Gesundheitspolitik

BGH kassiert Werbung für rein digitalen Arztbesuch

Erste höchstrichterliche Entscheidung zum gelockerten Fernbehandlungsverbot / Was sind „anerkannte fachliche Standards“?

ks | Ärztliche Fernbehandlungen haben nicht zuletzt in der Pandemie an Bedeutung gewonnen. Aber wie darf für sie geworben werden? Seit zwei Jahren gibt es eine Ausnahmeregelung zum zuvor strikt geltenden Werbeverbot für Fernbehandlungen im Heilmittelwerbe­gesetz – doch wie ist diese auszulegen? Mit dieser Frage hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) befasst und vergangenen Donnerstag entschieden: Die Werbung einer privaten Krankenversicherung für einen umfassenden „digitalen Arztbesuch“ per App ist unzulässig. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2021, Az.: I ZR 146/20

Die Wettbewerbszentrale wollte es einmal wieder grundsätzlich wissen: Ist die Werbung von Krankenversicherern für telemedizinische Angebote, bei denen eine Behandlung von Patienten nur auf digitalem Wege erfolgt, zulässig?

Seit Dezember 2019 heißt es in § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG): „Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen oder Tier beruht (Fernbehandlung). Satz 1 ist nicht anzuwenden auf die Werbung für Fernbehandlungen, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.“

Das zuvor geltende generelle strenge Werbeverbot für Fernbehandlungen war gelockert worden, nachdem die Telemedizin zunehmend Einzug in die Versorgung gefunden hatte. Aber wann ist nun eine Werbung nach der neuen Norm zulässig? Was genau ist unter den „anerkannten fachlichen Standards“ zu verstehen? Das wollte die Wettbewerbszentrale klären lassen.

„Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst“

Dazu ging sie gegen die Werbung des privaten Krankenversicherers Ottonova vor. Dieser hatte seinen Kunden auf seiner Internetseite den „digitalen Arztbesuch“ über eine App angekündigt. Beworben wurden dabei nicht nur Diagnose und Therapieempfehlung, sondern auch die Krankschreibung per App. Wörtlich hieß es: „Warum du den digitalen Arztbesuch lieben wirst. Erhalte erstmals in Deutschland Diagnosen, Therapieempfehlung und Krankschreibung per App.“ Dazu kam der verlockende Slogan: „Bleib einfach im Bett, wenn du zum Arzt gehst.“ Bei den sogenannten „eedoctors“, die die beworbene Fernbehandlung durchführen sollten, handelte es sich nach Angaben des Versicherers um erfahrene Ärzte in der Schweiz.

Die Wettbewerbszentrale rügte einen Verstoß gegen § 9 HWG und machte einen wettbewerbsrecht­lichen Unterlassungsanspruch geltend. Schon in den ersten beiden Instanzen hatte sie damit Erfolg. Das Oberlandesgericht München hatte die Revision zwar nicht zugelassen, aber die Versicherung legte Beschwerde ein und schaffte es so zum Bundesgerichtshof – dieser hat nun allerdings nicht in ihrem Sinne entschieden.

Laut Pressemitteilung des Gerichts verstößt die beanstandete Werbung gegen § 9 HWG – und zwar sowohl in seiner alten wie auch in seiner neuen Fassung. Da es sich bei dieser Vorschrift um eine – dem Gesundheitsschutz dienende – Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a Gesetz gegen den unlau­teren Wettbewerb (UWG) handelt, sei die Versicherung verpflichtet, die Werbung zu unterlassen.

Was das Fernbehandlungsverbot in seiner neuen Fassung betrifft, führt der BGH aus, dass Apps, wie die hier vorliegende, grundsätzlich ein Kommunikationsmedium nach § 9 Satz 2 HWG sind, sodass eine Ausnahme vom Werbeverbot vorliegen könnte. Jedoch gelte dies nur dann, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung sieht der Senat hier nicht erfüllt.

Fachgesellschaften und G-BA gefragt

Dazu stellt die Pressemitteilung klar: „Mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards sind – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint. Es kommt daher nicht darauf an, ob die beworbene Fernbehandlung den Ärzten in der Schweiz schon seit Jahren erlaubt ist.“ Auszulegen sei der Begriff der „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum medizinischen Behandlungsvertrag (§ 630a Abs. 2 BGB) und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze. Danach könnten sich solche Standards auch erst im Laufe der Zeit ent­wickeln und sich etwa aus den Leitlinien medizinischer Fach­gesellschaften oder den Richt­linien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ergeben.

Vorliegend habe die beklagte Ver­sicherung für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung im Wege der Fernbehandlung geworben. Dass diese den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden all­gemeinen fachlichen Standards entspreche, sei nicht festgestellt. Da das Versicherungsunternehmen dies auch nicht behauptet hatte, sah sich der BGH zu einer abschließenden Entscheidung in der Lage.

Den Telemedizinanbietern dürfte das Urteil nicht gefallen. Allerdings hat es auch eine Tür für die Fernbehandlungs-Werbung geöffnet. Im Laufe der Zeit können sich Standards entwickeln – und es wird sich zeigen, ob und wann die Fachgesellschaften oder der G-BA hier aktiv werden, objektive fach­liche Standards zu setzen. |

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