Fehlermanagement

Sprachbarrieren überwinden

Bilder sagen mehr als Tausend Worte

Von Carina John |  Wie erklärt man einem Patienten, der kein Deutsch und kaum Englisch versteht, wie er sein Antibiotikum einnehmen muss? Wie sagt man, dass eine Tablette erst nach dem Essen eingenommen werden darf und vorher noch halbiert werden soll? Sprachbarrieren erschweren die Beratung und können hierdurch Medikationsfehler begünstigen. Doch es gibt Hilfsmittel, die im Patientengespräch genutzt werden können und die richtige Einnahme unterstützen, auch wenn Patient und Apotheker nicht die gleiche Sprache sprechen.

Apotheker stehen tagtäglich vor der Herausforderung, Patienten mit Sprech- oder Sprachproblemen zu versorgen und zu beraten. Es gibt viele Gründe, warum Patienten sich nicht mitteilen können oder die Erläuterungen zu ihrer Medikation nicht verstehen. Manche sind z. B. aufgrund einer Behinderung oder Erkrankung nicht in der Lage, sich ausreichend lautsprachlich zu äußern. Andere verfügen über unzureichende Deutschkenntnisse.

Eine klare Verständigung ist jedoch unerlässlich, um eine geeignete und sichere Arzneimitteltherapie zu gewährleisten. Patienten sollten beim Arztbesuch oder beim Beratungsgespräch im Rahmen der Selbstmedikation in der Apotheke ihre Beschwerden äußern können. Dies ermöglicht dem Arzt, gegebenenfalls mit einer entsprechenden Verordnung und dem Apotheker mit einer geeigneten Arzneimittelauswahl und Beratung zu reagieren. Der Patient wiederum muss die Hinweise zu seinen Arzneimitteln verstehen, um diese auch umsetzen zu können.

Der hier dargestellte Fall aus CIRS-NRW (siehe Kasten „CIRS-Fall: Sprachprobleme – Therapie von Mundsoor“) zeigt, wie wichtig es ist, trotz Sprachbarrieren eine umfängliche Beratung in der Apotheke zu leisten. Diese stellt nicht nur die richtige Anwendung sicher – auch Medikationsfehler lassen sich hiermit aufdecken. Im Fall „Sprachprobleme – Therapie von Mundsoor“ wurde vom Arzt anstelle des benötigten Mundgels eine Zinksalbe für den Windelbereich verordnet. Das Beratungsgespräch mit dem Vater des Kindes gestaltete sich aufgrund von Verständigungsproblemen schwierig. Dennoch erkannte der Apotheker, dass das verschriebene Arzneimittel nicht geeignet war. Ein Telefonat mit der Mutter, die Deutsch verstand, bestätigte dies. Nicht immer ist es jedoch möglich, im Beratungsgespräch einen „Dolmetscher“ hinzuzuziehen. Zudem kommuniziert das pharmazeutische Personal im besten Fall direkt mit dem Patienten oder Angehörigen – insbesondere wenn es sich um erklärungsbedürftige Arzneiformen handelt, deren Anwendung gegebenenfalls noch demonstriert werden muss. Wie also kann die direkte Kommunikation gelingen, wenn Patient und Apotheker nicht die gleiche Sprache sprechen?

CIRS-NRW steht für Critical-Incident-Reporting-System Nordrhein-Westfalen. Das internetgestützte Berichts- und Lernsystem zur anonymen Meldung von kritischen Ereignissen in der Patientenversorgung soll dazu beitragen, dass über solche Ereignisse offen gesprochen und aus ihnen gelernt wird. So sollen Wege zur Vermeidung von Risiken diskutiert und Lösungsstrategien erarbeitet werden. Die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, die bisher das Berichts- und Lernsystem CIRS-Pharmazie NRW geführt haben, sind dem Netzwerk CIRS-NRW im September 2019 beigetreten. Die Professionen Arzt und Apotheker treffen insbesondere im Bereich des Medikationsprozesses aufeinander. Die beidseitige Sensibilisierung für Medikationsfehler sowie die gegenseitige Kenntnis der organisatorischen Strukturen in Arztpraxis und Apotheke tragen zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit bei. Kritische Ereignisse aus der Apotheke können unter www.cirsmedical.de/nrw berichtet werden. CIRS-Pharmazie NRW wurde ausführlich in der DAZ 2018, Nr. 11, S. 8 vorgestellt. In unserer Serie „Fehlermanagement“ stellen wir Ihnen seitdem ausgewählte Fälle zu Medikationsfehlern und kritischen Ereignisse vor. 2019 waren das zum Beispiel:

  • Stress? Aber sicher! Mit stressigen Situationen bewusst umgehen und Medikationsfehler verhindern. DAZ 2019, Nr. 8, S. 8
  • Vier Augen sehen mehr als zwei: Sinnvoller Einsatz von Kontrollen in der öffentlichen Apotheke. DAZ 2019, Nr. 22, S. 8
  • Zu viel Vitamin D: Ein Medikationsfehler aus Sicht einer Apothekenleiterin. DAZ 2019, Nr. 32, S. 48
  • Fehldosierung vorprogrammiert: Wenn die Dosierungsanweisung auf dem Rezept nicht eindeutig ist. DAZ 2019, Nr. 42, S. 48
  • „Plug and play“ wäre schön! Technik allein reicht nicht für die Patientensicherheit. DAZ 2019, Nr. 50, S. 48

Lasst Bilder sprechen

Um die Kommunikation mit Patienten auch bei Sprachbarrieren zu ermöglichen, kann der Apotheker auf verschiedene Hilfsmittel wie Broschüren, Informationsblätter, Piktogramme und Wörterbücher zurückgreifen. Einen guten Überblick zu unterstützenden Maßnahmen bei der fremdsprachlichen Kommunikation in der Apotheke bietet die ABDA auf ihrer Homepage im mitgliedergeschützten Bereich [1]. Broschüren und Informationsblätter zielen in der Regel nur auf bestimmte Erkrankungen oder Arzneimittel ab, so z. B. die einfachen und verständlichen Kurzinformationen des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ), das zum Beispiel Informationen in leichter Sprache zum Diabetes mellitus Typ 2 zur Verfügung stellt [2]. Meist sind solche Informationsblätter lediglich in bestimmten Sprachen verfügbar. Für die direkte und individuelle Beratung kann das pharmazeutische Personal eine Art Zeichensprache einsetzen, die sogenannten Piktogramme.

CIRS-Fall: Sprachprobleme – Therapie von Mundsoor

Was ist passiert?

Verordnet wurde Infectosoor® Zinksalbe für einen acht Tage alten Säugling. Der Vater, der das Rezept einlöste, verstand kein Deutsch. Auf Englisch wurde versucht, die Anwendung zu erklären - dabei kamen Zweifel auf. Bei einem Telefonat mit der Mutter, die Deutsch sprach, stellte sich heraus, dass das Baby einen Mundsoor hatte und ein Gel für den Mund benötigte.

Was war das Ergebnis?

Laut Rücksprache mit der Praxis bestätigte sich, dass eigentlich das Mundgel benötigt wurde.

Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können?

Fehler bei Verordnungen sind immer möglich, dafür hat die Apotheke eine Kontrollfunktion. Man sieht, wie wichtig - auch bei Sprachbarrieren - die Kommunikation mit dem Patienten/Angehörigen ist. Es sollte immer, auch wenn es manchmal mühsam ist, hinterfragt werden, ob Anwendung, Dosierung etc. bekannt sind.

Unterstützte Kommunikation in der Apotheke

Das Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik der Universität Oldenburg hat gemeinsam mit Apothekern Pikto­gramme und ihre Abfolge speziell für den Einsatz in der Apotheke entwickelt und im Apothekenalltag erprobt. Hieraus entstanden ist ein Ringbuch (UKAPO-Kommunikationsmappe für Apotheken, Arztpraxen und weitere medizinische Einsatzbereiche), in dem typische Beratungssituationen mit zahlreichen Bildern dargestellt sind (siehe Abb. 1) [3]. Die lautsprachliche Kommunikation wird durch die Piktogramme nicht vollständig ersetzt, die Bilder kommen beim Gespräch unterstützend zum Einsatz. Durch Zeigen auf die Piktogramme kann sich der Patient zu seinem Zustand bzw. zu Krankheitssymptomen äußern. Der Apotheker ist wiederum in der Lage, durch die Bilder sachgerechte Einnahme- und Anwendungshinweise der ausgewählten oder verordneten Arzneimittel zu vermitteln. Das fachspezifische, grafische Vokabular steht auch in Form einer kostenpflichtigen App (ausschließlich für iPads) auf Deutsch und Englisch zur Verfügung. Die Apothekerkammer Westfalen-Lippe hat für die Beratung von Kunden und Patienten mit Migrationshintergrund einen Satz von insgesamt 85 Piktogrammen aufbereitet, der kostenfrei zugänglich ist [4].

Abb. 1: Mit eindeutigen Bildsymbolen kann auch in Situationen kommuniziert werden, in denen keine gemeinsame Sprache gefunden wird oder wenn kranke Menschen gar nicht oder nicht verständlich sprechen können. Hier beispielhaft ein Ausschnitt aus der UKAPO-Kommunikationsmappe mit apothekenrelevanten Abbildungen [https://methodenzentrum.com].

Software PictoRx

Auch der Weltapothekerverband (International Pharmaceutical Federation, FIP), unterstützt Apotheker mithilfe schematischer Bilder bei der pharmazeutischen Versorgung von Patienten mit Sprachbarrieren. Mittels der kostenfreien Software PictoRx können aus einzelnen Piktogrammen (Abb. 2) Packungsetiketten (Abb. 3), Informationsblätter und Medikationskalender erstellt werden [5]. Der Apotheker wählt die entsprechende Sprache aus, gibt den Arzneimittelnamen ein und ordnet Symbole zu folgenden Inhalten zu:

  • Anwendung/Verabreichungsweg
  • Indikation
  • Dosis
  • Dosisfrequenz
  • Warnhinweise
  • mögliche Nebenwirkungen
  • zusätzliche Informationen

Durch Aufbringen eines bebilderten Labels auf die Arzneimittelpackung wird sichergestellt, dass der Patient die Einnahmehinweise auch noch zu Hause, unmittelbar bei der Einnahme bzw. Anwendung des Arzneimittels vor Augen hat. Die Etiketten oder Informationsblätter können auch in einem individuellen Patientenprofil gespeichert werden. Im Falle einer Wiederholungsverordnung spart dies Mühe und Zeit.

Abb. 2: Mit Piktogrammen unterstützt der Weltapothekerverband FIP eine nonverbale Kommunikation über Ländergrenzen hinweg. Einzelne Piktogramme z. B. zur Art der Medikation und Zeit der Einnahme können ausgedruckt werden. [www.fipfoundation.org/pictogram-project]

Fotos: FIP, www.fip.org

Abb. 3: Etiketten oder Medikationskalender lassen sich mit dem Programm PictoRx, das unter www.fip.org kostenlos zum Download bereitsteht, in vielen Sprachen einfach erstellen.

Online-Wörterbuch

Während der Beratung können auch Online-Wörterbücher zur Übersetzung genutzt werden. Das Refugees Phrasebook enthält Wörter und kurze Sätze unter anderem aus den Bereichen allgemeine Konversation, Gesundheit und Recht [6]. Es umfasst zahlreiche Sprachen, darunter Englisch, Französisch und Arabisch, aber auch Sprachen wie Farsi.

Mit Google-Translator werden individuell ganze Sätze (wenn auch nicht immer perfekt) übersetzt, die dann abgespielt und angehört werden können [7]. Die hier dargestellten Hilfsmittel lassen sich einfach in das Beratungsgespräch integrieren und sind nicht kostenintensiv. Sie tragen dazu bei, das Risiko für kritische Ereignisse und Medikationsfehler aufgrund von Sprachbarrieren zu reduzieren und die Patientensicherheit zu erhöhen. Weitere gute Beispiele für konkrete Maßnahmen zur Fehlerprävention finden Sie in den Beiträgen der DAZ-Reihe „Fehlermanagement“ sowie in den mittlerweile über 2000 Fallberichten und Kommentaren auf den Seiten von CIRS-NRW unter www.cirsmedical.de/nrw/. |

Literatur

[1] Fremdsprachliche Kommunikation in der Apotheke. ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V., www.abda.de/fuer-apotheker/faqs-und-checklisten/kommunikation-mit-fluechtlingen-in-der-apotheke/, Abruf am 10. Januar 2020

[2] Kurzinformationen für Patienten (KiP). Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), www.patienten-information.de/kurzinformationen/uebersetzungen, Abruf am 10. Januar 2020

[3] UKAPO-Kommunikationsmappe. Methodenzentrum Unterstützte Kommunikation gUG, https://methodenzentrum.com, Abruf am 10. Januar 2020

[4] Piktogramme für die Beratung von Kunden und Patienten mit Migrationshintergrund in Apotheken. Apothekerkammer Westfalen-Lippe, www.akwl.de, Abruf am 10. Januar 2020

[5] Pictograms software der International Pharmaceutical Federation (FIP), www.fipfoundation.org/pictograms-download/, Abruf am 10. Januar 2020

[6] Refugee Phrasebook. https://refugeephrasebook.de, Abruf am 10. Januar 2020

[7] Google Übersetzer, https://translate.google.com, Abruf am 10. Januar 2020

Autorin

Carina John, PharmD, Studium der Pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und zum Doctor of Pharmacy an der University of Florida, USA. Leitung der Abteilung AMTS / ATHINA der Apothekerkammer Nordrhein, Referentin im Bereich Fort- und Weiterbildung, Autorin für die Deutsche Apotheker Zeitung und den Deutschen Apotheker Verlag, Wissenschaftliche Mitarbeiterin der WestGem-Studie

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