Foto: Anselm Baumgart/AdobeStock

Pandemie Spezial

Endlich wieder ein normales Leben?

Aber nur für Genesene und Geimpfte!

Nach mehreren Monaten Corona-Lockdown wird sich das Leben wieder normalisieren – zumindest für Genesene und Geimpfte. Diese Aktion ist allerdings nicht unumstritten, schließlich ist noch nicht sicher geklärt, ob von diesen Personengruppen tatsächlich keine Infektionsgefahr mehr ausgeht. | Von Ilse Zündorf und Robert Fürst 

Seit mehr als einem Jahr hält uns die Corona-Pandemie in Atem. Aber es ist auch atemberaubend, was die Forschung in kürzester Zeit geleistet hat: Binnen weniger Tage war das Genom von SARS-CoV-2 aufgeklärt, und es dauerte nur wenige Monate, bis die ersten Impfstoffe in klinischen Studien getestet wurden. Bereits im Dezember letzten Jahres konnten die ersten Personen mit zugelassenen Vakzinen geschützt werden.

Diese kurze Zeitspanne bedeutet aber auch, dass die medizinischen bzw. immunologischen Erfahrungen, die mit Genesenen oder gar Geimpften gemacht werden konnten, noch kaum ein Jahr alt sind. Um diese Erfahrungen zu sammeln, müssen Daten zum Immunstatus der Infizierten/Genesenen und Geimpften über einen möglichst langen Zeitraum erhoben werden, was oftmals an Bedenken über den Datenschutz scheitert. Ein Schritt in die richtige Richtung ist die App „SafeVac“ des Paul-Ehrlich-Instituts, mit der chargenspezifisch mögliche Nebenwirkungen einer Impfung erfasst werden.

Nach wie vor ist es also schwierig, sichere Vorhersagen darüber zu machen, ob die Genesenen und Geimpften tatsächlich für eine längere Zeit, also beispielsweise länger als ein Jahr, geschützt sein werden. Einige Maßnahmen, wie beispielsweise eine mögliche dritte Impfung mit den Corona-Vakzinen oder die Impfung bereits Genesener werden deshalb aus Vorsicht empfohlen, ohne sicher zu sein, ob es tatsächlich nötig wäre.

Ein Blick auf unsere Immunabwehr

Bei jeder Infektion und natürlich auch bei einer Virusinfektion brauchen wir unser spezifisches Immunsystem mit den T- und B-Zellen und den Antikörpern. Innerhalb der T-Zellpopulation unterstützen T-Helferzellen die B-Zellen dabei, massiv Antikörper zu produzieren. Die sogenannten zytotoxischen T-Zellen zerstören hingegen diejenigen Körperzellen, in denen gerade eine Virusvermehrung stattfindet. Von all diesen Zellen werden nach einer durchgemachten Infektion bzw. nach einer Impfung Gedächtniszellen angelegt, sodass bei einer erneuten Konfrontation mit dem Pathogen eine sehr schnelle Abwehr erfolgen kann.

Die Bereitstellung dieses spezifischen Abwehrsystems aus Zellen und Antikörpern dauert ca. zwei Wochen und häufig sind die im Körper dabei ablaufenden Prozesse mit mehr oder weniger heftigen Reaktionen verbunden, beispielsweise Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen oder Fieber und Schüttelfrost. Das ist interindividuell sehr unterschiedlich, weshalb die eine oder der andere auch nach einer Impfung ganz unterschiedlich heftig reagiert.

Ob ein Immunschutz tatsächlich vorhanden ist, wird üblicherweise über die Bestimmung der im Körper zirkulierenden Antikörper festgestellt: Je höher der Antikörpertiter ist, desto besser ist man geschützt. Das ist eine gute, aber vielleicht zu sehr vereinfachte Aussage. Denn zum einen lohnt sich der genauere Blick auf die Art der Antikörper. Wir haben Antikörper aus fünf verschiedenen Immunglobulinklassen (IgA, IgD, IgE, IgG und IgM) in unserem Körper. Diejenigen, die als erstes bei einer Infektion gebildet werden, sind IgM-Moleküle; die häufigsten und meist wichtigsten sind IgG-Moleküle. Für die Immunabwehr an der Schleimhaut – der Eintrittspforte für SARS-CoV-2 – sind vor allem IgA-­Antikörper wichtig. Weist man also den Antikörpertiter nach, ist es gleichzeitig wichtig, welche Immunglobulinklasse detektiert wird.

Der zweite Aspekt ist, dass Antikörper nur sehr kleine Epitope eines Pathogens erkennen und binden. Um wirklich vor einer Infektion zu schützen, müssen neutralisierende Antikörper vorhanden sein, also Antikörper, die das Virus an genau der Stelle binden, die für das Andocken an die Wirtszelle gebraucht wird. Dadurch wird eine Infektion der Zelle und eine Virusvermehrung verhindert. Ob unter den in einem Bluttest nachgewiesenen Antikörpern auch tatsächlich neutralisierende dabei sind, zeigen allerdings die meisten Tests zur Antikörperbestimmung nicht an.

Der dritte und sehr wichtige Aspekt ist, dass der T-Zell-Teil der Immunantwort bei diesen Untersuchungen außen vor bleibt. Theoretisch könnte es also sein, dass eine Person zwar einen niedrigen Antikörpertiter hat, aber noch genügend spezifische T- und B-Zellen aufweist, um bei einer Infektion ausreichend schnell zu reagieren. Hier lässt sich aber wieder argumentieren, dass das primäre Ziel ein möglichst hoher Antikörpertiter sein soll. Somit besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch neutralisierende Immunglobuline vorhanden sind, die die Infektion abwehren. Wenn dann noch eine T-Zell-Antwort vorhanden ist, ist man auf der sicheren Seite.

Ein Blick auf die Genesenen

Ab wann gilt man eigentlich als „genesen“ (s. Kasten „Wie ist ,genesen‘ definiert?“)? Rein subjektiv dann, wenn man keine Krankheitssymptome mehr hat. Das ist natürlich bezogen auf die Long-COVID-Patienten eine schwierige Definition. Objektiv lässt sich eine Genesung von einer Virusinfektion daran festmachen, dass sich im Blut keine virusspezifischen IgM-, sehr wohl aber entsprechende IgG-Moleküle befinden und dass sich keine Viruspartikel bzw. -RNA nachweisen lassen.

Wie ist „genesen“ definiert?

Die Bundesregierung definiert im Entwurf der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung vom 4. Mai 2021 Genesene als „asymptomatische Personen, die im Besitz eines auf sie ausgestellten Genesenen­nachweises“ sind.

Dabei ist eine asymptomatische Person eine Person, bei der aktuell kein typisches Symptom oder sonstiger Anhaltspunkt für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt; typische Symptome sind Atemnot, neu auftretender Husten, Fieber und Geruchs- oder Geschmacksverlust.

Eine geimpfte Person ist eine asymptomatische Person, die im Besitz eines auf sie ausgestellten Impfnachweises ist.

Ein Impfnachweis ist ein Nachweis einer vollständigen Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2, wenn die Schutzimpfung mit einem oder mehreren vom Paul-Ehrlich-Institut genannten Impfstoffen erfolgt ist und entweder aus einer Anzahl von Impfstoffdosen besteht, die für eine vollständige Schutzimpfung erforderlich ist, und seit der letzten erforderlichen Einzelimpfung mindestens 14 Tage vergangen sind, oder bei einer genesenen Person aus einer verabreichten Impfstoffdosis besteht.

Ein Genesenennachweis ist ein Nachweis über eine vorherige Infektion mit SARS-CoV-2, wenn die Testung durch eine Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (z. B. PCR, PoC-PCR) erfolgt ist und mindestens 28 Tage sowie maximal sechs Monate zurückliegt.

[COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung – SchAusnahmV) Drucksache 19/29257 vom 4. Mai 2021]

Offiziell darf man frühestens nach den zwei Wochen Quarantäne, die bei einem positiven PCR-Test auferlegt werden, und 48 Stunden Symptomfreiheit, wieder unter Menschen und gilt bei einem negativen Antigentest als „genesen“.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts gehören ca. 3.300.700 Menschen in Deutschland offiziell zu den „Genesenen“ (Stand 17. Mai 2021). In der Nachverfolgung dieser Menschen zeigt sich jedoch immer wieder, dass einige sich erneut mit SARS-CoV-2 infiziert haben und dass bei einigen der spezifische Antikörpertiter sehr schnell wieder abgefallen ist. Erhielten die Genesenen allerdings mit einer Impfung erneut eine Stimulation für das Immunsystem, stieg der Antikörpertiter signifikant und war zehn- bis 20-mal höher als bei den nicht infizierten Geimpften. Interessanterweise bringt eine zweite Impfung keine wesentliche Steigerung des Antikörpertiters mehr, sodass man das also im Prinzip sein lassen kann. Für Long-COVID-Patienten könnte eine Impfung sogar zu einer Verbesserung der Symptome führen, wie eine kleine britische Studie zeigte. Allerdings reagiert das Immunsystem bei Long-COVID-Patienten wie auch bei Genesenen oft sehr stark auf die erneute Stimulation, sodass die Impfreaktionen häufig sehr viel heftiger ausfallen. Um schweren Nebenwirkungen vorzubeugen, wird die Impfung frühestens sechs Monate nach der Infektion empfohlen.

„Genesen“ im Sinne der möglichen Lockerungen im täglichen Leben sind allerdings nur diejenigen, die einen positiven PCR-Test aufweisen können, der mindestens 28 Tage und höchstens sechs Monate alt ist. Personen, die vor mehr als einem halben Jahr an COVID-19 erkrankt waren, müssen sich jetzt also impfen lassen, um ebenfalls in den Genuss der Freiheitsgrade zu kommen – das mag man für sinnvoll erachten oder nicht, ist aber sicherlich auch wieder eine Vorsichtsmaßnahme, um die Infektionswelle zu brechen.

Abb.: Anzahl der bundesweit durchgeführten COVID-19-Impfungen in %. Berücksichtigt sind alle Impfungen, die bis einschließlich 16. Mai 2021 durchgeführt wurden [Informationen des Robert Koch-Instituts, Stand: 18. Mai 2021), www.rki.de/SharedDocs/Bilder/InfAZ/neuartiges_Coronavirus/Impfquotenmonitoring_BL.png;jsessionid=11C4A777D984DAC728F15B151026FB76.internet102?__blob=poster&v=132]

Ein Blick auf die Geimpften

Mittlerweile sind in Deutschland mehr als 26 Millionen Menschen geimpft (s. Abb.), davon über sieben Millionen bereits vollständig – ein toller Erfolg, wenn man bedenkt, dass wir uns erst im Monat 15 nach Auftreten der ersten Erkrankungen befinden. Man darf sich allerdings nicht der Illusion hingeben, dass man – fast noch mit der Spritze im Arm – bereits sicher vor einer Infektion ist. Zum einen dauert es ca. zwei Wochen, bis das Immunsystem richtig aktiviert ist, und zum anderen hat man erst nach der zweiten Impfung einen wirklich sehr guten Schutz von über 90%. Auch der Impfstoff von Johnson & Johnson, der laut Zulassung eigentlich nur einmalig verabreicht wird, wird in einer weiteren klinischen Studie als Zwei-Dosen-Regime getestet, um einen besseren Schutz zu vermitteln. Das heißt aber, dass man sich vor allem in den zwei Wochen nach der ersten Impfung noch recht leicht mit SARS-CoV-2 infizieren kann, und es ist sogar möglich – wenn auch wirklich sehr unwahrscheinlich – dass das noch nach der zweiten Impfung passieren kann.

Nur im Fall einer Infektion lassen sich Viruspartikel über die verfügbaren Schnell-Tests nachweisen. Diese Antigen-Tests verwenden verschiedene Virusproteine, vor allem das mengenmäßig dominierende Nucleocapsidprotein. Normalerweise befindet sich dieses Protein gebunden an der RNA im Virus-Inneren und kommt nur über das komplette Viruspartikel in den Körper. In nicht-infizierten Geimpften ist es dagegen überhaupt nicht vorhanden, weshalb ein Schnell-Test negativ ausfallen sollte.

Mit allen derzeit zugelassenen Impfstoffen wird der Körper dazu gebracht, das Spike-Protein von SARS-CoV-2 als Antigen selbst herzustellen. Deshalb ist die Immunreaktion mit spezifischen Antikörpern und T-Zellen bei geimpften Menschen vollständig auf dieses Antigen ausgerichtet. Bei einer Antikörperbestimmung lassen sich also auch nur Immunglobuline nachweisen, die das Spike-Protein des Virus erkennen, während keine Antikörper gegen andere virale Proteine, wie z. B. das Nucleocapsidprotein zu finden sind.

Bei Genesenen sieht das anders aus, denn ihr Immunsystem wurde mit kompletten Viren und sämtlichen viralen Proteinen konfrontiert und hat auch entsprechende Antikörper produziert. Mit geeigneten Antikörper-Tests, die als Antigene unterschiedliche Virusproteine verwenden, lassen sich also durchaus Genesene von Geimpften unterscheiden.

Ein Blick nach vorne

Inzwischen haben wir hierzulande ca. 30 Millionen Menschen, die entweder genesen sind oder mindestens einmal geimpft wurden. Bei einer Gesamtbevölkerung von 83 Millionen sind das immerhin schon mehr als ein Drittel, bei denen das Immunsystem so aktiv ist (bei frisch Geimpften bald sein wird), dass die Virusvermehrung stark eingeschränkt ist/sein dürfte. Das heißt, selbst wenn einer dieser 30 Millionen mit einer hochgradig infektiösen Person zusammenkommt, können sich vielleicht ein paar Viren im Rachenraum der immunen Person ansiedeln. Aber wahrscheinlich können sich die Viren nicht so weit vermehren, dass die Person nun ebenfalls hochgradig infektiös wird.

Auch bei Geimpften wurde bereits beobachtet, dass der Antikörpertiter nach einigen Wochen sinkt. Inwieweit das tatsächlich „gefährlich“ für die jeweiligen Personen ist, oder ob über die T-Zellen trotzdem noch genügend Schutz vorhanden ist, ist schwierig vorherzusagen. Als Vorsichtsmaßnahme wird deshalb über eine dritte Impfung ca. sechs Monate nach der ersten Immunisierung nachgedacht – ganz analog zu der Impfempfehlung für Genesene. Ob dieser Boost wirklich nötig ist, oder – wie manche sicherlich mutmaßen werden – nur Geldmacherei der Pharmaindustrie ist, könnte nur retrospektiv entschieden werden. Nämlich dann, wenn diese dritte Immunisierung nicht vorgenommen wird, es aber zu einem erneuten massiven Infektionsgeschehen im nächsten Winter kommt. Will man das herausfordern?

Große Befürchtungen bestehen gegenüber den neuen Virus-Mutanten. Bisherige Beobachtungen zeigen, dass Geimpfte auch dann geschützt sind, wenn bereits die Mutanten (z. B. B.1.1.7) in der Bevölkerung dominieren und die Vakzine eigentlich nicht zu hundert Prozent passt.

Nimmt man all die bisherigen Erkenntnisse und Fortschritte ins Kalkül, darf der Blick nach vorne also recht optimistisch sein! |

Literatur

Arnold DT, Milne A, Samms E et al. Are vaccines safe in patients with Long COVID? A prospective observational study. medRxiv 11.3.2021; doi: 10.1101/2021.03.11.21253225

COVID-19 (Coronavirus SARS-CoV-2). Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/covid-19

COVID-19: Entlassungskriterien aus der Isolierung. Stand: 31. März 2021, Informationen des Robert Koch-Instituts (RKI), www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Entlassmanagement.html

Vygen-Bonnet S, Koch J, Bogdan C et al. Beschluss der STIKO zur 4. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung. Epid Bull 2021;16:3 -78, DOI 10.25646/8277.2

Autoren

Prof. Dr. Robert Fürst ist Professor für Pharmazeutische Biologie am In­stitut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

 

Dr. Ilse Zündorf ist am Institut für Pharmazeutische Biologie als akademische Oberrätin tätig.

Institut für Pharmazeutische Biologie, Biozentrum, Max-von-Laue-Straße 9, 60438 Frankfurt/Main

autor@deutsche-apotheker-zeitung.de

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.