Beratung

Wie genau ist der Test?

Den richtigen Test zum richtigen Zeitpunkt

Von Karen Luetsch und Stefanie Hennig | Apotheker können durch die rationelle Anwendung und Beurteilung medizinischer Tests einen wichtigen Beitrag zur Identifizierung und langfristigen Überwachung von Risikofaktoren für Erkrankungen leisten. Ein evidenzbasiertes Screening und Monitoring kann nur funktionieren, wenn die Grundlagen zur Testgenauigkeit richtig verstanden werden. Die praktische Anwendung dieser Betrachungen wird anhand von einem Fallbeispiel illustriert.

Testergebnisse werden von vielen externen Faktoren beeinflusst, wobei die Messungen im Labor, Fehler bei der Blutabnahme und die intraindividuelle Patientenvariabilität zu den wichtigsten Faktoren zählen, die sich auf die Ergebnisse der Tests und ihre Präzision auswirken. Wie medizinische Tests ausgeführt und im Labor die Ergebnisse ermittelt werden, kann die erzielten Werte beeinflussen: Welches Testverfahren gewählt wird, die Art der Proben und wie sie entnommen werden, die Handhabung und der Transport der Probe beeinflussen das Ergebnis ebenso wie die Schnelligkeit, mit dem ein Test nach der Probenentnahme durchgeführt wird. Auch die Methode, mit der eine Messung ausgewertet wird und der Zeitpunkt der Messung wirken sich auf die Präzision von Messwerten aus [1]. Messwerte einzelner Tests variieren nicht nur zwischen Individuen einer Bevölkerung, sondern auch „innerhalb“ eines Patienten von einem Test zum nächsten sowie auch bei mehrmaliger Vermessung der gleichen Probe. Die letzteren Variationen sind jedoch oft wesentlich geringer als die Variabilität innerhalb einer Bevölkerung.

Der Variationskoeffizient

Die Variabilität biologischer Messungen wird oft durch einen Variations­koeffizienten (CV%) ausgedrückt, welcher die zu erwartenden prozentualen Variationen von spezifischen Test­methoden ausdrückt, das heißt, das Verhältnis der durchschnittlichen Abweichungen aller Einzelwerte gegenüber dem Mittelwert. In akkreditierten Labors und bei standardisierten Testmethoden sind Variationskoeffizienten, auch Abweichungskoeffizient genannt, für medizinische Tests in der Regel gering und liegen unter 10 bis 15%.

Beratung nach dem Monitoring

Patienten mit Diabetes Typ 1 und Typ 2 müssen nicht nur täglich ihren Blutzuckerspiegel messen, sondern der Krankheitsverlauf wird auch regelmäßig durch die Bestimmung der HbA1c-Werte eingeschätzt. Für eine Beurteilung des „erhöhten“ HbA1c-Wertes sollte der Variationskoeffizient für HbA1c-Messungen berücksichtigt werden, der zwischen 3 bis 10% liegen kann. HbA1c-Mess­methoden, deren Variationskoeffizient über 4% liegt, werden jedoch als unzulässig betrachtet und generell von Labors nicht verwendet [2]. Für Herrn Herbst in unserem Fallbeispiel wäre bei einem Variationskoeffizient von 3 bis 4% bei der HbA1c-Messung eine testbedingte Variation von bis zu ± 3 mmol/mol zu erwarten. Dies bedeutet, dass sein letzter gemessener Wert von 56,3 mmol/mol reell zwischen 54 bis 58,6 mmol/mol liegen kann. Diese Variabilität zwischen verschiedenen Messungen kann sich erhöhen, wenn diese mit jeweils unterschiedlichen Methoden erhoben werden, z. B. wenn einmal die HbA1c-Messung durch Point-of-Care-Tests und ein anderes Mal durch ein Labor vorgenommen wurde. Gleichzeitig wird der HbA1c-Wert von Herrn Herbst intra­individuell variabel sein, das heißt, wenn er z. B. mehr als eine Messung am gleichen Tag vor­nehmen lassen würde, sind auch hier ­geringe Abweichungen bei den HbA1c-Werten zu erwarten. Die mit dem Variationskoeffizienten verbundene Testvariabilität kombiniert mit der intra­indi­vi­duellen Variabilität kann erklären, dass eine Abweichung von bis zu 5 mmol/mol (2,6%) bei den vorhergehenden Messwerten von Herrn Herbst nicht unbedingt klinisch relevant sein muss [3].

Fallbeispiel – Herr Herbst

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Herr Herbst ist 75 Jahre alt und hat seit zehn Jahren Diabetes Typ 2. Er ist sehr engagiert und achtet darauf, dass seine Blutzuckerwerte gut kontrolliert sind. Bei einem Apothekenbesuch erwähnt er, dass sein letzter HbA1c-Wert mit 56,3 mmol/mol (7,3%) höher war als seine letzten Werte von 51,9 mmol/mol (6,9%; vor zwölf Monaten) und 50,8 mmol/mol (6,8%; vor sechs Monaten), was ihn beunruhigt und frustriert. Was würden Sie Herrn Herbst raten?

Variabilität verringern

Die Variabilität von Testergebnissen kann methodisch verringert werden, zum Beispiel durch die Erhebung von Blutproben oder anderer Proben zu einem bestimmten, festgelegten Zeitpunkt (nach dem Fasten, zur gleichen Tageszeit, im gleichen Zeitabstand zur Einnahme der Arzneimittel), der Standardisierung von Testmethoden oder der Durchführung der Messungen im selben Labor. Bei der Interpretation von potenziell „anormalen“ Testergebnissen kann wiederum in Betracht gezogen werden, dass 95% der Testergebnisse einer scheinbar homogenen Gruppe von Menschen sich innerhalb von ± zwei Standardabweichungen des in dieser Referenzbevölkerung etablierten Mittelwertes verteilen werden. Gleichzeitig werden aber 5% der Ergebnisse dieser Gruppe außerhalb des 95%igen Referenzbereichs liegen. Wenn dieselben Personen zu einem anderen Zeitpunkt neu getestet würden, würde das Muster der Gesamtergebnisse ähnlich aussehen. Allerdings dürften sich die individuellen Ergebnisse verändert haben, vor allem von jenen, die an den äußersten Enden des Referenzbereiches lagen. Gleiches Ausmaß und Richtung der Variabilität wird bei dem gleichen Patienten bei einer zweiten Messung wahrscheinlich nicht vorkommen. Vielmehr dürfte sich das zweite Ergebnis näher an den Mittelwert annähern – was diese „Regression zur Mitte“ bedeutet, können Sie im dritten Teil unserer Serie lesen in der DAZ Nr. 14. Umgekehrt können die Ergebnisse von einzelnen Patienten, die anfänglich nahe am Mittelwert lagen, sich bei Wiederholungstests zu den extremen Enden der Verteilungskurve verschieben. Als generelle Regel leitet sich daraus ab, dass ein Test für einen Patienten wiederholt werden sollte, wenn das Ergebnis zwischen zwei bis vier Standardabweichungen vom Mittelwert des Referenzbereichs abweicht, bevor therapeutische Entscheidungen aufgrund eines einzelnen Resultates getroffen werden (siehe „‚Mein Laborwert ist nicht normal‘ – Chancen und Grenzen eines Monitorings“ in der DAZ 2019, Nr. 8, S. 56 - 59). Die Anwendung des richtigen Tests zum richtigen Zeitpunkt ist damit von entscheidender Bedeutung. Werden Tests ohne eine rationale Begründung durchgeführt, kann ihr Vorhersagewert fraglich sein, resultierende zufällige Befunde sind problematisch zu interpretieren und können eine Kaskade weiterer Tests auslösen. Diese Kaskade führt häufig zu einer Überdiagnose von Zuständen, die keine Symptome von Krankheiten darstellen, die eine Behandlung erfordern oder zu vorzeitiger Sterblichkeit führen, aber leider oft erhöhte Angst bei Patienten und Kosten für ein Gesundheitssystem verursachen.

Zum Weiterlesen

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In einer Serie von drei Artikeln wollen wir die Grundlagen für ein evidenzbasiertes Screening und Monitoring dargelegen und anhand von Fallbeispielen erläutern. Damit soll die Beratung in der Apotheke unterstützt werden. Im ersten Teil wurden Grundlagen zur Interpretation medizinischer Tests und zum Monitoring beschrieben: „,Mein Laborwert ist nicht normal‘ – Chancen und Grenzen eines Monitorings“ in der DAZ 2019, Nr. 8, S. 56 - 59. Hier im zweiten Teil steht die Testgenauigkeit im Mittelpunkt. In einem dritten Teil in der DAZ Nr. 14 wird es um die Grundlagen eines Screenings gehen und wie Risikofaktoren und Krankheitsparameter identifiziert werden können.

Variabilität in einem Patienten

Weiterhin ist es wichtig über längere Zeit festzustellen, ob sich Messwerte von einem bestimmten Biomarker für einen individuellen Patienten regel­mäßig im oberen (bzw. unteren) Bereich des Referenzbereichs befinden. Eine Veränderung des Ergebnisses zum Mittelwert hin könnte für diesen Patienten eine klinisch signifikante Veränderungen anzeigen, obwohl sich die Ergebnisse innerhalb des Referenz­bereichs bewegen. Wenn zum Beispiel die Plasma-Kreatinin-Konzentration eines älteren Patienten in der Regel im unteren Bereich liegt, kann eine Verschiebung zum oberen Bereich (zum Mittelwert hin) eine signifikante Verschlech­terung der Nierenfunktion für diesen Patienten anzeigen, unabhängig davon, dass die Plasma-Kreatinin-Konzentration innerhalb des „normalen“ Referenzbereichs liegt.

Das Beratungsgespräch

Im Gespräch mit Herrn Herbst sollte man ihn als Erstes fragen, ob seine HbA1c-Werte in einem Labor bestimmt wurden oder mittels Point-of-Care-Messsystem, da bei der Anwendung verschiedener Methoden von einem zum anderen Test größere Variabilität zu er­warten ist.

Um die Frustration von Herrn Herbst zu beseitigen, kann man ihm erklären, dass ein Test­ergebnis wie der HbA1c-Wert nicht 100% genau ist, es gibt immer kleine, natürliche Abweichungen. Auch die Nachfrage, ob er seine Diät oder Lebensweise umgestellt hat oder weniger Sport treibt als zuvor, ist wichtig, denn auch dadurch lassen sich veränderte Werte erklären. Erst wenn die nächste Bestimmung der HbA1c-Werte, die frühestens in drei Monaten durchgeführt werden sollte, einen ähnlichen oder höheren Wert ergibt, ist es wahrscheinlich, dass der Diabetes-Status von Herrn Herbst sich reell verändert hat.

Testintervalle beachten

Die rationelle Anwendung von medizinischen Tests zum Monitoring berücksichtigt, welche Zeiträume eingehalten werden müssen, bevor nach einer Wiederholung des Tests beurteilt werden kann, ob eine klinisch relevante Veränderung eingetreten ist oder nicht. Für Herrn Herbst könnte mit einer Wiederholung der HbA1c-Messung in drei bis sechs Monaten bestätigt werden, ob die Erhöhung ein wahrer Trend ist oder sich als einmalige Abweichung erweist. Wirkliche Veränderungen des HbA1c-Wertes sind frühestens nach drei Monaten festzustellen, denn alle Veränderungen im Lebenswandel und in der Ernährung sowie die Auswirkungen der antidiabetischen Arzneimittel auf den Krankheitsverlauf spiegeln sich erst in den neu produzierten roten Blutkörperchen wider, indem hier überschüssige Glucose an neu gebildetes Hämoglobin gebunden wird.

Ergebnisse richtig interpretieren

Das Verständnis der Grundlagen von medizinischen Tests, die für Monitoring und Screening eingesetzt werden, erlaubt es Apothekern, Patienten mit konkreten und korrekten Ratschlägen zu unterstützen. Vor allem in Hinsicht auf die zunehmende Datenflut aus modernen tragbaren Geräten, die Patienten ohne Beratung und ohne ärzt­liche Begleitung selber benutzen, kann sich die Nachfrage in der Apotheke zur Beratung von Testergebnissen in Zukunft weiter erhöhen. |

Literatur

[1] Gao Y, Hennig S, Barras M. Monitoring of Tobramycin Exposure: What is the Best Estimation Method and Sampling Time for Clinical Practice? Clinical pharmacokinetics 2018, doi: 10.1007/s40262-018-0707-9

[2] Heinemann L, Freckmann G. Quality of HbA1c Measurement in the Practice: The German Perspective. Journal of Diabetes Science and Technology 2015;9(3):687-695, doi:10.1177/1932296815572254

[3] Royal College of Pathologists of Australasia. 2015. Common Sense Pathology, www.rcpa.edu.au/getattachment/463e837a-6674-41ca-9284-19b5d1096ad3/Measurement-Uncertainty.aspx

Autoren

Dr. Karen Luetsch, Apothe­ke­rin, PhD, Pharmaziestudium und Promotion in Würzburg. Seit 1997 Praxis in klinischer Pharmazie und interprofes­sioneller Fortbildung in ­Australien, seit 2009 Dozentin im Postgraduate Clinical Pharmacy (Masters) Program an der University of Queensland.

Dr. Stefanie Hennig, Apothekerin, MSc, PhD, Pharmaziestudium in Greifswald, Promotion in Brisbane, Australien. Als Dozentin an der University of Queensland lehrt sie seit 2011 Pharmakokinetik, Pharmakodynamik, Klinische Pharmakokinetik und Dosierungs­optimierung und forscht an der Optimierung der Arzneimitteltherapie für Patientengruppen, wie zum Beispiel Kindern mit ­Krebserkrankungen.

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