Schwerpunkt Spannungskopfschmerzen

Mit Arzneimitteln gegen den „zu engen Hut“

Was Pfefferminzöl, Analgetika und Antidepressiva bei Spannungskopfschmerzen leisten können

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Von Carina John | Selten wenden sich Patienten mit Kopfschmerzen und damit auch mit Spannungskopfschmerzen sofort an ihren Arzt. Die meisten Patienten behandeln ihre Beschwerden zunächst mit rezeptfreien Analgetika aus der Apotheke. Hierbei ist die Fachkompetenz des Apothekers gefragt. Dieser Indikationsschwerpunkt bietet dem Apotheker die Chance, bei der Abgabe von Arzneimitteln im Rahmen der Selbstmedikation evidenzbasiert zu beraten. Wissenschaftliche Leitlinien dienen dabei als gute Orientierung.

Eine konkrete Diagnosestellung ist wichtig, da die meisten Kopfschmerzformen differenziert behandelt werden können oder diesen sogar vorgebeugt werden kann (s. a. „Der Kopf im Klammergriff“, S. 41). So ist es möglich, das Schmerz­geschehen bei Spannungskopfschmerzen und Migräne durch eine Anpassung des Verhaltens zu beeinflussen.

Selbstmedikation möglich?

Die ausführliche Differenzialdiagnose nimmt der Arzt vor. Im Beratungsgespräch in der Apotheke kann jedoch durch eine gezielte Befragung (s. Abb.) bereits sondiert werden, um welchen Kopfschmerztyp es sich handelt. Dies ver­einfacht die Entscheidung, ob eine Selbstmedikation gerechtfertigt ist und wie therapeutisch zu verfahren ist. So können Patienten z. B. episodische Kopfschmerzen vom Spannungstyp (eSK) selbst behandeln, wenn sie damit gut zurechtkommen. Zur Behandlung einer Cluster-Kopfschmerzattacke eignen sich rezeptfreie Schmerzmittel hingegen nicht. Die Therapie dieser Kopfschmerzform gehört in die Hände eines Arztes.

Symptomschilderungen von Patienten, bei denen der Apotheker im Beratungsgespräch unbedingt an den Arzt verweisen sollte, sind im Kasten „Wann zum Arzt?“ ersichtlich.

Wann zum Arzt?

Bei folgenden Symptomschilderungen ist eine ärztliche Abklärung erforderlich [1, 2]:

  • Kopfschmerzen, die an mehr als zehn Tagen pro Monat auftreten.
  • Kopfschmerzen, die nach einer Kopfverletzung, z. B. einem Sturz auftreten.
  • Kopfschmerzen, die von weiteren Symptomen wie Lähmungen, Gleichgewichtsstörungen etc. begleitet sind.
  • Kopfschmerzen, die mit psychischen Veränderungen einhergehen.
  • Kopfschmerzen, die von hohem Fieber begleitet sind.
  • Kopfschmerzen, die erstmals im Alter von über 40 Jahren auftreten.
  • Kopfschmerzen, die in ihrer Intensität, Dauer und/oder Lokalisation unüblich sind.
  • Kopfschmerzen, die erstmals während oder nach körperlicher Anstrengung auftreten und/oder sehr stark sind und in den Nacken ausstrahlen.
  • Kopfschmerzen, die trotz Behandlung an Häufigkeit, Stärke und Dauer zunehmen.
  • Kopfschmerzen, die zusammen mit einem epileptischen Anfall und Bewusstlosigkeit auftreten.
  • Kopfschmerzen, die nicht mehr auf die bisher wirk­samen Medikamente ansprechen.

Drückend und beengend

Das klinische Erscheinungsbild des Kopfschmerzes vom Spannungstyp ist durch eine leichte bis mittelschwere Schmerzintensität, beidseitige Lokalisierung sowie eine drückende, beengende Qualität gekennzeichnet. Manchmal wird er von Patienten wie ein „zu enger Hut“ empfunden. Gelegentlich wird von Appetitlosigkeit, Licht- oder Lärmempfindlichkeit und ggf. milder Übelkeit berichtet – Erbrechen tritt jedoch nicht auf. Durch normale körperliche Betätigung werden die Kopfschmerzen nicht verstärkt.

Beim Spannungskopfschmerz (SK) wird zwischen einer episodischen (sporadisch oder häufig auftretend) und einer chronischen Verlaufsform unterschieden. Der sporadische Subtyp wirkt sich relativ wenig auf die Lebensqualität aus, wohingegen der Subtyp mit häufigeren Attacken bereits mit erheblichen Behinderungen einhergehen kann. Die chronische Verlaufsform ist eine ernst zu nehmende Erkrankung.

Die genaue Pathophysiologie des Kopfschmerzes vom Spannungstyp ist nicht vollständig bekannt. Beim episodischen Kopfschmerz vom Spannungstyp sind periphere Mechanismen von Bedeutung, während bei der chronischen Verlaufsform zentrale Schmerzmechanismen eine Rolle spielen [3].

Die Diagnose von Kopfschmerzen erfolgt anhand der diagnostischen Kriterien der Internationalen Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen (ICHD) der International Headache Society (s. a. „Der Kopf im Klammergriff“ auf Seite  41).

Episodische Spannungskopfschmerzen: Analgetika sind eine Option

Die Therapie des episodischen Spannungskopfschmerzes umfasst primär die Behandlung von einzelnen Kopfschmerzattacken. Aufgrund der oft nur leichten Schmerzintensität bedarf es nicht immer der Einnahme von Schmerzmitteln – diese sollte wegen der Gefahr der Entwicklung von Analgetika-Kopfschmerzen durch Medikamentenübergebrauch generell restriktiv gehandhabt werden.

Bedenklich ist das regelmäßige Überschreiten folgender Grenzen [3]:

  • Anwendung von Monoanalgetika an mehr als 15 Tagen/Monat
  • Anwendung von Kombinationsanalgetika oder der Kombinationen verschiedener Analgetika an mehr als 10 Tagen/Monat

Zur Therapie des episodischen Spannungskopfschmerzes sind die gängigen, für die Selbstmedikation erhältlichen Analgetika geeignet. In Studien wurde primär die Wirksamkeit von Acetylsalicylsäure, Paracetamol, Ibuprofen, Naproxen, Metamizol, Diclofenac sowie der fixen Wirkstoffkombination 250 mg Acetylsalicylsäure, 250 mg Paracetamol und 65 mg Coffein untersucht.

Hinsichtlich der Dosierung und stellenweise auch der geeigneten Auswahl des Analgetikums sind in den verschiedenen Leitlinien unterschiedliche Angaben zu finden. Laut der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)wurde in Studien die Wirksamkeit von 500 bis 1000 mg Paracetamol belegt [4]. Gemäß der Praxisleitlinie der DGS sowie den evidenzbasierten Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft (ÖKSG) und der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft (SKG) sind 1000 mg Paracetamol wirksam zur Behandlung des episodischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp [2].

Diclofenac wurde nach der Entlassung aus der Verschreibungspflicht in der OTC-Dosierung (12,5 und 25 mg) in die Selbstmedikations-Leitlinie der DMKG, DGN, ÖKSG und SKG als Mittel der ersten Wahl bei Spannungskopfschmerz aufgenommen [2]. In den beiden anderen genannten Empfehlungen wird es bei episodischem Spannungskopfschmerz jedoch nicht berücksichtigt [1, 4].

Eine entsprechende Übersicht zu Wirkstoffen inkl. Dosierungen zeigt Tabelle 1.

Tab. 1: Empfehlungen zur Selbstmedikation von Spannungskopfschmerzen
Praxisleitlinie der DGS
S1-Leitlinie der DGN
Leitlinie der DMKG, DGN, ÖKSG und SKG
Wirkstoff oder Wirkstoff­kombination
Evidenzgrad
Evidenz­level
Wirkstoff oder Wirkstoff­kombination
Empfehlung
Wirkstoff oder Wirkstoff­kombination
Qualität der wissenschaftlichen Evidenz
Wissenschaftliche Evidenz
Empfehlung zur Selbstmedikation
ASS 500 – 1000 mg
A
1+
ASS 500 – 1000 mg
Class I
ASS (1000 mg)
A
++
Mittel der 1. Wahl
Ibuprofen ab 400 mg
A
1+
Ibuprofen 200 – 400 mg
Class I
Ibuprofen (400 mg)
A
++
Mittel der 1. Wahl
Paracetamol 1000 mg
A
1+
Paracetamol 500 – 1000 mg
Class I
Paracetamol (1000 mg)
B
+
Mittel der 2. Wahl
Naproxen 500 mg
A
1+
Naproxen 500 – 1000 mg
Class I
Naproxen bzw. Naproxen-Natrium
D
0
nur in Einzelfällen
250 mg Acetylsalicylsäure, 250 mg Paracetamol und 65 mg Coffein
Class I
zwei Tabletten der ­fixen Kombination ASS (250 bis 265 mg) + Paracetamol (200 bis 265 mg) + Coffein (50 bis 65 mg)
A
+++
Mittel der 1. Wahl
Metamizol 500 – 1000 mg
Class I

Evidenzgrad A: Die Aussage wird durch mehrere valide klinische Studien oder Metaanalysen oder systematische Reviews randomisierter kontrollierter Studien unterstützt; Evidenzlevel 1+: gute Metaanalyse, systematische RCT Reviews oder RCTs mit geringem Bias-Risiko; Class I: empfohlene Therapieoption

Kinder mit Kopfschmerzen: zum Arzt

Bei Kindern wird auch Flupirtin als wirksam beschrieben, wobei diese Substanz der Verschreibungspflicht unterliegt [8]. An dieser Stelle ist anzumerken, dass Kinder bei länger andauernden Kopfschmerzen niemals selbst mit apothekenpflichtigen Schmerzmitteln ohne ärztliche Kontrolle behandelt werden sollten. Die Diagnostik von Kopfschmerz-Erkrankungen im Kindesalter ist mitunter nicht einfach, vor allem bei kleineren Kindern. Zudem können auch schon Kinder bei Analgetikaübergebrauch einen medikamentenbedingten Dauerkopfschmerz entwickeln.

Pfefferminzöl: mehr als erfrischend?

Die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) aus dem Jahr 2015 zeigt auf, dass es Hinweise für die Wirksamkeit der lokalen (Schläfen/Nacken), großflächigen Applikation von Pfefferminzöl gibt [4,5]. Laut der Praxisleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin „Primäre Kopfschmerzerkrankungen“, ebenfalls aus dem Jahr 2015, ist die kutane Applikation von Pfefferminzöl (Oleum menthae piperitae) in 10%iger ethanolischer Lösung zur Behandlung des episodischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp wirksam und der Therapie mit Paracetamol 1000 mg oder Acetylsalicylsäure 1000 mg ebenbürtig [1, 5 – 7].

Pfefferminzöl in 10%iger ethanolischer Lösung ist im Rahmen der Selbstmedikation zur äußerlichen Anwendung bei leichten und mittelschweren Spannungskopfschmerzen zugelassen. Von Vorteil ist die gute Verträglichkeit. Hautirritationen und allergische Hautreaktionen sind die einzigen in der Fachinformation dokumentierten Nebenwirkungen. Die Lösung kann auch schon bei Kindern ab sechs Jahren angewendet werden.

Maximal 10 Tage pro Monat

In der Therapie des häufig auftretenden episodischen Spannungskopfschmerzes gilt, dass die Einnahme von Schmerzmitteln an maximal 10 Tagen pro Monat erfolgen sollte. Inwieweit beim häufig auftretenden episodischen Spannungskopfschmerz eine Prophylaxe (s. u.) eingeleitet werden soll, ist nicht untersucht [4]. Prinzipiell können die nichtmedikamentösen Verfahren, die beim chronischen Spannungskopfschmerz Anwendung finden, auch beim episodischen Spannungskopfschmerz eingesetzt werden.

Chronische Spannungskopfschmerzen: Antidepressiva zur Prophylaxe und Therapie?

Die Akuttherapie des chronischen Spannungskopfschmerzes entspricht der bei der episodisch auftretenden Form. Aufgrund der Gefahr der Induktion von Kopfschmerzen bei zu häufiger Einnahme von Analgetika stehen jedoch beim chronischen Kopfschmerz vom Spannungstyp nichtmedi­kamentöse Strategien zur Schmerzprophylaxe und -bewäl­tigung im Vordergrund (s. a. „Mit multimodalem Konzept gegen Spannungskopfschmerz“ S. 52).

Bewegung und Entspannung tun gut

Um eine Verhaltensänderung anzustoßen, muss der Patient über seine Erkrankung aufgeklärt sein. Nur so wird er aktiv mitarbeiten. Eine Lebensstiländerung, die lebenslang in den Alltag integriert werden muss, ist im Vergleich zu einem adhärenten Einnahmeverhalten von Arzneimitteln schwieriger zu erreichen.

Empfehlenswerte flankierende Maßnahmen, möglichst auch in Kombination, zur Prophylaxe des chronischen Spannungskopfschmerzes sind:

  • Entspannungsübungen (nach Jacobson)
  • regelmäßiges (2 – 3 × wöchentlich) Ausdauertraining (z. B. Joggen, Schwimmen oder Radfahren)
  • Stressbewältigungstraining

Allerdings besteht insgesamt nur eine geringe wissenschaftliche Evidenz, dass die Verhaltensänderungen alleine wirksam sind [9].

  • Biofeedback – hier liegen positive Studienergebnisse bzw. Wirksamkeitsnachweise für die verschiedenen Formen des Biofeedbacks vor – auch im Hinblick auf assoziierte Symptome wie Depressivität, Angst und Medikamentenverbrauch [10, 11, 12]. Eine Kombination mit Entspannungsverfahren wird empfohlen [9].

In einem Cochrane-Review wird ausreichende wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit der Akupunktur bei häufigen bzw. chronischen Kopfschmerzen vom Spannungstyp gesehen [13]. Studien zum Effekt von Physiotherapie und manueller Therapie zeigen, dass Patienten mit cSK, nicht jedoch Patienten mit eSK, signifikant von einer Standardtherapie mit Training der HWS- und Schultermuskulatur, Dehnübungen und Massage profitieren [14].

Mittel der Wahl in der medikamentösen Prophylaxe von chronischen Spannungskopfschmerzen ist das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin. Hinsichtlich der Dosierung sind in den verschiedenen Leitlinien Angaben von 25 bis 75 mg [1] bzw. bis 150 mg [4] zu finden. Laut der S1-Leitlinie der DGN werden alternativ Doxepin 50 – 150 mg, Imipramin 30 – 150 mg oder Clomipramin 75 – 150 mg empfohlen – allerdings mit geringerer Evidenz, da hierzu deutlich weniger Studien vorliegen [4]. Gemäß den Empfehlungen der DGS sind die Studiendaten für andere trizyklische Antidepressiva als Amitriptylin als nicht aussagekräftig zu bewerten [1]. Ohne begleitende allgemeine Maßnahmen liegt die Wirksamkeit bei nur 40 bis 45%. Es gelten die bekannten Kontraindikationen für trizyklische Antidepressiva: Prostatahypertrophie mit Restharnbildung, AV-Block II und III, Herzinsuffizienz, Demenz vom Alzheimer-Typ, Glaukom und Unverträglichkeit.

Eine Übersicht der Arzneistoffe, ihrer Dosierung und Nebenwirkungen gemäß der S1-Leitlinie der DGN zeigt Tabelle 2.

Medikament
Empfehlungsklasse (Class)
Dosierung
Besonderheit
Nebenwirkungen
Amitriptylin
I
10 – 150 mg tgl., p.o., vorwiegend z.N.
trizyklisches Antidepressivum, beste Studienlage
Herzrhythmusstörungen, Mundtrockenheit, Akkomodationsstörungen, Gewichtszunahme, Blasenfunktionsstörung
Mirtazapin
IIa
15 – 60 mg z.N. p.o.
rel. gute Verträglichkeit, eine ­randomisierte Studie positiv
Gewichtszunahme, Verstärkung RLS
Clomipramin
IIb
25 – 150 mg tgl. p.o.
s. o.
Herzrhythmusstörungen, Mundtrockenheit, Akkomodationsstörungen, Gewichtszunahme, Blasenfunktionsstörung
Doxepin
IIb
10 – 150 mg tgl. p.o., vorwiegend z.N.
s. o.
Herzrhythmusstörungen, Mundtrockenheit, Akkomodationsstörungen, Gewichtszunahme, Blasenfunktionsstörung
Imipramin
IIb
30 – 150 mg tgl. p.o.
s. o.
Gewichtszunahme, Mundtrockenheit
Sulprid
IIb
200 – 400 mg tgl. p.o.
rel. gute Verträglichkeit, aber nur wenige Studien
Schwindel, Verwirrtheit, Hyperprolaktinämie, extrapyramidale Störungen
Venlafaxin
IIa
150 mg tgl.
RR-Anstieg, gastro-intestinale Beschwerden
Blasenfunktionsstörung, Hyper­hydrose, Mundtrockenheit, Schwindelgefühl
Tizanidin
IIa
2 – 10 (18) mg tgl. p.o.
Müdigkeit, Blutdrucksenkung, rel. gute Studienlage
Müdigkeit, Blutdruckabfall, Tachy-/Bradykardie, Mundtrockenheit
Valproinsäure
III
500 – 1500 mg tgl. p.o.
Müdigkeit, teratogen, Studien-lage lässt nicht unterscheiden, ob Wirksamkeit durch Migräneprophylaxe bedingt
Teratogen, Tremor, Müdigkeit, polyzystische Ovarien
Topiramat
IIb
75 – 200 mg tgl. p.o.
Therapieerfolg erst nach 3 Monaten abzusehen, bekann-te NW, nur eine offene Studie
Kognition, Parästhesien, Gewichtsabnahme, Nierensteine
Akupunktur
IIa
kein standardisiertes Vorgehen
hohe Akzeptanz
keine relevanten NW
Biofeedback
I
mindestens 6 – 10 Sitzungen nötig
rel. hoher Aufwand, nur wenige Therapieangebote
keine relevanten NW
Physiotherapie und Manualtherapie
IIb
Studienlage unbefriedigend
hohe Akzeptanz
keine relevanten NW
Botulinumtoxin
III
Studienlage negativ
hohe Akzeptanz, kaum Neben­wirkungen
passagere Muskelparesen nach
Injektionen

Class I: empfohlene Therapieoption; Class IIa: mögliche weitere Therapieoption; Class IIb: mögliche weitere Therapieoptio, widersprüchliche Ergebnisse; Class III: nicht sinnvolle Therapieoption

Mirtazapin (15 – 30 mg), Venlafaxin (150 – 225 mg), Valproinsäure (500 – 1500 mg), alternativ der MAO-Hemmer Moclobemid (300 mg), Fluoxetin (20 – 40 mg) oder Sulpirid (200 – 400 mg) sind laut DGN mangels Studiendaten oder aufgrund widersprüchlicher Ergebnisse Mittel der zweiten Wahl [4].

Beim Muskelrelaxans Tizanidin (4 – 16 mg) ist auf Basis der publizierten Datenlage laut S1-Leitlinie der DGN keine eindeutige Beurteilung möglich [15, 16]. Die DGS stuft den Arzneistoff in ihren Empfehlungen in einer Dosierung von 4 – 18 mg hingegen als wirksam ein.

Auch Topiramat (50 – 100 mg/d), welches zur Therapie der chronischen Migräne eingesetzt wird, scheint beim chronischen Spannungskopfschmerz (cSK) zu wirken [17].

Generell ist zu bedenken, dass unter Umständen keine spezifische Zulassung einzelner Medikamente für die Therapie des cSK vorliegt und daher die Therapie genau genommen als off label zu bezeichnen ist. Häufig liegen bei chronischen Kopfschmerzen jedoch auch Komorbiditäten wie Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, Muskelschmerzen usw. vor, für die die eingesetzten Medikamente wiederum zugelassen sind.

Praxistipps für die Antidepressiva-Therapie

Auswahl der Startdosis: Die Antidepressiva sollten langsam eingeschlichen werden, z. B. mit 10 – 25 mg beginnend und dann langsam z. B. um 10 – 25 mg jede Woche gesteigert werden. Die langsame Aufdosierung verringert die Zahl der Therapieabbrüche aufgrund von unerwünschten Nebenwirkungen.

Ausreichende Zieldosis: Für die einzelnen Wirkstoffe ergeben sich aus kontrollierten Studien Mindestdosierungen, die zur Erzielung einer entsprechenden Wirksamkeit erforderlich sind. Es kann sich lohnen, über die allgemeine mittlere Dosis von 50 – 75 mg hinauszugehen.

Zeit bis Wirkeintritt: Eine zuverlässige Beurteilung der Wirkung ist erst nach vier bis acht Wochen möglich.

Behandlungsdauer: Es existieren keine kontrollierten Studien, aus denen sich Empfehlungen für die Mindestdauer einer medikamentösen Prophylaxe beim chronischen SK ergeben. Wenn eine dauerhafte Besserung eingetreten ist, kann ein Auslassversuch unternommen werden.

Kopfschmerzkalender und -tagebücher stellen ein wichtiges Hilfsmittel in der Therapieverlaufskontrolle dar.

Quelle: [1; 4]

Zur Therapie des cSK in der Schwangerschaft liegen keine Studien vor. Zur Akuttherapie können prinzipiell die Analgetika eingesetzt werden, die auch bei Patientinnen mit Migräne in der Schwangerschaft zur Anwendung kommen: Paracetamol und mit Einschränkungen NSAR. Wegen der tendenziellen Besserung des Kopfschmerzes vom Spannungstyp in der Schwangerschaft [18] und der eher geringeren Schmerzintensität ist dies meist nicht notwendig. Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft empfiehlt, den nichtmedikamentösen Maßnahmen (z.B. der großflächigen Applikation von Pfefferminzöl auf Schläfen und Nacken) in der Akutbehandlung während der Schwangerschaft den Vorzug zu geben [19].

Bezüglich der Therapie bei Kindern lässt die Datenlage keine Empfehlung zu [8].

Insgesamt sind multidisziplinäre Behandlungsprogramme, die neben medikamentösen Maßnahmen auch Ausdauersport und Komponenten aus der kognitiven Verhaltenstherapie einschließen, wirksamer als einzelne Behandlungs­verfahren und sollten daher primär zum Einsatz kommen [20, 21]. |

Literatur

[1] DGS-Praxisleitlinie Primäre Kopfschmerzerkrankungen. Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin. http://www.DGS-PraxisLeitlinien.de, aufgerufen am 24.06.2016

[2] Haag, G. et al: Selbstmedikation bei Migräne und beim Kopfschmerz vom Spannungstyp - Evidenzbasierte Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft (ÖKSG) und der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft (SKG). Nervenheilkunde 28:382–397, 2009

[3] Headache Classification Committee of the International Headache Society (IHS). The International Classification of Headache Disorders, 3rd edition betaversion. Cephalalgia. 2013 Jul;33(9):629-808.

[4] S1-Leitlinie Therapie des episodischen und chronischen Kopfschmerzes vom Spannungstyp und anderer chronischer täglicher Kopfschmerzen – Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. http://www.awmf.org/leitlinien, aufgerufen am: 24.06.2016

[5] Göbel H, Fresenius J, Heinze A, DworschakM, Soyka D. Effectiveness of Oleum menthae piperitae and paracetamol in therapy of headache of the tension. Nervenarzt 1996;67:672–681.

[6] Göbel H, Heinze A, Dworschak M, Heinze-Kuhn K, Stolze H. Placebokontrollierte, randomisierte Studien zur Analyse der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Oleum-menthae-piperitae-Lösung LI170 bei Kopfschmerz vom Spannungstyp und Migräne. In: Rietbrock N (Hrsg.) Phytopharmaka VI - Forschung und klinische Anwendung. Steinkopff Verlag, Darmstadt, 2000; S. 117-132

[7] Göbel H, Schmidt G, Soyka D. Effect of peppermint and eucalyptus oil preparations on neurophysiological and experimental algesimetric headache parameters. Cephalalgia. 1994 Jun;14(3):228-34

[8] Evers S, Kropp P, Pothmann R, Heinen F, Ebinger F: Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter. Nervenheilkunde 2008;27:1127–1137

[9] Bendtsen L, Evers S, Linde M, Mitsikostas DD, Sandrini G, Schoenen J; EFNS.: EFNS guideline on the treatment of tension-type headache - report of an EFNS task force. Eur J Neurol. 2010;17(11):1318–25.

[10] Bendtsen L, Jensen R. Treating tension-type headache - an expert opinion. Expert Opin Pharmacother. 2011;12(7):1099–109.

[11] Andrasik F. Biofeedback in headache: an overview of approaches and evidence.Cleve Clin J Med. 2010;77 Suppl 3:S72–6.

[12] Nestoriuc Y, Rief W, Martin A. Meta-analysis of biofeedback for tension-type headache: efficacy, specificity, and treatment moderators. J Consult Clin Psychol. 2008;76(3):379–96.

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[14] Torelli P, Jensen R, Olesen J. Physiotherapy for tension-type headache: a controlled study. Cephalalgia 2004;24(1):29–36.

[15] Fogelholm, R., Murros: K. Tizanidine in chronic tension-type headache: a placebo controlled, double-blind cross over study. Headache 1992;32,:509–513.

[16] Murros, K., M. Kataja, C. Hedman, H. Havanka, E. Sako, M. Farkkila, J. Peltola, Keranen T. Modified-release formulation of tizanidine in chronic tension-type headache. Headache 2000;40:633–637.

[17] Lampl C, Marecek S, May A, Bendtsen L. A prospective, open-label, long-term study of the efficacy and tolerability of topiramate in the prophylaxis of chronic tension-type headache. Cephalalgia 2006;26(10):1203–8.

[18] Lieba-Samal D, Wöber C. Sex Hormones and primary headache other than migraine. Curr Pain Headache Rep 2011;15(5):407–14.

[19] Bingel U, Evers S, Reister F, Ebinger F, Paulus W. Behandlung der Migräne und idiopathischer Kopfschmerzsyndrome in Schwangerschaft und Stillzeit. Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft. Nervenheilkunde 2009;28(12):896-906

[20] Gaul C, van Doorn C, Webering N, Dlugaj M, Katsarava Z, Diener HC, Fritsche G. Clinical outcome of a headache-specific multidisciplinary treatment program and adherence to treatment recommendations in a tertiary headache center: an observational study.J Headache Pain. 2011;12(4):475–83.

[21] Wallasch TM, Kropp P. Multidisciplinary integrated headache care: a prospective 12-month follow-up observational study. J Headache Pain. 2012;13(7):521–529.

Autor

Carina John, PharmD,Studium der Pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, Studium zum Doctor of Pharmacy an der University of Florida, USA, Leitung der Abteilung AMTS/ATHINA (Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken) der Apothekerkammer Nordrhein, Referentin im Bereich Fort- und Weiterbildung, Autorin für den DAV und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der WestGem-Studie (MTM und sektorübergreifende Versorgungsforschung bei multimorbiden Patienten).

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