Arzneimittel und Therapie

Ist eine „Insulin-Impfung“ möglich?

Frühzeitige orale Einnahme von Insulin könnte Typ-1-Diabetes verhindern

Im Rahmen der Pre-POINT Studie konnte bei Kindern mit einem hohen Risiko zur Entwicklung von Typ-1-Diabetes eine positive Immunreaktion induziert werden, nachdem diese eine orale Insulinapplikation erhielten. Nun sollen weitere Studien folgen, um zu beurteilen, ob solch eine „Insulin-Impfung“ die Entstehung von Autoantikörpern tatsächlich dauerhaft verhindern kann.

Der Kontakt mit einigen wenigen, wohl definierten Antigenen kann ausreichen, um die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen zu vermitteln. Daher wird mit Antigen-spezifischen Immuntherapien versucht, die Pathogenese dieser Krankheiten zu verhindern, zu stabilisieren oder zurückzudrängen. Bekannte Beispiele finden sich bereits in der Anwendung niedrig dosierter Allergene im Rahmen der Desensibilisierung von Allergikern.

Ein neuartiger Ansatz zeigt sich nun in dem Versuch, durch die frühzeitige orale Applikation von Insulin die Entwicklung von Typ-1-Diabetes zu verhindern. Hier führt die Anwesenheit von Autoantikörpern zur Zerstörung der Insulin-produzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse. In Tierstudien konnte eine Administration von Insulin die Entwicklung von Diabetes verringern, was durch die induzierte Reifung und Entwicklung antiinflammatorisch wirkender Insulin-spezifischer regulatorischer T-Zellen erklärt wird. Tatsächlich kann man bereits in asymptomatischen Personen Monate bis Jahre vor Beginn der klinischen Manifestation von Typ-1-Diabetes Insulin-spezifische Autoantikörper sowie CD4+-T-Zellen gegen Pro-Insulin bzw. CD8+-Lymphozyten gegen Insulin nachweisen.

Zwar könnte ein einfacher Bluttest das Vorhandensein von Autoantikörpern gegen Insulin belegen, wichtig für die therapeutische Anwendung von Insulin als Maßnahme zur Verhinderung des Ausbrechens einer Autoimmunerkrankung ist es jedoch, entsprechende Hochrisikogruppen frühzeitig zu erkennen, um bereits vor der pathologischen Entstehung von Autoantikörpern präventiv handeln zu können.

Risikopatienten erkennen

Nach heutigem Kenntnisstand steht die genetische Variation des HLA-DR4-DQ8 Haplotyps in enger Assoziation mit der Entwicklung von Typ-1-Diabetes. Eben dieses Merkmal diente im Rahmen der Pre-POINT Studie zur Auswahl geeigneter Probanden [1]. Entsprechende Hochrisikopersonen umfassten Kinder im Alter von zwei bis sieben Jahren, welche bisher noch keine Insulin-spezifischen Autoantikörper entwickelt hatten und zwei Verwandte ersten Grades mit Typ-1-­Diabetes besaßen sowie den spezifischen HLA-Haplotyp (HLA-DR4-DQB1*0302 oder DR4-DQB1*0304) aufwiesen. Darüber hinaus wurden Kinder mit einem hohen Erkrankungsrisiko für Diabetes definiert, die ebenso noch keine Autoantikörpertiter aufwiesen, deren HLA-DR Haplotyp jedoch identisch ist mit dem ihrer Geschwister, bei denen bereits Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde.

Foto: Luis Louro – Fotolia.com

Wer bekommt Diabetes mellitus Typ 1? An der Entstehung von Typ-1-Diabetes sind viele Gene und Faktoren beteiligt. Werden Hochrisikotypen erkannt und bei ihnen rechtzeitig orales Insulin hochdosiert appliziert, so besteht die Hoffnung, dass über die Bildung von IgG-Antikörpern und eine regulatorische T-Zell-Antwort ein späterer Ausbruch der Autoimmun­erkrankung verhindert wird.

Die placebokontrollierte, doppelblinde Pilotstudie der Phase 1/2 untersuchte in der Zeit von 2009 bis 2013 an 25 Kindern in Deutschland, Österreich, Großbritannien und den USA die induzierte Immunantwort bzw. die direkt damit assoziierten Antikörpertiter und vermittelten T-Zell-Antworten, nachdem die Probanden täglich entweder Insulin in ansteigender Dosierung (n = 15) oder Placebo (n = 10) oral einnahmen. Während in der Placebo-Gruppe bei zwei von zehn Kindern [20%; (95% KI, 0,1% bis 45%)] eine Insulin-abhängige Immunantwort eingeleitet werden konnte, wurde dies bei fünf von sechs Kindern [83,3%; (95% KI, 53% bis 99,9%)] aus der Gruppe mit der höchsten Insulin-Dosierung (67,5 mg) erreicht. Die damit einhergehende T-Zell-Antwort schien dabei auf einer regulatorischen Aktivität zu basieren und bestätigt die Vermutung einer Antigen-spezifischen Immun­therapie.

Ein wichtiger Aspekt der Beobachtungen bezog sich zudem auf das Auftreten von typischen Nebenwirkungen (besonders Hypoglykämien), deren Anzahl sich in beiden Gruppen jedoch nicht unterschied und damit die Sicherheit der Behandlung belegt.

Die Autoren berufen sich damit auf den ersten Erfolg der Pilotstudie, nämlich die regulären Vorgänge im Körper eines gesunden Kindes erfolgreich nachgeahmt zu haben, die eine Typ-1-Diabetes-Erkrankung verhindern [2]. Da das Insulin als Peptidhormon bei oraler Applikation bereits im Magen gespalten und biologisch inaktiviert wird, hatte dieses auch keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel. Die Forscher vermuten daher, dass der Hauptvorgang der schützenden Immunisierung gegen Insulin bereits über die Mundschleimhaut erfolgt.

Auch wenn sich die Insulin-abhängige Immuntherapie noch in einem sehr frühen klinischen Stadium befindet, befürworten Forscher aufgrund dieser Ergebnisse, die Theorie einer oralen Immunisierung zur Prävention des Typ-1-Diabetes weiter zu verfolgen [3]. In nachfolgenden Studien soll nun an einer größeren Anzahl von Probanden mit hohem Erkrankungsrisiko der präventive Effekt von oral appliziertem Insulin bestätigt werden. Sollten sich diese Resultate wiederholen lassen, könnte in Zukunft eine flächendeckende Vorsorgeimpfung, zusammen mit einer Titerkontrolle und Genotypisierung von Personen mit entsprechender Familienhistorie, durchaus realisierbar sein. |

Quelle

[1] Bonifacio E, Ziegler A-G, Klingensmith G et al. Pre-POINT Study Group. Effects of high-dose oral insulin on immune responses in children at high risk for type 1 diabetes: the Pre-POINT randomized clinical trial. JAMA. doi:10.1001/jama.2015.2928

[2] Kästner K. Typ 1 Diabetes: Erste Hürde zur Insulin-Impfung erfolgreich genommen. www.tu-dresden.de

[3] Skyler JS. Toward Primary Prevention of Type 1 Diabetes. JAMA. 2015;313(15):1520-1521, doi:10.1001/jama.2015.2054

Apotheker André Said

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