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Beratung

Wenn Kinder zu dick werden

Die Adipositastherapie kann kaum richten, was die Prävention in Deutschland versäumt hat

Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter hat in Zusammenarbeit mit Fachgesellschaften und Verbänden die evidenzbasierte S3-Leitlinie zur Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter aus dem Jahr 2009 aktualisiert. Die Autoren fordern angesichts der Übergewichtsepidemie flächendeckende Therapieprogramme in Deutschland und definieren, was sie beinhalten müssen. Die Evidenz für mehr Bewegung und bessere Ernährung ist erdrückend, aber mit der Umsetzung sind Eltern und Kinder oft überfordert. Weil es an Verhältnisprävention fehlt, sagen die Experten. | Von Ralf Schlenger

Übermäßiges Körpergewicht ist heute die häufigste ernährungsabhängige Gesundheitsstörung bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. In den vergangenen Jahren ist daraus in der Pädiatrie ein neues Krankheitsbild entstanden: die morbide Adipositas im Kindes- oder Jugendalter. Der Krankheitswert ergibt sich aus der funktionellen und psychosozialen Beeinträchtigung und der bereits fassbaren, höheren Komorbidität im Vergleich zu Normalgewichtigen. Eine wirksame Therapie der Adipositas ist möglich – wenngleich die erreichten Effekte eher gering sind und oft nicht den Erwartungen der Betroffenen entsprechen. Grundlage jeder Adipositastherapie sollte ein multimodales Programm sein, das die Komponenten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie umfasst. Zur Vorbeugung von Übergewicht gilt als Schlüsselfaktor die Prägung auf einen gesunden Lebensstil in der frühen Kindheit.

Wann sind Kinder zu dick?

Eine Adipositas liegt vor, wenn der Fettanteil an der Gesamtkörpermasse pathologisch erhöht ist. Nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder und Jugendliche gilt der Body-Mass-Index (BMI) als akzeptables Maß für die Gesamtkörperfettmasse. Die Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA, eine Vereinigung von Ärzten, sonstigen Fachkräften und Wissenschaftlern) empfiehlt die Anwendung des BMI bei Screeninguntersuchungen und Verlaufsbeobachtungen. Anders als bei Erwachsenen, wo feste Grenzwerte zur Definition von Übergewicht und Adipositas gelten, sind bei Kindern und Jugendlichen Alter und Geschlecht zu berücksichtigen, entsprechend der physiologischen Änderungen der prozentualen Körperfettmasse im Wachstumsalter. Aus repräsentativen Stichproben wurden geschlechtsspezifische Altersperzentilen für den BMI abgeleitet, welche im Alter von 18 Jahren in einen BMI von 25 kg/m² (Übergewicht) bzw. 30 kg/m² (Adipositas) münden. So wird ein kontinuierlicher Übergang der Definition der Adipositas vom Kindes- und Jugendalter zum Erwachsenenalter möglich.

Definition

von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter:

  • Übergewicht: BMI-Perzentile > 90 bis 97
  • Adipositas: BMI-Perzentile > 97 bis 99,5
  • extreme Adipositas: BMI-Perzentile > 99,5

Evidenzbasierte Therapie

Jedem Kind oder Jugendlichen im Alter zwischen fünf und 17 Jahren mit Adipositas oder Übergewicht, bei dem eine bedeutsame Komorbidität oder eine familiäre Risikokonstellation vorliegt, sollte Zugang zu einem interdisziplinären Therapieprogramm mit geschultem Personal gewährt werden. Die Indikation ist durch den Hausarzt oder Kinder- und Jugendarzt zu stellen. Für die primäre Gesundheitsversorgung lautet die Forderung der Leitlinie, flächendeckend Therapieangebote mit folgenden Komponenten zu etablieren:

  • Verhaltensänderungen wie energiereduzierte Ernährung/gesunde Ernährungsweise,
  • körperliche Bewegung und Begrenzung sitzenden Verhaltens,
  • die Kombination medizinischer mit interdisziplinärer Betreuung, Beratung und Schulung.

Es wird betont, dass isolierte Maßnahmen, egal auf welchem der Felder, zu keinem langfristigen Erfolg führen.

Am besten wirken stationäre kombinierte Programme

Interventionen können ambulant oder stationär erfolgen. Im ambulanten Setting erhöht das Einbeziehen der Familie den Therapieerfolg und die Langzeitcompliance der Patienten. Die Studienlage spricht indes für sogenannte „Gewichtsabnahme-Camps“, wie sie in Deutschland als stationäre Reha-Maßnahmen zur Gewichtsreduktion und kommunale kombinierte Therapieprogramme angeboten werden. Ihre Stärke ist, dass sie die dicken Kinder und Jugendlichen aus dem gewohnten adipogenen Lebensumfeld herausholen und längere Zeit therapeutisch und pädagogisch betreuen. Kombinierte interdisziplinäre Kurzzeitprogramme führen schon nach wenigen Wochen zu

  • einer deutlichen Gewichtsabnahme und günstigeren Körperzusammensetzung,
  • einer Steigerung der körperlichen Aktivität und der körperlichen Kondition,
  • einer Verbesserung der Entzündungsparameter und der Insulinresistenz,
  • einer Reduzierung weiterer Risikofaktoren für das metabolische Syndrom,
  • höherem Selbstwertgefühl und besserer Lebensqualität.

Interessanterweise nehmen Jungen kurzfristig stärker an Gewicht und Körperfett ab als Mädchen. Unter den Mädchen profitieren jene am meisten, die eine androide Körperfettverteilung mit erhöhtem viszeralen Fettanteil aufweisen. Unter Anleitung durch geschulte Fachkräfte führen interdisziplinäre Gewichtsreduktionsprogramme bei Kindern und Jugendlichen nicht zu Störungen beim Essverhalten oder beim Längenwachstum.

Im Folgenden beschreibt die Leitlinie die vorhandene Evidenz zu den Therapiemodulen Ernährung, Bewegung und Verhaltenstherapie, die an dieser Stelle nur ausschnittsweise wiedergegeben werden kann.

Ernährung: gesunde Lebensmittel erkennen

Ist Abnehmen das Ziel, führt kein Weg an der Reduktion der Energiedichte von Nahrung und Getränken vorbei. Es gelten bekannte Prinzipien wie

  • verringerter Fettgehalt der Nahrung,
  • Erhöhung des Ballaststoffanteils,
  • Reduktion von zuckerhaltigen Getränken,
  • Beachten des glykämischen Index bei Kohlenhydraten.

Zur Auswahl empfehlenswerter Lebensmittel und ihres Anteils an der Ernährung ist in Deutschland bisher die Ernährungspyramide der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) verwendet worden. Als hilfreich nennt die Leitlinie auch die Kategorisierungen nach dem Ampelsystem und der „optimierten Mischkost“. Diese teilen die Lebensmittel in drei Kategorien ein: Die Ampelfarbe grün steht für einen reichlichen, großzügigen Verzehr (z. B. Wasser als Getränk, Gemüse, Salat und Obst), gelb steht für mäßigen, sparsamen Verzehr (z. B. Milch und Milchprodukte) und die rote Farbe mahnt einen sparsamen Genuss (z. B. von Fleisch, Wurst, Fisch oder Eiern) an.

Im Alltag spielt eine entscheidende Rolle, wie der Laie im Supermarkt empfehlenswerte Lebensmittel erkennt. Der Einkauf nach dem Ampelsystem konnte in Studien nicht nur Übergewicht signifikant reduzieren, sondern auch das Ernährungsverhalten bei Kindern und Jugendlichen umsteuern: Ihre Vorliebe für Fettes und Süßes nahm ab, gesündere Lebensmittel wurden zunehmend bevorzugt. Eine leicht verständliche und wissenschaftlich fundierte Nährwertkennzeichnung bietet auch der von Fachgesellschaften und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen befürwortete „Nutri-Score“. Er kann mithilfe der App „Open Food Facts“ beim Einkauf durch Scannen des Barcodes eines Produktes angezeigt werden.

Kritisch sehen die Autoren der Leitlinie Kostformen mit sehr niedriger Energiezufuhr (Gesamtenergie 800 bis 1200 kcal/Tag). Formuladiäten oder proteinsparendes modifiziertes Fasten ermöglichen zwar kurzfristig (für maximal 14 Tage) einen starken Gewichtsverlust, haben jedoch keine langfristigen Effekte. Eine totale Absage wird Kostformen mit extremen Nährstoffrelationen erteilt: Häufige Diäten, totales Fasten, „Heilfasten“, Schroth-Kur, Mayr-Kur, Ananas-Diät und ähnliches böten keinen Langzeiterfolg, bei potenziellen medizinischen Risiken.

Informationen zur Ernährungspyramide

Das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) gilt als das Kompetenz- und Kommunikationszentrum für Ernährungsfragen in Deutschland. Es hat als didaktisches Modell eine Ernährungspyramide für Schulen und Familien entwickelt und bietet auf seinen Internetseiten viele Informationsmaterialien. Ziel ist es, Kindern, Jugendlichen und den Eltern eine gute Orientierung für das tägliche Essen und Trinken hinsichtlich Lebensmittelgruppen, Portionsgrößen und Mahlzeitengestaltung zu bieten.

Bundeszentrum für Ernährung (BZfE), www.bzfe.de

Bewegung und Verhaltenstherapie

Bei der Bewegungstherapie sollte der Fokus auf der Steigerung der körperlichen Bewegung im Alltag liegen. Sie ist langfristig effektiver bezüglich der Gewichtsreduktion als die Teilnahme an zeitlich limitierten Sportprogrammen. Altersabhängig werden mindestens 90 Minuten moderater bis intensiver Aktivität am Tag empfohlen. Es überrascht nicht, dass elterliches Übergewicht mit schlechteren Langzeiterfolgen einer Adipositastherapie bei den Kindern korreliert.Bisher lautete die Empfehlung, eine interdisziplinäre verhaltenstherapeutische Intervention zusätzlich auch bei den Eltern bzw. der Familie durchzuführen. Diese wird in der neuen Leitlinie erweitert durch die Option, auch die Eltern allein verhaltenstherapeutisch zu behandeln.

Arzneimittel und chirurgische Maßnahmen

Eine zusätzliche medikamentöse Therapie zur Übergewichtsreduktion kann in Einzelfällen erwogen werden. In älteren Studien mit Sibutramin, Orlistat, Metformin und Epinephrin wurden aber keine großen Fallzahlen erreicht; keines dieser Arzneimittel ist aktuell in Deutschland für Kinder und Jugendliche zugelassen. Ein individueller Heilversuch kommt laut der Leitlinie dennoch in Betracht bei Kindern mit extrem erhöhtem Gesundheitsrisiko durch Adipositas und unzureichendem Erfolg herkömmlicher Therapien über mindestens neun bis zwölf Monate.

Bei ausgeschöpfter oder aussichtsloser konservativer Therapie kann bei Kindern und Jugendlichen mit BMI ≥ 35 kg/m2 die Adipositas-Chirurgie in Erwägung gezogen werden, wenn mindestens eine somatische (z. B. Diabetes) oder psychosoziale Komorbidität (z. B. Ausschluss von der Ausbildung) besteht. Die bariatrische Chirurgie sollte nicht vor dem Erreichen eines Pubertätsstadiums IV nach Tanner und von 95% der prognostizierten Endgröße durchgeführt werden. Die Leitlinie führt eine lange Reihe weiterer Voraussetzungen auf, welche die Indikation für eine Operation stark einengen. Mit den verschiedenen Verfahren (Magenband, Magen-Bypass, Schlauchmagen) können ähnlich starke Gewichtsreduktionen wie bei Erwachsenen erzielt werden, und es bessern sich rasch Komorbiditäten wie Schlafapnoe.

Softdrinks sind der Kalorien-Hammer

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Limonaden, Cola, Energydrinks: 600 „Erfrischungsgetränke“ testete Foodwatch letztes Jahr, gut zwei Drittel enthielten mehr als 8% Zucker – 6,5 Zuckerwürfel pro Glas. Ein Getränk brachte es sogar auf 27 Würfel. Zucker liefert nicht nur „leere Kalorien“, sondern trägt unmittelbar zur Entstehung von Fettleber und Insulin-Resistenz bei. Die Warnung vor folgenschweren Zuckerzusätzen in Nahrung und Getränken zieht sich durch die Adipositas-Leitlinie wie ein roter Faden. Mehrere Studien haben einen Zusammenhang mit der Entstehung von Übergewicht und Adipositas belegt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft zuckerhaltige Getränke als eine der Hauptursachen für die Entstehung von Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes ein. Ihre Reduktion gilt in der Adipositas­prävention als besonders effektive Einzelmaßnahme.

Mehr für die Prävention tun!

Als Fortentwicklung einer bestehenden S2-Leitlinie der AGA enthält die neue Leitlinie ein Kapitel zur Prävention der Adipositas. Sie beginnt schon mit dem Lebensstil der Schwangeren und setzt sich beim Stillen als optimale Form der Säuglingsernährung fort. Schon in der frühen Kindheit kommt es dann auf die Prägung eines gesunden Lebensstils an. Wichtige Elemente sind eine abwechslungsreiche, gesunde, energieadäquate Ernährungsweise, reichlich körperliche Aktivität, Reduktion von inaktivem Konsum elektronischer Medien, aber auch der elterliche Verzicht auf Rauchen. Kindlicher Stress kann zusätzlich die Energiebilanz beeinflussen. Ausreichend Schlaf und Entspannung haben eine wichtige Bedeutung für die Gewichtsentwicklung von Kindern. Folgende Programme bzw. Ansätze haben die günstigsten Effekte zur Adipositasprävention gezeigt:

Kindergarten/Schule

  • schulbasierte Interventionen, die auf körperliche Aktivität und Körperbild zielen (Sportunterricht, Bewegungsspiele, bewegte Pausen etc.)
  • Steigerung der körperlichen Aktivität und der motorischen Leistungsfähigkeit im (Schul-)Alltag
  • qualitative bessere Schul-/Kita-Verpflegung
  • Weiterbildung von Lehrern und Erziehern

Politik/Gesellschaft

  • Schaffung von Bedingungen, die Kindern ermöglicht, sich gesünder zu ernähren (Werbeverbot für ungesunde (Kinder-)Lebensmittel, Zuckersteuer, Lebensmittelkennzeichnung …)
  • Schaffung einer Umwelt, die Kinder dabei unterstützt, täglich körperlich aktiv zu sein (Freiräume, Grünflächen, sichere Rad- und Fußwege, aktiver Schulweg, Sport- und Spielstätten)

Eltern

  • Anregung und Unterstützung der Eltern, günstige Bedingungen für das Kind zu schaffen (Möglichkeiten körperlicher Aktivität, gesünderes Essen, weniger Medienkonsum)

Altersabhängige Empfehlungen

Die metabolische Programmierung beginnt beim ungeborenen Kind. Gestationsdiabetes und Hyperinsulinämie während der Schwangerschaft korrelieren eng mit Übergewicht und Adipositas der erwachsenen Nachkommen. Schon bei der Schwangeren heißt also das Ziel: Gewichtszunahme in Grenzen halten. Weiterhin zeigen Studien, dass Stillen das Risiko für eine Glucosetoleranzstörung und Übergewicht im späteren Leben senkt. Sobald Kinder am Familientisch mitessen, gelten Ernährungsempfehlungen wie für alle Altersklassen. Dargelegt sind sie mustergültig im dreiteiligen Konzept der optimierten Mischkost des Forschungsinstitutes für Kinderernährung in Dortmund:

  • reichlich Getränke (Wasser oder ungesüßte/zuckerfreie Getränke) und pflanzliche Lebensmittel (Gemüse, Obst, Getreide/-produkte, Kartoffeln),
  • mäßig tierische Lebensmittel (Milch/-produkte, Fleisch, Fisch, Eier) und
  • wenig Zucker und Süßigkeiten.

Ganz besonders sollte bei Kindern auf den Zuckergehalt von Nahrung und Getränken geachtet werden: Zahlreiche Studien zeigen einen Zusammenhang zwischen der Entstehung von Übergewicht und erhöhtem Softdrink-Konsum, energiedichten Lebensmitteln, Fast-Food, großen Essensportionen und der Neigung zum „Snacking“. Wie eine gesundheitsförderliche, energieadäquate Schulverpflegung aussehen sollte, ist im „DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder“ dargelegt [DGE 2013].

Hinsichtlich der körperlichen Aktivität im Kindes- und Jugendalter empfehlen Experten für 6- bis 18-jährige Kinder und Jugendliche:

  • tägliche Bewegungszeit von 90 Minuten und mehr mit ­moderater bis intensiver Intensität,
  • 60 Minuten davon durch Alltagsaktivitäten, z. B. Schulweg,
  • insgesamt mindestens 12.000 Schritte/Tag.

Fernseher im Kinderzimmer sollen vermieden, der Medienkonsum limitiert werden. Sitzende Tätigkeiten in der Freizeit sollten eine (Kinder) bis zwei Stunden (Jugendliche) täglich nicht überschreiten.

Auf einen Blick

  • Übergewichtig sind Kinder ab BMI-Perzentile > 90, adipös > 97.
  • Zur Gewichtsabnahme führen Kombinationen aus energiereduzierter Ernährung, mehr körperlicher Aktivität und Verhaltenstherapie.
  • Einzelmaßnahmen haben keinen langfristigen Erfolg, mit Ausnahme der Reduktion zucker­haltiger „Softgetränke“.
  • Therapeutisch am effektivsten sind stationäre kombinierte Programme, präventiv wichtig sind schulbasierte Interventionen und Verhältnis­prävention (z. B. bewegungsfreundliche Umwelt).
  • Nutri-Score, Ampelsysteme und das Konzept der optimierten Mischkost sind hilfreich, um ­gesunde Lebensmittel zu erkennen.
  • Hypokalorische Formuladiäten (Gesamtenergie 800 bis 1200 kcal/Tag) erzielen kurzfristige Gewichtsabnahme ohne nachhaltige Effekte.
  • Diäten mit extremen Nährstoffrelationen sind riskant.
  • Zugelassene Arzneimittel gegen Übergewicht bei Kindern stehen nicht zur Verfügung.
  • Kinder und Jugendliche brauchen mindestens 90 Minuten körperliche Bewegung am Tag. Sie sollten nach der Schule nicht länger als ein bis zwei Stunden sitzen.
  • Verhältnisprävention muss Verhaltensprävention ergänzen.

Schlussfolgerungen: mehr Präventionskultur!

Die derzeitigen Wege, um der Übergewichtsepidemie zu begegnen, sind (in Deutschland und weltweit) unzureichend und zum Teil inadäquat, resümieren die Autoren. Vor allem kann mit den üblichen verhaltenspräventiven Ansätzen beim Einzelnen in der komplexen obesogenen Umwelt kaum etwas ausgerichtet werden. Sie benachteiligt besonders Kinder und Jugendliche aus mittleren und unteren Sozialschichten. Die Umsetzung der oben genannten evidenzbasierten Maßnahmen erfordert gesunde und bewegungsfreundliche Lebensräume, die Stärkung von persönlicher Autonomie und gesundheitsdienlicher Ressourcen. Dazu braucht es bildungs- und gesundheitspolitische Entscheidungen und Handlungen. Der Schwerpunkt sollte daher zukünftig auf verhältnispräventiven Maßnahmen liegen. Es ist besser, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich Kinder mehr bewegen und gesund ernähren können, als ihnen nur zu sagen, dass sie das tun sollen. Dazu gehören zum Beispiel ausreichend Sportlehrer in den Schulen, damit eine Stunde Schulsport pro Tag angeboten werden kann und diese dann auch wirklich durchgeführt wird. Das gesamte Umfeld sollte bewegungseinladend gestaltet werden: vom aktiven Schulweg, den die Kinder sicher zu Fuß oder mit dem Rad bewältigen können, bis hin zu ausreichenden Flächen zum Toben oder Fußballspielen. Auch kann durch das Aufstellen von Wasserspendern in Schulen zum Beispiel der Konsum an stark gesüßten Getränken reduziert werden. Ebenso wäre ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel in Kindersendungen im Fernsehen eine geeignete Maßnahme zur Verhältnisprävention.

Gesellschaftliche, also verhältnisorientierte Ansätze von Gesundheitsförderung und Prävention werden heute auf höchster politischer Ebene gefordert, unter anderem von der UN-Vollversammlung und der WHO. Dem Kinder- und Jugendarzt, Hausarzt oder Arzt im öffentlichen Gesundheitsdienst kommt in Zusammenarbeit mit weiteren Professionen – wie den Apotheken – eine wichtige Rolle in der Vermittlung der in der Leitlinie zusammengetragenen Empfehlungen und Botschaften zu. |

 

Literatur

Therapie und Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter. (S3-)Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) und der Deutschen Gesellschaft für Kinder-und Jugendmedizin (DGKJ), AWMF-Nr. 050-002, Stand August 2019, www.awmf.org

Qualitätsstandard für die Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) 2013, www.fitkid-aktion.de

 

Autor

Ralf Schlenger ist Apotheker und arbeitet als freier Autor und Medizinjournalist in München.

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