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Blaupause für die Apothekenreform?

Grünen-Antrag aus dem Jahr 2019

cm | Im Koalitionsvertrag der Ampel-Partner finden sich deutliche Hinweise, dass sich die Apotheken hierzulande auf vier stürmische Jahre gefasst machen müssen. Was ihnen ins Haus stehen könnte, haben die Grünen bereits in einem Antrag vorgezeichnet, den sie im Jahr 2019 in den Deutschen Bundestag einbrachten. Sollte das die Blaupause für die Apothekenreform sein, dürfte es auf Kürzungen bei der packungsbezogenen Vergütung hinauslaufen – zumindest bei vergleichsweise umsatzstarken Apotheken.

Nur einen Absatz im Koalitionsvertrag widmen die Ampel-Partner den Apotheken – aber der hat es in sich: „Die Arzneimittelversorgung durch Apotheken an integrierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten verbessern wir durch flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung. Wir ent­wickeln den Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds weiter und schaffen eine Verordnungsfähigkeit für Notfallbotendienste in der ambulanten Notfallversorgung. Wir novellieren das ‚Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken‘, um pharmazeutische Dienstleistungen besser zu honorieren und Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems zu nutzen.“

In jedem dieser Sätze stecken Hinweise auf weitreichende Umwälzungen im Apothekensektor. Die recht konkreten Formulierungen lassen vermuten, dass die Partei-Unterhändler zum Thema Gesundheit klare Vorstellungen haben – für Außenstehende sind sie jedoch erklärungsbedürftig.

Möglicherweise liegt der Schlüssel in einem Antrag, den die Grünen bereits im Jahr 2019 in den Deutschen Bundestag eingebracht haben. Auch wenn das Bundesgesundheitsministerium an die SPD geht, ist in diesem Teil des Koali­tionsvertrags doch eine klare Handschrift erkennbar: Fast alle Elemente, die sich darin zu den Apotheken finden, tauchen bereits im Grünen-Antrag auf, inklusive ausführlicher Erläuterungen.

„Wir entwickeln den Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds weiter“: Dieses Vorhaben ist ein Kernelement des Antrags mit dem Titel „Sicherung einer patientennahen und bedarfsgerechten Arzneimittelversorgung durch Apotheken“ von 2019. Darin forderten die Grünen den Deutschen Bundestag auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der „die flächendeckende Apothekenversorgung sicherstellt und den Nacht- und Notdienstfonds zu einem Sicherstellungsfonds der Apothekenversorgung weiterentwickelt“.

Packungshonorar an Apothekenumsatz koppeln

In der Begründung beziehen sie sich auf das berüchtigte 2hm-Gutachten, das im Auftrag des Bundesministe­riums für Wirtschaft erstellt wurde und bei seiner Veröffentlichung Ende 2017 für Aufsehen sorgte. „Demnach sind 7600 Apotheken in ihrer Existenz gefährdet, davon 5300 in städtischen und großstädtischen Räumen und 2300 in ländlichen Kreisen“, resümiert die Fraktion. Davon seien 2600 Apo­theken sogar in einer sehr kritischen Situation mit einem Betriebsergebnis von weniger als 30.000 Euro pro Jahr.

Die Lösung der Grünen: Sie wollen einen sogenannten Sicherstellungsfonds einrichten, um die flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Die Finanzierung soll über den bestehenden Nacht- und Notdienstfonds erfolgen. „Dieser entlohnt jene Apotheken, die im Quartier und in der Region den Nachtdienst leisten. Die Idee dabei: Versorgungsrelevante Apotheken bieten durch ihren isolierten Standort mutmaßlich relativ oft Nachtdienste an. Wenn die Vergütung für diese Dienste steigt, können versorgungsrelevante Apotheken somit gezielt quersubven­tioniert werden.“ Auch wo das Geld dafür herkommen soll, haben sich die Grünen überlegt: Die Mehrausgaben „sollen durch eine entsprechende Absenkung der packungsabhängigen Vergütung bei besonders umsatzstarken Apotheken finanziert werden“.

Wie diese Umverteilung aussehen soll, beschreiben die Abgeordneten recht konkret: Um die „unterschiedlichen betriebswirtschaftlichen Kostenstrukturen“ auszugleichen, die sie etwa bei großen, umsatzstarken Apotheken und kleinen Betrieben mit nur wenigen Mitarbeitenden vermuten, sei „eine packungsabhängige Vergütung notwendig, die sich an dem Umsatz der Apotheke orientiert“. Größere Apotheken sollen nach den Vorstellungen der Grünen aus diesen betriebswirtschaftlichen Gründen je Packung eine niedrigere Vergütung erhalten als kleinere Apotheken. „Schon eine Reduzierung der packungsabhängigen Vergütung von einem Euro für die umsatzstärksten zehn Prozent der Apotheken könnte ein Umverteilungspotenzial zugunsten kleinerer Apotheken im dreistelligen Millionenbereich bedeuten.“ Der Großteil der Apotheken, bis zu einem durchschnittlichen Umsatz von derzeit 2,31 Millionen Euro pro Jahr – das entspricht laut Antragsbegründung etwa 60 Prozent der Apotheken in Deutschland – soll dabei aber nicht belastet werden, sondern könnte im Gegenteil sogar begünstigt werden.

Umverteilung auch bei pharmazeutischen Dienstleistungen?

„Pharmazeutische Dienstleistungen besser honorieren und Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems nutzen“: Im Grünen-Antrag von 2019 tauchen bereits die pharmazeutischen Dienstleistungen auf – auch wenn sie noch als „patientennahe Dienstleistungen“ bezeichnet werden. Die Fraktion versteht darunter insbesondere das Medikationsmanagement nach dem Vorbild der Arzneimittelinitiative in Sachsen und Thüringen (ARMIN). „Das Modellprojekt zwischen den Kooperationspartnern der Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Apothekenverbänden hat sich seit seiner Gründung 2014 zum Paradebeispiel für das Medikamentenmanagement älterer, multimorbider Patienten entwickelt“, lobt die Fraktion.

Zugleich findet sich im nächsten Absatz ein Hinweis, was mit „Effizienz­gewinnen innerhalb des Finanzierungssystems“ gemeint sein könnte: mehr Geld für Dienstleistungen zulasten des packungsbezogenen Honorars. „Die Finanzierung des Apotheken-Medika­tionsmanagements erfolgt aus den Einsparungen bei der Senkung der packungsbezogenen Vergütung bei besonders umsatzstarken Apotheken.“

Das erscheint auch mit Blick auf den Koalitionsvertrag plausibel – denn die Finanzlage der Krankenkassen hat sich im Zuge der Pandemie deutlich verschlechtert. Dass die Ampel ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mehr Geld für die Apotheken locker macht, noch dazu bevor überhaupt klar ist, welche Dienstleistungen es geben wird und wie diese von den Versicherten angenommen werden, ist eher unwahrscheinlich. Auch in den DAZ-Interviews im Vorfeld der Bundestagswahl hatten weder Sabine Dittmar (SPD) noch Janosch Dahmen (Grüne) oder Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) die Bereitschaft durchblicken lassen, die Apothekenvergütung anheben zu wollen. Dass hinter der Formulierung im Koalitionsvertrag also ein Umverteilungsmechanismus stecken könnte, ist naheliegend.

Light-Apotheken an Notfallzentren?

„Flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung“: In dem Antrag schreiben die Grünen, sie wollen „den besonderen Versorgungsbedürfnissen strukturschwacher und sozial benachteiligter Regionen durch die Ermöglichung flexiblerer Versorgungsangebote Rechnung“ tragen. Gemeint ist damit, die strengen Vorgaben der Apothekenbetriebsordnung teilweise aufzuweichen. Dieser Punkt hat es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, eine Flexibilisierung der Vorschriften der Apothekenbetriebsordnung taucht aber in Zusammenhang mit der Arzneimittelversorgung durch Apotheken an inte­grierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten auf. Das könnte bedeuten, dass Apotheken mit solchermaßen reduzierten Anforderungen an den Notfallzentren etabliert werden sollen.

Ein Hinweis, an welchen Stellen die Grünen möglicherweise bereit sind, Ausnahmen von den bestehenden Regeln zuzulassen, findet sich in der Begründung zum Antrag von 2019. „Für den Betrieb einer öffentlichen Apotheke müssen beispielsweise zahlreiche formale Bedingungen erfüllt werden. Dazu gehören auch Vorgaben zu den Betriebsräumen, zur Mindestgrundfläche, zum Vorhandensein eines Labors usw., die dem wirtschaftlichen Betreiben einer Apotheke zum Teil zu hohe Hürden setzen.“ Es gelte zu prüfen, ob und wie von den Anforderungen abgewichen werden könnte.

Übrigens bringen die Grünen in diesem Zusammenhang auch eine mög­liche Lockerung des Mehrbesitzverbots ins Spiel: „Um Apothekenangebote an allen für die Versorgung relevanten Orten, aber auch in allen Lebenslagen wirtschaftlich betreiben zu können, müssen weitere Vorgaben für Apotheken auf den Prüfstand gestellt werden“, heißt es in dem Antrag. „Die Vorgaben zur erlaubten Anzahl von Filialapotheken sollten daher – unter bestimmten Bedingungen, um eine Kettenbildung zu vermeiden – gelockert und der Betrieb von Apotheken auch von mehreren Pharmazeuten gemeinschaftlich erleichtert werden.“ Der Koalitionsvertrag thematisiert das Mehrbesitzverbot zwar nicht, ausgeschlossen sind Lockerungen damit allerdings auch nicht.

Den Antrag im Wortlaut (Bundestagsdrucksache 19/9699) finden Sie auf DAZ.online unter dem Webcode P3EP6. |

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