Arzneimittel und Therapie

Antisense-Oligonukleotid verbessert Fettstoffwechsel

Volanesorsen bei familiärem Chylomikronämie-Syndrom

Patienten mit der sehr seltenen, gene­tisch bedingten Stoffwechselkrankheit familiäres Chylomikronämie-Syndrom (FCS) leiden beispielsweise unter starken Bauchschmerzen, kognitiven Beeinträchtigungen und besitzen ein hohes Risiko für potenziell lebensbedrohliche Pankreatitiden. Wenn es nicht gelingt, die Erkrankung mit Diät und Triglyzerid-senkender Therapie in den Griff zu bekommen, kann bei Erwachsenen seit August 2019 in Deutschland und Österreich zusätzlich zur Diät das Antisense-Oligonukleotid Volanesorsen (Waylivra®) eingesetzt werden.

Bei der autosomal-rezessiv vererbbaren FCS besteht eine Funktionsstörung des Enzyms Lipoproteinlipase (LPL), wodurch Betroffene keine Chylomikronen, d. h. Triglyzerid-reiche Lipoproteine, abbauen können. Die Folge ist eine Hypertriglyzeridämie mit Werten von > 880 mg/dl (10 mmol/l), da mit der Nahrung aufgenommene Fette nicht ausreichend verstoffwechselt werden. Durch den hohen Fettanteil im Blutplasma besitzen Blutproben von FCS-Patienten ein milchig-trübes (lipämisches) Blutserum. Die Erkrankung ist sehr selten: Man schätzt, dass von einer Million Menschen nur ein bis zwei Personen Mutationen im LPL-Gen bzw. in Genen, die die LPL-Funktion beeinflussen, aufweisen.

Foto: Akcea Therapeutics Germany GmbH

Waylivra® steht als Fertigspritze zur Verfügung. Die Patienten können das Medikament selbst subkutan anwenden. Die empfohlene Anfangsdosis liegt in den ersten drei Monaten bei einmal wöchentlich 285 mg, danach wird das Antisense-Oligonukleotid alle zwei Wochen injiziert.

ApoC-III als Angriffspunkt

Viele Betroffene sprechen schlecht bis gar nicht auf eine Therapie mit Lipidsenkern an. Auch eine strenge fett­arme Diät reicht oft nicht aus, um das Pankreatitis-Risiko zu senken. Daher verspricht man sich eine verbesserte Behandlung durch Kombination diätetischer Maßnahmen mit dem Wirkstoff Volanesorsen. Es handelt sich dabei um ein Antisense-Oligonukleotid, das die Bildung von Apolipoprotein‑C‑III (ApoC-III) hemmt. Dieses Protein erfüllt wichtige regulatorische Funktionen im Lipidstoffwechsel. Beispielsweise hemmt es die Verstoffwechselung Triglyzerid-reicher Lipoproteine durch Inhibition der LPL sowie über einen LPL-unabhängigen Stoffwechselweg (s. Abbildung). Volanesorsen bindet selek­tiv an die mRNA von ApoC-III, und zwar an Basenposition 489 bis 508 innerhalb der 3’-UTR (untranslated region). Dies führt zum Abbau der messenger-RNA. Als Folge wird die Translation des Proteins behindert.

Abb.: Wirkmechanismus von Volanesorsen Normalerweise werden Triglyzerid-reiche Lipoproteine mithilfe der Lipoproteinlipase (LPL) über einen sehr effizienten LPL-abhängigen Stoffwechselweg abgebaut (links). Zudem können Chylomikronen über einen LPL-unabhängigen Mechanismus metabolisiert werden. ApoC-III reguliert diese beiden Stoffwechselwege. Bei Patienten mit familiärem Chylomikronämie-Syndrom (FCS) ist die Funktion der LPL gestört, der weniger effiziente LPL-unabhängige Stoffwechselweg ist mit dem Lipoprotein-Abbau überfordert, die Triglyzerid-Clearance vermindert (rechts). Volanesorsen verhindert die ApoC-III-Translation und fördert so den Abbau der Lipoproteine über den LPL-unabhängigen Stoffwechselweg (modifiziert nach Gaudet E et al. NEJM 2014).

Lipidspiegel drastisch reduziert

Die Zulassung von Volanesorsen beruht auf den Ergebnissen der randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie APPROACH und weiteren Untersuchungen. Bei 33 Patienten, die Volanesorsen erhielten, gelang innerhalb von drei Monaten eine signifikante Senkung der Nüchterntriglyzeride um rund 77%. Dagegen war in der Placebo-Gruppe, die ebenfalls 33 Probanden umfasste, ein Anstieg um 18% zu verzeichnen. Die Absolutwerte der Änderung der Triglyzeridspiegel lagen in der Studie bei -19 mmol/l (-1712 mg/dl) unter Volanesorsen bzw. 1 mmol/l (92 mg/dl) unter Placebo. Die Wirkung des Antisense-Oligonukleotids wurde über 52 Wochen aufrechterhalten. Auch die Häufigkeit von Pankreatitis war unter Volanesorsen über 52 Wochen geringer als unter Placebo. Patienten mit rezidivierenden Pankreatitiden in der Vorgeschichte zeigten über 52 Wochen eine signifikante Reduktion der Schübe im Vergleich zu Placebo.

Zum Weiterlesen

Mehr zu Volanesorsen erfahren Sie in unserer Beilage „Neue Arzneimittel“. Das Antisense-Oligonukleotid wurde in der Ausgabe 10 vorgestellt, die der DAZ 2019, Nr. 40 beilag.

Die am häufigsten beobachteten Neben­wirkungen in der APPROACH-Studie waren lokale Reaktionen an der Injektionsstelle und ein Abfall der Thrombozyten. Um eine Thrombozytopenie früh zu erkennen und zu verhindern, müssen Patienten während der Therapie engmaschig beobachtet werden. Sie müssen außerdem darin unterwiesen werden, ihren Arzt bei ungewöhnlichen Blutungen zu informieren. Anzeichen einer Thrombozytopenie können zum Beispiel spontane Hämatome, Nasenbluten, Zahnfleischbluten oder auffällig lang anhaltende Blutungen sein. |

Literatur

Pressemitteilung „Jetzt neu: Waylivra (Volanesorsen®) als erste und einzige Therapie für FCS zugelassen“, Akcea Therapeutics Germany GmbH, 20. Mai 2019

Pressemitteilung „Waylivra jetzt verfügbar“, Akcea Therapeutics Germany GmbH, 22. August 2019

Witztum JL et al. Volanesorsen and triglyceride levels in familial chylomicronemia syndrome. N Engl J Med 2019;381(6):531-542

Fachinformation Waylivra® 285 mg Injektionslösung in einer Fertigspritze (Stand 3. Mai 2019)

Ramms B, Gordts PLSM. Apolipoprotein C-III in triglyceride-rich lipoprotein metabolism. Curr Opin Lipidol 2018;29(3):171-179

Gaudet D et al. Targeting APOC3 in the familial chylomicronemia syndrome. N Engl J Med 2014;371(23):2200-2206

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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