Arzneimittel und Therapie

Rückblick auf zwei Jahre frühe Nutzenbewertung

Betrachtungen der Marktteilnehmer

Vertreter des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), der AOK Niedersachsen, der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) und des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa) diskutierten beim Zwischenahner Dialog am 19. April über die frühe Nutzenbewertung für innovative Arzneimittel. Es gab Lob vom G-BA, aber die Industrie bleibt bei ihrer vielfältigen Kritik. Die AOK bedauert, dass das Verfahren die Krankenkassenausgaben bisher nur um einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag gesenkt habe.
Dr. Siegfried Throm, vfa-Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und Innovationen. Fotos: DAZ/tmb

Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel beim G-BA, vermittelte ein positives Bild. Die Bewertungen seien vergleichbar mit den Ergebnissen in Ländern mit ähnlichen Maßstäben wie Frankreich, Italien und den Niederlanden. Hinsichtlich der Akzeptanz von Surrogatparametern wie der Viruslast bei HIV sei viel Erfahrung gewonnen worden. Bei der Konzeption von Studien müsse künftig darauf geachtet werden, nicht nur die Wirksamkeit, sondern auch den Zusatznutzen zu zeigen. Langfristig erwartet Müller, dass sich Zulassung und Nutzenbewertung aufeinander zu bewegen ("lernendes System"). Hinzu komme der Trend, Kriterien für die Nutzenbewertung auf europäischer Ebene zu harmonisieren.

Überschaubare Einsparungen

Für Brigitte Käser, Geschäftsführerin Gesundheitsmanagement ambulant bei der AOK Niedersachsen, trennt die frühe Nutzenbewertung "Spreu und Weizen" und schafft zusätzliche Transparenz. Allerdings spare sie bisher allenfalls einen "mittleren zweistelligen Millionenbetrag" ein und führe dennoch zu viel Unmut im System. Die Bewertung des Bestandsmarktes werde auch nicht zu der früher angekündigten Einsparung von zwei Milliarden Euro führen, sei aber wichtig, auch aus Wettbewerbsgründen. Käser forderte die differenzierte Betrachtung von Subgruppen vor dem Hintergrund der personalisierten Medizin, auch wenn letztlich eine Mischkalkulation entstehe, weil jedes Produkt nur einen Preis haben kann. Die Vergleichsmedikation sollte sich am tatsächlichen Versorgungsgeschehen orientieren.

Dr. Eckart Bauer, ABDA-Abteilungsleiter Wirtschaft und Soziales, und Heinz-Günter Wolf, Vorsitzender des Landesapothekerverbandes Niedersachsen, betonten, dass die gesetzliche Regelung in § 130b SGB V zur Darstellung des Erstattungsbeitrags für die frühe Nutzenbewertung klar formuliert sei. Demnach bleibe der Listenpreis die Basis für weitere Preisberechnungen. Doch Käser erklärte, der Erstattungspreis sei als Grundlage für alle weiteren Berechnungen gedacht, zumal das Gesetz die Arzneimittel verbilligen solle. Als Lösung schlug sie eine rahmenvertragliche Klarstellung vor.

Dr. Jörg Berling, stellvertretender Vorsitzender der KVN, bezeichnete die frühe Nutzenbewertung aus Sicht der Ärzte als erwünschte Information von einer unabhängigen Stelle. Doch blieben die Ärzte verunsichert durch die drohenden Regresse bei Verordnungen vor der Nutzenbewertung, die fehlende Preisübersicht und die möglichen Probleme bei Marktrücknahmen nach ungünstigen Bewertungen. Problematisch sei insbesondere die Frage, wie innovative Arzneimittel als Praxisbesonderheit bei Richtgrößenprüfungen berücksichtigt werden.

Kritik von der Industrie

Dr. Siegfried Throm, vfa-Geschäftsführer Forschung, Entwicklung und Innovationen, merkte zu internationalen Vergleichen an, in Frankreich würden weniger Subgruppen unterschieden und nicht so viele weitere Eingriffe in den Markt vorgenommen. Throm begrüßte, dass neuerdings auch in Deutschland nicht mehr so viele kleine Subgruppen gebildet werden wie bei den ersten Bewertungen. Doch kritisierte er die hohen formalen Hürden für die Anerkennung der Lebensqualität und die restriktive Praxis bei Freistellungsanträgen. Außerdem sollten neue Vergleichspräparate akzeptiert werden, wenn sich die Standardtherapien ändern. Für Indikationen mit langer Behandlungsdauer wie Diabetes, Hypertonie und Alzheimer müsse ein Konsens zum Einsatz von Surrogatparametern gefunden werden. Hinsichtlich der Bewertung des Bestandsmarktes beklagte Throm den enormen Aufwand. Solche Dossiers könnten über 100.000 Seiten umfassen, und es sei kaum möglich, alle Studien aufzufinden, die irgendwo auf der Welt ohne Wissen des Herstellers gemacht werden. Die Einsparungen sollten im Vergleich zu diesem Aufwand gesehen werden. Dies gelte auch für die Belastung des Forschungsstandortes Deutschland und die vielen exportorientierten Arbeitsplätze in der Pharmaindustrie.


tmb


Lesen Sie zum Zwischenahner Dialog auch den Bericht
"Apothekenmarkt uneinheitlich: Zwischenahner Dialog zur wirtschaftlichen Lage"
in dieser Ausgabe der DAZ

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