Deutscher Apothekertag 2012

Wohin treibt die Botenzustellung?

Christian Rotta

Mit der neuen Apothekenbetriebsordnung hat der Verordnungsgeber die Informations- und Beratungspflicht unter mehreren Gesichtspunkten neu konzipiert und geregelt. Der Apothekenleiter muss jetzt die Vorgaben des § 20 ApBetrO im Rahmen seines Qualitätsmanagementsystems sicherstellen und dabei auch die Voraussetzungen und den möglichen Einsatz anderer Angehöriger des pharmazeutischen Personals bei der Information und Beratung festlegen. Außerdem hat der Verordnungsgeber die Informations- und Beratungspflichten im Rahmen der Selbstmedikation konkretisiert und erweitert und auf apothekenpflichtige Medizinprodukte ausgedehnt. Nach § 20 Abs. 3 ApBetrO bestehen schließlich – wenig überzeugend, da systemfremd – zusätzliche europarechtlich vorgegebene Informationspflichten. Insgesamt, so viel steht fest, hat der erforderliche Informations- und Beratungsaufwand in der öffentlichen Apotheke vor Ort unter Geltung der neuen Apothekenbetriebsordnung beträchtlich zugenommen.

Dies gilt auch für die Auslieferung von Arzneimitteln im Wege der Botenzustellung. Hier sieht die neue Apothekenbetriebsordnung eine obligatorische Beratung des Patienten durch pharmazeutisches Personal vor, sofern nicht zuvor bereits eine Beratung in der Apotheke stattgefunden hat. Diese Beratung im Rahmen der Zustellung muss, wie es in der neuen Apothekenbetriebsordnung heißt, "in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auslieferung erfolgen" und hat dabei so rechtzeitig zu erfolgen, dass der Patient die erforderlichen Informationen noch vor Anwendung der ausgelieferten Arzneimittel berücksichtigen kann. Dies bedeutet: Sofern eine Beratung nicht bereits vorab in der Apotheke stattgefunden hat und die Arzneimittel durch einen Apotheker bzw. – nach schriftlicher Festlegung – einen Pharmazieingenieur, Apothekerassistenten oder Apothekenassistenten ausgeliefert werden, kann die Beratung gleichzeitig mit der Auslieferung erfolgen. Rechtlich diffiziler ist die Frage, ob auch Pharmazeutisch-technischen Assistentinnen im Zuge der Auslieferung eine Informations- und Beratungsbefugnis übertragen werden kann. PTA dürfen pharmazeutische Tätigkeiten nämlich nur unter Aufsicht eines Apothekers ausführen – und davon dürfte kaum gesprochen werden können, wenn die PTA im Wege der Botenzustellung außerhalb der Apotheke Patienten über das ausgelieferte Arzneimittel informiert und berät.

Dennoch wird es rechtlich weiterhin erlaubt bleiben, Arzneimittel auch dann durch PTA oder nichtpharmazeutisches Apothekenpersonal zuzustellen, wenn vorab keine Information und Beratung des Patienten in der Apotheke stattgefunden hat. Die neue Apothekenbetriebsordnung lässt nämlich offen, wie die Beratung im Zuge der Zustellung im Einzelfall stattzufinden hat. Sie kann deshalb insbesondere auch telefonisch durchgeführt werden – und zwar entweder durch den Apotheker selbst oder durch sein pharmazeutisches Personal (das in der Apotheke ja dann unter seiner Aufsicht tätig wird). Folgerichtig gehört es deshalb nach § 4 Abs. 1 ApBetrO zu einem ordnungsgemäßen Apothekenbetrieb, dass dort die Information und Beratung über Arzneimittel und Medizinprodukte auch mittels "Einrichtungen der Telekommunikation" erfolgen kann. Diese Vorgabe gilt für jede Apotheke – gleichgültig, ob sie eine Versandhandelserlaubnis besitzt oder nicht.

Auch nach Inkrafttreten der neuen Apothekenbetriebsordnung kann deshalb nicht verlangt werden, dass jede Arzneimittelauslieferung, bei der zuvor eine Beratung in der Apotheke nicht stattgefunden hat, durch pharmazeutisches Personal (oder gar zusammen mit einem beaufsichtigenden Apotheker) erfolgen muss. Genau diesen restriktiven Maßstab scheinen jedoch die ABDA-Juristen und ihr Geschäftsführer Lutz Tisch bei der rechtlichen Würdigung der "Botenzustellung im Einzelfall" anlegen und durchsetzen zu wollen. Dabei fingieren sie, dass es sich bei der Botenzustellung um eine Variante der Präsenzversorgung handle und der Patient, der einen solchen Botendienst in Anspruch nimmt, von vornherein nicht auf die Von-Gesicht-zu-Gesicht-Beratung verzichten wolle und könne. Wer bei der Botenzustellung das Informations- und Beratungsniveau absenke, so Tisch in der PZ, "relativiere mutwillig das Niveau der Präsenzversorgung leichtfertig auf dasjenige des Versandhandels".

Aber überzeugen diese Prämissen? Ist Bezugspunkt der "Botenzustellung im Einzelfall" (als Ausnahmetatbestand) tatsächlich die "Präsenzversorgung" in der Apotheke vor Ort oder muss er nicht eher im Informations- und Beratungsniveau des Versandhandels gesehen werden? Der rigide ABDA-Ansatz ergibt sich zwingend weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen in § 20 ApBetrO. Ich fürchte, dass mit der ABDA-Auslegung, sollte sie sich durchsetzen, der "Botenzustellung im Einzelfall" über kurz oder lang der Garaus gemacht würde. Als erwünschte, da sicherere und schnellere Alternative zum Versandhandel wäre die Zustellung von Arzneimitteln aus der Apotheke – auch betriebswirtschaftlich – auf Dauer kaum überlebensfähig. Ins Fäustchen lachen könnten sich dann wieder einmal die Versandapotheken (sofern betagte oder immobile Patienten überhaupt in der Lage sind, diesen Versorgungsweg in Anspruch zu nehmen). Dem Märchen von den gleich langen Spießen würde ein weiteres Kapitel hinzugefügt.

Kann es wirklich die Aufgabe unseres obersten Berufsverbandes sein, Arzneimittelversendern mit rechtlich zweifelhaften Konstrukten und ohne Not Wettbewerbsvorteile gegenüber der Vor-Ort-Apotheke zu verschaffen?


Christian Rotta



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DAZ 2012, Nr. 42, S. 54

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