Die Seite 3

Was nun?

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Klaus G. Brauer, Herausgeber der DAZ

„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“– ein Slogan der Achtundsechziger (lang, lang ist‘s her). Und doch noch hoch aktuell. Für Apotheker jedenfalls. Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt. Danach dürfen ausländische Versandapotheken – und nur diese – beim Versand von Rx-Arzneimitteln Patienten Boni gewähren. Die deutschen Preisvorschriften, die verbindlich einheitliche Abgabepreise vorschreiben, müssten die ausländischen Versender nicht beachten. Das Urteil ist haarsträubend, auch darin, was als Begründung herangezogen wird. So heißt es, „traditionelle Apotheken“ seien „grundsätzlich besser als Versandapotheken in der Lage, Patienten durch ihr Personal vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen“. „Da Versandapotheken mit ihrem eingeschränkten Leistungsangebot eine solche Versorgung nicht angemessen ersetzen können“, sei davon auszugehen, dass der Preiswettbewerb für die Versender ein „wichtigerer Wettbewerbsfaktor“ sein könne als für traditionelle Apotheken. Vom Preiswettbewerb hänge für die Versender ab, ob sie einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt finden und auf diesem konkurrenzfähig bleiben könnten (Rn. 39). Hier postuliert der EuGH keck, Versandapotheken hätten einen Anspruch, ihre (nicht zuletzt systembedingt) unterlegene Leistungsfähigkeit kompensieren zu können, indem man ihnen das Instrument des Preiswettbewerbs zugestehe. Das ist hanebüchen, krude, selektiv und zynisch (Chris­tian Rotta), auch ein „einmaliger Affront“ (Elmar Mand) des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, der 2012 letztinstanzlich über die auch europarechtliche Zulässigkeit der Preisregulierung von Rx-Arzneimitteln geurteilt hatten.

Was ist nun zu tun? Erstens, trotz aller Empörung: Keep cool and calm – and carry on! Also: Ruhe bewahren und weitermachen. Inländische Apotheken sollten sich weiter strikt rechtskonform verhalten. Preisnachlässe wären ein völlig falsches Signal. Die Preisbildungsvorschriften sind im Inland unverändert in Kraft. Das gilt auch für inländische Versandapotheken. Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass Verstöße gegen die Preisvorschriften empfindliche Strafen zur Folge haben können. Vor Kurzschlussreaktionen kann man nur warnen.

Zweitens: Wir sollten alles versuchen, um schnell ein Verbot des Versandhandels mit Rx-Arzneimitteln zu erreichen. Das ist rechtlich, auch europarechtlich, möglich. Der EuGH hatte im Dezember 2003 zwar entschieden, dass der Versandhandel mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erlaubt werden müsse. Es sei den Mitgliedstaaten aber freigestellt, das Versenden von Rx-Arzneimitteln zu verbieten. Das sollte nun schnellstmöglich auch in Deutschland geschehen. Die politische Bereitschaft dazu scheint größer denn je. Insbesondere die SPD tut sich noch etwas schwer. Verständlich, denn Ulla Schmidt hatte im Laufe des Jahres 2003, als sie das mit Beginn des Jahres 2004 in Kraft getretene GMG vorbereitete, die komplette Versandhandelsfreigabe betrieben. Aber sie tat dies noch in Unkenntnis der differenzierten EuGH-Entscheidung. Das könnte eine Brücke für die Sozialdemokraten sein.

Unabhängig davon sind die Signale aus den Bundesländern ermutigend. Das gilt für Bayern, NRW, Hessen und Rheinland-Pfalz. Positiv zu interpretierende Äußerungen gibt es auch von Gesundheitspolitikern aus den Bundestagsfraktionen – von der CDU/CSU (Maria Michalk und Michael Hennrich) und auch aus den Reihen der ­Opposition, von Grünen und Linken. Bis zum Beweis des Gegenteils würde ich auch die Äußerungen von Gesundheitsminister Gröhe positiv sehen wollen. Er zeigte sich entschlossen, nach genauer Prüfung des Urteils das Notwendige und Machbare zu tun. Aber machen wir uns nichts vor: Der Weg zu einem Komplettverbot des Versandes von Rx-Arzneimitteln ist steinig – aber durchaus gangbar. Nur eines ist ­sicher: Jammern hilft nicht.


Dr. Klaus G. Brauer

Lesen Sie zu diesem Editorial unser Spezial "Das EuGH-Urteil"


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