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Problem erkannt, Lösung verbannt

Foto: DAZ/Kahrmann
Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Lieferengpässe von Arzneimitteln sind seit Jahren bekannt. Ursachen und Lösungsmöglichkeiten wurden in unzähligen Runden diskutiert, ohne dass sich etwas Substanzielles an der Situation geändert hätte. Im Gegenteil: Die Liste der nicht lieferbaren Arzneimittel wird immer länger. Die Schwelle von mehr als 100 nicht lieferbaren Arzneimitteln ist schon lange überschritten, die 500er Marke wohl schon gerissen. Die Verwaltung des Mangels bestimmt immer mehr den Apothekenalltag, raubt wichtige Beratungszeit, verunsichert Patienten und lässt auch die Ärzte nicht mehr kalt. So schlägt der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, Alarm und fordert eine nationale Arzneimittelreserve (s. S. 13). Ebenso der Deutsche Ärztetag und die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg, woraufhin sich die Stuttgarter Zeitung Anfang Juli des Themas angenommen hat. Verschiedene Erklärungsversuche zu den „Lieferengpässen im Land“ waren hier zu lesen: der wirtschaftliche Druck, der Hersteller Arzneimittel aus dem Sortiment nehmen lässt – die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer – die Rabattverträge, die nur noch Platz für ein bis zwei Anbieter lassen – steigender Preisdruck, der den Exportdruck in Länder mit höheren Preisen verschärft ...

Und wieder werden zu den ausgemachten Ursachen des Problems Lösungen präsentiert, die umgehend von denen kassiert werden, die diese Vorschläge umsetzen müssten. So fordert die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg die Rückholung der Produktion nach Deutschland, doch das pharmazeutische Unternehmen Teva kontert, dass auch bei heimischer Produktion Lieferausfälle nicht auszuschließen sind. Zum Beispiel, weil die gelieferten Rohstoffe minderwertig seien. Da fragt man sich, was hier eigentlich verhandelt wird. Wir benötigen dringend wieder eine qualitativ hochwertige Arzneimittelproduktion, dazu gehören selbstverständlich auch qualitativ einwandfreie Rohstoffe aus sicherer Quelle! Wohin die Auslagerung in kaum kontrollierbare Billiglohnländer geführt hat, das sollte spätestens der Valsartan-Skandal allen eindrücklich vor Augen geführt haben. Die Rückverlagerung der Produktion in europäische Länder würde zumindest die Kontrolle der Betriebe und die Durchsetzung notwendiger qualitätssichernder Maßnahmen durch unsere Behörden erleichtern.

Ein anderer Vorschlag für etwas mehr Versorgungssicherheit ist neben einer nationalen Arzneimittelreserve eine Ausdehnung der Pflicht zur Vorratshaltung von lebensnotwendigen Arzneimitteln auf mindestens ein Jahr. Laut Stuttgarter Zeitung lehnt das der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller mit Verweis auf die begrenzten Haltbarkeitsfristen ab. Doch viele Arzneimittel könnten deutlich länger haltbar sein als auf der Packung angegeben. Das haben nicht zuletzt Zilker, Holzgrabe und Sörgel für eine Vielzahl von Altarzneien gezeigt (s. DAZ 2019, Nr. 18, S. 42). Es lohnt sich also, einfach noch einmal genau zu prüfen, wann denn tatsächlich das Arzneimittel verfallen ist. Das wäre nicht nur vor dem Hintergrund der Lieferengpässe, sondern auch aus Nachhaltigkeitsgründen das Gebot der Stunde. Denn wenn viele Arzneimittel auch zehn Jahre haltbar sind, dann kann eine verpflichtende Vorratshaltung von einem Jahr kein Problem sein. Und selbst bei kürzer haltbaren Präparaten wie Levothyroxin sollte eine längere Vorratshaltung durch intelligente Logistik machbar sein.

Diese Beispiele zeigen einmal mehr, dass ohne das Einschreiten des Gesetzgebers das Lieferengpassproblem nicht zu lösen ist. Nun liegt Gesundheitsminister Jens Spahn die sichere Arzneimittelversorgung so sehr am Herzen, dass er sogar ein Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) durchgeboxt hat. Manchen Skandal hat er damit aufgearbeitet, doch Weichenstellungen zur Lösung des drängendsten Versorgungsproblems, den Lieferengpässen, sucht man in diesem Gesetz vergebens. Warum nur?

Doris Uhl

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