Zytostatika-Versorgung

„Ungläubig und fassungslos!“

Was seriös arbeitende Zytostatika-versorgende Apotheker umtreibt

du | Es sind keine guten Zeiten für das Image der Apotheker. Der Prozessauftakt gegen den früheren ABDA-Pressesprecher Thomas Bellartz, der im Bundesministerium für Gesundheit Daten ausgespäht und gegen das Datenschutzgesetz verstoßen haben soll, wird in den Medien ebenso dazu genutzt, den Apothekern zu unterstellen, es gehe ihnen nicht um das Patientenwohl, wie der Fall Bottrop. Hier soll ein Bottroper Apotheker in großem Stil Zytostatika unsachgemäß hergestellt und Krankenkassen durch Abrechnung falscher Wirkstoffmengen um Millionenbeträge geschädigt haben. Darüber hinaus lässt das soeben im Bastei-Lübbe-Verlag erschienene Buch „Die Krebsmafia“ wiederum all die seriösen herstellenden Apotheker in denkbar schlechtem Licht dastehen, die sich in erster Linie dem Patientenwohl verpflichtet fühlen.
Michael Marxen, Vizepräsident des VZA und der DGOP

Einer dieser Apotheker ist Michael Marxen, der zusammen mit Dr. Klaus Ruberg die Kronen Apotheke Marxen in Wesseling leitet. Hier werden patientenindividuelle Zubereitungen nicht nur für Krebspatienten hergestellt. Michael Marxen ist Vizepräsident des Verbandes der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) und engagiert sich zudem als Vizepräsident in der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP). Ruft man die Website des VZA auf, wird man mit folgendem Credo begrüßt:

„An Krebs erkrankte Menschen müssen optimal therapiert und umfassend betreut werden. Die heutzutage sehr großen Chancen, Krebserkrankungen zu besiegen, bedingen ein absolutes Höchstmaß an Arzneimittel-Qualität und Sicherheit. Niemals dürfen wirtschaftliche Aspekte zulasten einer Krebs-Therapie gehen. Die Sicherheit der Behandlung und das Wohl der Patienten haben nach allen humanen Wissenschaften stets Priorität!“ VZA – pro Patient

Ein Credo, dem sich Michael Marxen und viele andere seriös arbeitende Zytostatika-versorgende Apotheken in besonderem Maße verpflichtet fühlen. Angesprochen auf das Bottroper Geschehen reagieren sie ungläubig und fassungslos. Für Marxen ist dabei die Verunsicherung ohnehin von ihrer Erkrankung belasteter Patienten auch über Bottrop hinaus das Schlimmste. So würden Patienten, die sich früher über das Ausbleiben von Nebenwirkungen gefreut hätten, nun besorgt nachfragen, ob sie überhaupt Wirkstoff erhalten hätten.

Dabei erscheint ihm das mutmaßliche nächtliche Einzeltreiben des Bottroper „Kollegen“ ähnlich skurril, wie wenn ein Chirurg nachts ohne OP-Schwester und Narkose operieren würde. Denn an der Herstellung von Chemotherapien seien – von der Erfassung, der Plausibilitätskontrolle über die eigentliche Herstellung bis zur Endkontrolle – regelhaft eine Vielzahl von Mitarbeitern beteiligt.

Die gesetzliche Grundlage dazu legt die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Darüber hinaus gibt es Qualitätsstandards wie die Leitlinien der Bundesapothekerkammer (BAK-Leitlinien) oder den 600-seitigen „Qualitätsstandard für den pharmazeutisch Onkologischen Service“ (QuapoS) der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP). Für Marxen ist klar: Sollten sich die Vorwürfe gegenüber dem Bottroper Apotheker bestätigen, ist unter Umgehung all dieser Vorschriften menschenverachtend gehandelt worden. Auch wenn der Prozess noch läuft und noch keine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist, erschüttert allein die Vorstellung, dass so agiert werden kann, Patienten, Angehörige und seriös arbeitende Apotheker gleichermaßen.

Könnte man solche Machenschaften unterbinden? Greifen die gesetzlichen Regelungen nicht? Sind zusätzliche Vorschriften notwendig? Zwar äußert Marxen Verständnis dafür, dass die menschliche Seele angesichts der ungeheuerlichen Vorgänge nach Schuldigen und Konsequenzen schreit. Dennoch müsse erlaubt sein, zu hinterfragen, inwieweit es aufgrund dieses singulären Vorgangs angemessen ist, bundesweit Misstrauen gegenüber Versorgern, Überwachungsbehörden und Politik zu schüren.

Schließlich könnten noch mehr Vorschriften dann keine zusätzliche Sicherheit schaffen, wenn in krimineller Energie ohnehin dagegen verstoßen wird.

Bottrop „wäre mit uns nicht passiert“

Nun gibt es durchaus Stimmen, die sagen, dass der Fall Bottrop vermeidbar gewesen wäre. So Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin des Geschäftsbereichs Versorgung des AOK-Bundesverbandes. In einem DAZ.online-Interview hat sie erklärt, dass dieser Fall mit exklusiven Zyto-Ausschreibungen nicht passiert wäre. Denn der Bottroper Apotheker habe in mehrere Bundesländer geliefert. Hätte es dort überall Ausschreibungen gegeben, wäre das nicht möglich gewesen, weil die AOK als Vertragsvoraussetzung eine Lieferzeit von 45 Minuten zwischen Apotheke und Praxis vorgibt.

Das will Marxen so nicht stehen lassen. Zum einen wehrt er sich dagegen, das Bottroper Geschehen zu instrumentalisieren. Und zum anderen sei Fakt, dass gerade die Alte Apo­theke Bottrop in mehreren Ausschreibungsverfahren den Zuschlag erhalten hatte.

Marxen: „Wären die dortigen Ungereimtheiten nicht kurz danach aufgefallen, wären beispielsweise DAK-Versicherte über diese Apotheke zwangsversorgt worden. Dieses fast eingetretene Horrorszenario belegt die Richtigkeit der Abschaffung der Zytostatika-Ausschreibungen auf Apotheken­ebene zugunsten der freien Apothekenwahl!“

Neue Vergütungsregelungen – die Lösung?

Es ist Marxen wichtig, festzuhalten, dass in der Gesundheitspolitik und dem Ministerium Menschen wie du und ich nach bestem Wissen und Gewissen an sinnvollen Lösungen für Patienten und die Gesellschaft arbeiten – zumindest solange ihnen das außerhalb von Wahlkämpfen, Positionskämpfen oder Koalitionsgesprächen möglich sei. In einem breiten Konsens aller Bundestagsfraktionen habe dies dazu geführt, mit dem GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG Ausschreibungen auf Apothekenebene durch klassische Herstellerrabattverträge und eine neu zu verhandelnde Hilfstaxe zu ersetzen. Marxen fordert: „Diese Instrumente müssten nun aufeinander abgestimmt sachgerecht und maßvoll angewendet werden, um das gesetzgeberische Ziel einer flächendeckenden, friktionsfreien Versorgung sicherzustellen!“

Der am 19. Januar 2018 gegen die Stimmen des DAV ergangene Schiedsspruch zur Hilfstaxe lasse jedoch keinerlei Luft mehr für die zusätzliche Anwendung von Rabattverträgen (s. S. 11). Marxen warnt: „Die Auswirkungen der Vergütungsregelungen gehen weit über die Zytostatika-Versorgung hinaus. Durch Unterfinanzierung droht auch die Zerschlagung der Infrastruktur zur Sicherstellung der noch aufwendigeren und zeitkritischeren Palliativversorgungen, die ein Sterben zu Hause erst ermöglichen. Die in den Verhandlungen von Kassenseite immer wieder vorgetragene Behauptung, Kosten für eine pharmazeutische Beratung fielen nicht an, da die Therapie beim Arzt stattfinde, ist nicht nur ehrabschneidend für alle engagierten Kollegen, sondern negiert die Interessen unserer aufgrund ihrer intensiven Therapien eben besonders betreuungsbedürftigen Patienten! Eine optimale patientenindividuelle Versorgung geht weit über die Herstellung und Belieferung hinaus!“

Der Krebspatient benötige pharmazeutische Betreuung bzgl. der Nebenwirkungen und Begleitmedikationen seiner Chemotherapie, der Palliativpatient die Abstimmung zwischen der Apotheke und seinem Pflegedienst, so Marxen. Der Onkologe müsse sich auf eine enge Zusammenarbeit mit der Apotheke verlassen können. Durch ständigen Austausch könne bei einer ortsnahen Versorgung direkt und schnell auf neue Anforderungen reagiert werden, zum Beispiel wenn Laborwerte eine Umstellung der Dosierung oder Therapie verlangen. Dies alles sei beispielsweise im Gutachten zur Apothekenvergütung, das 2HM für das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) erstellt hat, nicht abgebildet.

„REFA-Gutachten wird 2HM disqualifizieren!“

Das 2HM-Gutachten bereitet Marxen aber nur bedingt Sorgen, denn es disqualifiziere sich selbst: „Im Bereich der Sterilrezepturen sind die Vielzahl weggelassener Kostenfaktoren sowie falsche Annahmen und Schlussfolgerungen so hanebüchen, dass sie auch dem DAV gut als Muster für die Stümperhaftigkeit dieses Gutachtens dienen können.“

Die REFA habe unabhängig davon zeitgleich ein schon in der Methodik sehr viel qualifizierteres Gutachten erstellt, welches in Kürze veröffentlicht wird. Dabei dürfte klarwerden, dass durch den Wegfall von Einkaufsrabatten die Dienstleistungspauschale in der Arzneimittelpreisverordnung und der Hilfstaxe nicht etwa gesenkt, sondern deutlich angehoben werden müsse, um kostendeckend die Versorgung mit Sterilrezepturen aufrechtzuerhalten.

Neue Probleme: Einfallstor für Fälschungen

Zwar soll mit dem neuen Vergütungssystem der Anreiz für kriminelle Machenschaften innerhalb der Versorgungslandschaft minimiert werden, doch es droht anderes Ungemach, und zwar durch Arzneimittelfälschungen, von denen onkologische Präparate besonders betroffen sind. Um maximale Sicherheit vor Arzneimittelfälschungen zu garantieren, kauft Marxens Apotheke daher die Zytostatika unter Vermeidung sogenannter Spezialzwischenhändler bislang nur direkt beim Hersteller ein. Außerdem werden alle Arzneimittel mit deutscher Zulassung grundsätzlich nur bei deutschen Firmen bezogen.

Jetzt aber würden Kostenträger Rabattverträge u. a. mit Reimporteuren schließen und die Zytostatika-versorgenden Apotheker zwingen, deren Präparate einzusetzen, so Marxen. Das Ärzten und Patienten gegebene Versprechen, aus Sicherheitsgründen auf Präparate aus potenziell für Fälschungen anfälligeren Quellen zu verzichteen, kann er dadurch nicht mehr aufrechterhalten.

Das „Chaos unter der Werkbank“ nimmt zu

Diese nunmehr startenden Hersteller-Rabattverträge bergen zudem in der Rezepturarzneimittelherstellung nicht nur wegen der Fälschungsproblematik neue Gefahren für die Arzneimittelsicherheit, warnt Marxen. Durch sie würden die Beschaffungs-, Herstellungs- und Versorgungsabläufe noch komplexer, die Fehlergefahr steige. Marxen kritisiert, dass dabei teilweise auch die gesetzgeberische Vorgabe ignoriert wird, kassenübergreifend und einheitlich auszuschreiben. Eine Vorgabe, die gemacht worden ist, um wirtschaftliche und qualitative Risiken durch vermehrte Verwürfe und das sogenannte „Chaos unter der Werkbank“ zu vermeiden. Bei der Umsetzung dieser Rabattverträge würden die Apotheken mit einer Fülle von unklaren Regelungen überzogen. So hätten die betroffenen Apotheker auch nach Scharfschaltung dieser Rabattverträge mit weitgehend unbekannten Firmen trotz mehrfachem Nachfassen des VZA immer noch keine Liste der Institutskennzeichen der beteiligten Kassen oder praxisgerechte Vorgaben zum Nachweis der Nichtlieferbarkeit erhalten. Marxen: „Man bedroht uns also bei fehlerhafter Umsetzung dieser Rabattverträge mit Nullretaxation, ohne uns die Instrumente an die Hand zu geben, diese Nullretaxationen zu verhindern!“ Statt dieser Gängelei der Apotheken wäre deren partnerschaftliche Einbeziehung in die Umsetzung der Rabattverträge schon im Interesse der Arzneimittelsicherheit geboten gewesen. Die Kassen würden aber nun durch den einseitigen Schiedsspruch zur Hilfstaxe ohnehin eine maximale Ausschöpfung von teils gar nicht vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven erzielen, so Marxen. Daher hofft er, dass auf diese Rabattverträge künftig verzichtet wird. Denn es gebe durchaus vernünftige Stimmen im Kassenlager, die die nicht gegebene Kongruenz der aktuellen Hilfstaxensystematik mit solchen Rabattverträgen erkennen.

Die Rolle der Medizinischen Versorgungszentren

Wie sieht die Zukunft aus? Wird die Neuausrichtung der Vergütung nicht nur den Anreiz für kleinere Versorger, sondern auch für die große Herstellbetriebe wie Zytoservice und Co. nehmen? Das kann Marxen nicht erkennen: „Gewisse Strukturen scheinen unabhängig von kurzfristiger Kostendeckung für einen Weiterverkauf am Kapitalmarkt wachsen zu wollen. Nur so ist etwa die trotz der unklaren Vergütungslage der Zytostatika-Versorgung aggressive Wachstumspolitik einiger MVZ-Strukturen in Apothekerhand erklärbar!“ Dies geschehe, obwohl der Gesetzgeber seit 2012 Apotheker als Träger von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in § 95 SGB V nicht mehr vorsieht, um die Unabhängigkeit von Verordner und Versorger zu wahren.

Allerdings äußert Marxen Verständnis für Kollegen, die sich auch im Interesse der flächendeckenden Patientenversorgung aufgrund der Bedrohungslage durch solche überregionalen MVZs und/oder Herstellbetriebsstrukturen eine Abwehrstrategie gegen die eigene Abschaffung überlegen. Ob man dabei aber über Dialyseleistungen oder die Trägerschaft von Krankenhäusern Umgehungsstrukturen gegen den Willen des Gesetzgebers schafft, der eben Apotheker bewusst nicht als Träger von MVZs vorsieht, das sei nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine moralische Abwägung. Vor dem Hintergrund der kolportierten rechtlichen Unbedenklichkeit solcher MVZ-Modelle in Apothekerhand erinnert Marxen zudem daran, dass auch den vom sogenannten Holmsland-Skandal betroffenen Kollegen Rechtsgutachten vorgelegt worden seien, nach denen der Einsatz dieser importierten Zytostika rechtlich sauber gewesen sein soll. Moralisch müsse jeder mit sich selbst ausmachen, ob er sich gezwungen sieht, gegebenenfalls gegen eigene Überzeugungen mit den Wölfen zu heulen.

Keine ambulante Onkologie – das Allheilmittel?

Was, wenn die ambulante Zytostatika- und Parenteralia-Versorgung zusammenbricht? Werden dann die Kollegen in den Klinikapotheken die Lücke schließen? Läuft es auf eine Abschaffung der ambulanten Onkologie heraus?

Das entspräche den Vorstellungen des SPD-Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Karl Lauterbach, der das Allheilmittel in der Abschaffung der ambulanten Onkologie sieht. Eine Forderung, die nach Ansicht von Marxen von wenig Sachkenntnis zeugt. Schließlich seien beispielsweise an dem bereits erwähnten Holmsland-Skandal, bei dem in Deutschland nicht zugelassene Importe aus aller Welt eingesetzt wurden, ebenfalls Krankenhausapotheken beteiligt gewesen. Marxen: „Es ist doch ein Trugschluss, zu glauben, dass Menschen im Angestelltenverhältnis frei von monetären Interessen sind!“

„Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren!“

Marxen ist aber zuversichtlich, dass sich die onkologisch tätigen Pharmazeuten in Klinik und öffentlichen Apotheken in Zeiten, in denen ihr essenzieller Beitrag zur Versorgung Schwerstkranker von verschiedenster Seite in Misskredit gebracht wird, nicht auseinanderdividieren lassen. Dafür stehe auch die DGOP. Darüber hinaus würde man in Deutschland nicht so dumm sein, die ambulante onkologische Versorgungsstruktur mit all ihren Vorteilen für die Patienten abzuschaffen.

Kurzfristig freut sich Marxen auf die Diskussion der angesprochenen Themen am 27. Januar 2018 mit dem Medizin­ethiker Prof. Dr. Giovanni Maio beim Norddeutschen Zyto­statika-Workshop (NZW) in Hamburg. Und langfristig?

„Perspektivisch muss die feindselige Stimmung zwischen einigen Kostenträgern und Apotheken mit Sterilversorgung im Interesse der Patienten dringend überwunden werden. Auch damit wir nach einer Phase sich ständig ändernder Rahmenbedingungen unsere Arbeitskraft endlich wieder der hochkomplexen multiprofessionellen Versorgung Schwerstkranker mit Sterilrezepturen widmen können. Diese Rolle wurde aktuell gerade in einer Leitlinie unter Federführung von BNHO (Berufsverband der Niedergelassenen Hämato­logen und Onkologen) und dem VZA skizziert. Einfach ausgedrückt: Man soll uns endlich wieder unsere patienten­orientierte Arbeit machen lassen!“

Derzeit werde ein Großteil der Arbeitskraft nicht mehr auf die hochkomplexe pharmazeutische Dienstleistung konzentriert, sondern für das durch Rabattverträge verkomplizierte Beschaffungs- und Abrechnungswesen dieser zeitkritischen Versorgungen beansprucht. Marxen: „Die Belastung unseres Personals durch unverändert hohe Versorgungsanforderungen bei steigenden Auflagen, ausufernder Bürokratie und implodierender Vergütung ist nicht mehr tragbar!“ |

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