DAZ aktuell

Viel Raum für Interpretationen

Koalitionsvertrag vorgestellt: 177 Seiten, 6 Zeilen für die Arzneimittelversorgung durch Apotheken

tmb | Am 24. November haben SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ vorgestellt. Die Koalitionäre stellen die „Modernisierung“ des Landes und die Themen Digitalisierung und Klimaschutz in den Mittelpunkt. Die Pläne für die Apotheken entsprechen zu großen Teilen einem Entwurf, der bereits eine Woche zuvor bekannt geworden war (siehe DAZ 2021, Nr. 47, S. 9): eine flexiblere Arzneimittelversorgung in Notfallzentren, Notfallbotendienste, mehr Geld für pharma­zeutische Dienstleistungen, ein Sicherstellungsfonds und eine Honorierung, die Effizienzgewinne umverteilt. Die zuvor geplante Mehrwertsteuersenkung kommt dagegen im Vertrag nicht vor.

Von den 177 Seiten des Koalitions­vertrages entfallen acht Seiten auf das Kapitel „Pflege und Gesundheit“, davon knapp zwei Seiten auf den Abschnitt „Ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung“. Darin beziehen sich sechs Zeilen auf die „Arzneimittelversorgung durch Apotheken“. In weiteren Abschnitten geht es um die „Digitalisierung im Gesundheitswesen“ und die „Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen“. Weitere Textstellen im Gesundheitskapitel und in anderen Kapiteln können für Apotheker oder Apotheken relevant sein.

Sechs Vertragszeilen über Apotheken

Die Passage zu den Apotheken lautet: „Die Arzneimittelversorgung durch Apotheken an integrierten Notfall­zentren in unterversorgten Gebieten verbessern wir durch flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung. Wir entwickeln den Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds weiter und schaffen eine Verordnungsfähigkeit für Notfallbotendienste in der ambulanten Notfallversorgung. Wir novellieren das ‚Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken‘, um pharmazeutische Dienstleistungen besser zu honorieren und Effizienz­gewinne innerhalb des Finanzierungssystems zu nutzen.“

Dies lässt viel Raum zur Interpretation. Mögliche Auslegungen wurden bereits in der vorigen Woche in der DAZ vorgestellt. Neben dem Vorschlag zur Honorierung erinnert auch der Begriff des Sicherstellungsfonds an einen Bundestagsantrag der Grünen-Frak­tion vom April 2019 (siehe S. 20).

Neue Gesetze und Regeln

Darüber hinaus sind weitere Inhalte aus dem Gesundheitskapitel für Apotheken beachtenswert (einige davon wurden in DAZ 47 bereits aufgrund des Entwurfs erwähnt). Die Koalition plant ein Gesundheitssicherstellungsgesetz über die „effiziente und de­zentrale Bevorratung“ von Arznei­mitteln und Medizinprodukten und „regelmäßige Ernstfallübungen für Personal in Gesundheitskrisen“. Dabei bleibt offen, wo die Vorräte angelegt werden und wer dies organisieren soll. Außerdem kündigen die Koalitionäre ein Registergesetz und ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz zur wissenschaftlichen Datennutzung an. Das SGB V und weitere Normen werden auf Dokumentationspflichten geprüft, die sich durch den technischen Fortschritt überholt haben. Außerdem soll ein ­Büro­kratieabbaupaket Ver­sorgungshürden abbauen. Verfahrenserleichterungen aus der Pandemie werden ­verstetigt.

Daneben zieht sich eine gedankliche Spur durch die angekündigten Maßnahmen, die auf eine weitere Stärkung der GKV gegenüber den Leistungs­erbringern hindeutet. Die Attraktivität von „bevölkerungsbezogenen Versorgungsverträgen (Gesundheitsregionen)“ soll erhöht und der Spielraum für Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern soll ausgeweitet werden. Die GKV soll verstärkt Boni für Präventionsprogramme gewähren können. Der Bundeszuschuss zur GKV wird regelhaft dynamisiert. Allerdings sollen die gesetzlichen Krankenkassen „ihre Service- und Versorgungsqualität zukünftig anhand von einheitlichen Mindestkriterien offenlegen“.

Zur Versorgung in strukturschwachen Regionen heißt es: „In besonders benachteiligten Kommunen und Stadt­teilen (5 %) errichten wir niederschwellige Beratungsangebote (z. B. Gesundheitskioske) für Behandlung und Prävention.“ Hier bleibt viel Interpretationsbedarf. Praktisch bedeutsam für Apotheken wird die Neuerung, dass für Kinder und Jugendliche in der PKV künftig direkt abgerechnet wird. Die kontrollierte Cannabisabgabe soll in „lizenzierten Geschäften“ stattfinden – Apotheken werden dabei nicht erwähnt.

Digitalisierung und Arzneimittelversorgung

Einige digitale Projekte mit Apothekenbezug werden ausdrücklich erwähnt. So sollen telemedizinische Leistungen inklusive Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen regelhaft möglich sein. Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und des E-Rezepts sollen beschleunigt werden, wobei kein Datum genannt wird. Die ePA soll zum Regelfall mit einer Opt-out-Möglichkeit werden. Die Gematik wird zur Gesundheitsagentur ausgebaut.

Zur Sicherung der Arzneimittelversorgung soll die Herstellung von Arzneimitteln einschließlich der Wirk- und Hilfsstoffe nach Deutschland oder in die EU zurückverlagert werden. Das Preismoratorium für Arzneimittel bleibt bestehen. Der verhandelte Erstattungspreis für neue Arzneimittel gilt ab dem siebten Monat nach Markteinführung.

Mehrwertsteuer bleibt unverändert

Die im Entwurf beschriebene Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel steht hingegen nicht im Koali­tionsvertrag. Die ABDA hat dies bedauert, weil die Senkung eine erheb­liche Entlastung der GKV bedeutet hätte. Allerdings erübrigt sich damit auch die befürchtete Konsequenz, dass die Apotheken über den Kassenabschlag belastet würden (siehe DAZ 47). Auch die im Entwurf erwähnte Erhöhung des Herstellerabschlags steht nicht im Koalitionsvertrag.

Digitales und Wirtschaft

Im Kapitel „Digitale Innovationen und digitale Infrastruktur“ geht es um fairen Wettbewerb in der digitalen Wirtschaft. Dazu heißt es: „Das Bundeskartellamt stärken wir im Umgang mit Plattformen.“ Im weiteren Text dreht sich dann allerdings alles um Förderungen und nicht um Regeln für digitale Start-ups.

Im Kapitel „Wirtschaft“ ist dem Thema „Mittelstand, Handwerk und Freie Berufe“ ein Abschnitt gewidmet. Demnach setzt die Wirtschaftspolitik auf zukunftsorientierte Rahmenbedingungen für diesen Bereich. Dann werden allerdings Fragen zum Ver­gabeverfahren, Förderprogramme und mehrere Fragen für das Handwerk, aber nicht zu akademischen freien Berufen behandelt. Im nächsten Abschnitt zum „Einzelhandel“ heißt es: „Der stationäre Handel in Deutschland braucht attraktive Rahmenbedingungen, um im Strukturwandel gegenüber dem reinen Online-Handel bestehen und von der Digita­lisierung profitieren zu können.“ Die Koalition bemühe sich um fairen Wettbewerb zwischen digitalen Großunternehmen und „lokal verwurzelten Unternehmen“. Im folgenden Abschnitt „Gesundheitswirtschaft“ heißt es allerdings, Potenziale der Digitalisierung sollen genutzt werden, „um eine bessere Versorgungsqualität zu erreichen, aber auch Effizienzpotenziale zu heben.“

Der nächste Schritt auf dem Weg zur Regierungsbildung liegt bei den Koalitionsparteien. Die Grünen lassen ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag abstimmen. Bei der SPD und der FDP werden Parteitage am 4. und 5. Dezember entscheiden. Die Wahl des Kanzlers im Bundestag wird für die Woche ab dem 6. Dezember angestrebt. |

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