Phytopharmaka

Ginkgo biloba

Von Robert Hermann und Oliver von Richter | Ginkgo-Präparate gehören heute neben Johanniskraut-Produkten zu denjenigen Phytopharmaka, deren Potenzial für Arzneimittelinteraktionen am umfassendsten charakterisiert ist. Die Effekte auf die Aktivität aller maßgeblichen Cytochrom-P450-Enzyme und einer Reihe von Arzneistofftransportern wurden mittels spezifischer Markersubstanzen untersucht [1]. Allein in diesem Jahrhundert sind mehr als 20 kontrollierte klinische Interaktionsstudien mit gesunden Probanden und Patienten publiziert worden [1]. Allerdings sind die Ergebnisse – wie alle klinischen Daten zu Phytopharmaka – produktspezifisch und nicht auf Produkte anderer Hersteller übertragbar.

Spezialextrakte

Ginkgo biloba, auch Mädchenhaarbaum oder Silberbaum genannt, ist mit ca. 190 Millionen Jahren die älteste heute existierende Baumspezies und der einzig verbliebene Repräsentant der urzeitlichen Familie Ginkgoaceae. Pharmazeutische Ginkgo-biloba -Produkte gehören heute weltweit zu den populärsten und am meisten verwendeten Phytopharmaka und enthalten in Europa in der Regel Spezialextrakte aus den Blättern des Baumes.

Die Spezialextrakte sind bezüglich der erwünschten Inhaltsstoffe (Ginkgolide, Terpenlactone) angereichert und bezüglich unerwünschter Bestandteile (insbesondere Ginkgolsäuren) abgereichert. Die Monografie der Kommission E fordert ein Droge-Extrakt-Verhältnis von 35:1 bis 67:1 und einen Gehalt von 22 bis 27% Flavonglykosiden und 5 bis 7% Terpenlactonen sowie < 5 ppm Ginkgolsäuren. Die Monografie "Quantifizierter, raffinierter Ginkgotrockenextrakt" des Europäischen Arzneibuchs stimmt damit hinsichtlich der Flavonolglykoside und der Ginkgolsäuren überein, differenziert aber die Terpenlactone in 2,6 bis 3,2% Bilobalid und 2,8 bis 3,4% Ginkgolide A, B und C (zusammen 5,4 bis 6,6%).

Indikationen

Gemäß Kommission E und der European Scientific Cooperation of Phytotherapy (ESCOP) sind Ginkgo-Extrakte zur symptomatischen Behandlung von hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen bei Patienten mit primärer degenerativer Demenz, mit vaskulärer Demenz oder Mischformen aus beiden indiziert. Eine weitere Indikation sind leichte kognitive Beeinträchtigungen (MCI, Mild Cognitive Impairment). Ginkgo-Extrakte werden darüber hinaus zur symptomatischen Behandlung von arteriellen Durchblutungsstörungen sowie bei Schwindel (Vertigo) und Ohrgeräuschen (Tinnitus) eingesetzt, in Asien auch bei einer Reihe weiterer Indikationen.

Als Tagesdosis für die symptomatische Behandlung von Demenz und Gedächtnisschwäche empfehlen die Hersteller 120 bis 240 mg, bei anderen Indikationen 40 bis 240 mg.

Cocktail-Studien zur Phänotypisierung von CYP-Interaktionen

Die gleichzeitige Gabe mehrerer Arzneistoffe, die durch verschiedene CYP-Enzyme selektiv verstoffwechselt werden, und die anschließende Messung der Aktivität dieser CYP-Enzyme (sog. Phänotypisierung) wird als Cocktail-Studie bezeichnet. Inzwischen sind verschiedene "Cocktails" validiert und bieten einen effizienten Ansatz, Wechselwirkungen von Phytopharmaka mit mehreren CYP-Enzymen in einer einzigen Studie zu untersuchen. Bislang wurden drei Cocktail-Studien mit zwei Ginkgo-Produkten publiziert (Tab. 1) [2, 3, 4].

Gurley et al. untersuchten den Effekt eines Ginkgo-Präparates in jungen, gesunden Probanden, in welchen vor der ersten Gabe und einige Stunden (h) nach der letzten Gabe die Aktivitäten von CYP1A2, CYP2D6, CYP2E1 und CYP3A4 mittels eines "Cocktails" aus Coffein, Debrisoquin, Chlorzoxazon und Midazolam in unterschiedlichen Körperflüssigkeiten bestimmt wurden [2]. Dabei wurden folgende metabolische Quotienten (MQ) erfasst:

  • Paraxanthin/Coffein (6 h, Serum; Marker der CYP1A2-Aktivität),
  • 4-OH-Debrisoquin/Debrisoquin (8 h, Urin; Marker der CYP2D6-Aktivität),
  • 6‑OH-Chlorzoxazon/Chlorzoxazon (2 h, Serum; Marker der CYP2E1-Aktivität) und
  • 1‑OH-Midazolam/Midazolam (1 h, Plasma; Marker der CYP3A4-Aktivität).

Anhand dieser Parameter war kein Effekt von Ginkgo auf die Aktivitäten von CYP1A2, CYP2D6 und CYP3A4 nachweisbar. Lediglich für CYP2E1 ließ sich die Tendenz zu einer schwachen Induktion erkennen, die nicht statistisch signifikant war.

Dieselbe Arbeitsgruppe führte später eine Studie mit identischer Ginkgo-Dosierung und -Anwendungsdauer in einem identischen Studiendesign mit derselben Methodik an einer Gruppe älterer Probanden (67 ± 5,2 Jahre) durch [3]. In dieser Studie war ebenfalls kein Effekt von Ginkgo auf die Aktivitäten von CYP1A2, CYP2D6 und CYP3A4 nachweisbar, aber auch kein Effekt auf CYP2E1.

In einer dritten "Cocktail"-Studie untersuchten Zadoyan et al. die Effekte des Extraktes EGb 761® (120 mg 2 × tägl. oder 240 mg 1 × tägl. für jeweils 8 Tage) auf die Aktivitäten von CYP1A2 (150 mg Coffein, MQ Paraxanthin/Coffein im Plasma, 6 h), CYP2C9 (125 mg Tolbutamid, Tolbutamid im Plasma, 24 h), CYP2C19 (20 mg Omeprazol, MQ Omeprazol/5‑OH-Omeprazol im Plasma, 3 h), CYP2D6 (30 mg Dextromethorphan, MQ Dextromethorphan/Dextrorphan im Plasma, 3 h) und CYP3A4 (2 mg Midazolam, Midazolam im Plasma, 6 h) [4].

Die Quotienten der mit EGb 761® und Placebo erhaltenen MQ-Werte lagen nahe 1 für alle CYP-Enzyme, mit Ausnahme von CYP2C9 (0,834 für 120 mg 2 × tägl.; 0,848 für 240 mg 1 × tägl.) und CYP2C19 (0,874 für 120 mg 2 × tägl.; 0,896 für 240 mg 1 × tägl.). Diese Ergebnisse legen eine schwache Induktion der beiden CYP2C-Isoenzyme nahe. Die 90%-Konfidenzintervalle der metabolischen Quotienten für die meisten CYP-Enzyme lagen innerhalb der zuvor festgelegten Bioäquivalenz-Akzeptanzgrenzen (0,70 – 1,43), mit Ausnahme von CYP2C19 (90%‑KI 0,681– 1,122 für 2 × 120 mg tägl.) und von CYP2D6 (90%‑KI 0,667 – 1,281 für 1 × 240 mg tägl.) [4]. Somit belegen die Daten, dass EGb 761® (240 mg/d) weder ein Inhibitor noch ein Induktor der wichtigen Arzneistoff-metabolisierenden Enzyme CYP1A2, CYP2D6 und CYP3A4 ist, und zwar unabhängig davon, ob die Tagesdosis auf eine oder zwei Gaben verteilt wird. Eine schwache Induktion von CYP2C9 und CYP2C19 tritt nur bei einmal täglicher Gabe auf.

Klassische pharmakokinetische Interaktionsstudien

Schwerpunkt CYP2C9

Vier Studien haben die Effekte des Ginkgo-Extraktes EGb 761® auf die Aktivität von CYP2C9 anhand vollständiger Plasmakonzentrations-Zeit-Profile gemessen (Tab. 2) [5, 6, 7, 8]. So zeigt eine enantioselektive Interaktionsstudie mit S‑Warfarin (> S‑7-Hydroxy-warfarin, Marker für CYP2C9; > R‑Warfarin, Marker für CYP1A2 und CYP3A4) in gesunden Probanden, dass EGb 761® (240 mg/d) weder Effekte auf die Aktivitäten von CYP2C9, CYP3A4 und CYP1A2 vermittelt noch die Exposition und Clearance sowie das Verteilungsvolumen und die Plasmaproteinbindung von R- und S‑Warfarin beeinflusst. Zudem zeigten sich keine Hinweise auf signifikante Effekte bzgl. Blutgerinnung (INR) und Thrombozytenaggregation [5].

Studien von Greenblatt et al. [6] und Mohutsky et al. [7], die die Arzneistoffe Flurbiprofen bzw. Diclofenac und Tolbutamid als Markersubstanzen verwendeten, bestätigten, dass EGb 761® die Aktivität von CYP2C9 nicht beeinflusst; allerdings wurde in der Studie von Greenblatt mit drei Einzelgaben von 120 mg EGb 761® zu kurz und zu niedrig dosiert, um eine etwaige CYP2C9-Induktion erfassen zu können.

Im Gegensatz dazu haben Uchida et al. den Effekt höherer EGb 761® -Dosen (360 mg/d) auf die Pharmakokinetik der Markersubstanzen Tolbutamid (CYP2C9) und Midazolam (CYP3A4) in gesunden männlichen Probanden untersucht [8]. Dabei zeigten sich eine geringfügig reduzierte Exposition für Tolbutamid (AUC -16%; p < 0,05) und eine erhöhte Exposition für Midazolam (AUC +25%), obwohl der metabolische Quotient Midazolam/1‑OH-Midazolam nicht signifikant verändert war. Diese Studie legt nahe, dass höhere EGb 761® -Dosen eine geringfügige Induktion von CYP2C9 bewirken, die bei den empfohlenen Tagesdosen nicht detektierbar ist. Die erhöhte Midazolam-Bioverfügbarkeit ist wohl auf eine moderate Inhibition von intestinalem CYP3A4 durch EGb 761® zurückzuführen und würde dann auch alle anderen CYP3A4-Substrate betreffen (s. u.).

Schwerpunkt CYP2C19

Drei Publikationen haben die Effekte verschiedener Ginkgo-Produkte auf die Aktivität von CYP2C19 in klassischen pharmakokinetischen Interaktionsstudien geprüft (Tab. 3) [10, 11, 12].

Lei et al. untersuchten ein US-amerikanisches Ginkgo-Produkt im Hinblick auf eine mögliche Induktion von CYP2C19 mit 14 gesunden chinesischen Probanden (7 extensive Metabolisierer = EMs mit dem Genotyp 2C19*1/2C19*1; 7 langsame Metabolisierer = PMs mit dem Genotyp 2C19*2/2C19*2), indem sie die AUC des CYP2C19-Substrates Voriconazol bestimmten [10]. Bei den EMs der Verumgruppe war die Voriconazol-AUC 17% niedriger als bei den EMs der Kontrollgruppe (p > 0,05), was trotz der fehlenden statistischen Signifikanz aufgrund der geringen Fallzahl auf eine schwache Induktion von CYP2C19 hinweist. Erwartungsgemäß zeigte sich bei den PMs, die kein funktionales CYP2C19-Enzym besitzen, keine Induktion des Enzyms.

Zuo et al. verwendeten in einer vierwöchigen Studie mit 12 gesunden Probanden einen chinesischen Ginkgo-Extrakt (240 mg/d) und Diazepam (10 mg, Einmaldosis) als Substrat für CYP2C19 und CYP3A4 [11]. Dabei änderte sich unter der Ginkgo-Behandlung weder die AUC des Diazepam noch seines Hauptmetaboliten N‑Desmethyl-diazepam.

Demgegenüber zeigte eine Studie von Yin et al. mit einem etwas höher dosierten chinesischen Ginkgo-Produkt (280 mg/d) eine schwache CYP2C19-Induktion [12]. Als CYP2C19- und CYP3A4-Substrat diente der Protonenpumpenhemmer Omeprazol. Dabei ist zu beachten, dass CYP2C19 das Substrat hydroxyliert, während CYP3A4 es sulfoxidiert [13]. Die Studie wurde mit 18 gesunden chinesischen Probanden durchgeführt (6 homozygote EMs, 5 heterozygote EMs, 7 homozygote PMs). Alle Probanden erhielten Omeprazol (40 mg oral, Einmaldosis) vor und nach einer 12-tägigen Gabe des Ginkgo-Produktes. Ginkgo bewirkte bei den homozygoten EMs, heterozygoten EMs und homozygoten PMs mittlere Reduktionen der Omeprazol-AUCs von 41,5%, 27,2% und 40,4% (p < 0,05 oder 0,01). Gemäß der Kategorisierung der FDA charakterisieren diese Ergebnisse das geprüfte Ginkgo-Produkt als schwachen Induktor von CYP2C19 (d. h. Reduktion der AUC des Substrates um 20 bis 50%). Allerdings ist die Studie insofern implausibel, als der CYP2C19-vermittelte Metabolismus von Omeprazol bei den homozygoten PMs, die kein funktionales CYP2C19 besitzen, offensichtlich in gleichem Umfang induzierbar war wie bei den homozygoten EMs. Von den Autoren wurden diese Implausibilität und ihre möglichen Ursachen (z. B. Fehlgenotypisierung in der Gruppe der PMs) leider nicht diskutiert, was eine Bewertung dieser Studie erschwert. Die Aktivität von CYP3A4 blieb in allen drei Gruppen im Wesentlichen unbeeinflusst, wie anhand der metabolischen Quotienten von Omeprazol/Omeprazolsulfon und von 6β‑Hydroxycortisol/Cortisol gezeigt werden konnte.

Schwerpunkt CYP3A4 und CYP2B6

Robertson et al. untersuchten in 14 gesunden Probanden die Effekte einer 4-wöchigen Gabe von EGb 761® bei gleichzeitiger Gabe der HIV-Proteinase-Inhibitoren Lopinavir und Ritonavir (Kombinationspräparat) auf deren Plasmakonzentrationen. Zudem erhielten die Probanden Midazolam (CYP3A4-Substrat) und Fexofenadin (Substrat von P‑gp) (Tab. 4) [13].

Während die Lopinavir-, Ritonavir- und Fexofenadin-Plasmakonzentrationen durch EGb 761® nicht signifikant beeinflusst wurden, waren die maximale (Cmax) und totale Exposition (AUC) von Midazolam nach vier Wochen statistisch signifikant (p = 0,03) um 31% bzw. 34% gegenüber den Ausgangswerten erniedrigt. Die Ursache könnte eine Induktion von intestinalem CYP3A4 oder eine P‑gp-Inhibition (welche die intestinal metabolisierte Fraktion von CYP3A4-Substraten modulieren und damit deren Bioverfügbarkeit beeinflussen kann) oder eine Kombination beider Mechanismen sein. Allerdings gab es keine Effekte auf die Steady-State-Exposition des sensitiven CYP3A4-Substrates Lopinavir, was eine schlüssige Interpretation der Studiendaten erschwert. Aufgrund der potenten CYP3A4-inhibitorischen Effekte von Ritonavir lassen sich die beobachteten CYP3A-Effekte insgesamt nur schwer interpretieren und nicht eindeutig der EGb 761® -Gabe zuordnen. Das Ergebnis dieser Studie bzgl. CYP3A4-Aktivität steht im Gegensatz zu allen anderen publizierten Studien, welche entweder keine Beeinflussung der CYP3A4-Aktivität durch Ginkgo-Produkte gezeigt haben oder in einem Falle eher auf eine schwache Inhibition von intestinalem CYP3A4 hinwiesen [8]. In jedem Falle zeigt die Studie von Robertson aber, dass eine Behandlung mit EGb 761® im oberen Dosisbereich nicht die Exposition von Lopinavir und Ritonavir beeinflusst.

Die Effekte einer niedrig dosierten Ginkgo-Supplementierung auf die Steady-State-Plasmakonzentrationen des CYP3A4- und CYP2D6-Substrats Donepezil wurden in einer kleinen Gruppe japanischer Alzheimer-Patienten (65 – 80 Jahre) untersucht (Tab. 4) [14]. Dabei fanden sich nach einmonatiger Therapiedauer die Donepezil-Plasmakonzentrationen unverändert, was belegt, dass eine niedrige Ginkgo-Dosierung von 90 mg/Tag keine nennenswerte CYP2D6- oder CYP3A4-Inhibition oder ‑Induktion vermittelt.

Gleiche Schlussfolgerungen lassen sich für das CYP3A4-Substrat Nifedipin ziehen, obwohl die Studie methodische Limitationen aufweist (nur Einmalgabe von 240 mg Ginkgo-Extrakt, nur 8 Probanden; Tab. 4) [15].

Den Ergebnissen dieser Studien bezüglich CYP3A4 widerspricht folgende Studie: Markowitz et al. untersuchten den Einfluss einer zweiwöchigen Gabe von EGb 761® (240 mg/d) auf die Aktivitäten von CYP3A4 und CYP2D6 in jungen gesunden Probanden (phänotypisiert als extensive CYP2D6-Metabolisierer; EMs) [9]. Beim CYP3A4-Substrat Alprazolam fand sich eine geringfügige, statistisch signifikante Abnahme der Plasma-AUC von 17%. Beim CYP2D6-Substrat Dextromethorphan zeigten sich keine signifikanten Effekte (MQ Dextromethorphan/Dextrorphan, Urin) [9].

Die Effekte eines US-amerikanischen Ginkgo-Produktes auf die Aktivität von CYP2B6 wurden in einer Gruppe von 14 jungen, gesunden, männlichen chinesischen Probanden anhand der Bestimmung der Pharmakokinetik von Bupropion ermittelt, das fast ausschließlich durch CYP2B6 zu dem aktiven Hauptmetaboliten Hydroxybupropion verstoffwechselt wird [16]. Die Studie zeigte, dass eine Ginkgo-Gabe im oberen Dosisbereich keine signifikanten Effekte auf die Exposition (AUC) von Bupropion und Hydroxybupropion hat, und lässt sich dahingehend verallgemeinern, dass dieses Ginkgo-Produkt die Exposition von CYP2B6-Substraten wahrscheinlich nicht beeinflusst.

Effekt auf die Aktivität von Transportproteinen und UDP-Glucuronyltransferasen

Insgesamt sechs Studien sind publiziert, aus welchen Rückschlüsse auf Interaktionen verschiedener Ginkgo-Produkte mit diversen Arzneistofftransportern gezogen werden können (Tab. 5 und Tab. 6). In drei dieser Studien wurde der Extrakt EGb 761® eingesetzt [17, 20, 21].

Mauro et al. untersuchten in 8 gesunden Probanden den Effekt eines US-amerikanischen Ginkgo-Produktes auf die Pharmakokinetik von Digoxin, einem Substrat von P‑gp (ABCB1) [18]. Dabei zeigten sich keine signifikanten Änderungen der maximalen (Cmax) oder totalen (AUC) Digoxin-Exposition, die im Sinne einer Inhibition des intestinalen P‑gp interpretiert werden könnten, allerdings ist die Aussagekraft dieser Untersuchung durch die geringe Fallzahl eingeschränkt.

Eine ähnliche Studie führten Fan et al. mit einem hochdosierten Ginkgo-Produkt chinesischer Herkunft und dem Betablocker Talinolol durch [19]. Unter der Ginkgo-Behandlung stiegen die maximale (Cmax) und totale (AUC) Talinolol-Exposition um 36% (90%‑KI 10 – 68; p = 0,025) bzw. 22% (90%‑KI 8 – 37; p = 0,014) bei unveränderter Elimination des Talinolols (t1/2 und tmax). Die Daten können dahingehend interpretiert werden, dass die supratherapeutische Dosierung des geprüften Ginkgo-Produktes mit einer schwachen Inhibition des intestinalen P‑gp (ABCB1) einhergeht und dadurch die Bioverfügbarkeit von P‑gp-Substraten erhöht werden kann.

Die bereits zitierte Studie von Robertson et al. zeigte hingegen, dass EGb 761® die Pharmakokinetik des Antihistaminikums Fexofenadin unbeeinflusst lässt (Tab. 4) [13]. Dies ist insofern interessant, als Fexofenadin ein Substrat von P‑gp, der intestinalen Aufnahmetransporter OATP1A2 und OATP2B1 sowie des hepatischen Aufnahmetransporters OATP1B1 ist [20].

Kudolo et al. zeigten, dass die dreimonatige Gabe von EGb 761® weder bei gesunden Probanden noch bei Patienten mit Typ‑2-Diabetes mit signifikanten Veränderung der Pharmakokinetik des oralen Antidiabetikums Metformin einhergeht [21]. Da Metformin ein Substrat des Plasmamembran-Monoamintransporters (PMAT) ist, der als hauptsächlicher intestinaler Aufnahmetransporter des Metformins beschrieben wurde [22], zeigt die Studie, dass EGb 761® in der untersuchten Dosierung die Funktion von PMAT nicht beeinflusst. Da Metformin ein hydrophiles organisches Kation (pKa = 12,4) ist, welches im Menschen nicht in relevantem Ausmaß metabolisiert wird, gilt es als gute Markersubstanz für organische Kationentransporter in Darm und Leber (OCT1 und OCT3) sowie in der Niere (z. B. OCTN1, OCTN2, MATE1, MATE2‑K) [23]; insofern ist es aufgrund dieser Studie unwahrscheinlich, dass EGb 761® in der untersuchten Dosierung die Pharmakokinetik oder renale Clearance von OCT-Substraten in einem relevanten Ausmaß beeinflusst.

Lu et al. zeigten in gesunden Probanden, dass eine dreitägige Gabe von EGb 761® keine Effekte auf die Pharmakokinetik des Thrombozytenaggregationshemmers Ticlopidin hat, welches ein Substrat des Transporters OATP‑2B1 ist [24]. Damit stimmen die Ergebnisse einer weiteren Ginkgo-Ticlopidin-Interaktionsstudie überein, in welcher eine niedrig dosierte (80 mg) Einmalgabe eines koreanischen Ginkgo-Produktes (Tanamin®) in 24 männlichen koreanischen Probanden keine signifikanten Effekte auf die Pharmakokinetik von Ticlopidin gezeigt hat [25]. Die Ergebnisse beider Studien haben aufgrund der Einmal- bzw. Kurzzeitgabe mit niedrigen/mittleren Dosierungen leider nur eine eingeschränkte Aussagekraft.

In einer aktuellen Studie untersuchten Blonk et al. die Effekte von EGb 761® auf die Pharmakokinetik des HIV-Integrase-Inhibitors Raltegravir in 18 gesunden Probanden (Tab. 5) [17]. Raltegravir unterliegt keinem relevanten CYP-basierten oxidativen Metabolismus, sondern wird primär durch die UDP-Glucuronyltransferase 1A1 (UGT1A1) sowie durch UGT1A3 und UGT1A9 glucuronidiert. Weiterhin ist Raltegravir ein Substrat P‑gp. Unter der EGb 761® -Gabe nahmen die maximale (Cmax) und totale Raltegravir-Exposition (AUC) im Mittel um 44% bzw. 21% zu, während die Eliminationshalbwertszeit unverändert blieb. Die Zunahme der Raltegravir-Bioverfügbarkeit spricht eher für eine P‑gp-Hemmung als für eine UGT-Hemmung.


Robert Hermann

Kommentar


Im ersten Beitrag unserer Serie zu Phytopharmaka-Arzneimittel-Interaktionen (DAZ Nr. 14, S. 34) hatten wir bereits auf die essenzielle Bedeutung klinischer Interaktionsstudien wegen der geringen Prädiktivität von In-vitro-Studien und Tierversuchen hingewiesen und betont, dass die Ergebnisse klinischer Interaktionsstudien im Falle von Phytopharmaka aufgrund der Komplexität der Extrakte und der großen herstellungsbedingten Unterschiede ihrer Zusammensetzung streng produktspezifisch zu interpretieren sind, d. h. dass sie sich nicht ohne Weiteres auf Produkte anderer Hersteller übertragen lassen.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass Ginkgo-Produkte zu den am besten untersuchten Phytopharmaka bezüglich pharmakokinetischer Arzneimittelinterkationen zählen und dass über die Hälfte aller Studien mit einem spezifischen Extrakt durchgeführt wurde, welcher deshalb hinsichtlich seiner Interaktionseigenschaften außergewöhnlich gut charakterisiert ist. Damit nehmen Produkte mit diesem Extrakt nicht nur eine Ausnahmestellung ein, sondern setzen auch einen Qualitätsstandard, an dem sich andere Phytopharmakahersteller – auch im Hinblick auf die neue Richtlinie der EMA zu Arzneimittelinteraktionen – durchaus orientieren sollten. Denn nur gut untersuchte Produkte bieten in der Anwendung ein hohes Maß an Sicherheit. Es gehört zur qualifizierten Beratung, dass der Apotheker den Patienten darüber aufklärt.

Robert Hermann

Fazit

Die diskutierten klinischen Studien belegen, dass Ginkgo-Produkte in den empfohlenen Dosierungen nur ein geringes Potenzial für klinisch relevante pharmakokinetische Arzneimittelinteraktionen haben. Die untersuchten Ginkgo-Extrakte (d. h. insbesondere EGb 761®) haben keine relevanten Effekte auf die Aktivitäten der wichtigen Cytochrom-P450-Isoenzyme CYP1A2, CYP2B6, CYP2C9, CYP2D6, CYP2E1 und CYP3A4. Nur bzgl. CYP3A4 stimmen die Befunde nicht vollständig überein, was auf produktspezifische Unterschiede hinweisen kann. Überdies sind Alterationen in der Bioverfügbarkeit von CYP3A4-Substraten nur schwer zu interpretieren, weil höhere Ginkgo-Dosierungen das P‑gp hemmen, das mit CYP3A4 in einem komplexen Zusammenspiel steht (s. u.). Eine einzige Studie weist auf die Möglichkeit einer schwachen Inhibition von intestinalem CYP3A4 durch höhere EGb 761® -Dosierungen hin [8], doch sind die Effeke auf die Bioverfügbarkeit von CYP3A4-Substraten vermutlich zu geringfügig, um klinische Relevanz zu haben, es sei denn, sie hätten eine sehr geringe orale Bioverfügbarkeit und therapeutische Breite.

CYP2C19 scheint schon durch hohe therapeutische Ginkgo-Dosierungen (240 mg/d) schwach induzierbar zu sein, wobei auch hier die Studien weder vollkommen übereinstimmen noch bzgl. der CYP2C19-Genotyp-assoziierten Effekte in sich schlüssig sind [12].

Eine aktuelle Studie weist zudem darauf hin, dass EGb 761® (240 mg/d) die Aktivität der UDP-Glucuronyltransferasen UGT1A1, UGT1A3 und UGT1A9 unbeeinflusst lässt [17].

Die (weniger zahlreichen) Transportprotein-basierten Interaktionsstudien zeigten keine oder nur geringfügige Effekte von Ginkgo-Produkten auf die Aktivitäten von wichtigen Arzneistofftransportern. So haben therapeutische und höhere Ginkgo-Dosierungen (240 und 360 mg/d) allenfalls geringfügige Effekte auf die Bioverfügbarkeit der P‑gp-Substrate Digoxin und Talinolol [14, 15]. Eine Fexofenadin-Interaktionsstudie weist darauf hin, dass EGb 761® (240 mg/d über 4 Wochen) die Aktivitäten von P‑gp, OATP1A2, OATP2B1 sowie OATP1B1 nicht in relevantem Ausmaß beeinflusst [13]. Weiterhin hat eine Metformin-Interaktionsstudie gezeigt, dass mittlere Tagesdosen von EGb 761® (120 mg/d) die Funktionen des Plasmamembran-Monoamintransporters (PMAT) und der organischen Kationentransporter (OCT1, OCT3, OCTN1, OCTN2, MATE1, MATE2‑K) unbeeinflusst lassen [21].



Zwei Beiträge der Autoren über Phytopharmaka wurden bereits in der DAZ 2013, Nr. 14 veröffentlicht:

Wie Phytos und Arzneimittel interagieren –
Einführung und klinische Problemstellung, S. 34.

Echinacea. S. 40.


Autoren

Dr. med. Robert Hermann, FCP Arzt für Klinische Pharmakologie, Arzt für Anästhesie Rossittenstr. 15, 78315 Radolfzell

Dr. rer. nat. Oliver von Richter, FCP Am alten Neckarbett, 64665 Alsbach


Literatur

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