Hintergrund

„Musste der Patient sterben, weil ich Neues gewagt habe?“

Interview mit einem Notarzt

DAZ: Herr Dr. Blank, welches Notfallarzneimittel fehlt Ihrer Meinung nach im Arztkoffer?

Blank: Für mich persönlich wäre es wünschenswert, wenn Tranexamsäure ins Standardsortiment aufgenommen werden würde. Für das Antifibrinolytikum konnte vor einigen Jahren im Rahmen einer randomisierten, placebokontrollierten Studie mit über 20.000 Trauma-Patienten nachgewiesen werden, dass sie das Sterberisiko nach schweren Blutungen signifikant senkt [1]. Das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Lungenembolien ist unter der Therapie nicht erhöht. Tranexamsäure ist patentfrei, kostengünstig und erprobt – ideale Voraussetzungen für ein Notfallarzneimittel.

Dr. med. Ingo Blank, Notarzt, Wissenschafts­journalist und Dozent

DAZ: Und zu welcher etablierten Therapie wünschen Sie sich mehr Evidenz?

Blank: Zur Thrombolyse im Rettungsdienst. Alle Einsatzfahrzeuge haben mindestens ein Mittel zur Lyse an Bord (z. B. Alteplase), eingesetzt werden sie aber nur selten. Es fehlt einfach an Erfahrungen und Empfehlungen. Welche Voraussetzungen müssen zur Anwendung erfüllt sein? In welchem Verhältnis stehen Nutzen und Risiko? Für viele Patienten mit einem akuten Gefäßverschluss ist eine präklinische Lyse lebensrettend oder zumindest für den weiteren Behandlungsverlauf vorteilhaft. Allerdings sind die Kosten für das Mitführen bzw. Austauschen abgelaufener Lyse-Präparate enorm. Diese Aspekte führen zu Verunsicherungen und Mehrbelastungen der Kollegen im Rettungsdienst.

DAZ: Wie könnten Anreize geschaffen werden, mehr notfallmedizinische Studien durchzuführen?

Blank: In dieser Hinsicht haben die Rettungsdienste in Deutschland eher ein organisatorisches Problem. Es geht nicht primär um fehlende Arzneimittel, sondern darum, dass zu viele verschiedene Therapieoptionen verfügbar sind und parallel verwendet werden. Die Krankheitsbilder, die uns täglich begegnen, sind ja sehr überschaubar. Bei Bluthochdruck oder akuten Schmerzzuständen gibt es bereits viele gut wirksame Arzneimittel.

DAZ: Welche ethischen Probleme sehen Sie bei klinischen Studien mit Notfallpatienten?

Blank: Nehmen wir das Beispiel kardio­pulmonale Reanimation: Würde man im Rahmen einer Studie von den etablierten Leitlinien abweichen müssen und der Patient könnte nicht wiederbelebt werden, würde man sich hinterher fragen: „Hätte ich den Patienten reanimieren können, wenn ich leitliniengerecht vorgegangen wäre? Musste der Patient sterben, weil ich Neues gewagt habe?“ Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten.

DAZ: Kann die interdisziplinäre Zusammenarbeit die Arzneimittelversorgung im Rettungsdienst verbessern?

Blank: Ich bin regelmäßig in vier unterschiedlichen Rettungsdienstbereichen tätig. Gerade bei den Schmerz- und Narkosemitteln gibt es gravierende Unterschiede im Sortiment der Einsatzfahrzeuge. Eine bundes­einheitliche Arzneimittelliste könnte sicher einiges vereinfachen. Aber diese wird es nicht geben, da jeder Ärztliche Leiter Rettungsdienst (ÄRLD) einfach „seine Favoriten“ hat. Die stärkere interdisziplinäre und organisationsübergreifende Zusammenarbeit – und hier nehme ich das pharmazeutische Personal nicht aus – könnte sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung sein.

DAZ: Und die Apotheken sollten sich vermehrt in der Arzneimittelinformation und Beratung einbringen?

Blank: Das finde ich sehr wichtig. Durch meine Arbeit im hausärztlichen Notdienst fällt mir immer wieder auf, wie uninformiert die Anrufer bzw. Patienten in Bezug auf nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel sind. Auch wissen manche Patienten nicht, dass in den Apotheken zu vielen Erkrankungen und deren Prävention ausgezeichnet beraten wird. Die Mitwirkung der Apotheker im Rettungsdienst und der Austausch bezüglich Lagerung, Anwendung und Auswahl der vorzuhaltenden Arzneimittel würden mir gefallen. Teilweise wird dies auch schon praktiziert: In den Rettungswachen überprüft das zuständige Apothekenpersonal in regelmäßigen Abständen die ordnungsgemäße Lagerung von Betäubungsmitteln oder Kühlartikeln. Immer wieder zeigt sich, dass man in diesen Gesprächen noch einiges lernen kann.

DAZ: Dr. Blank, vielen Dank für das Interview.

Literatur

[1] CRASH-2 trial collaborators. Effects of tranexamic acid on death, vascular occlusive events, and blood transfusion in trauma patients with significant haemorrhage (CRASH-2): a randomised, placebo-controlled trial. Lancet 2010;376:23–32


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