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- DAZ 18/2013
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Praxis aktuell
Unsicherheiten beseitigen!
Bei der Parenteralia-Herstellung sind zurzeit zwei Punkte von besonderer Bedeutung:
- Zum einen sollte betrachtet werden, welche Möglichkeiten für die Herstellung außerhalb der Apotheke bestehen und inwiefern dabei ein fairer Wettbewerb gewährleistet wird.
- Zum anderen stellt sich die Frage, welche Leitlinien für die Herstellung in der Apotheke geeignet sind und in der Überwachungspraxis akzeptiert werden.
Herstellung außerhalb der Apotheke in Betrieben …
Die Herstellung von Parenteralia kann außerhalb der Apotheke in Betrieben mit einer Herstellungserlaubnis nach §13 AMG erfolgen. Bei dieser Möglichkeit kann aus heutiger Sicht nicht von einer vollständigen, zeitnahen und flächendeckenden Versorgung gesprochen werden. Außerdem sollte bedacht werden, dass für diese Betriebe kein Kontrahierungszwang besteht. Bei vollständiger Verlagerung der patientenindividuellen Parenteralia-Herstellung sind Versorgungsengpässe zu befürchten, die vor allem seltene Arzneiformen und Rezepturen sowie die rechtzeitige Verfügbarkeit beträfen.
… oder durch den behandelnden Arzt
Die zweite Möglichkeit, eine Parenteralia-Herstellung außerhalb der Apotheke vorzunehmen, ist die Herstellung durch den behandelnden Arzt. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um eine Rekonstitution, die weder erlaubnis- noch anzeigepflichtig ist. Rekonstitution ist hierbei definiert als die "Überführung eines Fertigarzneimittels in seine anwendungsfähige Form unmittelbar vor seiner Anwendung gemäß den Angaben der Packungsbeilage". Im Krankenhaus wird die Herstellung durch den Arzt dabei häufig an Pflegekräfte delegiert.
Eine externe Überwachung, wie sie für Apotheken üblich ist, findet nicht oder nur sehr eingeschränkt statt.
Risiken bei der Rekonstitution
Die einschlägigen Leitlinien für die Herstellung fokussieren die mikrobiologischen und hygienischen Bedingungen. Nun stellt sich die Frage: Warum sollten die durch eine Verunreinigung drohenden Risiken bei der Rekonstitution geringer sein als bei einer "echten" Herstellung?
Zwar ist nur die Herstellung zur unmittelbaren Anwendung des Medikaments (< 1 Std.) vorgesehen; ist das Medikament aber am Patienten angekommen, ist die Dauer seiner Verabreichung nicht eingeschränkt. In der Praxis kommen durchaus auch lange Applikationszeiträume von z. B. 24 Stunden vor. Während der Verabreichung kommen regelmäßig Manipulationen am Infusionssystem vor, die die Frage nach der mikrobiologischen Sicherheit aufwerfen. Der Begriff der Rekonstitution darf nicht zur Etablierung einer "Herstellung light" führen.
Es stellt gerade für Krankenhausapotheken häufig ein Problem dar, dass eine Rekonstitution durch den geringeren Aufwand deutlich wirtschaftlicher erscheint als die vermeintlich teure zentralisierte Herstellung in der Apotheke. Über die Rekonstitution hinaus ist den Ärzten im Übrigen auch eine "echte" Herstellung erlaubt; auch diese ist erlaubnisfrei, es muss lediglich eine Anzeige gemäß § 67 AMG erfolgen.
Fairer Wettbewerb?
Um einen fairen Wettbewerb zu schaffen, müssten Betriebe mit Herstellungserlaubnis – zumindest für den Bereich der patientenindividuellen Herstellung – ebenfalls einem Kontrahierungszwang unterliegen und bei der Preisgestaltung den gleichen Regeln wie Apotheken unterworfen werden.
Die ärztliche Herstellung ist besonders im Bereich der Rekonstitution eine notwendige Voraussetzung für die Patientenversorgung. Allerdings müsste auch hier in der Praxis die Anwendung geeigneter Leitlinien geprüft und durchgesetzt werden.
Höhere Standards im Krankenhaus
Die zentrale Herstellung in der Krankenhausapotheke wird aber grundsätzlich unter besseren organisatorischen und hygienischen Bedingungen stattfinden und zusätzlich die Möglichkeit bieten, standardisierte Produkte zu entwickeln. Insofern sollte die Herstellung in der Krankenhausapotheke immer bevorzugt werden, wenn diese möglich ist. Dass dies schon heute vermehrt geschieht, ist sicher auch der vermehrten Aufmerksamkeit der Medien beim Thema "Hygiene im Krankenhaus" zuzuschreiben.
Leitlinien und Empfehlungen: große Verunsicherung
Die aktuellen Diskussionen über die Validierungsempfehlung des VZA (Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker) führen – wie die vor einigen Jahren vorangegangenen Diskussionen um die betreffenden BAK-Leitlinien – bei den Kollegen zu Unsicherheiten. Welche Vorgaben finden in der Überwachungspraxis Akzeptanz?
Es gibt eine Fülle verschiedener Dokumente, die Informationen zur Herstellung von Parenteralia geben. Sie machen teils übergeordnete Vorgaben, teils formulieren sie die Ausgestaltung in der Praxis.
Einen groben Überblick zur Hierarchie der Dokumente und zu dem von oben nach unten zunehmenden Praxisbezug gibt die folgende Aufstellung:
- AMG, AMWHV,
- EU-GMP, Pharm. Eur.,
- PIC/S,
- ApBetrO,
- Leitlinien der Fachgesellschaften (z. B. ADKA, BAK).
Die gesamte Debatte, um die anzuwendenden Regeln muss zukünftig gebündelt werden. Die große Vielfalt zeigt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.
Die Ankündigung eines Aide mémoire der AATB (Arbeitsgruppe Arzneimittel-, Apotheken-, Transfusions- und Betäubungsmittelwesen) ist hierbei sehr zu begrüßen, allerdings halte ich es für geboten, auch entsprechende Regelungen in das gültige Europäische Arzneibuch aufzunehmen. Dessen Formulierungen sind eher übergeordnet bzw. "industrielastig"; andere Pharmakopöen wie die US-amerikanische USP oder aber auch das Schweizer Arzneibuch treffen Regelungen, die detailliert und praxisorientiert sind.
Bis entsprechende Regelungen in das Arzneibuch Eingang gefunden haben, wird es weiterhin notwendig sein, sich an Leitlinien der Fachgesellschaften zu orientieren; es ist nicht sinnvoll, dass jede einzelne Apotheke die wenig konkreten Regelungen des häufig zugrunde gelegten PIC/S selbst interpretiert.
Die aktuellste Leitlinie ist die Ende letzten Jahres in überarbeiteter Fassung publizierte ADKA-Leitlinie (Version vom 12. 12. 2012); es bleibt abzuwarten, ob diese in der Überwachungspraxis akzeptiert wird.
Ein "quasi-geschlossenes" System
Um eine praktikable Lösung zu finden, wäre es hilfreich, auf die besonderen Bedingungen in der Apotheke abzuheben. Der weitaus größte Teil der Herstellungen erfolgt nämlich in verschiedenen (Krankenhaus‑) Apotheken in vergleichbarer Weise. Es kommen bei der Herstellung überwiegend Kanülen, Spikes und Luerverbindungen zum Einsatz.
Diese Art der Herstellung führt dazu, dass nur vorübergehend ein nicht vollständig geschlossenes System besteht. Die kurzfristige Öffnung umfasst hierbei nur eine winzige Fläche von wenigen Quadratmillimetern. Es kann dabei von einem "quasi-geschlossenen" System gesprochen werden.
Schweizer Arzneibuch als Vorbild
Unsere Kollegen in der Schweiz haben dies bereits erkannt und in ihrem Arzneibuch eine eigene Monographie zur "guten Herstellungspraxis für Arzneimittel in kleinen Mengen" formuliert. Dort heißt es unter anderem: "… kann das einmalige Aufziehen einer Lösung aus einer kurzfristig geöffneten Brechampulle als geschlossenes System betrachtet werden."
Die durchaus anspruchsvollen Regeln der Pharmacopoea Helvetica etablieren spezielle GMP-Regeln, ohne den Apotheken Industrievorgaben "überzustülpen".
Evidenz oder: Welchen Nutzen bringt der Aufwand?
Eine interessante Perspektive auf die Diskussion der einzuhaltenden Regeln schafft der Blick auf die Medizin. Hier werden Therapien, Untersuchungsmethoden und andere medizinische Maßnahmen seit Langem anhand ihrer Evidenz bewertet.
Übertragen auf die Fragestellungen bezüglich Reinraumklassen, Bekleidungsvorschriften oder Validierungsumfang bleibt festzuhalten, dass diese Vorgaben nach reinen Risikogesichtspunkten getroffen wurden und in einer Evidenzbetrachtung lediglich der geringsten Evidenzklasse entsprächen.
Großangelegte Untersuchungen, die den Nachweis erbringen, dass einzelne Maßnahmen tatsächlich zu einer höheren (mikrobiologischen) Qualität des Endproduktes führen, fehlen bislang.
Angesichts der enormen Investitionen, die alleine im Bereich der Reinraumtechnik notwendig werden, sollten zukünftig Empfehlungen erst nach Durchführung nachvollziehbarer Untersuchungen erfolgen.
Ich bin überzeugt, dass durch konstruktive Zusammenarbeit und eine offene Diskussion praxistaugliche Lösungen gefunden werden können und gleichzeitig alle Anforderungen an die Produktqualität erfüllt werden.
Dabei muss nicht automatisch die höchstmögliche technische Anforderung die Grundlage der Diskussion sein, sondern der tatsächliche Mehrwert, der im Sinne eines qualitativ hochwertigen Arzneimittels zum Nutzen des Patienten erzielt wird.
Zum WeiterlesenValidierungsempfehlung des VZA und Interview mit Prof. Dr. Sebastian Lemmen, Infektiologe am Universitätsklinikum Aachen: Interview mit Dr. Beate Reutter, GMP-Inspektorin in Schleswig-Holstein: "Sichere Parenteralia-Herstellung – aber wie?" DAZ 2013, Nr. 10, S. 82. |
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