheitsbezogenen Informationen aus dem Internet zwar auch Risiken birgt, aber auch als Chance für die öffentliche Apotheke zu sehen ist, sich als Gesundheitsmanager für den Patienten zu positionieren und zu etablieren. Fotos: DAZ/Alex Schelbert

Die Mediennutzungsdauer im Alltag hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Im Durchschnitt knapp zehn Stunden am Tag nutzt die deutsche Bevölkerung ab 14 Jahren Medien. Spitzenreiter ist dabei das Fernsehen mit ca. 220 Minuten am Tag, gefolgt von Radio und Hörmedien, wobei denen erheblich weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, sie laufen oft als "Hintergrundbeschallung". Vor allem das Internet hat in den Jahren seiner Existenz sehr stark an Bedeutung gewonnen, heute wird es im Durchschnitt 83 Minuten am Tag genutzt. Damit ist es das drittwichtigste Medium geworden: 70% der Bevölkerung nutzen es regelmäßig. Auch spezifische Gesundheitsangebote werden zunehmend online genutzt. 57% suchen regelmäßig im Internet gesundheitsbezogene Informationen. Tendenz deutlich steigend. Vor allem junge, gebildete, einkommensstarke im städtischen Umfeld wohnende Menschen, die sehr gesundheitsbewusst leben, nutzen gesundheitsbezogene Informationen online.

Frühzeitig Medien- und Gesundheitskompetenz fördern

Das Internet als Informationsquelle ist auch deshalb so beliebt, weil umfassende, verständliche Informationen bequem von zu Hause aus gesucht werden können. Neben einer reinen Wissenssteigerung und der großen und zunehmenden Reichweite sieht Rossmann einen weiterer Vorteil der Online-Angebote darin, einzelne Zielgruppen wie Jugendliche anzusprechen. Als positive Folge für Patienten selber betonte Rossmann, dass sie das Gefühl gewinnen, sie sind besser informiert, können besser mit der Krankheit umgehen und besser handeln. Diese gesteigerte Selbstwirksamkeit spiegelt sich besonders deutlich in einer partnerschaftlichen Arzt-Patienten-Beziehung wider, die als angenehm empfunden wird, da der Patient sich auf Augenhöhe mit dem Arzt fühlt. Die klassischen massenmedialen Kanäle haben zwar eine große Reichweite, aber auch hohe Streuverluste, da der Versuch, mit einem Slogan alle Menschen zu überzeugen, nicht gelingen kann. Die interpersonale Kommunikation auf der anderen Seite, der direkte Austausch im Gespräch, sei sehr viel effektiver, so Rossmann. Man könne konkret auf Sorgen und Ängste eingehen, aber aus Kostensicht ist eine Umsetzung unrealistisch. Die neuen Online-Medien können hier eine Brücke schlagen über die Lücke Massenkommunikation – interpersonale Kommunikation, und beides in einer Plattform vereinigen. Rossmann zeigte aber auch die Grenzen und Risiken der neuen Medien auf, "Sorgenkinder" wie ältere Menschen, passive oder Menschen mit einer geringen Bildung nutzen häufig nicht das Internet, es können falsche Informationen verbreitet werden.

Augen auf bei der Quelle

Große Aufmerksamkeit verlangt daher die Frage der Qualität der Gesundheitsinformationen sowie eine oft mangelnde Quellentransparenz. Wer hinter den Informationen steckt und welche Ziele der Anbieter verfolgt, wird nicht immer deutlich. Umfragen haben gezeigt, dass Nutzer zwar genau einschätzen können, wie gut Informationen aus dem Internet sind, sie das aber im Alltag einfach nicht tun. Negative Folgen von mangelhafter Information können Vertrauensverlust in den Arzt sein, unangemessene Selbstdiagnosen oder übertriebene Ängste.

Einen Ausweg sieht Rossmann in der Einführung von Qualitätssiegeln. Das bekannteste ist der HON-Code der schweizerischen health on net Foundation. Über die HON-Seite kann der Nutzer wie bei Google gesundheitsbezogene Informationen suchen, wird dann aber nur zu HON-zertifizierten Inhalten geführt. Solche qualitätsüberprüften Seiten setzen allerdings voraus, dass der Nutzer sich des Problems bewusst ist und selber aktiv wird. Das tun aber leider noch immer zu wenige. Das Fazit von Rossmann: das Internet sollte nicht verteufelt werden, man muss adäquat damit umgehen. Rossmann betonte, wie wichtig es ist, möglichst früh die Medien- und Gesundheitskompetenz zu fördern. Schon Schulkinder müssen einen sicheren und sinnvollen Umgang mit den verschiedenen Medien lernen: Was ist die Information wert, die präsentiert wird und welche Kommunikatoren können dahinter stecken?

Hilfe bei der Entscheidungsfindung

Gregor Bornes, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen und -Initiativen, sieht die Apotheken kritisch. Sein Vorwurf: Apotheker haben primär das Ziel, Präparate zu verkaufen. Darum sei eine Organisation wie die seine unerlässlich, die unabhängige Information und Beratung anbietet. Patientenberatungsstellen würden keine Entscheidung für den Ratsuchenden treffen oder ihnen etwas verkaufen, sondern sie versuchen, das individuelle Problem einzugrenzen und bei der Entscheidungsfindung zu helfen, indem sie neutrale Informationen anbieten.

"Das Wissen als Basis ist gar nicht völlig verkehrt."

Gregor Bornes, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen

Symptombezogen beraten

Apothekerin Jutta Doebel aus Erftstadt berichtete aus ihrer Apotheke, dass dort nicht der kurzfristige Schnellverkauf das Ziel sei, sondern eine valide Beratung, um langfristig Vertrauen aufzubauen. Patienten, die – oft überfordert von der Fülle an Informationen, die sie im Internet gefunden haben oder fehlinformiert – in ihre Apotheke kommen, werden symptomorientiert beraten. Ihr Ziel sei es nicht, in jedem Fall ein Präparat zu verkaufen. In ihrer Apotheke werde auch von Produkten abgeraten. Dies kann langfristig pekuniär mehr einbringen, als Zuraten und schnelles Verkaufen. Den Kunden an die Hand zu nehmen und nach dem Prinzip eines Gesundheitsmanagers zu führen, dazu haben Apotheker als Heilberufler die Kompetenz!

Ja zur "sprechenden Pharmazie"

ABDA-Geschäftsführerin Dr. Christiane Eckert-Lill plädierte für eine "sprechende Pharmazie". Schriftliche Informationen – egal über welches Medium man an sie gelangt – seien in Ordnung, wenn sie seriös sind. Aber absolut unverzichtbar ist es, im direkten Zwiegespräch mit dem Patienten zu kommunizieren, auf seine Nöte und Ängste einzugehen, und das gehe weder durch Posten, E-Mail- oder Briefeschreiben, das gehe nur über ein miteinander Sprechen und Austauschen!

Der Apotheker als "Problemlöser"

ABDA-Vizepräsident Friedemann Schmidt sieht die Apotheker nicht nur als reinen Lieferanten von Information sondern als "Problemlöser". Dazu stehen ihm in erster Linie Arzneimittel zur Verfügung. Evidenzbasiert müsse für den jeweiligen Patienten etwas gefunden werden, was ihm hilft, so dass der Patient mit einem Problem weniger die Apotheke verlassen kann. Schmidt beklagte die Ressourcenknappheit im Gesundheitssystem. Wenn das System richtig gut funktionieren würde, wenn alle Beteiligten – Ärzte, Apotheker und Pflegeberufe – ausreichend Zeit und Ressourcen hätten, dann wäre eine unabhängige Patientenberatung überflüssig – dann wären auch Gesundheitsinformationen aus dem Internet weitgehend überflüssig. Diese seien nur eine Folge mangelnder Kommunikation mit dem Heilberuf. Aber der Apotheker muss sich auch fragen: Hat der Patient mich verstanden, habe ich mich verständlich ausgedrückt? "Wir brauchen mehr Zeit und wir brauchen auch eine bessere Ausbildung, denn wir sprechen noch viel zu oft in unserer ,Pharmazeutensprache‘, die der Patient nicht versteht."

Der Mehraufwand durch die Rabattverträge und die neuen gesetzlichen Regelungen dürfen aber nicht als Ausrede dienen, nicht mehr zu beraten, nach dem Motto: Wir würden ja gern, aber wir haben keine Zeit. Ein strukturiertes Beratungsgespräch in der Selbstmedikation kann auch in kürzester Zeit geführt werden, betonte Eckert-Lill: "Ein Satz in der Beratung muss immer gehen!" Das sei auch die Existenzberechtigung für den Apotheker.


ck



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DAZ 2012, Nr. 42, S. 60

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