DAZ aktuell

Chronologie einer Affäre

Skandal um Datenspionage im BMG weitet sich aus

BERLIN (wes/lk). Auf die Enthüllung folgt jetzt das große Reinemachen im Apothekerhaus. Noch bevor Friedemann Schmidt offiziell seinen Posten als neuer ABDA-Präsident am 1. Januar antritt, hat er das Heft des Handelns in die Hand genommen. Eine Arbeitsgruppe unter seiner Leitung soll die Vorgänge im Zusammenhang mit der "Maulwurf"-Affäre im Bundesgesundheitsministerium lückenlos aufklären und "maximale Transparenz herstellen". Zur Stärkung der Glaubwürdigkeit dieses Anliegens soll ein externer Berater die Aufklärung unterstützen und einen Abschlussbericht erarbeiten.

Stinksauer! Am 11. Dezember trat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr anlässlich des Datenskandals vor die Presse. Er zeigte sich "stinksauer über diese kriminelle Energie". Nach Bekanntwerden, dass es sich bei dem verdächtigen Lobbyisten um den Ex-ABDA-Sprecher Thomas Bellartz handeln soll, forderte Bahr von der ABDA "eine vollständige Aufklärung".

Im Bericht soll auch die jahrelange wirtschaftliche Beziehung zur vom ehemaligen ABDA-Sprecher Thomas Bellartz mitgegründeten Agentur El Pato aufgearbeitet werden. Bisher gibt es nur Andeutungen. Laut ABDA ist von 2007 bis 2011 Jahr für Jahr ein einstelliger Prozentsatz aus Bellartz‘ PR-Etat an El Pato geflossen. Der Bericht soll alle Details aufarbeiten und aufdecken, wer davon im Apothekerhaus Kenntnis und die Ausgaben gebilligt hat. Am Ende wird die Frage nach der politischen Verantwortung zu beantworten sein. "Allein die Tatsache, dass man uns als Interessenvertretung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker ein solches Verhalten zutraut, ist Beweggrund, sich mit den Vorwürfen aktiv auseinanderzusetzen. Wir werden in unserem Handeln maximale Transparenz herstellen", heißt es in einem Informationsschreiben an alle ABDA-Mitgliedsorganisationen.

Meldung mit Sprengkraft

Ins Rollen gebracht wurde die Affäre durch eine Meldung mit erheblicher Sprengkraft: Am 10. Dezember meldete DAZ.online, dass es im Bundesgesundheitsministerium einen "Maulwurf" gegeben hat, der geheime Dokumente gegen Bezahlung weitergegeben hatte. Käufer sei ein "Lobbyist aus der Apothekerschaft" gewesen, bestätigte das Ministerium, die Staatsanwaltschaft ermittle gegen zwei Personen, besagten Lobbyisten und einen Mitarbeiter einer externen IT-Firma. Man habe Räumlichkeiten im Ministerium durchsucht. Am nächsten Tag titelte "bild.de": "Minister Bahr: ‚Ich bin stinksauer‘", auch die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) und die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) berichteten über die Vorwürfe.

Nun stiegen alle großen Tageszeitungen ein, am Abend des 11. Dezember berichteten auch die Tagesschau und andere Fernseh-Nachrichten über den Maulwurf im Gesundheitsministerium und den "bisher größten Lobby-Skandal" (SZ). Am Nachmittag hatte Daniel Bahr auf einer Pressekonferenz erklärt, das Ministerium habe im September Strafanzeige gestellt, woraufhin am 20. November Durchsuchungen im Bundesgesundheitsministerium, bei dem IT-Mitarbeiter und einem zweiten Verdächtigen stattgefunden hätten. "Das ist eine ganz große Sauerei", sagte Bahr, Er wolle aber keine Berufsgruppe unter Generalverdacht stellen.

Hinweise bereits 2010

Auf den Datenklau aufmerksam geworden war man im Gesundheitsministerium bereits 2010, als ein Entwurf der neuen Apothekenbetriebsordnung in der Öffentlichkeit auftauchte, der noch nicht einmal dem Minister bekannt gewesen sein soll. Auch die DAZ hat damals ausführlich über diesen Entwurf berichtet, ihn sogar zum Herunterladen auf DAZ.online angeboten. Die ersten Meldungen über den Entwurf wurden allerdings vom Online-Branchendienst Apotheke adhoc lanciert. Im Ministerium habe man sich "schon länger darüber gewundert, dass die Apotheker wie auch Apotheke adhoc oft mit brandneuen Informationen aufwarten konnten – und das just zu der Zeit, als es 2010 um die Reform der für die Apotheker interessanten Betriebsordnung ging", so die FAZ vom 12. Dezember.

In dieser Ausgabe deutet die FAZ auch erstmals an, um wen es sich bei dem "Apothekerlobbyisten" handeln soll: Einen früheren Pressesprecher der ABDA, der aber nicht mehr im Dienste der Apotheker stehe, sondern sich selbstständig gemacht habe. Branchenkennern ist sofort klar, dass damit nur Thomas Bellartz gemeint sein kann, bis Ende August 2011 Pressesprecher der ABDA, der sich anschließend mit der Agentur Neuspree selbstständig gemacht hatte. Bellartz war für die DAZ nicht erreichbar, die Staatsanwaltschaft Berlin nennt keine Namen – unstrittig sind aber Bellartz‘ Verbindungen zu Apotheke adhoc. Den Branchendienst hat er mitgegründet, zusammen mit seiner damaligen Lebensgefährtin und heutigen Ehefrau Elke Hinkelbein und seinem ehemaligen Kollegen bei der Pharmazeutischen Zeitung, Patrick Hollstein.

Unter Verdacht Ex-ABDA-Sprecher Thomas Bellartz steht im Mittelpunkt der Ermittlungen und bringt die ABDA wegen der an El Pato geflossenen Gelder in Bedrängnis. Foto: DAZ/Reimo Schaaf

Schadensbegrenzung

Bei der ABDA bemühte man sich derweil um Schadensbegrenzung. Man habe geprüft, ob Geld von der ABDA geflossen sei. Nach erster Durchsicht der Unterlagen stehe fest: "Es sind keine Zahlungen von der ABDA geflossen", so der designierte Präsident Schmidt auf einer Pressekonferenz am 11. Dezember. "Ich bin fest davon überzeugt, wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen." Den fraglichen unautorisierten Entwurf der Apothekenbetriebsordnung habe man nicht gekannt, bevor Onlinemedien über ihn berichteten, beteuerte Schmidt, auch andere Dokumente seien im Apothekerhaus nicht aufgetaucht. Nichtsdestotrotz werde man die hausinternen Verhaltensregeln noch einmal überprüfen und gegebenenfalls verschärfen. Da der ABDA bislang nicht bekannt sei, gegen wen sich die Ermittlungen konkret richteten, könne man sich dazu auch nicht äußern. Schmidt bedankte sich ausdrücklich bei Gesundheitsminister Bahr, dass dieser nicht die gesamte Apothekerschaft unter Generalverdacht stelle. Nachdem weitere Medien, darunter die SZ und Spiegel online über den Verdacht gegen den ehemaligen ABDA-Sprecher geschrieben haben, räumt Friedemann Schmidt am 13. Dezember ein, dem Pressesprecher im Umgang mit Apotheke adhoc zu große Freiheiten eingeräumt zu haben. "Wir haben das Thema journalistische Nebentätigkeiten unseres Pressesprechers und in Bezug auf Apotheke adhoc möglicherweise unterschätzt" so Schmidt. "Es ist zuzugeben, wir würden heute sicherlich keine in dieser Art und Weise weitgehende Ermächtigung erteilen." Erstmals gab Schmidt damit zu, dass es wirtschaftliche Verbindungen zwischen der ABDA und Apotheke adhoc gab. "Die ABDA hat Apotheke adhoc, das kann man heute feststellen, als Dienstleister in Anspruch genommen bis zum Jahr 2011 für Dienstleistungen verschiedener Art." Der Onlinedienst bzw. seine Betreibergesellschaft El Pato sollen beispielsweise den Versand von Faxen und Pressemitteilungen für die ABDA übernommen haben. In welcher Höhe El Pato Aufträge aus dem Apothekerhaus bekommen hat, verriet Schmidt zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Schmidt betonte aber, dass Apotheke adhoc "kein in irgendeiner Weise mit der ABDA strukturell oder organisatorisch verbundener Nachrichtendienst ist, sondern ein freies Unternehmen, zu dem der Pressesprecher (…) Thomas Bellartz eine dienstliche Verbindung hatte".

Nun schießen sich die Medien auf den ehemaligen ABDA-Pressesprecher ein. Spiegel online titelt "Apotheker-Lobbyist Bellartz: ‚Eine Lüge am Tag geht immer‘". Im dazugehörigen Beitrag wird der ehemalige Leiter des Hauptstadtbüros der Pharmazeutischen Zeitung als "Brecher, aber durchaus mit Charme" bezeichnet, der einen "rustikalen Kommunikationsstil" pflege und Journalisten schon mal beschimpft habe. Am 17. Dezember legt dann das Nachrichtenmagazin "Focus" nach. Bellartz habe Apotheke adhoc mit Zustimmung der ABDA-Spitze "einen Großauftrag" zugeschanzt. Für den Versand der Faxe und Pressemitteilungen – "eigentlich Aufgabe des Pressesprechers" – habe El Pato von der ABDA knapp 800.000 Euro erhalten.

Auch die ABDA gerät ins Visier des Focus: "So war Bellartz 2007 mit einem interessanten Angebot in seinen Sprecherjob gelockt worden: Er könne seine Privatgeschäfte mit der von ihm mitgegründeten Kommunikationsagentur El Pato, der Betreiberin von Apotheke adhoc, fortführen."

Inzwischen hat die ABDA immerhin eingeräumt, für einen "kleinen einstelligen Millionenbetrag" Aufträge an El Pato vergeben zu haben. Ob das alles ist, wird sich erst mit Vorlage des Berichtes zeigen. Auch dass die deutschen Apotheker seit einigen Jahren die deutsche paralympische Mannschaft unterstützt und Bellartz heute mit seiner Agentur Neuspree die Pressearbeit für einen der erfolgreichsten deutschen Behindertensportler betreibt, hat zumindest ein "G’schmäckle", wie man auf Schwäbisch sagt. Aus der anfänglichen Spionageaffäre im BMG hat sich eine ABDA-Affäre entwickelt. Das Reinemachen im Apothekerhaus hat gerade erst begonnen.



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DAZ 2012, Nr. 51, S. 19

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