Arzneimittel und Therapie

Woran es bei der Hormonspritze haperte

„Pille für den Mann“ auch 2017 nicht in Sicht

rr | Seit 1960 sind hormonelle Kon­trazeptiva für die Frau auf dem Markt. An einer vergleichbaren Verhütungsmethode für den Mann wird bereits seit Jahrzehnten gebastelt – bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Hoffnungen, die man in eine Testosteron-Gestagen-Spritze setzte, wurden mit dem Stopp der WHO-Studie enttäuscht. Was waren die Gründe für das vorläufige Scheitern der „Pille für den Mann“?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) initiierte 2009 eine Studie zur Untersuchung der Hormonspritze mit 320 gesunden Männern aus sechs Ländern, darunter Deutschland. Alle acht Wochen wurden ihnen 200 mg Norethisteron enanthat plus 1000 mg Testosteron undecanoat intramuskulär injiziert, mit dem Ziel, die Spermienkonzentration im Ejakulat auf unter eine Million pro Milliliter zu senken – eine Menge, die in der Regel für eine Befruchtung nicht ausreicht.

Foto: Privat
Professor Dr. med. Michael Zitzmann

Der Studienleiter Professor Dr. Michael Zitzmann vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster zeigte sich 2009 optimistisch: „Weil die Männer keine Spermien mehr haben, ist die Sicherheit der Wirkung deutlich höher als bei der Pille für die Frau.“ Die Sicherheit der Verhütungsmethode wäre vergleichbar mit einer Durchtrennung der Samenleiter. Das Erreichen der Marktreife bis 2012 klang nicht unrealistisch.

2011 kam jedoch die Ernüchterung: Die WHO-Studie wurde im März vorzeitig gestoppt. „Bei 90 Prozent der Männer hat es funktioniert, aber 10 Prozent, das ist einfach zu viel“, gab Professor Zitzmann damals als Grund an und fügte vage hinzu: „Wir müssen jetzt ganz neu anfangen, das Ergebnis ist offen“. Mit einer Marktreife der Verhütungsspritze wurde innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht mehr gerechnet. Auch die Industrie verlor das Interesse. 

Zu viele Nebenwirkungen

Zum Beginn des Jahres 2017 gibt es noch immer kein hormonelles Kontrazeptivum für den Mann. Dafür wurden jetzt die genauen Gründe für den Abbruch der WHO-Studie publiziert: Eine Vielzahl von Nebenwirkungen, teilweise schwerer Ausprägung, ließen Zweifel an der Sicherheit der Hormonspritze aufkommen. Bei fast jedem zweiten Probanden trat Akne auf (45,9%). Auch Lokalreaktionen an der Einstichstelle waren häufig (23,1%). Etwa zehn bis 15% der Männer litten zudem unter Stimmungsschwankungen, darunter Depressivität und Libido­schwankungen. 20 Männer brachen die Studie vorzeitig ab. Einer von ihnen entwickelte eine schwere Depression, die vermutlich auf die Hormonbehandlung zurückzuführen war. Ein Studienteilnehmer beging vier Wochen nach seiner dritten Hormon­spritze Suizid, jedoch versicherte die Familie, dass dieser persönliche Gründe hatte. Des Weiteren kam es zu einer Paracetamol-Überdosierung und einer Tachykardie infolge eines paroxysmalen Vorhofflimmerns mit möglichem Zusammenhang zu den Spritzen.

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Den Schwarm ausdünnen. Mit einer Testosteron-Gestagen-Spritze wird versucht, die Spermienzahl im Ejakulat so weit zu senken, dass keine Befruchtung stattfinden kann.

Aufgeben ist keine Option

Ein unabhängiges Sicherheitsgremium der WHO setzte der Studie 2011 ein Ende, nachdem Zitzmann und andere Studienleiter den Stopp angeregt hatten. „Es ist wahrscheinlich, dass das verwendete Gestagen Norethisteron für die Nebenwirkungen verantwortlich war, denn unter einer reinen Testosteron-Gabe werden diese Probleme nicht beobachtet. Ein Optimierungsbedarf besteht sicherlich also bei der Suche nach einer anderen Substanz, die diese Nebenwirkungen nicht zeigt“. Der Stopp der WHO-Studie bedeutet damit nicht das Ende der Entwicklung der Hormonspritze.

Immerhin zeigte das Konzept Wirkung: Bei 96% der Männer kam es durch die Spritze zu einer Unterdrückung der Spermienzahl unter eine Million pro Milliliter. In der sogenannten Effektivitätsphase kam es zu vier Schwangerschaften, was einem Pearl-Index von 2,18 auf 100 Anwenderjahre entspricht. Laut Zitzmann ist die Methode damit vom Wirkungsgrad den oralen Kontrazeptiva für die Frau praktisch ebenbürtig.

Nicht zu vergessen ist, dass auch Es­trogen-Gestagen-Kombinationen mit Nebenwirkungen in nicht unerheblicher Ausprägung behaftet sind. „Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Sollen Frauen mehr Nebenwirkungen ertragen als Männer? Diesen Fragen werden sich die WHO und die Forscher, neben der Suche nach weiteren Präparaten, ebenfalls stellen müssen“, so Zitzmann.

Aus ethischen Gründen verbietet sich ein Vergleich mit Placebo zum Wirksamkeitsnachweis einer Verhütungsmethode. Eine abschließende Beurteilung, ob die potenziellen Risiken einer hormonellen Kontrazeption bei Männern deren Nutzen übersteigen, ist basierend auf den Ergebnissen der WHO-Studie somit nicht möglich.

„In den nächsten Jahren ist nicht mit einer Markteinführung zu rechnen, allerdings aber mit Resultaten weiterer Studien, die zurzeit laufen und die offensichtlich vielversprechend sind, auch was geringere Nebenwirkungen betrifft“, lässt Zitzmann hoffen. |

Drei Fragen zur Verhütungsspritze für den Mann

Grafik: DAZ/Hammelehle

Wie funktioniert die hormonelle Kontrazeption beim Mann?

Die pharmakologische Unterdrückung der Spermatogenese beim Mann basiert auf dem gleichen Prinzip wie die Verhinderung der Ovulation bei der Frau. Das Gonadotropin-releasing Hormon (GnRH) aus dem Hypothalamus führt zur Freisetzung des luteinisierenden Hormons (LH) und des follikelstimulierenden Hormons (FSH) aus der Hypophyse (siehe Abb.). LH stimuliert die Testosteron-Ausschüttung in den Leydigzellen des Hodens. Zusammen mit FSH kurbelt Testosteron die Spermatogenese in den Sertolizellen an und bremst gleichzeitig die LH- und FSH-Freisetzung in Hypothalamus und Hypophyse. Hohe Testosteron-Spiegel, auch durch exogen zugeführtes Testosteron, blockieren damit die Spermatogenese. In der WHO-Studie zeigten 274 von 320 Probanden, die mindestens eine Injektion der Testosteron-Gestagen-Kombination ­erhalten hatten, eine Sper­mienkonzentration von ≤ 1 Mio./ml innerhalb von 24 Wochen.

Warum wird keine reine Testosteron-Spritze verwendet?

Eine Suppression der Spermatogenese ist auch mit Testosteron allein möglich, wie eine chinesische Studie mit über 1000 Männern zeigte. Durch die Zugabe eines Gestagens lässt sich jedoch die Testosteron-Dosis senken und die Zeit bis zur Oligozoospermie verkürzen.

Ist die Suppression der Spermatogenese reversibel?

Grundsätzlich ja. Nach dem Abbruch der WHO-Studie wurden die Probanden noch ein weiteres Jahr nachbeobachtet. Bei 94,8% von ihnen stieg die Spermienkonzentration innerhalb eines Jahres auf normale Werte (≥ 15 Mio./ml) und die Männer waren wieder zeugungsfähig. Fünf Probanden erholten sich innerhalb von 74 Wochen nach Ende der Hormonbehandlung, zwei verweigerten die Nach­beobachtung. Bei einem Mann war die Spermatogenese jedoch auch vier Jahre nach Studienende nicht wiederhergestellt.

Quellen

Behre HM, J Clin Endocrinol Metab 2016; doi: 10.1210/jc.2016-2141

„Pille für den Mann“ ist frühestens in drei Jahren marktreif, Ärzte Zeitung online, Meldung vom 19. Februar 2009

Antibaby-Spritze für den Mann: Studie gescheitert, Ärzte Zeitung online, Meldung vom 1. August 2011

Wann kommt die Pille für den Mann? DAZ 2016, Nr. 34, S. 24

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