Die Seite 3

Der Irrsinn geht weiter …

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

Eigentlich war es eine gute Idee: Um den Apotheken die Kontaktaufnahme zum verordnenden Arzt zu erleichtern, soll dieser auch seinen Vornamen und seine Telefonnummer auf dem Rezept angeben. Seit im Juli letzten Jahres die Übergangsfrist für diese Neuregelung abgelaufen ist, sind die Ärzte laut Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) zu diesen Angaben verpflichtet.

Nur leider gibt es immer noch und immer wieder Ärzte, die sich nicht an diese Vorschrift halten. Was in den allermeisten Fällen eigentlich kein Problem wäre – entweder, weil die Apotheke mangels Unklarheiten gar keinen Kontakt aufnehmen muss, oder weil der Arzt und seine Telefonnummer bekannt sind.

Doch nun kommen die Krankenkassen ins Spiel. Die interpretierten die neue Vorschrift der AMVV etwas anders. Für sie stand nicht im Vordergrund, dass die Angaben der Apotheke helfen sollen. Für sie zählte nur, dass beim Fehlen dieser Angaben das Rezept nicht ordnungsgemäß ausgestellt ist. Und das wäre ein Retaxgrund. Eine Regelung, die Apothekern (in einigen Fällen) die Arbeit erleichtern sollte, führte nun dazu, dass auch noch der Arztstempel auf Vollständigkeit geprüft werden musste. Bei jedem Rezept. Immerhin erkannten die Krankenkassen die Absurdität dieser Situation und erklärten eine freiwillige „Friedenspflicht“: Sie würden für eine weitere Übergangszeit auf Retaxationen verzichten. (Was übrigens weit großzügiger klang, als es wirklich war. Immerhin erklärten renommierte Arzneimittelrechtler, dass die Kassen in diesen Fällen gar nicht zur Retaxation berechtigt wären. Dazu kommt, dass die Kassen versäumten, ihre Verträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen so anzupassen, dass sie die neuen Anforderungen an die Arztstempel auch enthalten.)

Ende Mai wurde dann im „Retax-Kompromiss“ zwischen Deutschem Apothekerverband (DAV) und den Krankenkassen der Passus aufgenommen, dass die Apotheke die fehlenden Angaben ergänzen darf. Immerhin müssen Apotheken nun nicht mehr das Rezept an die Arztpraxis zurückschicken, wenn der Arztstempel unvollständig ist. Sie dürfen das Versäumnis nun „heilen“, also den Vornamen und die Telefonnummer ergänzen – allerdings erst nach Rücksprache mit dem Arzt. Sie müssen also in der Arztpraxis anrufen, um die Telefonnummer der Praxis auf dem Rezept ergänzen zu dürfen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Jetzt also die Änderung an der AMVV (s. „Ergänzung ohne Rücksprache erlaubt“ auf S. 12 dieser DAZ). Doch wer gehofft hatte, dass die neue Regelung den Zweck – einfache Kontaktaufnahme durch vollständigen Namen und Telefonnummer – erfüllt ohne gleichzeitig weitere Arbeit für die Apotheke zu bedeuten, der wurde enttäuscht. Die Prüfpflicht bleibt. Aber immerhin muss der Apotheker jetzt nicht mehr in der Arztpraxis anrufen ...

Es ist und bleibt eine Posse, deren Absurdität nur schwer zu übertreffen zu sein scheint. Aber im deutschen Gesundheitswesen sollte man sich auch darauf lieber nicht verlassen.

Benjamin Wessinger

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