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Pharmakotherapie

Alles im Fluss

Venöse Thromboembolien erkennen und verhindern

In der Allgemeinbevölkerung liegt die jährliche Inzidenz symptomatischer tiefer Venenthrombosen bei ca. 0,1%. Da die Anzeichen und Symptome oft unspezifisch sind oder denen anderer Erkrankungen ähneln, können sie unerkannt bleiben oder fehldiagnostiziert werden. Durch die entstehenden Blutgerinnsel kann es aber durch venöse Thromboembolien zu teils lebensbedrohlichen Komplikationen kommen. Neben der Therapie nach einem Ereignis sollte daher ein großes Augenmerk auf die prophylaktischen Möglichkeiten gerichtet werden, um tiefe Venenthromboembolien zu verhindern. Zumal nach dem ersten Auftreten eines thromboembolischen Ereignisses innerhalb eines Jahres das Risiko eines Wiederauftretens sehr hoch ist. | Von Birgit Linnemann

Venöse Thromboembolien (VTE) manifestieren sich in etwa zwei Drittel der Fälle als tiefe Venenthrombose (TVT) und in einem Drittel als Lungenembolie (LE) [1]. Thrombosen sind in der überwiegenden Zahl der Fälle in den Becken- und Beinvenen lokalisiert und betreffen nur selten andere Stromgebiete wie Armvenen, Pfortader, Mesenterialvenen oder Hirnsinus bzw. Hirnvenen. Im Langzeitverlauf entwickeln etwa 20 bis 50% aller Patienten mit einer Thrombose unter Beteiligung der Becken- und/oder der Oberschenkelvenen ein postthrombotisches Syndrom mit persistierender Schwellneigung der betroffenen Extremität. Schwere klinische Verläufe mit trophischen Störungen der Haut bis hin zur Entwicklung eines Ulcus cruris sind selten (ca. 2%) [2, 3]. Die wichtigste Komplikation bei venösen Thrombo­embolien ist die akute Lungenembolie, die über Hypoxie und Rechtsherzbelastung zum hämodynamischen Kollaps führen kann. Die 30-Tages-Mortalität wird in der Literatur mit etwa 3 bis 12% beziffert. Im Langzeitverlauf entwickeln etwa 2 bis 4% eine chronische thromboembolische pulmo­nale Hypertonie (CTEPH) [4].

 

Prophylaxe venöser Thromboembolien

Individuelles Risiko und Risikostratifizierung

In der Allgemeinbevölkerung beträgt die jährliche Inzidenz für venöse Thromboembolien etwa 0,1%. Das Risiko steigt exponentiell mit dem Lebensalter [1]. Etwa 60% aller VTE-Ereignisse treten bei Menschen jenseits des 70. Lebensjahres auf. Im Vergleich dazu ist das Thromboserisiko hospitalisierter Patienten wesentlich höher und wird größtenteils durch die akute Erkrankung bzw. den operativen Eingriff bestimmt. Die Angaben über die Häufigkeit venöser Thrombosen stammen aus älteren Kohortenstudien. Dabei liegt die Thromboseprävalenz bei Patienten ohne medikamentöse Prophylaxe zwischen 10 und 80% (Tab. 1).

Tab. 1: Prävalenz von tiefen Venenthrombosen in der Chirurgie und Inneren Medizin ohne medikamentöse ­Prophylaxe [1]
Patientenkollektiv
Prävalenz tiefer Venenthrombosen
Intensivmedizin
10 bis 80%
Rückenmarksverletzung
60 bis 80%
Polytrauma
40 bis 80%
Hüft- bzw. Kniegelenks-Operation
40 bis 60%
Schlaganfall
20 bis 50%
Neurochirurgie
15 bis 40%
große urologische OP
15 bis 40%
große gynäkologische OP
15 bis 40%
Allgemeinchirurgie
15 bis 40%
Innere Medizin
10 bis 20%

Für eine effiziente Thromboseprophylaxe ist es essenziell, die wesentlichen Risikofaktoren eines Patienten zu erkennen. Das individuelle Thromboserisiko setzt sich dabei aus patienteneigenen (dispositionellen) und erkrankungs- bzw. eingriffsbedingten (expositionellen) Risikofaktoren zusammen. Zu den dispositionellen Risikofaktoren gehören höheres Lebensalter, vorausgegangene VTE-Ereignisse, thrombophile Gerinnungsstörungen, positive Familienanamnese für ve­nöse Thromboembolien, Adipositas und Komorbiditäten (z. B. Malignom, Herzinsuffizienz, Autoimmunerkrankungen, Infektionen) (Tab. 2). Das expositionelle Risiko wird in der operativen Medizin durch Art und Dauer des Eingriffs bestimmt. Mit einem besonders hohen perioperativen Thromboserisiko sind neurochirurgische Operationen, Hüft- und Kniegelenkoperationen, Polytraumata und große abdominelle Eingriffe behaftet. Bei internistischen Patienten wird das expositionelle Risiko im Wesentlichen durch den Hospitalisierungsgrund bestimmt. Immobilisierung (Bettlägerigkeit, Ruhigstellung der unteren Extremitäten durch gelenküberschreitende Verbände oder Paresen), Dehydratation und Exsikkose erhöhen das Thromboserisiko zusätzlich. Es ist heutzutage Standard, bei allen stationär behandelten Patienten das Risiko für venöse Thromboembolien einzuschätzen. Etabliert ist die Einteilung in Risikogruppen mit niedrigem, mittlerem und hohem VTE-Risiko (Tab. 3). Die Häufigkeiten thromboembolischer Ereignisse in den jeweiligen Risikogruppen ohne medikamentöse Prophylaxe sind in Tabelle 4 dargestellt. Die Entscheidung für oder gegen eine medikamentöse VTE-Prophylaxe wird individuell und risiko-adaptiert vorgenommen. Eine pharmakologische Thromboseprophylaxe vermag das Risiko für venöse Thromboembolien und damit die Krankenhausmortalität signifikant zu senken [5 – 7].

Tab. 2: Patienteneigene Risikofaktoren und die klinische Relevanz (modifiziert nach [1])
relative Risikoerhöhung
Risikofaktor bzw. Risikosituation
hoch
VTE-Ereignisse in der Vorgeschichte
mittel bis hoch
maligne Grunderkrankung
Thrombophile, Hämostasedefekte
mittel
Alter > 60 Jahre
positive Familienanamnese für VTE-Ereignisse
chronische Herzinsuffizienz
Übergewicht (BMI > 30 kg/m2)
akute Infektion
entzündliche Erkrankung mit Immobilisation
gering bis mittel
kombinierte hormonelle Kontra­zeption oder Hormonersatztherapie
gering
Schwangerschaft und Postpartalzeit
nephrotisches Syndrom
Varikosis
Tab. 3: VTE-Risikogruppen in der operativen und nicht-operativen Medizin [1]
operative Medizin
nicht-operative Medizin
niedriges Risiko für venöse Thromboembolien
  • kleine operative Eingriffe
  • Verletzung ohne oder mit geringem Weichteilschaden
  • kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risikokategorie
  • Infektion oder akut-entzündliche Erkrankung ohne Bettlägerigkeit
  • zentralvenöse Katheter oder Portkatheter
  • kein zusätzliches oder geringes dispositionelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risikokategorie
mittleres Risiko für venöse Thromboembolien
  • länger dauernde Operationen
  • gelenkübergreifende Immobilisation der unteren Extremitäten im Hartverband
  • arthroskopisch assistierte Gelenkchirurgie an der unteren Extremität
  • kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risikokategorie
  • akute Herzinsuffizienz (NYHA III/IV)
  • akut dekompensierte schwere COPD ohne Beatmung
  • Infektion oder akut-entzündliche Erkrankung mit strikter Bettlägerigkeit
  • stationär behandlungsbedürftige maligne Erkrankung
  • kein zusätzliches bzw. nur geringes dispositionelles Risiko, sonst Einstufung in höhere Risikokategorie
hohes Risiko für venöse Thromboembolien
  • größere Eingriffe in der Bauch- und Beckenregion bei malignen Tumoren oder entzündlichen Erkrankungen
  • Polytrauma, schwere Verletzungen der Wirbelsäule, des Beckens und/oder der unteren Extremität
  • größere Eingriffe an Wirbelsäule, Becken, Hüft- oder Kniegelenk
  • größere operative Eingriffe in Körperhöhlen der Brust-, Bauch- und/oder Beckenregion
  • Schlaganfall mit Beinparese
  • akut dekompensierte schwere COPD mit Beatmung
  • Sepsis
  • schwer erkrankte Patienten mit intensiv­medizinischer Behandlung
Tab. 4: Häufigkeit von Beinvenenthrombosen und Lungenembolien in den jeweiligen Risikogruppen [1]
distale Beinvenenthrombose
proximale Beinvenenthrombose
tödliche Lungenembolie
niedriges VTE-Risiko
< 10%
< 1%
< 0,1%
mittleres VTE-Risiko
10 bis 40%
1 bis 10%
0,1 bis 1%
hohes VTE-Risiko
40 bis 80%
10 bis 30%
> 1%

Maßnahmen zur Thromboseprophylaxe

Zu den Maßnahmen, die eingesetzt werden, um das Risiko für venöse Thromboembolien zu senken, zählen

  • Basismaßnahmen (Frühmobilisation, Bewegungs­übungen, Anleitung zu Eigenübungen),
  • physikalische Maßnahmen (medizinische Thrombose-Prophylaxe-Strümpfe [MTPS], intermittierende pneu­matische Kompression [IPK]) und
  • medikamentöse Maßnahmen.

Die aktuelle Version der AWMF-S3-Leitlinie zur „Prophy­laxe der venösen Thromboembolie“ empfiehlt eine medikamentöse Prophylaxe für Patienten mit mittlerem oder hohem VTE-Risiko, während für Patienten mit niedrigem Risiko vorzugsweise Basismaßnahmen angewendet werden sollen [1]. Ob medizinische Thrombose-Prophylaxe-Strümpfe bei immobilisierten Patienten im Krankenhaus zusätzlich zur üblichen medikamentösen Prophylaxe einen Effekt haben, ist umstritten. Ihr Einsatz bei mobilen Patienten ist aufgrund des zu geringen Arbeitsdrucks nicht sinnvoll. Physikalische Maßnahmen haben vor allem einen Stellenwert, wenn aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos oder anderer Kontraindikationen medikamentöse Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Eine medikamentöse Prophylaxe ist ansonsten wesentlich effektiver; in entsprechenden Risikokollektiven konnte eine relative Risikoreduktion von 50 bis 80% erreicht werden [8, 9].

Pharmaka für die Thromboseprophylaxe

Für die medikamentöse Prophylaxe venöser Thromboembolien stehen Heparine, Fondaparinux, Danaparoid sowie direkte Thrombin- bzw. Faktor-Xa-Inhibitoren zur Verfügung (Tab. 5). In den für die Prophylaxe üblichen Dosierungen erhöhen diese Pharmaka das Blutungsrisiko nur gering. Bei entsprechenden Komorbiditäten oder Komedikationen (z. B. Thrombozytenfunktionshemmer, nicht-steroidale Antiphlogistika) steigt das Blutungsrisiko jedoch. Bei jedem Einsatz eines Antikoagulans zur VTE-Prophylaxe muss das Blutungsrisiko des Patienten berücksichtigt werden.

Tab. 5: Antithrombotika zur Prophylaxe und Therapie venöser Thromboembolien (VTE)
Halbwertszeit t½ [Stunden]
Prophylaxedosis bei mittlerem Risiko
Prophylaxedosis bei hohem Risiko
therapeutische Dosis bei VTE
niedermolekulare Heparine
Enoxaparin
4 bis 6
1 × 2000 IE
1 × 4000 IE
2 × 100 IE/kg
Nadroparin
4 bis 6
1 × 2850 IE
1 × 2850 IE
2 × 85 IE/kg
Dalteparin
4 bis 6
1 × 2500 IE
1 × 5000 IE
1 × 200 IE/kg oder 2 × 100 IE/kg
Tinzaparin
4 bis 6
1 × 3500 IE
1 × 4500 IE
1 × 175 IE/kg
Certoparin
4 bis 6
1 × 3000 IE
1 × 3000 IE
2 × 8000 IE
Reviparin
4 bis 6
1 × 1750 IE
2 × 5153 IE
unfraktioniertes Heparin
Heparin-Natrium
1,5 bis 2
2 bis 3 × 5000 IE oder 2 × 7500 IE
2 bis 3 × 5000 IE oder 2 × 7500 IE
aPTT-adjustiert (Ziel: 1,5 – 2,5fache aPTT-Verlängerung)
Heparinoide
Danaparoid1
22 bis 24
2 × 750 IE
2 × 750 IE
100 bis 200 IE/Stunde2
synthetisches Pentasaccharid
Fondaparinux
15 bis 20
1 × 2,5 mg
1 × 2,5 mg
1 × 7,5 mg
direkte Faktor-Xa-Inhibitoren
Rivaroxaban
11 bis 13
1 × 10 mg3
1 × 20 mg4
Apixaban
10 bis 15
2 × 2,5 mg3
2 × 5 mg4
Edoxaban
10 bis 14
1 × 60 mg4
direkte Thrombin-Inhibitoren
Dabigatran
14 bis 17
1 × 150 bis 220 mg3
2 × 150 mg4

Die Tabelle enthält die Standarddosierungen pro Tag für einen normalgewichtigen Patienten mit normaler Leber- und Nierenfunktion. Zugelassene Indikationen, Kontraindikationen und Dosisanpassungen (z. B. an Nierenfunktion, Alter und Gewicht) sind zu beachten.

1 Zugelassen zur VTE-Prophylaxe/-Therapie bei Patienten mit Kontraindikationen gegen Heparin (z. B. Heparin-induzierte Thrombozytopenie [HIT]).

2 Bei Anwendung bei akuter HIT ist die höhere Dosierung in der Initialphase zu beachten: 2250 IE als iv-Bolus, dann 400 IE/Stunde über vier Stunden und 300 IE/Stunde über weitere vier Stunden.

3 Zugelassen zur VTE-Prophylaxe nach elektivem Hüft- oder Kniegelenkersatz

4 Die Akuttherapie venöser Thromboembolien erfordert für Rivaroxaban und Apixaban in den ersten drei Wochen bzw. sieben Tagen eine höhere Dosierung und für Edoxaban, Dabigatran und Vitamin-K-Antagonisten eine Initialtherapie mit niedermolekularen Heparinen [NMH] über mindestens fünf Tage.

Niedermolekulare Heparine (NMH) sind die am häufigsten zur Thromboseprophylaxe eingesetzten Pharmaka. Dabei handelt es sich um Substanzgemische aus sulfatierten Glykosaminoglykanen unterschiedlicher Kettenlänge, die aus Schweinedarmmukosa gewonnen werden. Eine Pentasaccharid-Sequenz ist erforderlich für die Bindung und Wirkungsverstärkung von Antithrombin. Über diesen Weg wird eine Hemmung der Faktor-Xa- und in geringerem Ausmaß auch der Thrombin-Aktivität erreicht. Gegenüber dem ­unfraktionierten Heparin (UFH) haben niedermolekulare Heparine den Vorteil einer höheren Bioverfügbarkeit, längeren Halbwertszeit und einer besser vorhersagbaren Wirkung. Niedermolekulare Heparine müssen zur VTE-Prophylaxe daher nur einmal täglich subkutan appliziert werden. Bei Langzeitanwendung von unfraktioniertem Heparin kann eine Osteopenie auftreten. Osteoporotische Wirbelkörperfrakturen wurden in 2 bis 3% bei Anwendung über mehr als vier bis sechs Monate beobachtet. Unter niedermolekularen Heparinen ist der Verlust an Knochenmasse wesentlich geringer [10, 11]. Weitere unerwünschte Wirkungen wie allergische Hautreaktionen, Transaminasenanstieg oder Haarausfall sind selten.

Eine schwerwiegende, immunologisch vermittelte Komplikation ist die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT), die mit einer Häufigkeit von 1 : 5000 bei hospitalisierten Patienten auftritt [12]. Hierbei kommt es zwischen Tag fünf und 14 einer Heparin-Behandlung zu einem Thrombozytenabfall >  50%. Ursächlich ist die Bildung von Antikörpern gegen Komplexe aus Heparin und Plättchenfaktor 4 (PF4), was mit einer massiven Aktivierung von Thrombozyten und Entstehung von intravasalen Thromben einhergeht. Bei Patienten mit gesicherter Heparin-induzierter Thrombozytopenie kommt es in etwa 50% zum Auftreten von thromboembolischen Komplikationen (z. B. tiefe Venenthrombose, Lungenembolie, akuter Verschluss von Extremitätenarterien, Schlaganfall). Die Letalität dieses Krankheitsbildes ist hoch.

Fondaparinux (z. B. Arixtra®) ist ein synthetisch hergestelltes Pentasaccharid, das genau die Oligosaccharid-Sequenz enthält, die für die Bindung an Antithrombin und konsekutive Wirkungsverstärkung erforderlich ist. Das Molekül bildet keine Komplexe mit PF4 und gilt als nicht immunogen, sodass eine Heparin-induzierte Thrombozytopenie oder allergische Hautreaktionen unter Fondaparinux nicht auftreten. In einer Metaanalyse ergab sich eine 55%ige Risikoreduktion für VTE-Ereignisse im Vergleich zu niedermolekularen Heparinen bei orthopädischen und traumatologischen Patienten [13]. Das Risiko für schwere Blutungen war unter Fondaparinux höher als unter niedermolekularen Heparinen; bei Betrachtung aller klinisch relevanten Blutungen und der VTE-assoziierten Mortalität ergab sich hingegen kein Unterschied (Tab. 5).

Das Heparinoid Danaparoid (z. B. Orgaran®) gilt als alternatives Antikoagulans, das bei Patienten mit schwerer Heparin-Unverträglichkeit und Heparin-induzierter Thrombozytopenie eingesetzt werden kann. Zwar zeigen In-vitro-Testungen in etwa 10% Kreuzreaktionen mit Heparin-PF4-Antikörpern, dies ist im klinischen Alltag aber selten relevant.

Mit den direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) stehen seit 2008 oral verfügbare Substanzen für die Prophylaxe und Therapie thromboembolischer Erkrankungen zur Verfügung. In Deutschland sind Rivaroxaban (z. B. Xarelto®), Apixaban (z. B. Eliquis®) und Dabigatran (z. B. Pradaxa®) für die Prophylaxe venöser Thromboembolien nach elektivem Hüft- und Kniegelenkersatz im Einsatz. Rivaroxaban ist ein direkter Faktor-Xa-Inhibitor, für den in der täglichen Dosierung von 1 × 10 mg in randomisierten kontrollierten Studien eine 44%ige Risikoreduktion verglichen mit Enoxaparin gezeigt werden konnte, ohne dass das Blutungsrisiko erhöht war [14]. Mit Apixaban steht in einer Dosierung von 2 × 2,5 mg pro Tag ein zweiter Faktor-Xa-Inhibitor zur Verfügung, der sich in einer gepoolten Auswertung von zwei randomisierten kontrollierten Studien der Standardprophylaxe mit NMH als überlegen erwies [15]. Dabigatran ist ein direkter Thrombininhibitor und ebenfalls für die VTE-Prophylaxe nach orthopädischen Gelenkeingriffen zugelassen. Die Standarddosis sind 1 × 220 mg pro Tag; bei Patienten > 75 Jahre oder mit mittelgradiger Einschränkung der Nierenfunktion beträgt die Tagesdosis 1 × 150 mg. In Studien war Dabigatran genauso effektiv wie niedermolekulare Heparine bei vergleichbarem Blutungsrisiko [16].

Zu beachten ist, dass niedermolekulare Heparine, Fondaparinux, Danaparoid, Rivaroxaban, Apixaban und Dabigatran in unterschiedlichem Ausmaß renal eliminiert werden und bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz kumulieren können, sodass mit einem erhöhten Risiko für Blutungskomplikationen gerechnet werden muss. Eine Spiegelbestimmung der jeweiligen Substanz kann eine Kumulation ausschließen. Kontraindikationen und Dosisreduktionen in Abhängigkeit von Nierenfunktion, Alter und Körpergewicht sind zu beachten (siehe Fachinformation).

Beginn und Dauer der VTE-Prophylaxe

Eine Prophylaxe sollte zeitnah zur Risiko-verursachenden Situation begonnen werden. Während die perioperative Prophylaxe mit Heparin in Europa in der Regel präoperativ begonnen wird, erfolgt die Prophylaxe in Nordamerika ausschließlich postoperativ und gegebenenfalls mit höheren Dosierungen. Es fehlen Daten, die die Überlegenheit der einen oder anderen Vorgehensweise belegen. Bei hohem perioperativen Blutungsrisiko (z. B. neurochirurgische Operation, zusätzliche Einnahme von Thrombozytenfunktionshemmern) erscheint es sinnvoll, die VTE-Prophylaxe erst postoperativ zu beginnen. Eine Prophylaxe venöser Thromboembolien mit Fondaparinux, Rivaroxaban, Apixaban oder Dabigatran wird grundsätzlich erst postoperativ begonnen. In Studien betrug die Dauer der VTE-Prophylaxe meist sieben bis 14 Tage. Für onkologische Patienten mit großen operativen Eingriffen im Bauch- und Beckenbereich wird eine verlängerte Prophylaxe für die Dauer von vier bis fünf Wochen empfohlen [1]. Da Patienten heutzutage frühzeitig entlassen werden, besteht oft die Notwendigkeit, eine VTE-Prophylaxe in der poststationären Phase fortzuführen.

Stationäre Patienten mit akuten internistischen Erkrankungen erhalten meist eine VTE-Prophylaxe in einer Dosierung für den Hochrisikobereich. Ein besonders hohes Risiko für venöse Thromboembolien haben Patienten mit Herzinsuffizienz NYHA III/IV, Exazerbation einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), akuten Infektion (z. B. Sepsis, Pneumonie, COVID-19) oder Tumorerkrankung [1, 17].

 

Therapie der akuten venösen Thromboembolie

In der VTE-Therapie werden drei Behandlungsphasen unterschieden: die Initialtherapie, die Erhaltungstherapie und die verlängerte Erhaltungstherapie.

Initial- und Erhaltungstherapie

Mit der gesicherten Diagnose einer tiefen Venenthrombose oder Lungenembolie wird in der Regel umgehend eine Antikoagulanzientherapie eingeleitet; bei hoher klinischer Wahrscheinlichkeit kann die Therapie bereits vor endgül­tiger Sicherung der Diagnose begonnen werden. Bei hämo­dynamischer Instabilität und Verdacht auf eine akute Lungenembolie empfehlen Leitlinien für die Initialtherapie unfraktioniertes Heparin [4, 18]. Zeitnah ist dann zu klären, ob eine systemische Thrombolyse oder eine katheter­interventionelle Revaskularisation der Lungenstrombahn indiziert ist. Ansonsten stehen für die Initialbehandlung niedermolekulare Heparine, Fondaparinux, Rivaroxaban und Apixaban zur Verfügung.

Die Wahl des Antikoagulans für die Erhaltungstherapie hängt von krankheits- und patientenspezifischen Faktoren ab. Hierbei sind Leber- und Nierenfunktion, das Gewicht des Patienten, Tumorerkrankungen, Komorbiditäten und Komedikationen sowie das individuelle Blutungsrisiko zu berücksichtigen. Heutzutage werden vorzugsweise direkte orale Antikoagulanzien zur VTE-Behandlung eingesetzt. Als „Nachfolger“ für Heparine und Vitamin-K-Antagonisten (VKA) haben sie den Vorteil, dass sie oral in einer fixen Dosierung verabreicht werden, weniger Interaktionen mit Komedikationen und Nahrungsmitteln aufweisen und daher eine vorhersagbare Wirkung haben, sodass regelmäßige Gerinnungskontrollen nicht erforderlich sind.

Rivaroxaban und Apixaban können bereits für die Initialtherapie eingesetzt werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass für die ersten drei Wochen bzw. sieben Tage höhere Dosierungen gegeben werden als in der Erhaltungsphase (Tab. 6). Hingegen muss der Gabe von Edoxaban und Dabigatran eine parenterale Antikoagulation (NMH oder Fondaparinux) über mindestens fünf Tage vorausgehen. Als direkte Gerinnungsinhibitoren entfalten direkte orale Antikoagulanzien innerhalb von wenigen Stunden ihre Wirksamkeit. Vitamin-K-Antagonisten hemmen die Vitamin-K-abhängige γ-Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X und Gerinnungsinhibitoren Protein C und Protein S in der Leber. Ihre Wirkung tritt erst nach zwei bis drei Tagen ein mit dem Verbrauch der Gerinnungsfaktoren im peripheren Blut. Daher werden sie initial überlappend mit niedermolekularem Heparin oder Fondaparinux ge­geben. Die Dosierung erfolgt individuell unter Kontrolle der INR-Werte. Erst wenn der INR-Wert > 2,0 liegt, wird die Therapie allein mit Vitamin-K-Antagonisten fortgeführt. Regelmäßige INR-­Kontrollen und Dosisanpassungen bleiben erforderlich.

Tab. 6: Therapeutische Antikoagulation bei venöser Thromboembolie (NMH: niedermolekulare Heparine, INR: International Normalized Ratio)
Initialdosis bzw. Startmedikation
Erhaltungstherapie
verlängerte Erhaltungstherapie
direkte Faktor-Xa-Inhibitoren
Rivaroxaban
2 × 15 mg für drei Wochen
1 × 20 mg
1 × 20 mg oder 1 × 10 mg
Apixaban
2 × 10 mg für sieben Tage
2 × 5 mg
2 × 2,5 mg
Edoxaban
NMH ≥ fünf Tage
1 × 60 mg
1 × 60 mg
direkte Thrombin-Inhibitoren
Dabigatran
NMH ≥ fünf Tage
2 × 150 mg
2 × 150 mg
Vitamin-K-Antagonisten
Phenprocoumon
individuelle Dosierung und NMH überlappend, bis INR im Zielbereich
individuelle Dosierung mit Ziel-INR 2 bis 3
individuelle Dosierung mit Ziel-INR 2 bis 3
Warfarin
individuelle Dosierung und NMH überlappend, bis INR im Zielbereich
individuelle Dosierung mit Ziel-INR 2 bis 3
individuelle Dosierung mit Ziel-INR 2 bis 3

In randomisierten kontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass alle vier direkten oralen Antikoagulanzien genauso effizient eine Thromboseprogression bzw. Rezidive venöser Thromboembolien verhindern wie Vit­amin-K-Antagonisten [19 – 23]. Unter Apixaban traten auch weniger Blutungskomplikationen auf, unter Rivaroxaban nur im Studienarm mit Lungenembolie-Patienten. Die Erhaltungstherapie mit einem oralen Antikoagulans wird in der Regel über drei bis sechs Monate fortgeführt. Die renale Elimination der DOAK ist wirkstoffspezifisch unterschiedlich; entsprechende Dosisreduktionen oder Kontraindikationen bei eingeschränkter Nierenfunktion sind zu beachten.

Verlängerte Erhaltungstherapie

Nach einem Behandlungszeitraum von drei bis sechs Monaten erfolgt eine Evaluation des Rezidiv-VTE-Risikos, wobei das Risiko für Rezidive gegen das Blutungsrisiko einer fortgeführten antithrombotischen Therapie abgewogen werden muss. Bei hohem Rezidivrisiko (z. B. spontane Rezidiv-VTE, aktive Tumorerkrankung, Antiphospholipid-Syndrom) ist in der Regel eine langfristige Fortführung der Antikoagulation indiziert. Ist die venöse Thromboembolie in Zusammenhang mit einem starken passageren Risikofaktor aufgetreten (z. B. Operation, Trauma), wird die Antikoagulation zeitlich befristet. Schwieriger fällt die Therapieentscheidung in Situationen, bei denen die venöse Thromboembolie bei schwachem oder fraglichem Risikofaktor eingetreten ist. Sind Fortführung und Beendigung der Antikoagulation nahezu gleichwertige Therapieoptionen, so kann die Therapie mit einer reduzierten Dosis Rivaroxaban (1 × 10 mg/Tag) oder Apixaban (2 × 2,5 mg/Tag) fortgeführt werden. In Studien konnte gezeigt werden, dass mit diesem „Niedrigdosisprinzip“ Rezidive suffizient verhindert werden können [24, 25]. Das Risiko für Blutungskomplikationen ist jeweils niedriger als in der volltherapeutischen Dosierung.

 

Therapie Tumor-assoziierter venöser Thromboembolien

Lange Zeit galten niedermolekulare Heparine als Mittel der Wahl zur Behandlung einer Tumor-assoziierten venösen Thromboembolie. In Studien konnte eine niedrigere Rate an Rezidiven venöser Thromboembolien unter NMH im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten nachgewiesen werden [26]. In den Zulassungsstudien für direkte orale Antikoagulanzien waren Patienten mit Tumorerkrankungen ausgeschlossen bzw. unterrepräsentiert. Inzwischen liegen auch Studien zum Vergleich der Faktor-Xa-Inhibitoren mit niedermolekularen Heparinen bei Patienten mit aktiver Tumor­erkrankung vor [27 – 30]. Die gepoolte Auswertung dieser Studiendaten im Rahmen einer Metaanalyse ergab eine Verringerung der Zahl von Rezidiven unter Faktor-Xa-Inhibitor-Therapie [31]. Numerisch kam es allerdings zu einer erhöhten Rate an Blutungskomplikationen, vorzugsweise bei Patienten mit gastrointestinalen Tumoren. Die Zusammenschau der vorliegenden Daten zeigt, dass direkte orale Antikoagulanzien durchaus eine Alternative für Tumorpatienten mit venösen Thromboembolien sein können, sofern kein erhöhtes Blutungsrisiko vorliegt und keine Medikamenteninteraktionen mit der Antitumortherapie zu erwarten sind [32]. Aufgrund vergleichbarer Dosierungsintervalle und ähnlicher Halbwertszeiten ist in Abhängigkeit der jeweiligen Situation ein Switching zwischen der Therapie mit direkten oralen Antikoagulanzien und niedermolekularen Heparinen möglich.

Auf einen Blick

  • Das individuelle Risiko für eine venöse Thromboembolie setzt sich aus expositionellen (z. B. Operation, akute Erkrankung mit Immobilisation) und dispositionellen (z. B. genetische Prädisposition, Alter, Gewicht, Rauchen) Risikofaktoren zusammen. Um das individuelle Risiko einzuschätzen, sollten beide Aspekte berücksichtigt werden.
  • Art und Umfang der VTE-Prophylaxe sollen sich nach der Einteilung in die Risikogruppen (niedrig, mittel, hoch) und nach Kontraindika­tionen richten.
  • Allgemeine Basismaßnahmen wie Frühmobilisation, Bewegungsübungen oder Anleitung zu Eigenübungen sollten regelmäßig bei allen Patienten angewendet werden.
  • Bei Patienten mit mittlerem und hohem VTE-­Risiko sollen eine medikamentöse VTE-Prophylaxe durchgeführt und die Basismaßnahmen eingesetzt werden.
  • Zur medikamentösen VTE-Prophylaxe zugelassene Arzneimittel sind: Heparine, Fondaparinux, Faktor-Xa-Inhibitoren und der Thrombininhibitor Dabigatran.
  • Unter Abwägung von Effektivität, Blutungs- und HIT-II-Risiko sollten niedermolekulare Heparine gegenüber unfraktioniertem Heparin bevorzugt werden.
  • Fach- und substanzspezifische Besonderheiten (z. B. Dosisanpassung an Körpergewicht oder Nierenfunktion) sowie Kontraindikationen sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen.
  • Orale Antikoagulanzien sind in der Schwangerschaft zur Therapie venöser Thromboembolien kontraindiziert. Heparine sind nicht plazentagängig und für Prävention und Therapie von venösen Thromboembolien in der Schwangerschaft die Mittel der Wahl.

Therapie venöser Thromboembolien in der Schwangerschaft oder Stillzeit

Orale Antikoagulation (DOAK, VKA) sind in der Schwangerschaft zur Therapie venöser Thromboembolien kontra­indiziert, da sie transplazentar auf den Fötus übergehen können und somit potenziell teratogen sind. Heparine hingegen sind nicht plazentagängig und somit für die Präven­tion und Therapie von venösen Thromboembolien in der Schwangerschaft die Mittel der Wahl. Bei schwangerschafts-assoziierten venösen Thromboembolien wird die Therapie für den weiteren Schwangerschaftsverlauf bis mindestens sechs Wochen post partum fortgeführt [33]. Während Vitamin-K-Antagonisten in der Stillzeit angewendet werden können, sind direkte orale Antikoagulanzien wegen unzureichender Erfahrungen auch in der Stillzeit kontraindiziert. |

 

Literatur

 [1] Prophylaxe der venösen Thromboembolie (VTE). VASA 2016;45 Suppl 92:1-88, doi: 10.1024/0301-1526/a000580

 [2] Ende-Verhaar YM, Tick LW, Klok FA, Huisman MV, Rosendaal FR, Le Cessie S et al. Post-thrombotic syndrome: Short and long-term incidence and risk factors. Thromb Res 2019;177:102-109, doi: 10.1016/j.thromres.2019.03.003

 [3] Hach-Wunderle V, Bauersachs R, Gerlach H-E, Eberle S, Schellong S, Riess H et al. Post-thrombotic syndrome 3 years after deep venous thrombosis in the Thrombosis and Pulmonary Embolism in Out-Patients (TULIPA) PLUS Registry. J Vasc Surg Venous Lymphat Disord 2013;1(1):5-12, doi: 10.1016/j.jvsv.2012.07.003

 [4] Konstantinides SV, Meyer G, Becattini C, Bueno H, Geersing G-J, Harjola V-P et al. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of acute pulmonary embolism developed in collaboration with the European Respiratory Society (ERS). Eur Heart J 2020;41(4):543-603, doi: 10.1093/eurheartj/ehz405

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Autorin

Prof. Dr. med. Birgit Linnemann habilitierte 2010 im Fach Innere Medizin an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie ist zudem Angiologin und Hämostaseologin und ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet venöser Thrombosen und thrombophiler Gerinnungsstörungen. Seit 2018 leitet sie den Bereich Angiologie am Universitätsklinikum Regensburg.

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