Interpharm 2018 – ApothekenRechtTag

Verschlungene Pfade

Was ist (noch) Rezeptur?

ks | Die Rezeptur ist der Ursprung des Apothekerberufs. Erst im 19. Jahrhundert kam die industrielle Arzneimittelherstellung auf. Heute ist der Verkauf industriell gefertigter Arzneien die wesentliche Einnahmequelle der Apotheken. Doch auch die Rezeptur gehört weiterhin fest in die Apotheke. Damit sich der Apotheker auf das Privileg berufen kann, keiner Zulassung für das von ihm hergestellte Arzneimittel zu bedürfen, müssen allerdings gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. Die Rechtsprechung zur Rezeptur und Defektur ist mittlerweile reichhaltig – Dr. Valentin Saalfrank, Fachanwalt für Medizinrecht, zeigte die jüngsten Entwicklungen in der Rechtsprechung zu Fragen der Rezeptur und Defektur auf.

Nur Apotheken können Rezepturarzneimittel herstellen, nur sie genießen das Rezepturprivileg. Es ist auch nur Apotheken erlaubt, im Wege „verlängerter“ Rezeptur Fertigarzneimittel herzustellen, die keiner behördlichen Zulassung bedürfen, wenn sie in den Verkehr gebracht werden. Doch die Herstellung zulassungsfreier Rezeptur- und Fertigarzneimittel ist lediglich unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Diese Vorgabe gibt zum einen das Gesetz vor: Es muss sich um eine Herstellung in der Apotheke handeln, die nicht im Voraus und nicht industriell geschieht, sondern im Einzelfall aufgrund einer Verschreibung oder sonstigen Anforderung einer einzelnen Person.

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier
Was gilt als Herstellung im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs?Dr. Valentin Saalfrank, Fachanwalt für Medizinrecht, erläutert die Rechtssprechung.

Mehrstufige Herstellungs­prozesse

Die Rechtsprechung tut ihr Übriges in ihrem Versuch, das Apothekenprivileg und die Arzneimittelzulassung ins rechte Lot zu bringen. Ob dies immer gelingt, ist eine andere Frage. Problematisch kann zum Beispiel die Bewertung mehrstufiger Herstellungsprozesse sein. So betonte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in seiner Gemzar-Entscheidung im Jahr 2012, dass nicht jeder denkbare Herstellungsschritt zur Entstehung eines neuen Arzneimittels führt. Eine Rezeptur liege nur vor, wenn der Schwerpunkt der Herstellungstätigkeit in der Apotheke liege. Und diese Voraussetzung sei nicht gegeben, wenn einem Arzneimittel – hier Gemzar – lediglich Kochsalzlösung zugefügt werde. Für den Apotheker, der hier vor Gericht stand, hieß das: Er hat sich strafbar gemacht, weil er Gemzar ohne deutsche Zulassung günstig aus dem Ausland importierte, zur Herstellung einer gebrauchsfähigen Lösung verwendete und bei den Krankenkassen den deutschen Preis abrechnete. Saalfrank zufolge kann diese Entscheidung jedoch nur relevant sein, wenn der Ausgangsstoff bereits Arzneiqualität hat und es sich um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt. Würde man stets verlangen, dass die Wirkstoffherstellung in der Apotheke stattfindet, würde das Rezepturprivileg zu sehr eingeengt. Dass es innerhalb des BGH bei der Rezepturfrage „knistert“, zeigt ein weiteres Urteil aus dem Jahr 2014 – diesmal des in Leipzig ansässigen 5. Strafsenats. Hier lag der Fall ähnlich wie beim 1. Strafsenat – doch die Bundesrichter sprachen den Apotheker frei. Dabei ließen sie offen, ob sie ihren Kollegen in Karlsruhe beim Rezepturbegriff folgen. Jedenfalls sahen sie keine für einen Betrug nötige Täuschungshandlung, weil nicht nur Rechtsprechung und Literatur, sondern auch die Krankenkassen zu dieser Zeit davon ausgingen, es handele sich um eine Rezeptur.

Auch ein Arzneimittel mit einem Wirkstoff kann Rezeptur sein

Auch andere Entscheidungen ranken um die Frage, ob eine Rezeptur vorliegen kann, obwohl ein Wirkstoff verarbeitet wird, der im Wesentlichen bereits anwendungsfähig und mit einer Zweckbestimmung versehen ist. Grundsätzlich führt das bloße Portionieren oder Verpacken in einem solchen Fall nicht zu einer eigenen Herstellung in der Apotheke. Im Fall von Furfurol hat das Bundesverwaltungsgericht die Verkapselung des Wirkstoffs jedoch als wesentlichen Herstellungsschritt anerkannt. Denn wegen seiner die Schleimhaut angreifenden Wirkweise werde der Wirkstoff erst durch die Verkapselung anwendungsfähig. Schluss mit der Privilegierung ist allerdings dann, wenn die Verkapselung nicht mehr in der Apotheke, sondern industriell erfolgt. Ebenso, wenn lediglich als Bulkware zur Verfügung gestellte Kapseln portioniert werden.

Ist eine Verkapselung hingegen nicht notwendig, um den Wirkstoff anwenden zu können, handelt es sich um keinen wesentlichen Herstellungsschritt und damit nicht um eine Rezeptur oder Defektur. Dies entschied der BGH im Fall von 13-C-Harnstoff-Atemtests. Auch bei Idebenon untersagte das Landgericht Hamburg das Inverkehrbringen des verkapselten Wirkstoffs als Rezepturarzneimittel. Es verwies darauf, dass der Wirkstoff als Nahrungsergänzungsmittel verfügbar sei und in Joghurt eingerührt werden könne (DAZ 2017, Nr. 39, S. 16). Saalfrank gab jedoch zu bedenken, dass hier Nahrungsergänzungsmittel und Arzneimittel nicht verglichen werden könnten. Beim hier vorliegenden Funktionsarzneimittel komme es auf die genaue Dosierung an. Da der Wirkstoff sehr bitter ist, sei ohne Verkapselung zudem die Therapiesicherheit gefährdet. Saalfrank setzt nun auf eine andere Entscheidung in zweiter Instanz.

Foto: DAZ/Chris Hartlmaier

Praxisbedarf: Ist der Arzt Verbraucher?

Eine weitere „drastische Beschränkung“ der Rezeptur sieht Saalfrank in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein. Hier ging es um die Herstellung von Fertigspritzen für den Praxisbedarf (DAZ 2017, Nr. 17, S. 20). Das Gericht verneinte die Rezeptur, weil die Spritzen nicht individuell für bestimmte Patienten hergestellt worden seien. Defekturarzneimittel seien es nicht, weil die Herstellung nicht mehr „im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs“ erfolgt sei. Das Urteil hält Saalfrank schon deshalb für nicht richtig, weil es verkenne, dass auch der Arzt Verbraucher sein könne. In diesem Fall sei auch die Apothekenüblichkeit gegeben. Gegen dieses Urteil ist die Berufung anhängig – Saalfrank hat daher noch Hoffnung, dass die erstinstanzliche Entscheidung revidiert wird.

Eine weitere Besonderheit ist die „verlängerte Rezeptur“: Auch sie bedarf keiner Zulassung – obwohl Fertigarzneimittel hergestellt werden. Im Unterschied zur „normalen“ Rezeptur ist keine konkrete, sondern nur eine „nachweislich häufige“ (zahn)ärztliche Verordnung nötig. Wann eine häufige Verschreibung vorliegt, ist abhängig von der Komplexität der Rezeptur. So hat etwa das Sozialgericht Hamburg entschieden, dass vier Verordnungen in der Woche ausreichen können, wenn die Herstellung kompliziert und aufwendig ist (Az.: S 33 KR 590/09). In diesem Urteil stellte das Gericht auch klar, dass eine Herstellung nach einheitlichen Vorschriften (hier NRF) unschädlich ist. Eine (unzulässige) industrielle Fertigung liege erst vor, wenn die 100er-Grenze überschritten ist oder die Herstellung nicht mehr in der Apotheke erfolgt. Eine weitere Voraussetzung für die verlängerte Rezeptur ist, dass die Herstellung „im Rahmen der Apothekenbetriebserlaubnis“ erfolgt. Das heißt: Hergestellt werden darf für den Endverbraucher, aber nicht für andere Apotheken. Ausnahme: Innerhalb eines Filialverbunds können Rezepturen auch gebündelt werden.

Eine positive Entscheidung gab es zuletzt übrigens aus Luxemburg: Im Fall von in der Apotheke hergestellten Weihrauch-Kapseln entschied der Europäische Gerichtshof, dass der Human­arzneimittelkodex mit seinen Werbeverboten hier keine Anwendung findet. Vielmehr seien die Kapseln als zulassungsbefreite Defekturarzneimittel aus dem Anwendungsbereich ausgenommen (DAZ 2016, Nr. 44, S. 12). |

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