Gesundheitspolitik

Gutachter raten Apotheken und Rechenzentren von E-Rezepten ab

Technische Mängel und ihre rechtlichen Folgen

tmb | Die Bedenken zur Alltagstauglichkeit des E-Rezeptes werden immer größer. Die jüngste Zuspitzung ergibt sich aus einem Gutachten, das der Bundesverband Deutscher Apothekenrechenzentren (VDARZ) in Auftrag gegeben hatte. Darin raten die Rechtsanwälte Dr. Morton Douglas und Dr. Lukas Kalkbrenner Apotheken und Rechenzentren davon ab, E-Rezepte anzunehmen. Denn möglicherweise könnten die Krankenkassen die Bezahlung aus formalen Gründen verweigern. Dagegen bieten die Gutachter eine Lösung an, die in der E-Rezept-Quittung der Gematik liegen könnte.

Die Erprobung des E-Rezeptes bezog sich anfangs überwiegend auf die Funktionen innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI), für die die Gematik zuständig ist. In der Pilotregion Berlin/Brandenburg wurde dagegen der ganze Arbeitsablauf untersucht, also auch die Abrechnung, die für die vollständige Funktion des E-Rezeptes unverzichtbar ist. Dabei erweist sich nun offenbar als Problem, dass nicht alle Schritte unter einer gemeinsamen Verantwortung liegen. Schon seit Wochen war von vielen technischen Schwierigkeiten zu hören, die bei den wenigen abgerechneten Rezepten aufgetreten waren (siehe DAZ 2021, Nr. 47, S. 18). Daraufhin hat der VDARZ eine Mängelliste erstellt.

VDARZ: Mängel bei der Datensicherheit

Aus diesen Mängeln ergeben sich offenbar rechtliche Folgen, die eine ordnungsgemäße Verarbeitung der E-Rezepte unmöglich machen könnten. Dies ist ein zentraler Aspekt im Gutachten der Rechts­anwälte Dr. Morton Douglas und Dr. Lukas Kalkbrenner von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen, das im Auftrag des VDARZ erstellt und am 15. Dezember veröffentlicht wurde. Das Gutachten basiert auf den folgenden technischen Mängeln, die der VDARZ festgestellt hatte: Bei den für die Daten­sicherheit wesentlichen „Trust Service“-Listen werde ein veralteter Standard genutzt. Eine alternative Signaturprüfung könne in den Rechenzentren nicht erfolgen, weil die dafür nötigen Konnektoren fehlen. Außerdem würden keine qualifizierten Zeitstempel genutzt. Dies eröffne Fälschungsmöglichkeiten und die elektronische Quittung enthalte daraufhin keine Prüfsumme. Der VDARZ betont, dass Apotheken und Rechenzentren für diese Defizite nicht verantwortlich sind. Sie könnten nur mit dem arbeiten, was die Gematik zur Verfügung stellt. Doch der VDARZ befürchtet, dass insbesondere die Apotheken die Leidtragenden werden könnten.

Was ist eine ordnungsgemäße elektronische Verschreibung?

Douglas und Kalkbrenner erläutern dazu in ihrem Gutachten, dass das Gütesiegel gemäß dem europaweit geltenden Standard für qualifizierte Vertrauensdiensteanbieter nur den Wert „3“ und nicht den geforderten Wert „5“ habe. Dies sei mit Blick auf den Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten problematisch. Als besonders gravierend stufen sie das Fehlen von Zeitstempeln im gesamten Verarbeitungsprozess ein. Daraus folgern die Rechtsanwälte, dass die Geschäftsgrundlage für das E-Rezept nicht gewährleistet ist. Denn die Vertragsparteien der Arzneimittel­abrechnungsvereinbarung gemäß § 300 Abs. 3 SGB V würden technisch einwandfrei bereitgestellte Daten voraussetzen. Es sei zu fragen, ob überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Abrechnung von E-Rezepten besteht. Das alles er­gebe sich aus einer Frage: Wie ist eine ordnungsgemäße elektronische Verschreibung definiert?

Furcht vor Retaxationen

Es sei offen, ob die Ordnungsmäßigkeit auch die technischen Vorgaben umfasst, die von Apotheken weder geprüft noch beeinflusst werden können. Mit dieser Unsicherheit drohe den Apotheken, dass die Krankenkassen die Bezahlung der E-Rezepte aus formalen Gründen verweigern könnten.

Rechenzentren in der Zwickmühle

Außerdem sehen die Gutachter die Rechenzentren in einer „Zwickmühle“. Die Rechenzentren müssten als Auftragsverarbeiter eine sichere Datenübermittlung bieten, könnten diese aber angesichts der Voraussetzungen der TI nicht gewährleisten. Sie müssten die Apotheken auf datenschutzrechtliche Mängel hinweisen, aber es sei nicht abschließend geklärt, wie sie sich danach zu verhalten hätten. Die Apotheken könnten mit ihrem Weisungsrecht die Abrechnung durchsetzen, soweit keine offensichtlichen Rechtsverletzungen vorliegen. Doch sogar dieser Fall könne nicht ausgeschlossen werden. Damit könnten die Rechenzentren die Abrechnung mit dem Verweis auf den Datenschutz zum Erliegen bringen, erklären die Gutachter. Weitere Fragen sehen die Gutachter bei den Heilungsmöglichkeiten für erkannte technische Mängel und dem Umgang mit technisch unzulänglichen Verordnungen.

Apothekenrechtliche Fragen

Die Unsicherheit über die Ordnungsmäßigkeit von E-Rezepten könne auch apothekenrechtliche Folgen haben, folgern die Gutachter weiter. Es sei zu fragen, ob ein E-Rezept die Bedingungen zur Verschreibungspflicht gemäß § 48 Abs. 1 AMG erfüllt. Möglicherweise könnte die Belieferung als vorsätzliche oder zumindest fahrlässige Abgabe ohne Verschreibung ausgelegt werden. Die Rechtsanwälte legen nahe, dass die Apotheken dabei wohl auf die Ordnungsmäßigkeit der technischen Spe­zifikationen vertrauen könnten. Sicher sei eine solche Bewertung jedoch nicht. Dazu verweisen die Gutachter auf strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu formalen Fehlern bei BtM-Rezepten.

Vorschlag: Quittung als Bestätigung

Als Ergebnis stellen die Gutachter fest, dass derzeit offen ist, was eine ordnungsgemäße elektronische Verordnung ist. Dies schaffe erhebliche Unsicherheiten für Apotheken und Rechenzentren. Als Lösungsansatz schlagen die Gutachter vor, dass der nach den Regeln des Rahmenvertrages zur Arzneimittellieferung ausgestellten Quittung der Gematik „die Wirkung zukommt, dass damit jegliche Einwände hinsichtlich der technischen Spezifikationen der elektronischen Verordnung präkludiert sind“. Wenn die Gematik diese Quittung erstellt habe, sollte der Kostenträger die Zahlung nicht mehr mit dem Verweis auf technische Anforderungen verweigern können. Doch dafür sei ein qualifizierter Zeitstempel unverzichtbar. Das „Ausklammern“ der technischen Spezifikationen aus der Verantwortung der Apotheken würde diesen die Beweisnot nehmen, dass die Verordnung bei der Belieferung technisch nicht zu beanstanden war. Allerdings würde diese Lösung nicht unmittelbar auf die datenschutzrechtliche Bewertung durchschlagen, mahnen die Gutachter. Die Gematik müsse allein die Verantwortung tragen, dass die technischen Vorgaben eingehalten werden. Darum müsse sie die anderen Beteiligten von allen Ansprüchen aufgrund fehlerhafter technischer Vorgaben freistellen. Außerdem fordern die Gutachter zu klären, wie mit E-Rezepten umzugehen ist, bei denen schon vor dem Erstellen der Quittung technische Mängel fest­gestellt werden. Es sollte einen Mechanismus geben, mit dem die Apotheke die Belieferung nachträglich legitimieren kann.

Doch ohne eine Klarstellung, was eine ordnungsgemäße elektronische Verordnung ist, könne einer Apotheke nicht empfohlen werden, eine solche Verordnung anzunehmen, erklären die Gutachter in ihrem Fazit. Außerdem könne einem Rechenzentrum nicht empfohlen werden, eine solche Verordnung anzunehmen.

Folgen für das Projekt E-Rezept?

Zu den bereits vielfach geäußerten technischen und praktischen Bedenken gegenüber dem E-Rezept kommen mit diesem Gutachten auch rechtliche Bedenken und die Furcht vor drohenden Retaxationen. Denn im Alltag kann nicht für jedes einzelne E-Rezept eine Genehmigung eingeholt werden. Damit könnte das Gutachten trotz der dargestellten, zumindest vorläufigen rechtlichen Lösungsmöglichkeit zu einem weiteren Argument für die Verschiebung des ganzen Projektes werden. |

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