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Neue Baustellen

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Während diese DAZ entsteht, erwarten wir den Koalitionsvertrag der künftigen Regierung. Ein Entwurf aus der Arbeitsgruppe „Gesundheit und Pflege“ gibt bereits Hinweise, welche Ideen bei den Koalitionären im Gespräch sind (s. S. 9). Aus Apothekenperspektive wirken diese Gedanken ambivalent. Auf jeden Fall wird es neue Baustellen für die praktische Arbeit in den Apotheken und für die Berufspolitik geben. Chancen und Risiken liegen dicht beieinander. Erfreulich erscheinen die Aussichten auf mehr Geld für pharmazeutische Dienstleistungen und auf weniger Bürokratie im Alltag. Neue Regeln für die Arzneimittelversorgung in künftigen „integrierten Notfallzentren“ und verordnete Botendienste in Notfällen lassen hingegen neue Herausforderungen für die Organisation in den Apotheken erahnen.

Die besten Ergebnisse stecken zwischen den Zeilen des Entwurfs. Offenbar rüttelt niemand an den Grundfesten des Apothekensystems. Außerdem unterscheiden die Koalitionäre deutlich zwischen den Ausgaben für Apotheken und für Arzneimittel. Sie wollen die Ausgaben insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel begrenzen, setzen dazu aber nicht bei den Apotheken an – und treffen sie an einer Stelle doch sehr schmerzlich. Die geplante Senkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf sieben Prozent würde die Apotheken wegen des brutto festgesetzten Kassenabschlags jährlich über 100 Millionen Euro kosten. Wenn die Apotheken nicht das Ziel sind, sollte das zu korrigieren sein. Die Apotheker werden also Gesprächsbedarf haben – auch an anderen Stellen. Denn die Weiterentwicklung des Nacht- und Notdienstfonds zum „Sicherstellungsfonds“ eröffnet einen großen Spielraum für die Fantasie zur künftigen Honorargestaltung. Dort ließen sich viele Vorschläge aus den vorigen Jahren einfügen, von der Landapothekenprämie bis zu einem Grundhonorar. Im Entwurf ist vorgesehen, Effizienzgewinne zu nutzen. Damit ist vermutlich der vor gut zwei Jahren in den Bundestag eingebrachte Vorschlag der Grünen für einen abgestuften Festzuschlag auf Rx-Arzneimittel zur Umverteilung von großen zu kleinen Apotheken gemeint. Das bringt nicht mehr Geld ins Apothekensystem, kann aber ein konstruktiver Ansatz sein, wenn es gut gemacht wird. Wenn es nicht gut gemacht wird, droht dabei dann doch ein systemgefährdender „Kollateralschaden“: das Ende der einheitlichen Arznei­mittelpreise. Dieses gewaltige Problem lässt sich wiederum vermeiden, wenn der variable Honoraranteil über den neuen Sicherstellungsfonds geleitet wird.

So bleibt festzustellen: Die im Entwurf genannten Maßnahmen zu den Apotheken sind eher feine Werkzeuge und nicht der ganz grobe Hammer. Die Koalitionäre erkennen offenbar den Wert des Apothekensystems. Sie wollen daran arbeiten, es aber nicht einreißen. Doch gerade bei feinen Werkzeugen kommt es auf den Gebrauch im Detail an, ob das Bauwerk gut wird. Auf den neuen Baustellen werden darum nur dann nützliche Bauten entstehen, wenn die Details mit der Sachkenntnis der Betroffenen und mit einem konstruktiven Blick auf das Ziel erarbeitet werden. Mindestens so wichtig wie die Inhalte wird daher der Stil der neuen Politik werden.

Thomas Müller-Bohn

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