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Hormonelle Kontrazeptiva

Licht und Schatten

Vor 60 Jahren wurde die „Pille“ eingeführt – ein Update

Der Name ist Programm! Die Ovulation soll gehemmt werden. Vor 60 Jahren ist dies erstmalig gelungen. Durch Anwendung einer Kombination aus verschiedenen Hormonen kann eine „temporäre Unfruchtbarkeit“ der Frau bewirkt werden. Diese medizinisch-pharmakologische Meisterleistung hat wesentlich zur Frauengesundheit in den letzten Jahrzehnten beigetragen und auch vielen Frauen Angst und Schrecken vor unerwünschten Schwangerschaften genommen. Durch eine effiziente Ovulationshemmung konnten auch viele Schwangerschaftsabbrüche verhindert werden. | Von Doris Maria Gruber

Das erste Produkt erhielt die Zulassung mit der Indikation „Linderung der Regelbeschwerden“, und in einem Nebensatz wurde darauf hingewiesen, dass dabei auch die Empfängnisbereitschaft nicht mehr gegeben ist. Jahrzehnte später hat sich das Bild gewandelt. Die oberste Prämisse an Ovulationshemmer ist nicht nur mehr, effizient eine Schwangerschaft zu verhüten, sondern auch andere Beschwerden durch die ovulationssuppressive Wirkung „mit zu behandeln“. Ein niedriger Pearl-Index ist bei jedem Präparat selbstverständlich. Die Partialwirkungen jeder einzelnen Komponente differieren und bedingen das Nebenwirkungsprofil oder die erwünschten weiteren Behandlungseffekte.

Allgemeines zu Ovulationshemmern

In den letzten 60 Jahren ist es gelungen, die Hormonkonzentration der kombinierten oralen Ovulationshemmer immer mehr zu reduzieren und neue Gestagen-Komponenten mit unter anderem niedriger androgener Partialwirkung zu entwickeln. Dadurch wurde die Verträglichkeit weiter verbessert. Es wurde aber nicht nur die Gesamtsteroid-Dosis verringert, auch die Applikationsmöglichkeiten wurden deutlich erweitert. So gibt es ein hormonhaltiges Implantat, einen Intravaginalring, Hormonspiralen, Hormone in Depotform und auch ein Pflaster zur Ovulationshemmung. Die Applikationsart gilt als ein wichtiges Kriterium für eine zuverlässige Anwendung und richtig sich nach den individuellen Bedürfnissen der Frauen. Die Forschung in Richtung „natürliche Hormone“ für die Kontrazeption führte zur Marktreife von weiteren Produkten wie Qlaira® (enthält als Estradiolvalerat und als Gestagen-Komponente Dienogest) und Zoely® (enthält Estradiol-0,5-Wasser und als Gestagen-Komponente Nomegestrolacetat).

Bei der Erstverschreibung eines Ovulationshemmers ist eine genaue Eigen- und Familien-Anamnese zu erheben, sodass daraus resultierend ein geeignetes Präparat verordnet werden kann. Die „klassischen“ oralen Ovulationshemmer werden über 21 Tage eingenommen mit sieben Tagen Einnahmepause. Manche Präparate enthalten 22 oder auch 24 Verum-Dragees sowie sechs bzw. vier Placebo-Dragees. Transdermale Systeme zur Ovulationshemmung werden dreimal für sieben Tage auf die Haut geklebt, der hormon­haltige Ring verbleibt drei Wochen in der Scheide. In beiden Fällen folgt eine siebentägige Pause mit einer Hormon­entzugsblutung. Die „Dreimonatsspritze“, i.m. oder sc. verabreicht, wirkt so lange, wie der Name es verspricht. Hormonspirale und subkutanes Implantat verbleiben für drei bzw. fünf Jahre am Ort der Applikation, begleitet von einem variablen Blutungsverhalten oder Amenorrhö. Grundsätzlich sollte vor allem bei der oralen Form der Ovulationshemmung mit einem möglichst niedrigen Gesamt-Steroidanteil begonnen werden.

Inhaltsstoffe kombinierter hormoneller ­Ovulationshemmer

Ethinylestradiol
In den zurzeit am Markt befindlichen oralen Ovulationshemmern besteht der estrogene Anteil aus Ethinylestradiol (EE). Das ebenfalls früher verwendete biologisch inaktive Mestranol, welches erst im Körper zu Ethinylestradiol verstoffwechselt wird, wird nicht mehr angewendet. Ethinylestradiol ist ein Derivat des natürlichen Estradiols und ist oral wirksam. Um die rasche hepatische Metabolisierung des Estradiols zu verhindern, wurde am Kohlenstoffatom an Position 17 des Steroid-Ringes eine Ethinylgruppe eingeführt, was wiederum die hepatische Synthese mancher Serumproteine in größerem Umfang induzieren kann. Durch die Verwendung von Ethinylestradiol kann der Estrogen-Anteil deutlich reduziert werden: Bei der Einführung des ersten Ovulationshemmers in Deutschland (Anovlar®) waren 50 µg Ethinylestradiol enthalten, die Gestagen-Komponente war Norethisteronacetat. Im Laufe der nächsten Jahrzehnte wurde schrittweise die Ethinylestradiol-Dosis reduziert (35 µg, 30 µg, 20 µg), derzeit ist mit 15 µg die unterste Grenze erreicht (z. B. Alessia Hexal, Yaluvea).

Gestagene und Gestagen-Derivate
Bereits 1938 entdeckte man, dass ein vom Progesteron strukturell verschiedenes Steroid eine Wirkung besitzt, die der des Progesterons stark ähnelt: Es handelte sich dabei um das Ethinyltestosteron. Das Testosteron-Derivat wird auch Ethisteron genannt („Ur-Gestagen“). Der Grund, warum diese und auch die in Folge synthetisierten Verbindungen als „Gestagene“ bezeichnet werden, liegt in der Tatsache, dass sie die sekretorische Umwandlung des Endometriums in der zweiten Zyklushälfte bewirken und somit den Eintritt einer Schwangerschaft (Gestatio) vorbereiten. Gestagene entfalten aber nicht immer all jene Eigenschaften, die dem körpereigenen Progesteron zukommen. Die Wichtigkeit derartiger Gestagene liegt in ihrer guten peroralen Verfügbarkeit.

Den Gestagen-Derivaten kommt eine zentrale Bedeutung bei Ovulationshemmern zu. Sie tragen einerseits zur Ovulationshemmung und zur Zyklusstabilität bei, zum anderen sind deren Partialwirkungen sehr gefragt. Jedes Gestagen gehört aufgrund seiner „Abstammung“ einer speziellen Gruppierung an und definiert somit die extragenitalen Wirkungen (Haut, Haare, Gewicht etc.) des einzelnen Präparates. Durch die Entwicklung neuer Gestagene wurden erst die verschiedenen anderen Applikationsformen hormoneller Verhütungsmethoden möglich. Norethisteron, als Entwicklung des Teams um den Chemiker Carl Djerassi, wurde zur Ausgangsverbindung einer Reihe von Gestagenen, die heute alle als Komponenten in oralen Ovulationshemmern ein­gesetzt werden. Die Gestagene lassen sich in verschiedene Generationen einteilen. Zu den in der Antikonzeption verwendeten Gestagenen zählen Norethisteronacetat, Gestoden, Levonorgestrel, Desogestrel, Chlormadinonacetat, Cyproteronacetat, Medroxyprogesteronacetat, Dienogest, Drospirenon, Etonogestrel, Norelgestromin und Nomegestrol­acetat.

Wirkungsweise kombinierter hormoneller ­Ovulationshemmer

Ovulationshemmer wirken im weiblichen Organismus auf zwei Ebenen kontrazeptiv:

  • zentrale Hemmung der ovariellen Steuerungshormone
  • periphere Beeinflussung von Funktionseinheiten im weiblichen Genitaltrakt, welche für die Tubenmotilität, die Befruchtung und Nidation notwendig sind.

 

Zentrale Hemmung der ovariellen Steuerungshormone
Synthetische Estrogene und Gestagene verändern sowohl die pulsatile Sekretion von Gonadotropin-Releasing-Hormonen (GnRH) als auch die hypophysäre Gonadotropin-Freisetzung, vor allem aber den mittelzyklischen Peak des luteinisierenden Hormons (LH). Über welchen Mechanismus die Steroide auf die hypothalamischen Neurotransmitter wirken und sie blockieren, ist nicht völlig geklärt. Da nach alleiniger Verabreichung von synthetischen Gestagenen die hypophysäre Stimulierbarkeit mit Releasing Hormonen weit länger aufrecht bleibt als nach Applikation von Ethinylestradiol, nimmt man an, dass der zentral hemmende, hypothalamische Effekt eher dem Estrogen zuzuschreiben ist. Aber auch auf hypophysärer Ebene beeinflussen die Steroide Sekretion, Speicherung und pulsatile Abgabe der Gonadotropine. Einzeln betrachtet scheint dabei die Estrogen-Komponente vor allem die Sekretion des Follikel-stimulierenden Hormons (FSH), die Gestagen-Komponente eher die Freisetzung des luteinisierenden Hormons zu unterdrücken.

Dass Ovulationshemmer einen direkten Einfluss auf die Hypophyse ausüben, beweisen zahlreiche Untersuchungen, in denen während bzw. nach der Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva versucht wurde, die Hypophyse mittels Gonadotropin-Realeasing Hormonen zu stimulieren. Die fehlende bzw. verminderte Ansprechbarkeit der Hypophyse auf das GnRH spricht für eine direkte Beeinflussung der Hypophyse durch die exogen zugeführten Steroide. Je geringer die in den Ovulationshemmern enthaltene Steroidmenge ist, umso geringer ist auch die hypophysäre Blockierung. Weniger die Dauer als vielmehr der Zeitpunkt (je früher, desto problematischer) des Beginns der Einnahme von Ovulationshemmern (= hypophysäre Unterdrückung) scheint einen Einfluss auf eine eventuell weiter bestehende Blockierung der Hypophyse nach Beendigung der Einnahme zu haben (klinisches Korrelat: sekundäre Amenorrhö, „Pillen-Amenorrhö“). Ist die Sensibilität der Hypophyse für das GnRH einmal „verloren“ gegangen, so dauert diese Störung längere Zeit an oder kann im schlimmsten Fall auch persistieren. Diese Wirkung ist von der zugeführten Estrogen-Dosis abhängig: Niedrigdosierte Ovulationshemmer (30 µg Ethinylestradiol) hemmen die Releasing-Hormon-induzierte Gonadotropin-Freisetzung an der Hypophyse weniger als Präparate mit 50 µg Ethinylestradiol. Die reinen Gestagen-Präparate, aber auch Gestagen-Depot-Präparate supprimieren die hypophysäre Ansprechbarkeit auf GnRH weniger. Des Weiteren wird die hypophysäre Prolaktin-Freisetzung durch Ovulationshemmer beeinflusst. Während Estrogene den Prolaktin-Spiegel erhöhen können, wird er durch Progesteron eher erniedrigt. In Summe gesehen ist bei Frauen unter Ovulationshemmern der Prolaktin-Spiegel deutlich höher. Die Zyklusphasen-­abhängige Gonadotropin-Fluktuation beeinflusst prä- und postovulatorisch die Ausbildung von LH- und FSH-Rezeptoren am Ovar. Durch die Unterdrückung der physiologischen LH- und FSH-Freisetzung wird auch die Bildung der entsprechenden Rezeptoren am Ovar verhindert. Fehlen diese Rezeptoren, ist das Ansprechen des Ovars auf einen LH- bzw. FSH-Stimulus verringert oder fehlt völlig.

Tab. 1: Beispiele für hormonelle Ovulationshemmer [Lauer Fischer Taxe, Stand: 16. November 2020]
Estrogen-Komponente
Gestagen-Komponente
Präparate (Beispiele)
Dosierung
Einphasen-Präparate (15 bis 20 µg Ethinylestradiol)
15 µg Ethinylestradiol
60 µg Gestoden
Alessia Hexal, Femodene, Yaluvea
24 Tage: 1 Tablette / Tag + 4 Tage 1 Placebotablette / Tag, durchgängige Einnahme ohne Einnahmepause
20 µg Ethinylestradiol
100 µg Levonorgestrel
Asumate 20*, Estelle, Evaluna 20, Femikadin 20, Leios, Leona Hexal, Levomin 20, Levonance 20, Maexeni 20, Ministon 20, Miranova, Omsan, Swingo 20
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7-Tage-Einnahmepause
*auch als 21 Tabletten + 7 Placebotabletten statt Einnahmepause
20 µg Ethinylestradiol
3 mg Drospirenon
Aida, Daylette*, Drosfemine*, Drospifem 20, Drospipuren 20*, Eliza Hexal*, Georgette 20*, Layaisa 20, Maitalon 20**, Mywy*, Sidretella 20, Xellia 20, Yara Hexal 20, Yasminelle, Yaz*, Yaznell 20
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7-Tage-Einnahmepause
*gegebenenfalls als 24 Tabletten + 4 Placebotabletten statt Einnahmepause
**auch als 21 Tabletten + 7 Placebotabletten statt Einnahmepause
20 µg Ethinylestradiol
150 µg Desogestrel
Desmin, Gabrielle, Gracial, Lamuna, Marvelon, Munalea, Novial
21 Tage: 1 Tablette / Tag mit nachfolgender 7-Tage-Einnahmepause
Einphasen-Präparate (30 bis 50 µg Ethinylestradiol)
30 µg Ethinylestradiol
125 µg Levonorgestrel
Evaluna 30, Femikadin 30 mite, Kleo­dina, Lotta Hexal, Maexeni 30 mite, Ministon, Monostep, Swingo 30 mite
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7-Tage-Einnahmepause
30 µg Ethinylestradiol
150 µg Levonorgestrel
Asumate 30*, Aurorosa, Femigoa, Femigyne, Femikadin, Florentia 30, Glorianna, Levomin 30, Levonance 30, Luisa Hexal, Microgynon, Miranova, Ovoplex
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7-Tage-Einnahmepause
*auch als 21 Tabletten + 7 Placebotabletten statt Einnahmepause
30 µg Ethinylestradiol
2,0 mg Dienogest
Amobena, Aristelle, Aurovida, Diena, Dienogenance, Dienovel, Luvyna, Maxim, Mayra, Sibilla*, Starletta Hexal*, Stella Stada, Valette, Velafee, Violette
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7-Tage-Einnahmepause
*auch als 21 Tabletten + 7 Placebotabletten statt Einnahmepause
30 µg Ethinylestradiol
3 mg Drospirenon
Drospifem 30, Drospipuren 30, Georgette 30, Layanina 30, Maitalon*, Petibelle, Sidretella 30, Xellia 30, Yara Hexal, Yasmin, Yaznell 30
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7 Tage-Einnahmepause
*auch als 21 Tabletten + 7 Placebotabletten statt Einnahmepause
30 µg Ethinylestradiol
2 mg Chlormadinon­acetat
Belara*, Belissima*, Bonita AL, Chantal, Chariva*, Chloee, Enriqa, Lilia, Lisette, Madinance, Madinette 30, Minette, Mona Hexal, Pink Luna, Solera
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7-Tage-Einnahmepause
*auch als 21 Tabletten + 7 Placebotabletten statt Einnahmepause
30 µg Ethinylestradiol
150 µg Desogestrel
Aurodes EE 30, Belinda Al, Cedia 30, Desmin 30, Famina Ratiopharm, Gabrielle, Gracial, Lamuna 30, Marvelon, Mercilon, Munalea, Previva sanol 30
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7-Tage-Einnahmepause
35 µg Ethinylestradiol
2 mg Cyproteronacetat
Attempta 35 Ratiopharm, Cyproderm, Diane 35, Jennifer 35, Morea Sanol
Indikation: Behandlung mäßig ­schwerer bis schwerer Akne
21 Tage 1 Tablette / Tag mit nach­folgender 7-Tage-Einnahmepause
50 µg Ethinylestradiol
125 µg Levonorgestrel
Gravistat
Indikation: orale Kontrazeption bei Zwischenblutungen bei Präparaten mit weniger als 50 µg Ethinylestradiol
24 Tage 1 Tablette / Tag
4 Tage 1 Placebotablette / Tag

Periphere Beeinflussung
Für die empfängnisverhütende Wirkung von Ovulationshemmern am Endometrium und an der Cervix uteri ist vor allem die Gestagen-Komponente verantwortlich. Der Gestagen-Effekt bewirkt eine Hemmung der endometrialen Proliferation und die weitere sekretorische (nicht ganz physiologische) Transformation, was somit die Nidation unmöglich macht. Die histologischen Veränderungen am reifen Endometrium sind reversibel und meistens bereits im dritten Zyklus nach dem Absetzen von Ovulationshemmern nicht mehr nachzuweisen. Auch das Stroma uteri verändert sich unter Ovulationshemmern, ebenso das endometriale Enzymmuster. Erwartungsgemäß beeinflussen Ovulationshemmer auch den Rezeptorstatus im Endometrium. Auffallend ist, dass vor allem der zytosomale Progesteron-Rezeptor im Endometrium unter den Ovulationshemmern deutlich abnimmt. Der weitere klinisch bedeutsame Angriffspunkt von Ovulationshemmern ist neben dem Endometrium die Cervix uteri. Die mittelzyklische Estrogen-abhängige Öffnung des Muttermundes sowie die Sekretion des Cervixschleimes werden durch die synthetischen Gestagene reduziert bzw. stark verändert. Die Verminderung der Schleimsekretion, die Erhöhung der Viskosität sowie die Zunahme proteolytischer Enzyme im Zervixschleim vermindern die Penetrationsfähigkeit der Spermien. Nicht nur der „mechanische“ Verschluss der Cervix uteri wird durch Ovulationshemmer bewirkt, sondern auch der Veränderung der biochemischen Zusammensetzung des Cervixschleimes kommt eine kontrazeptiv wirkende Bedeutung zu. Ein weiterer Angriffspunkt von Ovulationshemmern sind die Tuben, deren Peristaltik durch die exogen zugeführten Steroide verändert wird.

Zuverlässigkeit von Ovulationshemmern

Die Zuverlässigkeit eines jeden Antikonzeptivums wird im sogenannten Pearl-Index gemessen. Die daraus resultierende Zahl gibt an, wie viele Schwangerschaften in 100 Frauenjahren zu erwarten sind. Bei „ungeschütztem“ Geschlechtsverkehr schwankt dieser Index zwischen 60 und 100. Die oralen Präparate zur hormonellen Kontrazeption bieten zurzeit von allen zur Verfügung stehenden reversiblen Methoden der Empfängnisverhütung den niedrigsten Pearl-Index, der mit 0,03 bis 0,5 angegeben wird. Die unter oralen Ovulationshemmern auftretenden Schwangerschaften gehen in einem hohen Prozentsatz auf Einnahmefehler zurück. Man muss damit rechnen, dass ca. einem Drittel aller Anwenderinnen innerhalb eines Einnahmezyklusses ein Fehler bei der Einnahme unterläuft. Selbst unter optimierten Studienbedingungen kommt es häufig vor, dass Dragees vergessen werden oder falsch genommen werden. Auch bei der Anwendung von „Hormon-Pflaster“ und „Hormon-Ring“ kann es – seltener aber doch – zu Anwendungsfehlern kommen. Was ist dann zu tun? Während der sieben Einnahme-freien Tage kann es bei manchen Frauen bereits zu einem Ansteigen der endogenen Estrogen-Konzentration sowie zu einer Follikelreifung kommen, die allerdings durch den darauffolgenden erneuten Beginn der Einnahme verhindert wird. Daraus ergibt sich, dass es für die Sicherheit problematisch ist, wenn von den ersten Dragees ein einzelnes vergessen wurde. Ist dies in den ersten sieben bis zehn Tagen der Fall und beträgt die Differenz mehr als zwölf Stunden, so empfiehlt es sich, die restliche Packung bis zum Ende weiter zu nehmen, um die Regelmäßigkeit des Zyklus nicht zu stören – allerdings ist die antikonzeptive Sicherheit deutlich reduziert. Der Einsatz anderer Methoden (unter anderem Barrieremethode) ist dann erforderlich. Wird in den letzten sieben Tagen eine „Pille“ vergessen und beträgt die Differenz zwölf Stunden, so hat dies einen weniger starken Einfluss auf den antikonzeptiven Schutz. Das nicht eingenommene Dragee muss nicht unbedingt „nachgenommen“ werden. In allen Fällen des Vergessens sollte die Packung bis zum Ende leer gemacht werden, um die Zyklusstabilität nicht zu gefährden. Bei „Hormon-Pflaster“ und „Hormon-Ring“ wird manchmal der Zeitpunkt der Applikation falsch gehandhabt. Sollte dies der Fall sein, so sind auch hier zusätzliche Verhütungsmaßnahmen oder Abstinenz erforderlich.

Tab. 2: Beispiele für Mehrphasen-Präparate zur hormonelle Ovulationshemmung [Lauer Fischer Taxe, Stand: 16. November 2020]
Zweiphasen-Präparate
Präparat (Beispiele)
Phase 1
7 Tabletten
Phase 2
15 Tabletten
Estrogen-­Komponente
0,04 mg Ethinylestradiol
0,03 mg Ethinylestradiol
Biviol, Gracial
Gestagen-Komponente
0,025 mg Desogestrel
0,125 mg Desogestrel
Dreiphasen-Präparate
Phase 1
6 Tabletten
Phase 2
5 Tabletten
Phase 3
10 Tabletten
Estrogen-­Komponente
30 µg Ethinylestradiol
40 µg Ethinylestradiol
30 µg Ethinylestradiol
Logynon, Novastep, Trigoa, Trigynon, Trinordiol, Triquilar
Gestagen-Komponente
50 µg Levonorgestrel
75 µg Levonorgestrel
125 µg Levonorgestrel

Beginn der Anwendung von Ovulationshemmern

Der erste Tag der Menstruationsblutung ist auch der Tag, an dem das erste Dragee genommen wird, das Hormonpflaster geklebt bzw. der Hormonring appliziert wird. Die „Dreimonatsspritze“, das Hormonstäbchen und die Hormonspirale sollten in der ersten Woche nach der Blutung appliziert werden. Die Tageszeit – bei oraler Einnahme – bleibt der Frau überlassen und sollte so gewählt werden, dass das Vergessen der Einnahme möglichst verhindert wird. Meist verunsichern zu Beginn der Anwendung vor allem Zwischenblutungen und Zyklusinstabilitäten die Anwenderinnen. Dies ist aber meist ein kurzes, sich rasch wieder von selbst lösendes Problem, meist ohne dass eine ärztliche Intervention notwendig ist. Manchmal, wenn auch nach drei bis vier Monaten die Zwischenblutungen nicht aufgehört haben, ist über einen Präparatewechsel (bei oraler Anwendung) nachzudenken. Prinzipiell kann man bei Blutungsstörungen, die unter niedrigdosierten monophasischen Ovulationshemmern auftreten, auf eine andere (höhere) Ethinylestradiol-Dosis ausweichen oder auf ein Mehrphasen-Präparat umstellen (Tabelle 1 und 2). Damit gelingt es in vielen Fällen, Metrorrhagien und Spottings zu beenden. Die Verkürzung der „Pillenpause“, aber auch die Verwendung anders kombinierter/dosierter Präparate ist ein Schritt im Management von Zyklusstörungen unter oralen Ovulationshemmern.

Transdermale und intravaginale ­Ovulationshemmung

Diese Applikationen stellen eine Erweiterung der Anwendungsmöglichkeiten von Hormonen dar. Der Beginn der Anwendung ist, wie bei oralen Präparaten, der erste Tag der Blutung. Sowohl im kontrazeptiven Pflaster als auch im kontrazeptiven Ring sind Ethinylestradiol und ein Gestagen enthalten (Tab. 3). Es gelingt durch die geeignete Galenik und Aufbereitung in Pflaster- bzw. Ringform ebenfalls eine Ovulationshemmung. Es gelten die gleichen Bedingungen (Anamnese, Nebenwirkungen) und Sicherheitsmaßnahmen wie bei oralen hormonellen Präparaten, dies umfasst auch das thromboembolische Risiko.

Tab. 3: Beispiele für Präparate mit besonderer Darreichungsform [Lauer Fischer Taxe, Stand: 16. November 2020]
Estrogen-Komponente
Gestagen-Komponente
Präparat (Beispiele)
vaginale Freisetzungssysteme
Ethinylestradiol 2,7 mg
≙ 15 µg/Tag
Etonogestrel 11,7 mg
≙ 120 µg/Tag
Circlet, MyCirq, Nuva Ring
Ethinylestradiol 3,474 mg
≙ 15 µg/Tag
Etonogestrel 11 mg
≙ 120 µg/Tag
Cyclelle, Gino Ring, Setlona, Veri-Aristo
subkutane Freisetzungssysteme
-
Etonogestrel 68 mg
≙ Etonogestrel-Freigabe (Initialdosis): 60 µg/Tag
Implanon, Nexplanon
transdermale therapeutische Systeme (Hormonpflaster)
Ethinylestradiol 0,6 mg
≙ 33,9 µg/Tag
Norelgestromin 6 mg
≙ 203 µg/Tag
Evra

Allgemeiner Benefit durch Ovulationshemmer

Bei bestimmten gynäkologischen und auch extragenitalen Beschwerdebildern werden Ovulationshemmer erfolgreich eingesetzt, ohne dass die Verhütungsfrage im Vordergrund steht. Die anamnestische Abklärung ist natürlich ebenso wichtig wie die Information der Anwenderin, aus welcher medizinischen Indikation ihr die Verwendung eines Ovulationshemmers empfohlen wird (s. Beitrag „Mehr als nur verhüten: Indikationen jenseits der ovulationshemmenden Wirkung“ auf S. 56 in dieser DAZ). Als sehr frühe „extragenitale Indikationen“ gelten Akne und Zyklusunregelmäßigkeiten bei pubertierenden Mädchen. Hier wirkt die „Pille“ sehr effizient. In beiden Fällen sollte allerdings besondere Rücksicht auf die vollständige Entwicklung der hormonellen Regelkreise genommen werden, bevor ein Ovulationshemmer aus der Indikation „Akne“ zum therapeutischen Einsatz kommt. Wie der Name schon sagt, es sollte eine Ovulation vorhanden sein, die gehemmt werden möchte. Solange es noch nicht zur Ausreifung der entsprechenden Rezeptoren an Hypophyse/Hypothalamus und den weiblichen Erfolgs­organen gekommen ist und es keine funktionierenden Regelkreise gibt, sollte man Vorsicht walten lassen. Denn Ovulationshemmer sind sehr effektiv, und sie unterdrücken auch dort, wo es noch nichts zu unterdrücken gibt. Sie verhindern bzw. hemmen vielmehr in den Jahren der Pubertät die weitere hormonelle und organische Ausreifung von Tuben, Gebärmutter und auch von Brust sowie Fettgewebe und das deshalb, weil sie dafür konzipiert sind.

Tab. 4: Kontraindikationen hormoneller Kontrazeptiva
absolute Kontraindikationen
relative Kontraindikationen
  • Schwangerschaft
  • Stillzeit (Kombinationspräparate)
  • rezente oder anamnestische kardiovaskuläre Erkrankung: Hypertonie, transitorische ischämische Attacke (TIA), Schlaganfall, Thrombose, Angina pectoris, Zustand nach Herzinfarkt
  • Blutgerinnungsstörungen (Protein-C-Mangel, Protein-S-­Mangel, Antithrombin[ATIII]-Mangel, Antiphospholipid-Antikörper, Faktor-V-Leiden-Mutation)
  • Prädisposition für thrombo-embolische Erkrankungen
  • manifester Diabetes mellitus
  • Lipidstoffwechselstörungen
  • hämolytische Anämie, Sichelzellanämie
  • hormonabhängige Tumore (z. B. Tumore der Schilddrüse, der Nebennierenrinde, des Pankreas)
  • ungeklärte Genitalblutungen
  • Sexualhormon-abhängige maligne Tumoren
  • Migräne mit fokalen Symptomen
  • schwere Lebererkrankungen (inkl. Tumore der Leber, ­Porphyrie)
  • Pankreatitis (eventuell in Verbindung mit schwerer Hypertriglyceridämie)
  • Niereninsuffizienz
  • ausgeprägte Varikositas
  • Quincke-Ödem
  • Bettlägerigkeit / Langzeit-Immobilisierung
  • Adipositas, BMI > 30
  • latenter Diabetes mellitus
  • Gallenerkrankungen, benigne Lebererkrankungen
  • Tempoanomalien unklarer ­Genese
  • Epilepsie, Chorea und andere psychiatrische Erkrankungen (nach individueller Abwägung)
  • systemischer Lupus erythematodes (SLE)
  • Zustand nach Herpes gestationis
  • Nicotinabusus
  • Alter über 35 Jahren
  • Fettstoffwechselerkrankungen (latent)
  • länger dauernde Immobilisierung
  • Hyperpigmentierung, Chloasmen
  • Vitiligo
  • Ulcus ventriculi
  • Colitis ulcerosa, Morbus Crohn
  • multiple Sklerose
  • oberflächliche Thrombophlebitis
  • Sichelzellanämie
  • Migräne mit und ohne Aura
  • Herzklappenerkrankungen, Herzrhythmusstörungen
  • Interaktionen mit bestimmten Arzneimittelgruppen möglich

Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen bei der Anwendung von Ovulationshemmern

Das Nutzen/Risiko-Verhältnis sollte in jedem Fall individuell besprochen werden, und die Abschätzung erfolgt gemeinsam mit der zukünftigen Anwenderin, mitgetragen von der Expertise des verordnenden Arztes. Es hat sich in der Praxis bewährt, der Anwenderin eine Information auszuhändigen und diese gegebenenfalls auch unterschreiben zu lassen. Auch bei Ovulationshemmern kann man zwischen absoluten und relativen Kontraindikationen unterscheiden, wobei die Grenzen fließend sein können. Die Schwangerschaft gilt als absolute Kontraindikation. Nur für das Gestagen Cyproteronacetat ist eine fruchtschädigende Wirkung bekannt, deshalb muss bei Verordnung eines diesbezüglichen Präparates mit Sicherheit eine Schwangerschaft im Vorfeld ausgeschlossen werden (s. Tab. 4). |

Literatur bei der Verfasserin

Autorin

Univ. Prof. Dr. Doris Maria Gruber, Studium der Humanmedizin an der Medizinischen Fakultät Wien, Gastärztin an der Univ. Klinik für Frauenheilkunde (AKH Wien), Turnusärztin im KH Göttlicher Heiland (Wien), ärztliche Tätigkeit in der Krankenanstalt Menox/Cosmex (Wien), Ausbildung zur Fachärztin für Frauenheilkunde an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde (AKH Wien)

Der vorliegende Beitrag ist ein bearbeiteter und erweiterter Nachdruck des Artikels „Ovulationshemmer“ von Prof. Dr. Doris Maria Gruber aus der Österreichischen Ärztezeitung 2020, Nr. 11, S. 26 – 33. Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung!

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