DAZ aktuell

Behandler des Patienten

Eine wichtige Aufgabe der Apotheker in den Niederlanden

Ein Modell nach Vorbild der Niederlande, wo die Patienten sich in „ihrer“ Apotheke einschreiben – so stellt sich ABDA-Präsident Friedemann Schmidt die Zukunft des Apothekerberufs in Deutschland vor. Das erklärte er – ausdrücklich als Privatperson – bei einem Vortrag auf dem niedersächsischen Apothekertag in Celle vor zwei Wochen. Auf Nachfrage der DAZ wollte sich Schmidt aktuell nicht näher zu seinem Vorschlag äußern, so dass viele Fragen offen und Details unklar bleiben. Aber wie sieht die Pharmazeutische Betreuung in den Niederlanden eigentlich aus?

Apotheker sind historisch bedingt verantwortlich für die Herstellung von Arzneimitteln und die Versorgung der Bevölkerung mit ihnen. In den Niederlanden ist der Apotheker seit 2007 auch – ebenso wie der Arzt – verantwortlich für die Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittelgebrauches ihrer Patienten.

Unterstützt werden die Apotheker dabei durch ein elektronisches Patientendossier, worin der aktuelle Arzneimittelgebrauch ihrer Patienten registriert und überwacht wird. Dieses soll in der Zukunft um Laborparameter und Diagnosen erweitert werden. Die niederländischen Apotheker sind also nicht mehr nur der Arzneimittelspezialist, sondern auch ein Behandler und Coach ihrer Patienten. Der Wunsch für die Zukunft ist, dass sie hierzu teilweise zusammen mit den Ärzten ausgebildet werden.

Seit 2007 gelten die Regelungen im „Wet op de Geneeskundige Behandelingsovereenkomst“ (Gesetz zur medizinischen Übereinkunft zur Behandlung, WGBO) auch für den Apotheker. Im ursprünglichen Gesetz von 1995 waren die Apotheker explizit ausgenommen. Das WGBO schafft den rechtlichen Rahmen für eine Übereinkunft zwischen Patient und Behandler, verbunden mit einer Stärkung der Rechtsposition des Patienten. Es formalisiert unter anderem das Recht des Patienten auf Information über seine Behandlung. Diese soll es ihm ermöglichen, eine fundierte Entscheidung treffen zu können.

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Idyllische Niederlande? Für Apotheker ist auch in unserem Nachbarland nicht alles eitel Sonnenschein. Allerdings ist die Bindung von Kunden an „ihre“ Apotheke deutlich enger als in Deutschland.

Behandlungsübereinkunft und Pharmakotherapiezirkel

Eine „pharmazeutische Behandlungsübereinkunft“ verpflichtet den Apotheker dann auch in erster Linie zur Information seines Patienten. Diese Aufgabe setzt einen persönlichen Kontakt voraus, und sie wird in der Praxis gemeinsam vom Apotheker und den Pharmazeutischen Assistenten ausgeführt. Abgestimmt auf seine individuellen Kenntnisse und Bedürfnisse wird der Patient mündlich und schriftlich über den Gebrauch des verordneten Arzneimittels, die Art und das Ziel der Behandlung und die zu erwartenden Wirkungen und Nebenwirkungen der Pharmakotherapie informiert. Außerdem erhält er Informationen über mögliche Behandlungsalternativen.

Für eine gute Behandlung und Therapietreue ist entscheidend, dass der Patient von seinem Apotheker und seinem Arzt übereinstimmende Informationen erhält. Das wiederum setzt eine gute Zusammenarbeit zwischen beiden Behandlern voraus. Seit beinahe 30 Jahren bestehen in den Niederlanden deswegen Pharmakotherapiezirkel (Farmaco Therapie Overleg, FTO), regelmäßige regionale Treffen zwischen Apothekern und den umliegenden Hausärzten zu bestimmten Themen. Diese Treffen finden vier- bis sechsmal jährlich statt. Auf der Agenda stehen beispielsweise Erkrankungen und die zu ihrer Behandlung in den Richtlinien genannten Arzneimittel. Für gewöhnlich bereiten die Apotheker diese Zusammenkünfte vor, dabei nutzen sie die Daten über die Verordnungen der teilnehmenden Hausärzte, die sie in ihrer Apotheke beliefert haben. So können beispielsweise Abweichungen von den Richtlinien zwischen den Hausärzten verglichen und miteinander besprochen werden. Die Vorbereitung zu diesen Treffen wird den Apothekern erleichtert durch vorbereitete, online verfügbare FTO-Materialien. In diesen werden die gängigen Richtlinien zusammengefasst und mögliche Absprachen zur optimalen evidenzbasierten Behandlung vorgeschlagen. Dabei spielen neben Wirkungen und Nebenwirkungen auch die Kosten der Arzneimittel eine Rolle. Die landesweite Stiftung Pharmazeu­tischer Kennzahlen (Stichting Farmaceutische Kengetallen, SFK) bietet online Rapporte zu gängigen Themen an, wo die Apotheker das Verordnungsverhalten ihrer teilnehmenden Hausärzte abrufen können.

Bindende Absprachen

Die beim FTO getroffenen Absprachen zwischen Apothekern und Ärzten sind im Prinzip bindend. In der Praxis sprechen Apotheker die Ärzte auf abweichende Verordnungen an und tragen mit konkreten Vorschlägen zum Befolgen der Richtlinien bei. Wenn die Zusammenarbeit gut funktioniert, werden auch Absprachen getroffen, inwieweit die Apotheker eigenständig die Pharmakotherapie optimieren können. Beispielsweise kann die Apotheke dann bei Opioiden das fehlende Abführmittel oder bei NSAIDs für ältere Patienten einen Magenschutz eigenständig abgeben; der Arzt reicht das entsprechende Rezept nach.

Ein gemeinsames, umfassendes Patientendossier

Eine Behandlung des Patienten setzt ein Dossier voraus, worin in jedem Falle die vollständigen aktuell gebrauchten verordneten Arzneimittel vollständig erfasst sind. Dies ist eine Voraussetzung, um die Medikation beispielsweise auf Interaktionen prüfen zu können. Des Weiteren sollten Informationen zu Allergien und Kontraindikationen vorhanden sein, idealiter auch über die Diagnose. Seit ein paar Jahren drängen die Apotheker darauf, auch Einsicht in die aktuellen Laborwerte zu erhalten. Kenntnis über den Kaliumspiegel und die Nierenfunktion sind beispielsweise unabdingbar, um klinisch relevante Wechselwirkungen und Kontraindikationen abklären zu können. Im günstigsten Fall verfügen Hausärzte und Apotheker über ein vernetztes Computersystem, so dass die Apotheker diese Informationen im System der Hausärzte in einem für den Apotheker zugäng­lichen Bereich abrufen können.

Voraussetzung für den Datenaustausch ist die explizite Zustimmung des Patienten. Diese gilt ebenso für den Austausch von Informationen über Arzneimittelabgaben aus anderen Apotheken (s. unten).

Starke Bindung an die Apotheke

Eine formale, verbindliche Einschreibung der Patienten bei einer Apotheke gibt es in den Niederlanden nicht, die Bindung an eine Apotheke ist eine freiwillige. Das war früher anders, damals war eine Einschreibung bei einer Apotheke verpflichtend, diese konnte dann auch nicht mehr gewechselt werden. Diese Regelung gilt jedoch schon lange nicht mehr. Studien zeigen, dass trotzdem ca. 90 Prozent der Patienten ihre Arzneimittel in einer einzigen Apotheke holen. Ein Wechsel findet in der Regel nur im Notdienst statt – oder beim Bezug „besonderer“ Arzneimittel wie Potenzmittel oder Benzodiazepine. Auch ohne formale Einschreibung besteht also, auch wegen der deutlich niedrigeren Apothekendichte als in Deutschland, eine starke Bindung an die „eigene“ Apotheke. Das zeigt sich auch daran, dass diese in der Regel nur bei einem Umzug gewechselt wird.

Bei einem etwaigen Apothekenbesuch außerhalb der „eigenen“ Apotheke kann die aktuelle Medikation des Patienten in einem regionalen Computer-Netzwerk abgerufen werden. Voraussetzung dafür ist, dass der Patient einem solchen Datenaustausch einmalig zugestimmt hat. Da das von den Apothekern gewünschte landesweite ­System von der Regierung aus Datenschutzgründen abgelehnt wurde, ­haben die Apotheker spezielle Netzwerk-Knoten, die landesweiten Austauschpunkte (landelijk schakelpunt, LSP), eingerichtet.

Eine pauschale Vergütung pro Patient bekommen die niederländischen Apotheker im Gegensatz zu den Hausärzten nicht. Auch in den Niederlanden werden die Apotheken aktuell ausschließlich im Zusammenhang mit einer Arzneimittelabgabe honoriert. Allerdings kann der „Basistarif“ bei bestimmten Zusatzleistungen wie einer Erstabgabe mit besonderer Beratung oder einer Inhalator-Unterweisung erhöht werden. Die Tarife werden von den zu Gruppen zusammengeschlossenen oder einer Kette angehörenden Apotheken mit den vier großen Krankenversicherungen verhandelt. Hierbei kann es für besonders gute Versorgungsqualität auch eine zusätzliche Entlohnung geben. Dafür werden vom Apothekerverband KNMP und – zum Leidwesen der Apotheker – teilweise auch von den Versicherungen, Qualitätsindikatoren erhoben.

Apotheker der Zukunft

Die Aufnahme des Apothekers in das WGBO wurde von Apothekern wie Politik als die gesetzliche Verankerung des Apothekers als Behandler des Patienten neben dem Arzt bewertet. Die Qualität der evidenzbasierten pharmazeutischen Betreuung ist in einer wachsenden Anzahl von Pharmazeutischen Richtlinien festgelegt. Relevante Aspekte werden mit Qualitätsindikatoren jährlich landesweit gemessen und kontinuierlich verbessert. Der neue Masterstudiengang Pharmazie in Leiden ist bei der medizinischen Fakultät untergebracht und hat es sich zum Ziel gesetzt, den „Apotheker der Zukunft“ auszubilden, zusammen mit den angehenden Ärzten als Arzneimittelspezialist und als Coach des Patienten. |

Dr. Martina Teichert,
Apothekerin, arbeitet beim niederländischen Apothekerverband KNMP

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